Entscheidungsstichwort (Thema)
Einheitsbewertung eines mit einem Erbbaurecht belasteten Grundstücks
Leitsatz (NV)
Ist im Erbbaurechtsvertrag vereinbart, daß der Erbbauberechtigte nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums durch einseitige schriftliche Erklärung vom Erbbauverpflichteten die Übereignung des belasteten Grundstücks fordern kann, und entfällt damit die Verpflichtung des Grundstückseigentümers zur Entschädigung der auf dem Grundstück errichteten Gebäude, so ist dieses Gestaltungsrecht des Erbbauberechtigten als sog. Potestativbedingung weder bei der Bemessung der Laufzeit des Erbbaurechts noch bei der Verteilung des Gebäudewerts nach § 92 Abs. 3 BewG zu berücksichtigen.
Normenkette
BewG § 4 ff., § 92 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines rd. 21000 qm großen Grundstücks, an dem sie durch Vertrag vom 16. Juli 1965 (Vertrag) der X-Genossenschaft ein Erbbaurecht einräumte. § 3 Abs. 1 und 2 des Vertrags lautet wie folgt:
,,Das Erbbaurecht wird auf die Dauer von dreißig Jahren bestellt. Die Laufzeit beginnt mit dem 1. Januar 1965.
Wird das Ankaufsrecht von der Erbbauberechtigten nicht ausgeübt, so verlängert sich die Laufzeit des Erbbauvertrages um weitere zwanzig Jahre."
Hierzu regelt § 7 Abs. 1 des Vertrages, daß die Klägerin und ihre Erben verpflichtet sind, ,,der Erbbauberechtigten vor Ablauf dieses Vertrages in der Zeit vom 1. Januar 1994 zum 31. Dezember 1994 auf Anforderung das Eigentum an dem Grundstück (Grund und Boden) zu übertragen. Die Ausübung dieses Rechts erfolgt durch schriftliche Erklärung. . .". In § 6 des Vertrages wurde vereinbart, daß die Klägerin berechtigt ist, ,,die Übertragung des Erbbaurechts an sich (Heimfall) schon vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer zu verlangen", wenn die Erbbauberechtigte mit dem Erbbauzins in Höhe von zwei Jahresbeträgen in Verzug ist oder wenn Konkurs, Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung eintreten. Die Frage einer Entschädigung durch die Klägerin wird in § 7a des Vertrages wie folgt geregelt: ,,Bei Nichtausübung des Ankaufsrechts, d.h. bei Beendigung des Vertrages durch Zeitablauf (50 Jahre) und beim Heimfall (entsprechend § 6)" hat die Klägerin ,,eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswerts der auf dem Grundstück errichteten Gebäude und Anlagen zu zahlen". Hierzu wurde durch Ergänzungsvertrag vom 19. August 1966 vereinbart, daß die ,,bei Zeitablauf oder Heimfall zu zahlende Entschädigung. . . 70 v.H. des festgestellten Verkehrswertes" beträgt.
Am 19. April 1977 erwarb die S-AG das Erbbaurecht und wurde am 30. November 1977 in das Grundbuch eingetragen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hat den Gesamtwert für das Geschäftsgrundstück (§ 92 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes - BewG -) im Sachwertverfahren (§§ 83f. BewG) ermittelt. Er rechnete der Klägerin auf den Bewertungsstichtag 1. Januar 1978 gemäß § 92 Abs. 3 BewG einen Anteil am Bodenwert von 10644 DM - das sind 40 v.H. des nach Anwendung der Wertzahl von 70 v.H. gemäß § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 90 BewG (WertzahlVO) verminderten (unstreitigen) Bodenwerts von 26610 DM - sowie einen Anteil am Gebäudewert und am Wert der Außenanlagen von 186032 DM - das sind 12 v.H. des nach Anwendung der Wertzahl von 70 v.H. gemäß § 2 WertzahlVO verminderten (unstreitigen) Gesamtwerts von 1550259 DM - zu und stellte durch Wertfortschreibung den Einheitswert für das mit dem Erbbaurecht belastete Grundstück auf (abgerundet) 196600DM fest.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage wandte sich die Klägerin gegen die Zurechnung eines Anteils am Gebäudewert sowie am Wert der Außenanlagen und beantragte, den Einheitswert auf 10600DM herabzusetzen.
Das Finanzgericht (FG), das die S-AG gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Verfahren beigeladen hat, hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Ermäßigung des Einheitswerts des Grundstücks der Klägerin auf den 1. Janaur 1978 auf 49100 DM.
1. Die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge der mangelhaften Sachaufklärung greift nicht durch. Dies bedarf keiner weiteren Begründung (Art. 1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).
2. Zu Unrecht hat die Vorinstanz die von der Klägerin begehrte Ermäßigung des Einheitswerts des mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks in vollem Umfang abgelehnt.
a) Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 BewG ist bei Belastung eines Grundstücks mit einem Erbbaurecht je ein Einheitswert für die wirtschaftliche Einheit des Erbbaurechts und für die des belasteten Grundstücks festzustellen. Ausgangspunkt für die Ermittlung dieser Einheitswerte ist der Gesamtwert, der ohne Rücksicht auf die Belastung für Grund und Boden einschließlich der Gebäude und Außenanlagen festzustellen wäre (§ 92 Abs. 1 Satz 2 BewG). Dieser Wert ist in Fällen, in denen die Dauer des Erbbaurechts am Bewertungsstichtag weniger als 50 Jahre beträgt, grundsätzlich in der Weise aufzuteilen, daß auf die wirtschaftliche Einheit des Erbbaurechts der Gebäudewert und ein nach der (Rest-) Laufzeit des Erbbaurechts gestaffelter Anteil am Bodenwert entfällt (§ 92 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BewG).
Im Streitfall wurde das Erbbaurecht entgegen der Auffassung des FG auf die Dauer von 50 Jahren bestellt. Dies folgt aus Sinn und Zweck der in § 3 und § 7a des Vertrages getroffenen Vereinbarungen. Danach haben die Vertragsparteien von vornherein eine Laufzeit des Erbbaurechts von 50 Jahren ins Auge gefaßt, die sich nur dann auf 30 Jahre verkürzen sollte, wenn die Erbbauberechtigte von dem ihr in § 7 des Vertrages eingeräumten Ankaufsrecht fristgerecht, d.h. in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1994, Gebrauch macht.
Diesem Ergebnis steht auch der Wortlaut des § 3 Abs. 1 des Vertrages nicht entgegen. Zwar heißt es dort, daß das Erbbaurecht ,,auf die Dauer von 30 Jahren bestellt" wird. Doch kann diese Formulierung nur im Zusammenhang mit § 3 Abs. 2 und § 7a des Vertrages ausgelegt werden. Aus § 3 Abs. 2 des Vertrages folgt, daß sich die Dauer des Erbbaurechts bei Nichtausübung des Ankaufsrechts automatisch, d.h. ohne daß es einer neuen Vereinbarung bedarf, auf 50 Jahre erstreckt. Davon, daß bei Nichtausübung des Ankaufsrechts der Erbbaurechtsvertrag erst nach einem Zeitablauf von 50 Jahren endet, geht auch § 7a des Vertrages ausdrücklich aus.
Zutreffend hat das FG in seiner Entscheidung dargelegt, daß es sich bei dem Ankaufsrecht der Erbbauberechtigten, das gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages durch einseitige schriftliche Erklärung auszuüben ist, um ein Gestaltungsrecht (Optionsrecht) handelt. Dieses stellt eine sog. Potestativbedingung dar, d.h. ein ungewisses zukünftiges Ereignis, dessen Eintritt allein vom Willen eines der Vertragspartner abhängig ist und für das die §§ 4f. BewG ebenso wie für ,,echte" Bedingungen gelten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. März 1986 II R 239/83, BFH/NV 1987, 424). Das bedeutet, wie auch die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat, daß das Gestaltungsrecht der Erbbauberechtigten vor seiner Ausübung nicht an früheren Stichtagen berücksichtigt werden kann. Auf das Maß der Aussichten, die am maßgebenden Stichtag für den Eintritt oder Nichteintritt einer Bedingung bestehen, kommt es hierbei nicht an (BFH-Urteil vom 5. März 1971 III R 130/68, BFHE 102, 102, BStBl II 1971, 481). Geht man aber davon aus, daß die der Erbbauberechtigten in § 7 Abs. 1 des Vertrages eingeräumte Möglichkeit, in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1994, d.h. im Laufe des 30. Jahres nach der Bestellung des Erbbaurechts das belastete Grundstück käuflich zu erwerben, an den vorherliegenden Stichtagen unberücksichtigt bleiben muß, d.h. für die Beurteilung der Laufzeit des Erbbaurechts als rechtlich nicht vorhanden anzusehen ist, beträgt die Gesamtlaufzeit des Erbbaurechts im Streitfall entgegen der Auffassung der Vorinstanz gemäß § 3 i.V.m. § 7a des Vertrages nicht nur 30, sondern 50 Jahre. Die Revision hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, daß der mit Wirkung ab 1. Januar 1965 geschlossene Erbbaurechtsvertrag automatisch bis Ende des Jahres 2014 weiterläuft, wenn der Erbbauberechtigte nichts dagegen unternimmt. Ebenso wie bei der Beurteilung der Laufzeit eines Erbbaurechtsvertrags das dem Erbbauberechtigten eingeräumte Optionsrecht, durch einseitige Erklärung eine Verlängerung der Laufzeit des Erbbaurechtsvertrages herbeizuführen, nicht zu beachten ist (vgl. BFH in BFHE 102, 102, BStBl II 1971, 481), kann auch die Möglichkeit des Erbbauberechtigten, durch die Ausübung des ihm eingeräumten Ankaufsrechts den Erbbaurechtsvertrag zu verkürzen, vorher nicht berücksichtigt werden.
Im Streitfall beträgt deshalb zum Bewertungsstichtag 1. Januar 1978 die Restlaufzeit des Vertrages entgegen der Auffassung des FG nicht 17, sondern 37 Jahre. Der Klägerin ist folglich gemäß § 92 Abs. 3 BewG vom Bodenwert nur ein Anteil von 10 v.H. zuzurechnen.
b) Beträgt die Dauer des Erbbaurechts - wie im Streitfall - am Bewertungsstichtag weniger als 50 Jahre, ist abweichend von der Regelung des § 92 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BewG in die wirtschaftliche Einheit des belasteten Grundstücks auch ein Anteil am Gebäudewert einzubeziehen, wenn besondere Vereinbarungen dies rechtfertigen (§ 92 Abs. 3 Satz 3 BewG). Nach § 92 Abs. 3 Satz 4 BewG gilt dies insbesondere, wenn bei Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf der Eigentümer des belasteten Grundstücks keine dem Gebäudewert entsprechende Entschädigung zu leisten hat. Für die Bemessung des Anteils am Gebäudewert, der zur wirtschaftlichen Einheit des belasteten Grundstücks zu rechnen ist, treffen § 92 Abs. 3 Sätze 5f. BewG detaillierte Regelungen.
Eine derartige Vereinbarung, die die Aufteilung des Gebäudewerts auf die beiden wirtschaftlichen Einheiten zwingend zur Folge hat, ist im Streitfall getroffen worden. Denn nach § 7a des Vertrages i.d.F. vom 19. August 1966 hat sich die Klägerin verpflichtet, u.a. ,,bei Nichtausübung des Ankaufsrechts, d.h. bei Beendigung des Vertrages durch Zeitablauf (50 Jahre)" eine Entschädigung in Höhe von 70 v.H. des Verkehrswerts der auf dem Grundstück errichteten Gebäude und Anlagen zu zahlen. Diese Verpflichtung kann nicht etwa deshalb außer Betracht bleiben, weil der Erbbaurechtsvertrag in § 7 mit der Einräumung des Ankaufsrechts ein Gestaltungsrecht vorsieht, bei dessen Ausübung, die erst in Zukunft möglich ist, die Teilentschädigung für die Gebäude und Anlagen entfällt. Denn dieses Gestaltungsrecht ist - wie oben unter a) dargelegt wurde - als Potestativbedingung vor seiner Ausübung wie eine ,,echte" (aufschiebende) Bedingung nach § 4 BewG nicht zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Vorinstanz folglich dem Grunde nach zutreffend davon ausgegangen, daß der der Klägerin bei Ablauf des Erbbaurechts entschädigungslos zufallende Anteil des Gebäudewerts und des Werts der Außenanlagen 30 v.H. beträgt.
Da der der Klägerin entschädigungslos zufallende Anteil des Gebäudewerts und des Werts der Außenanlagen gemäß § 92 Abs. 3 Sätze 5 bis 8 BewG entsprechend der Verteilung des Bodenwerts (§ 92 Abs. 3 Nrn.1 und 2 BewG) zu verteilen ist, ergibt sich ein Anteil von 10 v.H. (s. oben unter a) von 30 v.H. (nicht zu entschädigender Teil des Gebäudewerts und des Werts der Außenanlagen), mithin von 3 v.H. des Gesamtwerts der Gebäude und Außenanlagen.
c) Die Sache ist spruchreif. Der Senat ist in der Lage, aufgrund der vom FG getroffenen Feststellungen selbst zu entscheiden.
Ausgehend von der im übrigen nicht angegriffenen Ermittlung des Gesamtwerts für Grund und Boden einschließlich der Gebäude und Außenanlagen (§ 90 Abs. 1 Satz 2 BewG) errechnet sich der Einheitswert für das mit dem Erbbaurecht belastete Grundstück der Klägerin auf den 1. Januar 1978 wie folgt:
Anteil am Bodenwert: 10 v.H. von 26610 DM = 2 661 DM
Anteil am Gesamtwert der Gebäude und Außenanlagen 3 v.H.
von 1550259 DM = 46 507 DM
49 168 DM
Einheitswert (abgerundet gemäß § 30 Abs. 1 Nr.1 BewG): 49 100 DM.
Fundstellen
Haufe-Index 418734 |
BFH/NV 1993, 222 |