Leitsatz (amtlich)
Die Steuerfreiheit für die Vermietung eines Grundstücks wird in der Regel nicht dadurch ausgeschlossen, daß zur Ergänzung oder zur Erweiterung der Rechte des Mieters oder zu seiner Sicherung an dem Grundstück eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit bestellt wird.
Normenkette
UStG 1951 § 4 Nr. 10; BGB §§ 535, 1090, 1092-1093
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) ist Miteigentümerin eines Wohn- und Geschäftsgrundstücks in B. An dem ihr nicht gehörenden Anteil am Grundstückseigentum steht ihr der lebenslängliche Nießbrauch zu. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 19. Mai 1950 wurde das Wohn- und Geschäftshaus ab 1. Mai 1950 auf die Dauer von zunächst 20 Jahren an eine GmbH zum Betrieb eines Textileinzelhandelsgeschäfts vermietet. Der Mietvertrag enthielt die Bestimmung, daß für die Mieterin an der Parzelle Nr. ... ein dingliches Benutzungsrecht (beschränkte persönliche Dienstbarkeit) zu bestellen sei. demgemäß wurde am 10. Oktober 1950 die folgende Grundbucheintragung vorgenommen:
"Die Firma ... GmbH, in B., ist berechtigt, das auf dem Grundstück aufstehende Geschäftsgebäude für ihre geschäftlichen Zwecke zu benutzen. Die Berechtigte ist zur Löschung verpflichtet, wenn der notarielle Mietvertrag vom 19. Mai 1950 beendet ist."
In einem schriftlichen Zusatzvertrag vom 14. November 1955 wurde die Finanzierung einer Erweiterung und Renovierung des Geschäftsgebäudes vereinbart und der Mietvertrag vom 19. Mai 1950 in einigen Punkten geändert und ergänzt (u. a. Verlängerung der festen Mietdauer bis zum 31. Dezember 1972 und Neufestsetzung der Miete). Am 31. Dezember 1959 wurde die GmbH in eine Einzelhandelsfirma umgewandelt und am 25. März 1960 die Einzelhandelsfirma in eine KG eingebracht. Während des Bestehens des Mietvertrages machte die Mieterin für die Um- und Ausbauten des gemieteten Gebäudes erhebliche Aufwendungen, und zwar im Jahre 1956 in Höhe von ... DM und im Jahre 1960 in Höhe von ... DM; hinzu kamen rd. ... DM für angeschaffte und mit dem Gebäude verbundene Betriebsvorrichtungen und sonstige Anlagen.
Streitig ist für die Jahre 1957 bis 1960, ob die Überlassung des Grundstücks der Umsatzsteuer unterliegt oder als Vermietung eines Grundstücks gemäß § 4 Nr. 10 UStG 1951 umsatzsteuerfrei ist.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) vertrat den Standpunkt, die beschränkte persönliche Dienstbarkeit bilde den Hauptgegenstand des Vertrages vom 19. Mai 1950; das Mietverhältnis werde durch sie aufgezehrt. Das FA zog daher die Steuerpflichtige mit den vereinnahmten Entgelten zur Umsatzsteuer heran.
Nach erfolglosem Einspruch stellte das FG im Klageverfahren die Steuerpflichtige von der Umsatzsteuer frei. Nach Ansicht der Vorinstanz handelt es sich bei den Vereinbarungen vom 19. Mai 1950 und 14. November 1955 der Bezeichnung, dem Inhalt und der tatsächlichen Durchführung nach um Mietverträge im Sinne der §§ 535 ff. BGB. Ihre Wirksamkeit werde durch die Bestellung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nicht berührt. Nach bürgerlichem Recht sei es zulässig, an einem Grundstück, über das dieselben Partner einen Mietvertrag abgeschlossen haben, eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu bestellen. Es gebe zwar Fälle, in denen eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit den über denselben Gegenstand geschlossenen Mietvertrag dermaßen verdränge, daß, soweit das dingliche Recht reiche, ein obligatorisches Mietverhältnis nicht mehr bestehe. Dies sei u. a. bei der Bestellung eines dinglichen Wohnrechts im Sinne des § 1093 BGB anzunehmen. Werde ein solches Recht für den Mieter bestellt, so trete eine Vereinigung von Gläubiger- und Schuldnerstellung in einer Person ein mit der Folge, daß das Mietverhältnis für die Dauer des Bestehens des dinglichen Rechts erlösche. Diese Rechtswirkungen entfielen jedoch, wenn - wie im Streitfalle - die beschränkte persönliche Dienstbarkeit zur gewerblichen Nutzung eines Grundstücks berechtige. In diesem Falle erweise sich das Mietverhältnis als das stärkere Recht. Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit im Sinne des § 1090 BGB diene lediglich der zusätzlichen Sicherung. Die Rechte und Pflichten der Vertragspartner bestimmten sich in diesem Falle nach dem bürgerlich-rechtlich wirksamen Mietvertrag, der auch für die Anwendung der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 10 UStG 1951 bestimmend sei.
Im Revisionsverfahren rügt das FA die Verletzung materiellen und formellen Bundesrechts, insbesondere falsche Anwendung des § 4 Nr. 10 UStG 1951 sowie mangelnde Sachaufklärung und Verstoß gegen den Inhalt der Akten. Ein Mietvertrag (obligatorisches Recht) und ein dem Mieter als beschränkte persönliche Dienstbarkeit (dingliches Recht) eingeräumtes Benutzungsrecht könnten nach dem Aufbau und der Systematik des BGB nicht nebeneinander bestehen. Ein Benutzungsrecht sei als beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu behandeln, wenn es als solche ausgestaltet und im Grundbuch eingetragen sei. Damit im Zusammenhang stehende Vereinbarungen hätten nur die Bedeutung von "Vorverträgen". Diese Rechtsauffassung werde sowohl von den Zivilgerichten als auch vom RFH und BFH sowie überwiegend vom Schrifttum vertreten. Da die Befugnisse aus dem dinglichen und aus dem obligatorischen Recht sich im Streitfalle voll deckten und die beschränkte persönliche Dienstbarkeit den Hauptgegenstand der Verträge bilde, erlösche für die Dauer des Bestehens der Dienstbarkeit das Mietverhältnis mit der Folge, daß mangels einer Grundstücksvermietung die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 10 UStG nicht anwendbar sei.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA hat keinen Erfolg.
I.
1. Die Beteiligten und das FG gehen zutreffend davon aus, daß das Vorliegen einer Vermietung im Sinne des § 4 Nr. 10 UStG grundsätzlich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen und eine erweiternde wirtschaftliche Auslegung für Zwecke der Umsatzbesteuerung nicht zulässig ist (vgl. die RFH-Urteile V A 90/34 vom 27. April 1934, RStBl 1934, 796; V A 389/36 vom 4. Juni 1937, RStBl 1937, 999, RFH 41, 313; BFH-Urteile V 125/53 U vom 21. Dezember 1954, BFH 60, 154, BStBl III 1955, 59; V 259/56 U vom 13. Juni 1957, BFH 65, 98, BStBl III 1957, 269). Sie meinen, daß die Entscheidungen der Zivilgerichte und das einschlägige Schrifttum jeweils ihren Rechtsstandpunkt bestätigten.
2. In Wirklichkeit sind die Ansichten in der zivilrechtlichen Frage, ob ein Mietvertrag über ein Grundstück neben einer auf diesem Grundstück zugunsten des Mieters eingetragenenen beschränkten persönlichen Dienstbarkeit Bestand hat, uneinheitlich. Eindeutig wird die Frage vom Kammergericht verneint (vgl. Urteil 1 X 508/34 vom 6. Dezember 1934, Deutsche Notarzeitschrift 1935 S. 322 - DNotZ 1935, 322 -; s. ferner Reichsgericht - RG - V 199/26 vom 15. Januar 1927, Warneyer, Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts 1927 Nr. 54 S. 80, und Bayerisches Oberstes Landesgericht - BayObLG -, Beschluß vom 19. Februar 1921, Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts Bd. 43 S. 8). Auch Staudinger-Kiefersauer (Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl., Anm. 82 Abs. 2 zu § 535 BGB) stehen auf dem Standpunkt, daß ein Mietrecht und ein als beschränkte persönliche Dienstbarkeit begründetes Benutzungsrecht einer Person nicht nebeneinander zustehen können. Zwar sei es möglich, Mietverhältnisse durch Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit dinglich zu gestalten. Es könne auch neben dem Mietrecht vom Vermieter eine dingliche Verpflichtung des Inhalts bestellt werden, daß der Mieter das Grundstück durch Errichtung von Anlagen jeder Art nutzen kann, die unmittelbar oder mittelbar seinen Absatz fördern (Staudinger-Kiefersauer, a. a. O., Anm. 82 Abs. 3 zu § 535 BGB). Dann liegt aber nach Ansicht des Kammergerichts (vgl. Urteil 17 U 12313/27 vom 6. Februar 1928, Juristische Wochenschrift 1928 S. 2569 Nr. 13 - JW 1928, 2569 Nr. 13 -) insoweit, als das dingliche Recht reicht, kein Mietverhältnis, sondern eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit vor. "Der Kreis der dinglichen Rechte ist ein geschlossener, ein dingliches Mietrecht kann nicht entstehen" (Seuffert, Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten, Bd. 83 S. 141 Nr. 88; vgl. auch RG-Urteil Rep V 496/02 vom 8. April 1903, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 54 S. 233, 235; - RGZ 54, 233, 235 -; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 28. Aufl., Überblick vor § 873 BGB, Anm. 11, und Roquette, Dingliche Benutzungsrechte in der gewerblichen Wirtschaft, BB 1967, 1177; s. ferner Urteile des BGH V ZR 187/60 vom 23. Mai 1962, NJW 1962, 1392; V ZR 195/62 vom 5. März 1965, Wertpapier-Mitteilungen 1965 S. 649 - WM 1965, 649 -; V ZR 221/64 vom 10. Mai 1968, Die Information über Steuer und Wirtschaft, Ausgabe L [= Landwirtschaft] 1968 Nr. 17 S. 269 - Inf/L 1968 Nr. 17, 269 - betreffend Nebeneinanderbestehen von Mietrecht und Wohnungsrecht).
3. Auf der anderen Seite hat das RG in einer Stempelsteuersache Zweifel geäußert, ob "nach dem Willen der Beteiligten ... die vereinbarte Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ... den wesentlichen Inhalt des Vertrages bildet oder ob dieser nicht in der pachtähnlichen Überlassung eines bestimmten Gebrauchs der Grundstücke und des Genusses gewisser Früchte besteht und die Bestellung einer Dienstbarkeit ... nur eine Nebenabrede zur dinglichen Sicherung dieses an sich rein schuldrechtlichen Verhältnisses darstellt" (RG-Urteil 200/30 VII vom 24. März 1931, JW 1932, 1059). Hieraus kann auf die Ansicht geschlossen werden, die gleichzeitige Vereinbarung dinglicher Sicherungen in der Form einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit berühre nicht die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit obligatorischer Verträge, insbesondere von Mietverträgen über denselben Gegenstand. In dieselbe Richtung weist das BGH-Urteil VIII ZR 39/62 vom 25. September 1963 (NJW 1963, 2319), nach dem eine unter Beachtung der §§ 1090 ff. BGB bestellte beschränkte persönliche Dienstbarkeit nicht schon deshalb nicht eintragungsfähig ist, weil die Beteiligten über denselben Gegenstand einen Mietvertrag abgeschlossen haben (ebenso OLG Hamm, Beschluß 15 W 353/56 vom 25. September 1956, Der Deutsche Rechtspfleger 1957 S. 252 - Rpfleger 1957, 252 -). Auch Soergel-Siebert (Bürgerliches Gesetzbuch, 9. Aufl., Rdz. 15 zu § 1090 BGB) vertreten die Ansicht, daß ein Mietrecht über denselben Gegenstand der Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nicht entgegensteht.
4. Eine nähere Begründung für die gegenteiligen Standpunkte wird in der Regel nicht gegeben. Gegen das Nebeneinanderbestehen obligatorischer und dinglicher Rechte wird gelegentlich geltend gemacht, sie wären in ihrem Wesen, in ihrem Inhalt und in ihren Rechtswirkungen (Vertragsgegenstand, Vertragsdauer, Rechtsschutz in Gestalt der sogenannten Eigentumsfreiheitsklage, Vollstreckungsmöglichkeiten) völlig verschieden; es gehe nicht an, zivilrechtliche Begriffe (insbesondere obligatorische und dingliche Rechte - Miete und beschränkte persönliche Dienstbarkeit) zu verwischen. Zugunsten der Gegenmeinung wird auf die im bürgerlichen Recht herrschende Vertragsfreiheit hingewiesen, die es den Parteien ermögliche, neben schuldrechtlichen Verträgen zulässige dingliche Rechtsinstitute zu vereinbaren, wenn wirtschaftliche Gesichtspunkte eine derartige Vertragsgestaltung geboten erscheinen ließen (Wegemer-Becker in UStR 1965, 145).
II.
1. Der RFH hatte sich mit der Streitfrage nur am Rande zu befassen. In den einschlägigen Fällen lag ein Mietvertrag überhaupt nicht vor (vgl. die RFH-Urteile V A 691/33 vom 27. April 1934, RStBl 1934, 844; V A 371/33 vom 18. Mai 1934, RStBl 1934, 930; VA 589/36 vom 27. August 1937, RStBl 1937, 1059). Es waren ausschließlich Benutzungsrechte in der Gestalt von Kohlenabbaugerechtigkeiten oder beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten vereinbart worden. Der RFH hatte nur darüber zu befinden, ob sie wegen des den Gebrauch der Sache einschließenden Benutzungsrechts und wegen der weitgehend gleichen wirtschaftlichen Auswirkungen Grundstücksvermietungen gleichzustellen sind. Eine solche Gleichstellung hat der RFH wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung schuldrechtlicher und dinglicher Rechte abgelehnt.
2. Auch in den Verträgen, die dem (amtlich nicht veröffentlichen, den Beteiligten aber bekannten) Urteil des Senats V 99/58 vom 10. November 1960 zugrunde lagen, war von Miet- oder Pachtverhältnissen mit keinem Wort die Rede. Die Vertragspartner hatten - abgesehen davon, daß sie zahlreiche wichtige Abreden verschiedenster Art getroffen hatten, deren Vereinbarkeit mit dem Wesen eines Miet- bzw. Pachtvertrages mindestens zweifelhaft war - ausdrücklich ein Nutzungsrecht in der Form einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit gewollt und die Dienstbarkeit ins Grundbuch eintragen lassen. Aus den Gründen des Urteils ergibt sich allerdings, daß der Senat die in Rechtsprechung und Schrifttum vielfach geäußerte Auffassung, ein schuldrechtliches Verhältnis werde durch ein gleichzeitig bestehendes dingliches Recht gleichen Inhalts verdrängt, im Prinzip für richtig halte. Denselben Standpunkt hatte der Senat schon in seinem Urteil V 259/56 U vom 13. Juni 1957 (a. a. O). eingenommen, in dem es darum ging, ob die Einräumung eines Dauerwohnrechts gemäß § 4 Nr. 10 UStG a. F. umsatzsteuerfrei ist.
3. Über einen Fall, in dem die Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit im Rahmen eines ausdrücklich als "Miete" bezeichneten Vertrages vereinbart war, hatte der Senat erstmalig im Urteil V R 33/67 vom 7. Dezember 1967 (BFH 90, 561, BStBl II 1968, 130) zu befinden. Auch in diesem Urteil wird davon ausgegangen, daß die im Zweiten Buch des BGB ("Recht der Schuldverhältnisse") behandelten schuldrechtlichen Vertragstypen von den im Dritten Buch des BGB ("Sachenrecht") geregelten dinglichen Rechten zu unterscheiden seien und daß ein Mietrecht durch die Vereinbarung, es im Grundbuch eintragen zu lassen, nicht zu einem eintragungsfähigen dinglichen Recht werde. Aus der oben dargestellten Judikatur und Lehre zur Streitfrage übernahm jedoch der Senat die Auffassung, es sei unbedenklich, die Rechte des Mieters aus einem Mietvertrag durch Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit inhaltlich zu ergänzen und zu erweitern, insbesondere dahingehend, daß der Mieter das Grundstück durch Errichtung von Anlagen jeder Art zwecks Förderung seines Absatzes nutzen kann (vgl. Staudinger-Kiefersauer, a. a. O.). In einem solchen Fall bestünden der schuldrechtliche Mietvertrag und die sachenrechtliche Dienstbarkeit selbständig nebeneinander und seien je für sich rechtlich zu würdigen. Es liege daher eine umsatzsteuerfreie Grundstücksvermietung vor.
4. Eine weitere Frage aus diesem Problemkreis hat der Senat im Urteil V 73/65 vom 25. April 1968 (BFH 92, 303, BStBl II 1968, 509) behandelt. Es ging dort darum, ob nach § 4 Nr. 10 UStG steuerfreie Umsätze anzunehmen sind, wenn der Grundstückseigentümer dem Mieter sicherungshalber einen Nießbrauch am Grundstück bestellt. Der Senat hat die Frage mit der Begründung bejaht, der Mieter habe durch die Bestellung des Nießbrauchs und seine Eintragung im Grundbuch zwar nach außen hin einen Nießbrauch erhalten; im Innenverhältnis sei er aber durch die Bestimmung des Mietvertrages, der Nießbrauch solle das Mietverhältnis sicherstellen, an der Ausübung des Nießbrauchs gehindert gewesen; die Bestellung eines Sicherungsnießbrauchs, die in ihren Wirkungen umsatzsteuerlich ähnlich zu beurteilen sei wie eine Sicherungsübereignung, mache es dem Grundstückseigentümer noch nicht unmöglich, dem Nießbrauchberechtigten aufgrund eines Mietvertrages den Gebrauch des Grundstücks zu gewähren. Die Unmöglichkeit würde erst eintreten, wenn der Begünstigte seinen Nießbrauch tatsächlich ausüben würde. In diesem Falle allerdings würde der Nießbrauch das Mietverhältnis "verdrängen". Da dieser Fall nicht vorlag, hat der Senat den Vermieter mit den Mieteinnahmen von der Umsatzsteuer freigestellt.
5. Zusammenfassend ergibt sich aus der Rechtsprechung des RFH und des BFH folgendes:
a) Ein von den Beteiligten gewolltes oder tatsächlich ausgeübtes dingliches Nutzungsrecht kann nicht in ein obligatorisches Mietrecht umgedeutet werden.
b) Ein zwischen den Parteien vereinbartes Mietrecht wird durch ein dingliches Nutzungsrecht gleichen Inhalts grundsätzlich verdrängt.
c) Es bestehen keine Bedenken dagegen, die Rechte des Mieters aus einem Mietvertrag inhaltlich durch Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zu ergänzen und zu erweitern.
d) Die Annahme einer Grundstücksvermietung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Grundstückseigentümer dem Mieter sicherungshalber einen Nießbrauch am Grundstück bestellt.
III.
1. Im Streitfalle haben die Beteiligten der Bezeichnung und dem Inhalt nach einen Mietvertrag abgeschlossen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sie in erster Linie das Grundstück vermieten bzw. mieten wollten. Erst gegen Ende des Vertrages vom 19. Mai 1950 wird dem Mieter ein Vorkaufsrecht und ein dingliches Benutzungsrecht eingeräumt, zu dessen Löschung der Berechtigte bei Beendigung des Mietvertrages verpflichtet ist. Nach dem übereinstimmenden Vertragswillen und der Zielsetzung der Verträge von 1950 und 1955 wird - wie das FG zutreffend ausführt - in der Hauptsache der schuldrechtliche Gebrauch des vermieteten Grundstücks geschuldet bzw. beansprucht. Es kann keine Rede davon sein, daß - wie das FA meint - der Mietvertrag vom 19. Mai 1950 einen bloßen schuldrechtlichen "Vorvertrag" zu der Bestellung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit darstellt. Die Versagung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 10 UStG 1951 kann daher nicht darauf gestützt werden, es liege ein Mietvertrag überhaupt nicht vor (vgl. oben zu a).
2. Mietrecht und dingliches Nutzungsrecht hatten - wenn man davon absieht, daß sich die beschränkte persönliche Dienstbarkeit nur auf die eine der beiden Parzellen des Grundstücks erstreckte - zwar im wesentlichen den gleichen Inhalt (vgl. oben zu b); eine gewisse Ergänzung der Mietrechte ist jedoch insofern festzustellen, als dem Mieter durch die beschränkte persönliche Dienstbarkeit die Befugnis eingeräumt wurde, "das auf dem Grundstück aufstehende Geschäftsgebäude für geschäftliche Zwecke zu benutzen" (vgl. oben zu c).
3. Hält man diese Einschränkung nicht für ausreichend, um das Nebeneinanderbestehen des Mietrechts und der Dienstbarkeit zu rechtfertigen, so greift die Feststellung durch, daß die beschränkte persönliche Dienstbarkeit Sicherungszwecken gedient hat (vgl. oben zu d). Zwar ist diese Zweckbestimmung in dem Vertrage vom 19. Mai 1950 nicht besonders hervorgehoben. Ein anderer als der Sicherungszweck ist aber nicht ersichtlich. Schon im Mietvertrag von 1950 war dem Mieter ausdrücklich gestattet worden, Ein- und Ausbauten vorzunehmen. Der Zusatzvertrag vom 14. November 1955 diente hauptsächlich dazu, die Finanzierung der Ein- und Ausbauten zu regeln. In Erfüllung dieser Vereinbarungen hat der Mieter in den nachfolgenden Jahren größtenteils mit Hilfe von Darlehen insgesamt rd. ... DM in das Geschäftsgebäude investiert. Möglicherweise ist die Vereinbarung der dinglichen Sicherung auf die spätere finanzielle Belastung durch Um- und Ausbauten an dem Geschäftsgebäude zurückzuführen. Eine solche Vorsorge für die Zukunft würde noch stärker für den Sicherungszweck und damit für die Rechtsauffassung der Steuerpflichtigen sprechen (vgl. Urteil des Senats V 73/65 vom 25. April 1968, a. a. O.).
4. Im Urteil des Senats V 73/65 vom 25. April 1968 (vgl. oben zu II 4) wird darauf hingewiesen, daß das BGB in § 1059 Satz 2 zwischen dem Nießbrauch und seiner Ausübung unterscheidet. Eine entsprechende Unterscheidung findet sich auch in § 1092 Satz 2 BGB im Hinblick auf die beschränkte persönliche Dienstbarkeit, die im Vergleich zum Nießbrauch in der Regel ein weniger umfassendes Nutzungsrecht gewährt. Die Abweichung, daß nach der zuletzt genannten Vorschrift die Überlassung "gestattet" sein muß, bedeutet keine Änderung des Prinzips. Da im Streitfall (ebenso wie im Vergleichsfalle) keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die beschränkte persönliche Dienstbarkeit tatsächlich ausgeübt worden ist, kann die Steuerpflichtige die Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 10 UStG 1951 in Anspruch nehmen.
IV.
Der vom FA geltend gemachte formelle Mangel der Vorentscheidung (unrichtige Darstellung bezüglich der Zugehörigkeit einer Parzelle zum vermieteten Grundstück) war nicht entscheidungserheblich.
Die Revision des FA war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1971, 473 |
BFHE 1971, 165 |