Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterbringung von Aus- und Übersiedlern als steuerfreie kurzfristige Beherbergung von Fremden
Leitsatz (NV)
Entscheidend für die Frage, ob eine kurzfristige oder eine auf Dauer angelegte Überlassung von Räumen vorliegt, ist die aus den gesamten äußeren Umständen ableitbare diesbezügliche Absicht des Vermieters. Die Gewichtung der jeweiligen Sachverhaltselemente (Abgrenzungskriterien) ist als Teil der tatsächlichen Würdigung Aufgabe des Finanzgerichts.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a, S. 2, § 15 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb zwei Gaststätten jeweils mit einem Hotel. Ende 1989 schloß sie die Hotels und brachte dort nach Ergänzung des Mobiliars und der Durchführung von baulichen Veränderungen mit einem Aufwand von ca. ... DM bis Ende Oktober 1991 ausschließlich Aus- und Übersiedler unter, die ihr von einem staatlichen Übergangswohnheim (ÜWH) zugewiesen worden waren.
Grundlage der Unterbringung im Streitjahr (1990) waren mit dem Land Baden- Württemberg (künftig: Land) geschlossene Verträge vom 6. Dezember 1989/5. März 1990 für das eine und vom 20./31. Juli 1990 für das andere Objekt. In den Verträgen verpflichtete sich die Klägerin gegenüber dem Land, den von der Leitung des ÜWH benannten Aus- und Übersiedlern in dem einen Objekt Unterkunft und in dem anderen Objekt Unterkunft mit Vollpension zu gewähren. Die Unterbringungspflicht entstand nach den Verträgen erst dann, wenn die Leitung des ÜWH die Inanspruchnahme der Plätze -- zahlenmäßig auf Personen konkretisiert -- schriftlich oder fernmündlich mitteilte. Vor dieser Mitteilung sollte keine Verpflichtung der Klägerin bestehen, Unterkunftsplätze freizuhalten.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) konnte, abweichend von der vertraglichen Regelung, der Leiter des ÜWH über sämtliche vorhandenen Unterbringungsplätze nach Belieben verfügen. Die Unterbringung galt nach den Verträgen als "Ausweichunterbringung" im Sinne der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Ausweichunterbringung von Aussiedlern und Zuwanderern in Unternehmen des Beherbergungsgewerbes vom 5. November 1984 (Gemeinsames Amtsblatt -- GABl -- 1984, 1014) bzw. i. S. von § 4 des Eingliederungsgesetzes vom 4. Dezember 1989 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg -- GBl -- 1989, 497) und der hierzu ergangenen vorläufigen Verwaltungsvorschrift. Beide Erlasse sollten, soweit nichts anderes bestimmt war, Vertragsbestandteil werden. Die untergebrachten Personen galten als Bewohner des ÜWH. Der Preis für die Unterbringung wurde pro Person und Tag festgelegt; die Abrechnung (gegenüber dem ÜWH) sollte monatlich erfolgen. Die Verträge konnten täglich auf den Vormittag des drittfolgenden Tages (außer Samstag, Sonntag und Feiertag) gekündigt werden.
Die Zahl der von der Klägerin untergebrachten Personen schwankte zwischen 36 und 38 bzw. zwischen 15 und 18; ca. 1/3 der der Klägerin zugewiesenen Personen wohnten weniger als sechs Monate bei ihr.
In ihrer am 3. März 1992 eingereichten Umsatzsteuererklärung 1990 behandelte die Klägerin die Beherbergung der Aus- und Übersiedler in vollem Umfang als steuerpflichtige Umsätze. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) stimmte dieser Erklärung zu (§ 168 der Abgabenordnung -- AO 1977 --).
Am 10. November 1992 reichte die Klägerin eine berichtigte Umsatzsteuererklärung 1990 ein, in der sie die Unterbringung der Aus- und Übersiedler nunmehr als steuerfreie Umsätze behandelte und eine gegenüber der ersten Steuererklärung niedriger festzusetzende Umsatzsteuer errechnete.
Das FA lehnte mit Bescheid vom 11. Dezember 1992 eine Änderung der Steuerfestsetzung mit der Begründung ab, die Klägerin habe die vermieteten Räume nur "zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden" i. S. von § 4 Nr. 12 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) bereitgehalten.
Die hiergegen gerichtete Sprungklage der Klägerin hatte Erfolg. Das FG verpflichtete das FA, die Umsatzsteuer für das Streitjahr in der Weise festzusetzen, daß die Beherbergungsleistungen der Klägerin steuerfrei blieben. Zur Begründung führte das FG u. a. aus, die Klägerin habe die streitigen Wohn- und Schlafräume nicht i. S. des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereitgehalten, sondern insoweit die aus äußeren Umständen ableitbare Absicht gehabt, dem Land die Räumlichkeiten langfristig zu vermieten. Das FG stützte diese Auffassung u. a. auf eine von ihm eingeholte Stellungnahme des Regierungspräsidenten und auf die Zeugenaussage des im Streitjahr eingesetzten Leiters des ÜWH.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Nr. 12 UStG 1980). Es ist der Auffassung, das FG sei von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. April 1988 X R 5/82 (BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795) abgewichen. Danach sei für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1980 entscheidend, ob der Unternehmer die Räume zur längerfristigen Vermietung bestimmt und ob er diese Absicht durch den Abschluß eines langfristigen Mietvertrages verwirklicht habe.
Hieran fehle es im Streitfall, da die Verträge innerhalb von drei Tagen hätten gekündigt werden können. Zudem sei nicht auszuschließen, daß das FG seiner Entscheidung einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt habe (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), da sich im Urteil nur die Aussage finde, das Land habe kurzfristig kündigen können. Dem Urteil sei nicht zu entnehmen, ob das FG bei Kenntnis der darüber hinaus vereinbarten kurzfristigen Kündigungsmöglichkeit auch für die Klägerin von einer langfristigen Vermietung ausgegangen wäre.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat ohne Rechtsverstoß angenommen, daß die Klägerin ihre Hotels dem Land im Wege der Vermietung überlassen hatte und daß die hierdurch erzielten Umsätze steuerfrei waren.
1. Der Senat hält die Auffassung des FG, daß die Überlassung der Hotels an das Land durch Vermietung erfolgte, aufgrund der Feststellungen des FG für richtig. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß zwischen der Klägerin und dem Land ein anderes Rechtsverhältnis vereinbart worden sei.
2. Die Vermietung der Hotels durch die Klägerin war steuerfrei gemäß § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1980. Die Klägerin hielt die in den Hotels vorhandenen Wohn- und Schlafräume nicht zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereit, wodurch die Steuerfreiheit gemäß Satz 2 der zitierten Vorschrift ausgeschlossen gewesen wäre.
a) Entscheidend für die Frage, ob eine kurzfristige oder eine auf Dauer angelegte Überlassung von Räumen vorliegt, ist nicht die tatsächliche Dauer der Vermietung, sondern die aus den äußeren Umständen ableitbare diesbezügliche Absicht des Vermieters (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile vom 21. September 1989 V R 170/84, BFH/NV 1990, 532, unter 1. b und c; vom 27. Oktober 1993 XI R 69/90, BFH/NV 1994, 744, unter II. 1.).
b) Für die Frage, ob diese Absicht vorliegt, sind die Gesamtumstände maßgeblich (vgl. BFH-Beschluß vom 11. Januar 1990 V B 109/89, BFH/NV 1990, 607, unter 4.; BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 744, unter II. 2.). Die Gewichtung der jeweiligen Sachverhaltselemente (Abgrenzungskriterien) ist als Teil der tatsächlichen Würdigung Aufgabe des FG. Der BFH als Revisionsgericht kann nicht eine eigene Tatsachenwürdigung an die Stelle der -- als möglich erachteten -- Würdigung durch das FG setzen, sondern hat nur zu prüfen, ob dem FG bei der Tatsachenwürdigung Rechtsverstöße unterlaufen sind (vgl. BFH- Urteile vom 14. Juni 1985 VI R 150--152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661 a. E.; vom 11. April 1990 I R 22/88, BFH/NV 1990, 768, unter 2.; vom 14. März 1991 V R 73/86, BFH/NV 1992, 204).
3. Das FG ist im Streitfall in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, daß die Absicht der Klägerin darauf gerichtet gewesen ist, die vermieteten Räume langfristig an das Land zu vermieten und nicht lediglich zur kurzfristigen Beherbergung i. S. des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 bereitzuhalten.
a) Das FG hat -- von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgehend -- den Sachverhalt umfassend ermittelt und keine wesentlichen Umstände vernachlässigt. Es hat die festgestellten Tatsachen in nachvollziehbarer Weise vertretbar gewürdigt.
Das FG hat ausgeführt, für die Absicht der Klägerin, dem Land Räumlichkeiten langfristig zu vermieten, sprächen die von der Klägerin vorgenommenen Investitionen und die außergewöhnlich hohe Rendite. Das FG hat ferner entscheidend darauf abgestellt, daß die Klägerin sich sicher sein konnte, daß es infolge des rapide steigenden Zustroms an Aus- und Übersiedlern und der erschöpften Aufnahmemöglichkeiten in den staatlichen ÜWH zumindest innerhalb eines Jahres zu keiner Kündigung seitens des Landes kommen würde. Diese Feststellung hat das FG aufgrund einer Würdigung der von ihm eingeholten Auskunft des Regierungspräsidenten und des erhobenen Zeugenbeweises getroffen. Die kurzfristige Kündbarkeit des Mietvertrages und die Form der Berechnung des Mietentgelts hat das FG bei seinen Schlußfolgerungen berücksichtigt, gegenüber den vorgenannten Umständen aber nicht als durchschlagend bewertet.
b) Die Vorentscheidung ist revisionsrechtlich ferner nicht deshalb zu beanstanden, weil das FG die kurzfristige Kündbarkeit -- wie das FA meint -- stärker als geschehen hätte beachten müssen. Die Würdigung des FG war möglich; sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Ob eine andere Würdigung ebenfalls vertretbar wäre, ist revisionsrechtlich nicht maßgebend.
4. Die vom FA mit der Revision gerügte Abweichung der Vorentscheidung vom BFH-Urteil in BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795 liegt nicht vor. In diesem Urteil hat der BFH zwar ausgeführt, entscheidend für die Anwendung des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG 1980 sei, ob der Unternehmer die Räume zur längerfristigen Vermietung bestimmt und er diese Absicht durch den Abschluß eines langfristigen Mietvertrages verwirklicht habe -- unter 1. d) der Urteilsgründe --. Dies bedeutet aber nicht, daß für die Feststellung der maßgeblichen Absicht des Unternehmers allein entscheidend ist, ob ein langfristiger Mietvertrag vorliegt. Es kommt vielmehr -- wie oben unter II. 2. b) ausgeführt ist -- auf die Gesamtumstände an. Davon geht auch der BFH in seinem vom FA angeführten Urteil in BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795 aus, wonach in die Würdigung nicht nur die vertragliche Regelung, sondern auch andere Umstände des Streitfalles einzubeziehen sind (vgl. unter 2. der Gründe des Urteils in BFHE 153, 451, BStBl II 1988, 795).
5. Das FG hat schließlich nicht gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), indem es seiner Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt hätte, sondern nur einen Teil von diesem. Anhaltspunkte dafür, daß dem FG trotz seiner Kenntnis der Einzelheiten der Verträge die auch der Klägerin eingeräumte kurzfristige Kündigungsmöglichkeit entgangen wäre, sind nicht vorhanden. Da den Vertragsbestimmungen nach der Überzeugung des FG bei der Leistungserbringung durch die Klägerin keine Indizwirkung für das Vorliegen einer kurzfristigen Beherbergung durch die Klägerin zukam, ergeben sich derartige Anhaltspunkte ebenfalls nicht daraus, daß das FG im Tatbestand seines Urteils nur die Kündigung durch das Land und deren Voraussetzungen erwähnt hat; denn im vorliegenden Fall hätte lediglich eine solche Kündigung in Betracht kommen und von Bedeutung sein können.
Fundstellen