Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung der Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ab 1996 - objektives Nettoprinzip
Leitsatz (amtlich)
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nur dann als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden dürfen, wenn die berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 v.H. der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.
Orientierungssatz
Das objektive Nettoprinzip wird im einkommensteuerrecht in § 2 Abs.2 EStG dadurch verwirklicht, daß bei den Überschußeinkünften ebenso wie bei den Gewinneinkünften nur der Saldo zwischen Einnahmen und Ausgabe der Einkommensteuer unterliegt.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 2, § 9 Abs. 5; EStG 1990 § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 1 Fassung 1995-10-11, S. 2 Fassung 1995-10-11; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 24.04.1996; Aktenzeichen 1 K 1254/96) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielt als angestellter
Rechtsanwalt und Steuerberater Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Außerdem hat er Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Rechtsanwalt. Auf der
Lohnsteuerkarte für 1996 beantragte er die Eintragung eines Freibetrages u.a.
wegen der als Werbungskosten zu berücksichtigenden Aufwendungen für ein
häusliches Arbeitszimmer. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt
--FA--) lehnte den Antrag insoweit ab. Er verwies darauf, daß seit dem 1.
Januar 1996 die Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer
gemäß § 9 Abs.5 i.V.m. § 4 Abs.5 Nr.6 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in
der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995
(BGBl I, 1250, BStBl I, 438) eingeschränkt worden sei. Mit seinem erfolglosen
Einspruch machte der Kläger geltend, die einschränkenden Regelungen der § 9
Abs.5 i.V.m. § 4 Abs.5 Nr.6 b EStG seien mit dem Grundgesetz (GG) nicht
vereinbar.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es führte aus, daß
die berufliche Nutzung des Arbeitszimmers nicht mehr als 50 v.H. der gesamten
beruflichen Tätigkeit betrage, da der Kläger nach seinen eigenen Angaben in
seinem häuslichen Arbeitszimmer wöchentlich nur etwa 10 bis 15 Stunden und im
Büro seines Arbeitgebers ca. 45 Stunden wöchentlich tätig sei. Da dem Kläger im
Büro seines Arbeitgebers ein Arbeitsplatz zur Verfügung stehe, seien die
Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer gemäß § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs.5
Nr.6 b EStG steuerlich nicht zu berücksichtigen. Die Regelungen des JStG 1996
betreffend das häusliche Arbeitszimmer verletzten nicht die Grundsätze der
Besteuerung nach Leistungsfähigkeit und Gleichmäßigkeit (Art.3 GG). Das Urteil
ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 695 veröffentlicht.
Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des Art.3 GG und der § 9
und § 12 EStG. Er ist der Meinung, die einschränkenden Regelungen des § 9 Abs.5
i.V.m. § 4 Abs.5 Nr.6 b EStG 1996 verstießen gegen die sich aus Art.3 GG
ergebenden Grundsätze der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung und seien deshalb mit dem GG nicht vereinbar.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und wegen der Aufwendungen
für das häusliche Arbeitszimmer einen weiteren Freibetrag auf der
Lohnsteuerkarte 1996 einzutragen, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die
Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Vorschriften einzuholen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das FG hat ohne Rechtsverstoß
entschieden, daß auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für das Jahr 1996 kein
Freibetrag gemäß § 39a Abs.1 Nr.1 EStG einzutragen ist, soweit der Kläger
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer als Werbungskosten bei seinen
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs.1 EStG) geltend macht.
1. Nach § 9 Abs.5 i.V.m. § 4 Abs.5 Nr.6 b Satz 1 EStG i.d.F des JStG 1996 kann
ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als
Werbungskosten abziehen. Dies gilt nach § 4 Abs.5 Nr.6 b Satz 2 EStG nur dann
nicht, wenn entweder die betriebliche oder berufliche Nutzung des
Arbeitszimmers mehr als 50 v.H. der gesamten betrieblichen und beruflichen
Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein
anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Nach den auch von der Revision nicht
beanstandeten Feststellungen des FG ist im Streitfall keiner der beiden in Satz
2 geregelten Ausnahmesachverhalte erfüllt. Dem Kläger steht im Büro seines
Arbeitgebers ein Arbeitsplatz zur Verfügung und die berufliche Nutzung seines
häuslichen Arbeitszimmers beträgt weniger als 50 v.H. seiner Gesamttätigkeit
als Arbeitnehmer und selbständiger Rechtsanwalt.
2. Die für die Entscheidung des Streitfalles allein einschlägigen und mithin
allein zur Prüfung gestellten Regelungen in § 9 Abs.5 i.V.m. § 4 Abs.5 Nr.6 b
Sätze 1 und 2 EStG über die Abziehbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches
Arbeitszimmer sind entgegen der Auffassung des Klägers verfassungsgemäß. Der
Senat teilt die Auffassung der Vorinstanz, daß der aus Art.3 GG abgeleitete
Grundsatz, daß die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
auszurichten ist (vgl. Beschlüsse des Ersten Senats des BVerfG vom 23. Januar
1990 1 BvL 4,5,6,7/87, BVerfGE 81, 228, 237, BStBl II 1990, 483, 486, unter B
I; vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86 , BVerfGE 82, 60, 86,
BStBl II 1990, 653, 658, unter C III 3 a) und das objektive Nettoprinzip durch
diese Vorschriften nicht verletzt werden.
a) Das objektive Nettoprinzip wird im Einkommensteuerrecht in § 2 Abs.2 EStG
dadurch verwirklicht, daß bei den Überschußeinkünften ebenso wie bei
Gewinneinkünften nur der Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben der
Einkommensteuer unterliegt. Das BVerfG hat in dem Beschluß in BVerfGE 81, 228,
237 ausdrücklich dahingestellt sein lassen, ob das objektive Nettoprinzip
verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist. Denn selbst wenn es das wäre, könne
der Gesetzgeber es beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen. Er müsse
dabei aber darauf achten, daß sich die Fälle, in denen er eine betrieblich
veranlaßte Aufwendung nicht als absetzbare Betriebsausgabe anerkenne, so
weitgehend von allen übrigen Fällen unterschieden, daß diese
Verschiedenbehandlung im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz sachlich
ausreichend gerechtfertigt sei. Dabei stehe ihm allerdings eine weite
Beurteilungs- und Gestaltungsfreiheit zu. Außerdem dürfe er sich --wie stets
bei der Ordnung von Massenerscheinungen-- bei der Ausgestaltung seiner Normen
generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen.
b) Es kann offenbleiben, ob durch die zur Prüfung stehenden Vorschriften das
objektive Nettoprinzip durchbrochen wird oder nicht. Denn jedenfalls bestehen
gewichtige Gründe, die eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips
rechtfertigen würden.
Den in § 4 Abs.5 Nr.6 b Sätze 1 und 2 EStG getroffenen Regelungen liegt die
gesetzgeberische Überlegung zugrunde, daß Aufwendungen für ein häusliches
Arbeitszimmer nur dann steuerlich abziehbar sein sollen, wenn ein solches für
die Erwerbstätigkeit erforderlich ist. Das Gesetz verwendet zwar den Begriff
der Erforderlichkeit oder Notwendigkeit nicht. Die für den Abzug erforderlichen
Voraussetzungen, daß entweder ein anderer Arbeitsplatz nicht zur Verfügung
stehen darf oder daß ein bestimmtes Nutzungsmaß (50 v.H.) im Verhältnis zur
gesamten beruflichen und betrieblichen Tätigkeit erreicht sein muß, sind aber
ihrem Wesen nach eine abschließende gesetzliche Beschreibung der
Fallgestaltungen, bei denen nach der Wertung des Gesetzgebers ein häusliches
Arbeitszimmer erforderlich ist.
Die Erforderlichkeit eines Aufwands ist zwar kein Wesensmerkmal des
Betriebsausgaben- oder Werbungskostenbegriffs. Es kann sich dabei aber
insbesondere dann um ein sachlich geeignetes Merkmal für die Anerkennung als
Betriebsausgaben oder Werbungskosten handeln, wenn Aufwendungen eine Berührung
mit der Lebensführung aufweisen oder in einer Sphäre anfallen, die sich einer
sicheren Nachprüfung durch Finanzverwaltung oder Finanzgerichte entzieht. Beide
Voraussetzungen sind bei dem häuslichen Arbeitszimmer erfüllt. Der in der
Privatwohnung liegende Raum kann tatsächlich ohne jegliche Kontrollmöglichkeit
für die Finanzbehörden auch für andere als berufliche Zwecke genutzt werden.
Dies rechtfertigt es, die steuerliche Anerkennung der Aufwendungen an
Voraussetzungen zu knüpfen, die die Möglichkeit des Mißbrauchs und der
Verlagerung von Kosten für die Lebensführung in den betrieblichen oder
beruflichen Bereich erheblich einschränken. Auch die von der
Finanzministerkonferenz am 22. April 1993 eingesetzte Arbeitsgruppe
Steuerrechtsvereinfachung hatte in ihrem Bericht vom Dezember 1993 (unter C II
Nr.22) gefordert, daß die Erforderlichkeit eines häuslichen Arbeitszimmers für
dessen steuerliche Anerkennung maßgebend sein soll.
c) Der Gesetzgeber hat sich bei der Konkretisierung, wann nach seiner Wertung
auch bei dem Vorhandensein eines anderen Arbeitsplatzes das Arbeitszimmer
erforderlich ist, zwangsläufig einer generalisierenden Regelung bedienen
müssen. Die gesetzgeberische Entscheidung, daß bei Vorhandensein eines anderen
Arbeitsplatzes mindestens 50 v.H. der Gesamttätigkeit im häuslichen
Arbeitszimmer stattfinden muß, um die Erwerbstätigkeit als die wesentliche
Ursache des Aufwands anzusehen, ist nicht willkürlich und hält sich innerhalb
der Grenzen der dem Gesetzgeber zustehenden Beurteilungs- und
Gestaltungsfreiheit. Die Arbeitsgruppe Steuerrechtsvereinfachung hatte für die
gesetzliche Konkretisierung des Merkmals, daß das häusliche Arbeitszimmer
erforderlich sein muß, ebenfalls die Festlegung eines bestimmten
Vomhundertsatzes der Gesamttätigkeit (mindestens 25 v.H.) vorgeschlagen; sie
hatte dies allerdings von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht, daß ein
anderer Arbeitsplatz nicht zur Verfügung steht (vgl. unter C II Nr.22 des
Berichts vom Dezember 1993).
Soweit die Maßgeblichkeit eines bestimmten Vomhundertsatzes der Gesamttätigkeit
bei außergewöhnlichen Sachverhalten zu Ergebnissen führen kann, die in der
Literatur als zum Teil willkürlich, kaum nachvollziehbar oder wirtschaftlich
absurd angesehen werden (vgl. z.B. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, §
19 Rz.60 "Arbeitszimmer ab VZ 1996" Anm. 2; Broudri, Deutsches Steuerrecht
--DStR-- 1995, 1733, 1739; Strohner/Mainzer, Finanz-Rundschau --FR-- 1995,
677, 685 ff.; Homburg, Betriebs-Berater --BB-- 1995, 2453, 2454), führt dies
nicht zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung stehenden Vorschriften. Der
Gesetzgeber darf sich bei der Ordnung von Massenerscheinungen
generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen (vgl.
BVerfG in BVerfGE 81, 228, 237, BStBl II 1990, 483, 486). Entscheidend ist, daß
für die ganz überwiegende Zahl aller Fälle der vom Gesetzgeber gewählte
Vomhundertsatz ein Abgrenzungskriterium ist, das zu sachgerechten Resultaten
führt, und daß sich im übrigen in besonders gelagerten Ausnahmefällen die Frage
der verfassungskonformen Auslegung stellen wird. Es ist zu bedenken, daß eine
größere Einzelfallgerechtigkeit allenfalls durch noch kompliziertere Regelungen
zu erreichen gewesen wäre, die erfahrungsgemäß wiederum zu zahlreichen weiteren
Abgrenzungsproblemen und damit zu weiterer Komplexität geführt hätten.
3. Der Gleichheitssatz wird entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht
dadurch verletzt, daß die gesetzliche Regelung sich ihrem Wortlaut nach nur auf
das häusliche Arbeitszimmer und nicht auf Arbeitszimmer außerhalb des Hauses
bezieht. Zum einen handelt es sich nach der zutreffenden Auffassung der
Vorinstanz um unterschiedliche Sachverhalte. Zum anderen werden die
Finanzverwaltung und die Finanzgerichte in den seltenen Fällen, in denen
Arbeitnehmer Aufwendungen für ein außerhalb des Hauses gelegenes Arbeitszimmer
geltend machen sollten, zu prüfen haben, ob die in § 4 Abs.5 Nr.6 b Satz 2 EStG
zum Ausdruck gekommene gesetzliche Wertung, daß das Arbeitszimmer erforderlich
sein muß, auch bei außerhalb des Hauses gelegenen Arbeitszimmern von Bedeutung
ist.
Fundstellen
Haufe-Index 66027 |
BFH/NV 1997, 52 |
BStBl II 1997, 68 |
BFHE 181, 305 |
BFHE 1997, 305 |
BB 1997, 27-28 (Leitsatz und Gründe) |
DB 1997, 22-23 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1996, 2010-2011 (Kurzwiedergabe) |
DStRE 1997, 201-202 (Leitsatz) |
DStZ 1997, 195-196 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1997, 143-144 (Leitsatz) |
StE 1997, 2 (Kurzwiedergabe) |
WPg 1997, 132-133 (Leitsatz und Gründe) |
StRK, R.55 (Leitsatz und Gründe) |
FR 1997, 92-94 (Leitsatz und Gründe) |
Information StW 1997, 91 (Leitsatz und Gründe) |
NJW 1997, 759 |
NJW 1997, 759-760 (Leitsatz und Gründe) |
GStB 1997, Beilage zu Nr 2 (Leitsatz) |
KFR, 1/97, S 113 (H 4/1997) (Leitsatz und Gründe) |
BFH/NV BFH/R 1997, 52-53 (Leitsatz und Gründe) |
FamRZ 1997, 611 (Leitsatz) |
NVwZ 1997, 520 |
NVwZ 1997, 520 (Leitsatz) |
AktStR 1997, 124-125 (Kurzwiedergabe) |
JurBüro 1997, 278 (red. Leitsatz) |
NJWE-MietR 1997, 94 (Leitsatz) |
ZAP, EN-Nr 122/97 (red. Leitsatz) |
ZAP, Fach 20 279-280 (Leitsatz) |
ArztR 1997, 219-220 (Gründe) |
BDVR-Rundschreiben 1997, 26-28 (Leitsatz und Gründe) |
StBp 1997, 79 (Leitsatz) |