Leitsatz (amtlich)
1. Im Zeitschriftenhandel kann der Verlag die auf Remittenden- und Freiexemplare entfallenden Versendungsauslagen nicht von den Entgelten für steuerpflichtige Umsätze absetzen.
2. Die auf Remittenden- und Freiexemplare treffenden, nicht abzugsfähigen Versendungsauslagen sind anteilig nach dem Verhältnis der Stückzahl dieser Exemplare zu der der gesamten Sendung aus den tatsächlichen Kosten dieser Sendung zu errechnen.
Normenkette
UStG 1951 § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 4 Nr. 1; UStDB 1951 § 54 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Steuerpflichtige (Klägerin und Revisionsbeklagte) Versendungsauslagen für Remittendenund Freiexemplare gemäß § 5 Abs. 4 UStG 1951 vom Entgelt für steuerpflichtige Umsätze absetzen darf.
Die Steuerpflichtige druckte und vertrieb in den Streitjahren die Zeitschriften "B", "F" und "H". Sie versandte die Zeitschriften auf Bestellung an Händler im gesamten Bundesgebiet. Die Händler waren berechtigt, unverkäufliche Exemplare binnen einer Frist von acht Wochen zurückzugeben (Remissionsrecht). Die Rückgabe (Remission) vollzog sich regelmäßig in der Weise, daß die Händler die Kopfleisten der unverkäuflichen Zeitschriften (Maquetten) abtrennten und der Steuerpflichtigen zurücksandten; Händler, die in der Nähe des Verlagsorts wohnten, sandten die Zeitschriften zurück. Die Steuerpflichtige, die die Händler zunächst mit dem Preis für für alle übersandten Zeitschriften (für die Kontinuation) belastet hatte, schrieb ihnen den Kaufpreis für die Remittendenexemplare gut oder überwies den Betrag. In geringem Umfang überließ sie den Händlern auch Freiexemplare zu Werbezwecken.
Das FA (Beklagter und Revisionskläger) vertrat nach einer Betriebsprüfung die Auffassung, die auf die Remittenden- und Freiexemplare entfallenden Versendungsauslagen könnten nicht nach § 5 Abs. 4 UStG 1951 abgesetzt werden; die Auslagen entfielen insoweit auf nicht steuerpflichtige Umsätze. Das FA berief sich auf den Erlaß des BdF vom 30. Oktober 1963 (UStR 1964, 36).
Die Sprungberufung (Sprungklage) gegen den zusammengefaßten Umsatzsteuerberichtigungsbescheid 1958 bis 1961 hatte Erfolg. Das FG, dessen Urteil in EFG 1966, 306 veröffentlicht ist, hat ausgeführt: Die Versendungsauslagen entfielen in vollem Umfang auf steuerpflichtige Umsätze. Die Steuerpflichtige habe nicht, wie das FA annehme, die einzelnen Zeitschriften geliefert und einige davon zurückerhalten. Sie habe vielmehr den Händlern in einem Vertragsverhältnis eigener Art eine Anzahl Exemplare zum Verkauf zur Verfügung gestellt; der Kaufpreis habe sich nach der Anzahl der tatsächlich verkauften Exemplare konkretisiert. Die verstandten Zeitschriften seien verkaufsfähige geistige Produkte und damit etwas anderes als die remittierten Altpapier-Exemplare. Hätten die Händler das Verkaufsrisiko zu tragen, würde ihnen die Steuerpflichtige einen Einkaufspreis einräumen, der um die durchschnittlichen Remissionsgutschriften niedriger wäre. In diesem Falle wären alle Versendungsauslagen absetzbar. Hier könne es nicht anders sein. Hinsichtlich der Freiexemplare sei davon auszugehen, daß sie keine zusätzlichen Versendungsauslagen verursacht hätten.
Das FA hat Rechtsbeschwerde (Revision) eingelegt und zu ihrer Begründung ausgeführt: Die Steuerpflichtige habe entgegen der Auffassung des FG die einzelnen Zeitschriften geliefert; der Gesamtrechnungspreis sei aufgrund der Stückpreise errechnet worden. Mit Ausübung des Remissionsrechts hätte die Steuerpflichtige entweder die Lieferungen teilweise rückgängig gemacht oder für einen Teil der Lieferungen auf Entgelte verzichtet. In beiden Fällen stünden die Versendungsauslagen für die Remittenden nicht im Zusammenhang mit einer steuerpflichtigen Lieferung. Die Auffassung des FG sei nur haltbar, wenn die Remissionsgutschrift als Rabatt angesehen werde. Dem stehe entgegen, daß ein Rabatt desto höher sei, je mehr verkauft werde; hier aber wäre es umgekehrt. Die hypothetische Überlegung des FG sei umsatzsteuerrechtlich unbeachtlich. Auch sei die Steuerpflichtige an dem gewählten Verfahren interessiert gewesen; denn es gewährleiste eine höhere Auflage und damit auch höhere Einnahmen aus Inseraten.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Berufung (Klage) abzuweisen.
Die Steuerpflichtige beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise, die Streitsache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Sie wendet sich zunächst mit einer Verfahrensrüge (Gegenrüge im Sinne des Urteils des BFH IV R 72/69 vom 19. März 1970, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 99 S. 21 - BFH 99, 21 -, BStBl II 1970, 497) gegen die Feststellung des FG, die Händler hätten - sofern sie nur die Maquetten zurückgegeben hätten - die unverkäuflichen Exemplare für ihre, der Steuerpflichtigen, Rechnung als Altpapier verwertet. Sie macht weiterhin geltend: Die Remission sei eine in der Zeitschriftenbranche seit dem Ende des 19. Jahrhunderts übliche Usance. Folgende Rechtsbeziehungen seien zu unterscheiden:
a) ein Verkauf aktueller in bestimmter Weise verpackter Zeitschriften (Sachgesamtheit) durch die Steuerpflichtige an die Händler,
b) ein teilweiser Rückkauf von Makulatur,
c) beide Kaufverträge verbindend das Remissionsrecht, das im ersten Vertrag enthalten sei und die Steuerpflichtige zum Abschluß des zweiten Vertrags zwinge.
Die Zahlung des Kaufpreises werde vorläufig ausgesetzt und modifiziert, sobald der Umfang des Rückkaufs feststehe. Der Kaufpreis, den die Steuerpflichtige für die Remittenden bezahle, sei umsatzsteuerrechtlich wie ein Rabatt auf den Kaufpreis der Sachgesamtheit zu werten. Die Kosten für die Versendung der Kontinuation seien ein Aufwand, der notwendig sei, den Kaufpreis für die Kontinuation abzüglich der Remissionsgutschrift zu erzielen. Unrichtig sei, daß sich die Anzeigenpreise nach der Auflage einschließlich der Remittendenexemplare richteten; die Anzeigenpreise würden vielmehr nach der garantierten Auflage festgesetzt, der die echten Verkaufszahlen zugrunde lägen.
Die Steuerpflichtige hat ein Rechtsgutachten des ... vorgelegt. Der Gutachter nimmt hinsichtlich der Versendungsauslagen für Remittendenexemplare im Ergebnis den Standpunkt der Steuerpflichtigen ein.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1951 in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Satz 1 UStDB 1951 kann der Unternehmer die Auslagen, die ihm dadurch entstehen, daß er den Gegenstand der Lieferung an den Abnehmer versendet, von dem Entgelt für die steuerpflichtige Lieferung absetzen. Eine Absetzbarkeit entfällt vor allem dann, wenn keine Lieferung im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG 1951 vorliegt oder der Lieferung kein Entgelt gegenübersteht. Wird eine steuerpflichtige Lieferung rückgängig gemacht und infolgedessen das Entgelt zurückgewährt, entfällt der Versendungskostenabzug im Zeitpunkt der Entgeltsabsetzung (§ 12 UStG 1951). Der Unternehmer darf nur die um die Versendungsauslagen gekürzten Entgelte absetzen.
Die auf die Remittendenexemplare entfallenden Versendungsauslagen sind nach diesen Grundsätzen nicht abzugsfähig, da die Lieferungen der remittierten Exemplare im Zeitpunkt der Remission rückgängig gemacht worden waren.
Mit dem FG geht die Steuerpflichtige davon aus, sie habe den bestellenden Händlern die Kontinuation geliefert; das FG spricht von einer "Gesamtlieferung". FG und Steuerpflichtige verkennen damit den Begriff "Gegenstand der Lieferung" in § 54 Abs. 1 Satz 1 UStDB 1951, der dem Begriff "Gegenstand" in § 3 Abs. 1 UStG 1951 entspricht. Gegenstand der Lieferung ist die einzelne Zeitschrift, nicht jedoch die aus einer Vielzahl von Zeitschriften bestehende Kontinuation.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kontinuation als Sachgesamtheit im Rechtssinn bezeichnet werden kann; denn jedenfalls ist ein zum Zwecke des Versands zusammengerichtetes Zeitschriftenpaket - im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Steuerpflichtigen - keine Sachgesamtheit, die das Umsatzsteuerrecht als Gegenstand einer einheitlichen Lieferung zuläßt. Es ist einzuräumen, daß im bürgerlichen Recht eine Anhäufung von Einzelsachen, die ein gemeinsamer Zweck verbindet und die im Rechtsverkehr mit einem einheitlichen Namen belegt werden, wie das Inventar, das Warenlager, die Herde, die Briefmarkensammlung u. a. m., als "Inbegriff" (vgl. §§ 92, 260 BGB) bezeichnet werden und daß Literatur und Rechtsprechung zu diesen Vorschriften dafür den Begriff der "Sachgesamtheit" gleichbedeutend verwenden. An diesen Begriff knüpft aber das bürgerliche Recht - abgesehen von der in § 92 Abs. 2 BGB getroffenen Regelung - grundsätzlich keine Rechtsfolgen. Insbesondere finden die für Sachen geltenden Vorschriften keine Anwendung.
Im Umsatzsteuerrecht dagegen müssen - bedingt durch die nach § 1 Abs. 2 StAnpG gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise - gewisse Zusammenstellungen von Einzelsachen (Sachgesamtheiten), nämlich solche, die im Sinne der Verkehrsanschauung gegenüber den sie bildenden Teilen eine besondere qualitative Eigenart haben und damit eine selbständige neue Wareneinheit bilden, in Ausweitung des bürgerlich-rechtlichen Sachbegriffs materiell-rechtlich als eine einheitliche Sache behandelt werden. Der BFH hat daher den Vorgang, durch den der Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über eine solche Wareneinheit zu verfügen (Übertragung der Verfügungsmacht = Lieferung, vgl. § 3 Abs. 1 UStG 1951) unabhängig von den Rechtsvorstellungen des bürgerlichen Rechts als einheitliche Lieferung behandelt und sie als Lieferung einer "Sachgesamtheit" bezeichnet. Bei Begründung dieser Rechtsprechung wurde der Begriff gegenüber dem gleichlautenden Terminus des bürgerlichen Rechts deutlich einengend festgelegt, nämlich als eine Zusammenstellung selbständiger Sachen, durch die nach Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise ein anderes Wirtschaftsgut entsteht, als es die bloße Summe der einzelnen Teile bildet (Urteile des RFH V 381/33 vom 26. März 1933, RStBl 1933, 1246; V 197/42 vom 16. April 1943, RStBl 1943, 629; BFH-Urteile V 87/52 U vom 6. März 1953, BFH 57, 416, BStBl III 1953, 162; V 185/52 U vom 28. Mai 1953, BFH 57, 537, BStBl III 1953, 206). Damit kommt zum Ausdruck, daß für das materielle Umsatzsteuerrecht nur gewisse, durch diese Definition näher umschriebene Sachgesamtheiten (Sachinbegriffe) im Sinne des bürgerlichen Rechts bedeutsam sind. Der umsatzsteuerrechtliche Begriff der Sachgesamtheit erfaßt deshalb keine Warenzusammenstellungen, die - wie die Versendungseinheit eines Zeitschriftenpakets - nur einem zeitlich begrenzten Zweck dienen, auch wenn sie - wegen ihrer einheitlichen Bezeichnung im Verkehr der beteiligten Wirtschaftskreise (Kontinuation!) - unter den formalen bürgerlich-rechtlichen Begriff der Sachgesamtheit fallen sollten. Die Ansicht der Steuerpflichtigen hätte zur Folge, daß ihren Händlern, soweit diese im Großhandel weiterliefern, der ermäßigte Steuersatz des § 7 Abs. 3 UStG 1951 wegen fehlender Nämlichkeit zwischen der Kontinuation und den weitergelieferten Teilen versagt werden müßte; denn das Auflösen einer erworbenen Sachgesamtheit ist im Gegensatz zu dem Zusammenstellen erworbener Teile zu einer Sachgesamtheit keine Maßnahme, die nach § 12 Abs. 1 UStDB 1951 nicht als Be- oder Verarbeitung gilt.
Die Lieferungen aller zu einer Kontinuation zusammengestellten Zeitschriften sind im Zeitpunkt der Übergabe an den Frachtführer bewirkt (§ 5 Abs. 2 UStDB 1951). Die Entgelte werden durch die gleichzeitige Belastung des Händlerkontokorrents vereinnahmt. Die Ausübung des Remissionsrechts führt zu einer Rückgängigmachung der Umsätze. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob die Rücktrittsvorschriften der §§ 346 ff. BGB anwendbar sind. Umsatzsteuerlich ist maßgebend, daß die Umsätze der remittierten Exemplare rückwirkend aufgehoben wurden. Die Steuerpflichtige gewährte die vereinnahmten Entgelte zurück, indem sie den Händlern eine Kontokorrentgutschrift erteilte oder ihnen den entsprechenden Betrag auszahlte. Unerheblich ist, daß die Händler die Remissionsexemplare in der Regel nicht zurücksandten. Dieses Verfahren war wirtschaftlich begründet. Die Steuerpflichtige war nicht daran interessiert, Zeitschriften zurückzuerhalten, die nur noch Altpapierwert hatten und deren Rücksendung nicht lohnte. In einem solchen Fall ist eine Rückverschaffung der Verfügungsmacht nicht erforderlich.
Auf die Gegenrüge der Steuerpflichtigen kommt es nicht an. Die Umsätze der Remittendenexemplare sind selbst dann rückgängig gemacht worden, wenn die Steuerpflichtige - wie sie mit der Gegenrüge vorträgt - den Händlern gestattet haben sollte, das Altpapier für eigene Rechnung zu verwerten. Die Steuerpflichtige legte offensichtlich auf die geringen Altpapiererlöse keinen Wert. Wird hier kein Rückgängigmachen der Lieferungen angenommen, verbleibt es dennoch bei der Festsetzung des FA. Es wäre dann jedenfalls nachträglich die Entgeltlichkeit der Lieferungen aufgehoben worden. Dieser Fall ist ebenfalls als Rückgängigmachung des Umsatzes zu beurteilen.
Wenn allerdings - wie die Steuerpflichtige meint - die Remissionsgutschrift als Preisnachlaß (Rabatt) auf den Gesamtkaufpreis für alle Zeitschriften der Kontinuation anzusehen wäre, wäre die Entgeltlichkeit der Remittendenlieferungen nur teilweise aufgehoben; es würde ein Entgelt verbleiben, das höher wäre als die Versendungsauslagen. Eine solche Betrachtung verkennt aber das Wesen der Remission. Die Vereinbarung über die Remission beruht auf der Erfahrung, daß wahrscheinlich ein Teil der überlassenen Zeitschriften nicht abgesetzt werden kann. Das Remissionsrecht des Händlers bezieht sich auf die tatsächlich nicht abgesetzten Exemplare. Der Händler muß, sofern er diese Zeitschriften nicht zurückgibt, die Unverkäuflichkeit durch Rücksendung der Maquetten nachweisen. Die Remissionsgutschrift errechnet sich aus dem Kaufpreis der einzelnen Zeitschrift und der Zahl der remittierten Exemplare. Ein Gesamtpreisnachlaß stellt hingegen auf alle Lieferungen eines bestimmten Artikels während einer bestimmten Zeit oder nach Erreichung einer bestimmten Absatzmenge ab. Er errechnet sich nicht nach dem Kaufpreis eines Teils der gelieferten Artikel, sondern nach allen für diesen Artikel gezahlten Entgelten. Zutreffend weist das FA darauf hin, daß die Remissionsgutschrift desto höher wird, je mehr Zeitschriften remittiert werden, während die Verringerung des Zeitschriftenabsatzes die Gutschrift erhöht. Rabatte, Boni und ähnliche auf Mengenlieferungen bezogene Preisnachlässe belohnen hingegen die Zunahme eines Absatzes.
Im Rechtsgutachten wird die Remission unter Anwendung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise als eine "rechnerische, die endgültige Höhe des Entgelts für die jeweils vollzogene Lieferung vertriebsfähiger Zeitungen bzw. Zeitschriften bestimmende Klarstellung" beurteilt. Ähnlich argumentieren das FG und die Steuerpflichtige. Dieser Auffassung könnte nur beigetreten werden, wenn die Kontinuation Gegenstand der Lieferung sein könnte. Dieser Standpunkt wird auch im Gutachten ausdrücklich abgelehnt. Ist aber Gegenstand der Lieferung die einzelne Zeitschrift, so wird durch die Remission klargestellt, hinsichtlich wievieler Exemplare einer Kontinuation das Umsatzgeschäft aufrechterhalten bleibt und damit ein Entgelt zu zahlen ist. Für die Remittendenexemplare folgt daraus, daß das Entgelt entfällt. Entgegen den Darlegungen des Gutachters kann der Vorgang der Remission auch nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, wie eine Rabattgewährung behandelt werden. Einer solchen Beurteilung stehen einmal die dargestellten Unterschiede zwischen der Remissionsgutschrift und dem Rabatt entgegen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß die wirtschaftliche Betrachtungsweise zwar auch der Beurteilung von Sachverhalten nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten dient, nicht aber dazu führen kann, tatsächliche Vertragsgestaltungen völlig zu negieren (BFH-Urteil V R 16/66 vom 22. Januar 1970, BFH 98, 222). Nach der schriftlich niedergelegten "Verkehrssitte zwischen den Zeitschriftenverlegern und den werbenden Buch- und Zeitschriftenhändlern" Nr. 6 Abs. 2 kann das Remissionsrecht nach Belieben des Verlags durch einen Sonderrabatt abgelöst werden (Delp, Das gesamte Recht der Presse, des Buchhandels, des Rundfunks und des Fernsehens Nr. 160). Hieran zeigt sich, daß Remission und Rabatt nach Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise etwas Verschiedenes sind.
Zu Unrecht meint das FG, wirtschaftlich sei kein Unterschied zwischen Zeitschriftenbezugsverträgen mit und solchen ohne Remissionsrecht; die Steuerpflichtige würde den Händlern bei Wegfall des Remissionsrechts zwar niedrigere Preise einräumen, insgesamt aber dieselben Einnahmen erzielen und dann sämtliche Versendungsauslagen absetzen dürfen. Abgesehen davon, daß der umsatzsteuerlichen Beurteilung stets nur die gewählte und durchgeführte Vertragsgestaltung unterliegen kann, besteht ein wirtschaftlich beachtlicher Unterschied zwischen den beiden Vertragsgestaltungen. Die Händler, denen ein Remissionsrecht eingeräumt ist, können ihr Absatzrisiko optimistisch beurteilen. Sie werden mehr Zeitschriften bestellen, als sie nach vorsichtiger Schätzung absetzen können. Daraus ergeben sich für Händler und Verlag insbesondere bei extremer Nachfrage (Sensationsnummern!) größere Absatzchancen. Händler, denen nur ein Rabatt zusteht, werden demgegenüber weniger Zeitschriften abnehmen und sich auch durch niedrigere Preise nicht zu größeren Bestellungen bewegen lassen; eine erhöhte Nachfrage könnte nicht gedeckt werden.
Es wird geltend gemacht, die Versendungsauslagen der Remittenden würden in den Verkaufspreis der anderen Zeitschriften einkalkuliert und seien infolgedessen nur diesen zuzurechnen (Brodowski, UStR 1964, 120). Dem ist entgegenzuhalten, daß nicht die kalkulatorische Zurechnung der Versendungsauslagen für deren Abzugsfähigkeit entscheidend ist, sondern die tatsächliche Beziehung der Auslagen zu einer steuerpflichtigen Lieferung. Die Versendungsauslagen für die Remittenden mögen, sofern es die Marktlage erlaubt, in den Preisen der endgültig abgesetzten Exemplare enthalten sein. Tatsächlich sind sie aber für rückgängig gemachte Umsätze aufgewandt worden. Die umsatzsteuerrechtliche Prüfung kann nicht darauf abgestellt werden, ob der Unternehmer überhaupt absetzbare Kosten hat und bei welchen Kostenträgern diese anfallen.
Die angefochtene Entscheidung kann schließlich auch der Hinweis nicht stützen, es stünden einer nachträglichen Errechnung der auf die Remittenden treffenden Versendungsauslagen praktische Schwierigkeiten entgegen. Solche Schwierigkeiten könnten sich nur dann ergeben, wenn entsprechend dem BdF-Erlaß vom 30. Oktober 1963 (a. a. O.) von dem auf die Remittenden entfallenden Anteil noch ein "prozentualer Abschlag" vorzunehmen wäre, der abgelten soll, daß "nicht alle Remittenden, wenn sie von vornherein nicht mitversendet worden wären, auch zu einer tatsächlichen Minderung der Versendungsauslagen geführt hätten". Ein solcher Abschlag ist aber unzulässig. Der auf die einzelne Zeitschrift entfallende Versendungsauslagenanteil bestimmt sich nach den Gesamtversendungsauslagen der Kontinuation, geteilt durch die Zahl der insgesamt versandten Zeitschriften. Es ist nicht zu berücksichtigen, daß infolge eines abgestuften oder degressiven Gebührensystems der Frachtführer das Weglassen einer oder einiger Zeitschriften dieselben oder nicht entsprechend geminderte Versendungsauslagen verursachen würde. Jede Zeitschrift ist vielmehr mit einem gleichen Anteil an den tatsächlichen Versendungsauslagen beteiligt. Aus den Steuerakten ist nicht ersichtlich, ob das FA der Steuerpflichtigen einen prozentualen Abschlag nach dem oben angegebenen BdF-Erlaß gewährt hat. Dieser Frage braucht nicht nachgegangen zu werden, da eine Verböserung des Steuerbescheids im Verfahren über die Anfechtungsklage nicht statthaft ist.
Auch die Versendungsauslagen für die beigelegten Freiexemplare sind deshalb nicht abzugsfähig. Das FG ist rechtsirrig davon ausgegangen, diese Exemplare hätten keine zusätzlichen Versendungsauslagen verursacht. Da die Freiexemplare unentgeltlich abgegeben wurden, wurde auch mit ihnen keine steuerpflichtige Lieferung ausgeführt. Die BFH-Urteile V 83/62 vom 6. Mai 1965 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz, § 5 Abs. 4, Rechtsspruch 15) und V 242/65 vom 5. Dezember 1968 (BFH 95, 232, BStBl II 1969, 385) stehen dieser Auffassung nicht entgegen. In dem Urteil V 83/62 (a. a. O.) hat der Senat die für eine "unberechnet" gelieferte Leseringillustrierte aufgewandten Versendungskosten nur deswegen zum Abzug zugelassen, weil nach den Besonderheiten des Leseringvertrags ein Teil des Beitrags als Entgelt für die Illustrierte zu gelten hatte und sonach steuerpflichtige Lieferungen vorlagen. Hier aber steht der Abgabe der Freiexemplare kein Entgelt gegenüber. Der Kaufpreix wird lediglich durch die Bestellung des Händlers bestimmt. In dem Urteil V 242/65 (a. a. O.) hat der Senat die im Zeitungsversand für Werbebeilagen zusätzlich aufgewandten Postgebühren zum Abzug zugelassen, weil die Werbebeilagen Bestandteile der Zeitungen waren. Hier hingegen sind die Freiexemplare selbständige Sachen und haben keinen Bezug zu den übrigen Zeitschriften.
Der Senat ist in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Da der angegriffene Umsatzsteuerberichtigungsbescheid rechtmäßig ist, ist die Sprungberufung (Sprungklage) abzuweisen.
Die Steuerpflichtige trägt die Kosten des gesamten Verfahrens (§ 135 Abs. 1 FGO). Der Streitwert wird gemäß § 140 Abs. 3 FGO auf ... DM festgesetzt. Dieser Betrag ist die Umsatzsteuerersparnis, die eine Absetzung der Versendungsauslagen für Remittenden- und Freiexemplare von den mit 4 % steuerpflichtigen Entgelten ergeben würde. Dieser Streitwert gilt auch für die Revision. Der Unterschied zwischen den Umsatzsteuerfestsetzungen des FG und der vom FA erstrebten Wiederherstellung der angegriffenen Umsatzsteuerfestsetzungen beträgt zwar lediglich ... DM und erklärt sich daraus, daß das FG bei der Umsatzsteuerneuberechnung irrig von den Festsetzungen des FA vor Abzug der Berlinhilfekürzungen ausgegangen ist und ihm außerdem bei der Neuberechnung der Umsatzsteuer 1959 ein Rechenfehler von 1 000 DM unterlaufen ist. Diese Fehler wirken sich nicht streitwertmindernd aus. Es handelt sich um offenbare Unrichtigkeiten, die das FG gemäß § 107 FGO jederzeit bis zur Entscheidung des Senats und selbst nach Ergehen eines das FG-Urteil bestätigenden Revisionsurteils hätte berichtigen können. Eine solche eindeutige Berichtigungsmöglichkeit ist bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen.
Fundstellen
BStBl II 1971, 215 |
BFHE 1971, 327 |