Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung des Handelsvertretervertrags. Nichterfüllung des Anspruchs auf Vertragsurkunde. Unternehmerverhalten als Anlass für die Kündigung durch den Handelsvertreter
Leitsatz (amtlich)
Der Unternehmer gibt dem Handelsvertreter begründeten Anlass zur Kündigung, wenn er den Anspruch aus § 85 HGB auf Aufnahme des Vertragsinhalts in eine von ihm unterzeichnete Urkunde trotz mehrfacher Aufforderung nicht erfüllt.
Normenkette
HGB §§ 85, 89b Abs. 3 Nr. 1
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 27.01.2004; Aktenzeichen 14 U 196/02) |
LG Berlin (Entscheidung vom 04.06.2002; Aktenzeichen 35 O 292/01) |
Tenor
Der Beschwerde der Beklagten wird stattgegeben.
Das Urteil des 14. Zivilsenats des KG in Berlin vom 27.1.2004 wird gem. § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 49.011,88 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger war zuletzt seit Juni 1995 als Handelsvertreter für die Beklagte tätig, die das Branchentelefonbuch " " für B. herausgibt. Mit Schreiben vom 25.8.1999 erklärte der Kläger eine "außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde gem. § 89a HGB" und führte zur Begründung aus, dass die Beklagte trotz wiederholter Aufforderungen seinen Anspruch aus § 85 HGB auf eine von ihr unterzeichnete Vertragsurkunde nicht erfüllt habe.
Der Kläger hat eine Ausgleichszahlung von 103.347,95 EUR gem. § 89b HGB verlangt. Das LG hat der Klage i.H.v. 95.935,73 EUR stattgeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil der Vorinstanz teilweise abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 49.011,88 EUR nebst Zinsen verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der die Beklagte ihren Antrag, die Klage insgesamt abzuweisen, weiterverfolgt.
II.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Ausgleichsanspruch des Klägers sei nicht gem. § 89b Abs. 3 Nr. 1, Alt. 1 HGB ausgeschlossen; die Beklagte habe ihm begründeten Anlass zur Kündigung gegeben, weil sie seinen Beurkundungsanspruch aus § 85 HGB jedenfalls in Frage gestellt habe. Dabei könne offen bleiben, ob der Kläger zu einer fristlosen oder lediglich fristgemäßen Kündigung berechtigt gewesen sei. Dem Anspruch des Klägers stehe auch § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB, wonach der Ausgleichsanspruch nicht bestehe, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters kündige, nicht entgegen. Erstmals im Berufungsverfahren habe die Beklagte geltend gemacht, dass sie dem Kläger mit Schreiben vom 14.9.1999 aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verhaltens fristlos gekündigt habe, weil ihm lediglich ein Recht zur fristgemäßen Kündigung des Handelsvertretervertrages zugestanden habe und er nach dem 25.8.1999 die weitere Zusammenarbeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unberechtigt verweigert habe. Die durch Einreichung ihres Schreibens belegte und vom Kläger nicht bestrittene Kündigungserklärung der Beklagten hat das Berufungsgericht als neues Angriffs- und Verteidigungsmittel angesehen, welches gem. § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in zweiter Instanz nicht zuzulassen sei.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Alt. 2, 544 ZPO; Art. 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat und deshalb die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (st.Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 5.4.2005 - VIII ZR 160/04, BGHReport 2005, 1072 = MDR 2005, 1068 = NJW 2005, 1950, unter I). In den Fällen der Verletzung rechtlichen Gehörs kann das Revisionsgericht der Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluss stattgeben und unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverweisen (§ 544 Abs. 7 ZPO). Von dieser Möglichkeit macht der Senat hier Gebrauch.
a) Das Gebot aus Art. 103 Abs. 1 GG, rechtliches Gehör zu gewähren, ist verletzt, wenn das Berufungsgericht neues Vorbringen unter offenkundig fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zulässt (BGH, Beschl. v. 9.6.2005 - V ZR 271/04, BGHReport 2005, 1346 = MDR 2005, 1365 = NJW 2005, 2624). Das Berufungsgericht durfte die von der Beklagten erstmals in zweiter Instanz geltend gemachte, aber vom Kläger nicht in Abrede gestellte Kündigungserklärung vom 14.9.1999 nicht unberücksichtigt lassen. § 531 Abs. 2 ZPO ist, wie der BGH nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, auf solche Tatsachen nicht anwendbar, die zwar erstmals im Berufungsrechtszug vorgetragen, aber - wie hier nach Vorlage des Schreibens vom 14.9.1999 - unstreitig werden (BGH, Urt. v. 18.11.2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 142 ff. = BGHReport 2005, 318 m. Anm. Schultz = MDR 2005, 527 m. Anm. Timme = NJW 2005, 291, unter II 2b).
b) Da das angefochtene Urteil auf dem Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruhen kann, ist der unberücksichtigt gebliebene Vortrag der Beklagten entscheidungserheblich.
aa) Im Ansatz hat das Berufungsgericht allerdings richtig darauf abgestellt, dass die Beklagte dem Kläger begründeten Anlass zur Kündigung des Handelsvertretervertrages gegeben hat (§ 89b Abs. 3 Nr. 1, Alt. 1 HGB). In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass an den "begründeten Anlass" im Sinne dieser Vorschrift weniger strenge Anforderungen als an einen wichtigen Kündigungsgrund zu stellen sind, so dass hierfür auch ein unverschuldetes oder sogar rechtmäßiges Verhalten des Unternehmers genügen kann. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass hierdurch eine für den Handelsvertreter nach Treu und Glauben nicht mehr hinnehmbare Situation geschaffen wird. Die Bewertung des in Frage kommenden Unternehmerverhaltens als begründeter Anlass für die Kündigung durch den Handelsvertreter ist im Wesentlichen tatsächlicher Natur und deshalb vom Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbar (BGH, Urt. v. 13.12.1995 - VIII ZR 61/95, MDR 1996, 371 = NJW 1996, 848, unter II 2). Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht einen berechtigten Anlass des Klägers zur Kündigung darin gesehen, dass die Beklagte seinen Anspruch aus § 85 HGB trotz mehrfacher Aufforderung nicht erfüllt hat. Nach dieser Vorschrift kann jeder Vertragspartner des Handelsvertretervertrages verlangen, dass der Vertragsinhalt in eine vom anderen Teil unterzeichnete Urkunde aufgenommen wird. Die Regelung bezweckt, den Parteien den Nachweis des Vertragsinhalts zu erleichtern, weil bei einem über längere Zeit andauernden Vertragsverhältnis leicht Unklarheiten über den vereinbarten Inhalt entstehen können (BT-Drucks. 1/3856, 18). Die Vertragsurkunde bedarf der Schriftform i.S.v. § 126 BGB (von Hoyningen-Huene in MünchKomm/HGB, 2. Aufl., § 85 Rz. 5). Dem hat die Beklagte nicht Rechnung getragen.
Der Kläger hat am 27.5.1999, wie auch in den Jahren zuvor, ein von der Beklagten vorformuliertes schriftliches Angebot zum Abschluss eines Handelsvertretervertrages unterzeichnet. Ob, wie die Beklagte meint, zur Erfüllung des Anspruchs aus § 85 HGB die in Schriftform erfolgende Annahme eines solchen Angebotes durch den Unternehmer genügen kann oder ob von dem Unternehmer eine Urkunde zu unterzeichnen ist, in der die getroffenen Vereinbarungen unmittelbar wiedergegeben sind, bedarf keiner Entscheidung. Es kann auch der von der Beklagten mit einer Rüge gem. § 286 ZPO geltend gemachte Sachvortrag als richtig unterstellt werden, der Kläger habe vor seiner Kündigung zu erkennen gegeben, dass ihm eine schriftliche Annahmeerklärung der Beklagten nicht ausreiche, so dass die Beklagte zu einer solchen Erklärung keine Veranlassung gehabt habe.
Denn die Beklagte konnte den vom Kläger geltend gemachten Anspruch aus § 85 HGB hier jedenfalls deshalb nicht mit einer schriftlichen Annahme des klägerischen Angebotes vom 27.5.1999 erfüllen, weil dieses Angebot entgegen § 85 HGB nicht sämtliche Vereinbarungen der Parteien enthält. Es nimmt an verschiedenen Stellen Bezug auf Anlagen, so in Nr. 7a hinsichtlich der vereinbarten Provision und in Nr. 12 - zur näheren Bestimmung von Kündigungsgründen - auf die "schuldhafte Verletzung ... der als Anlage beigefügten Arbeitsanweisung bzw. Ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen". Die Einbeziehung von Anlagen hindert die notwendige Einheitlichkeit und Vollständigkeit der Angebotsurkunde zwar nicht grundsätzlich; erforderlich ist jedoch auch nach der sog. Auflockerungsrechtsprechung (BGH v. 30.6.1999 - XII ZR 55/97, BGHZ 142, 158 [161] = MDR 1999, 1431; Urt. v. 18.12.2002 - XII ZR 253/01, BGHReport 2003, 525 = NJW 2003, 1248, unter 2a und b aa; Urt. v. 29.9.2004 - VIII ZR 341/03, NZM 2005, 61 unter II 2b, m.w.N.), dass die Haupturkunde zweifelsfrei auf die Anlagen Bezug nimmt. Daran fehlt es hier. Soweit die Provisionsregelung betroffen ist, hat bereits keine der Parteien behauptet, dass eine solche Anlage je existiert hat. Der Kläger hat vielmehr vorgetragen, das Angebot enthalte nicht einmal die vereinbarte Provision, ohne dass die Beklagte dem unter Hinweis auf eine die Provision betreffende Anlage entgegen getreten wäre. Mit der "Arbeitsanweisung bzw. Ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen" scheint das vom Kläger mit dem Angebot vorgelegte Schreiben der Beklagten vom 26.5.1999 gemeint zu sein, das mit "Vertreteranweisung" überschrieben ist und seinem Inhalt nach wesentlicher Bestandteil des Vertretervertrages sein soll; sonstige in Schriftform vorliegende Arbeitsanweisungen oder Allgemeine Geschäftsbedingungen sind von keiner der Parteien dargelegt worden. Die Bezugnahme auf das Schreiben vom 26.5.1999 ist jedoch nach dem Wortlaut der Haupturkunde einerseits und dem Text dieses Schreibens andererseits gerade nicht zweifelsfrei erkennbar.
bb) Das Berufungsgericht hätte im Streitfall allerdings nicht offen lassen dürfen, ob der Kläger zu einer Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung der Kündigungsfrist (§ 89a HGB) berechtigt war. Ein Handelsvertreter kann im Einzelfall einen begründeten Anlass zur - ordentlichen - Kündigung haben und deshalb den Ausgleichsanspruch aus § 89b HGB erhalten, aber gleichwohl nicht zur fristlosen Kündigung befugt sein, weil ihm ein wichtiger Grund hierfür nicht zuzubilligen ist, insb. weil ihm eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses wenigstens bis zur Beendigung durch ordentliche Kündigung zuzumuten ist (BGH v. 7.6.1984 - I ZR 50/82, BGHZ 91, 321 [323] = MDR 1984, 999). Eine dennoch ausgesprochene außerordentliche Kündigung ist möglicherweise in eine ordentliche Kündigung umzudeuten (BGH, Urt. v. 25.11.1998 - VIII ZR 221/97, MDR 1999, 307 = NJW 1999, 946 unter II 1b). Eine unter Umständen nicht gerechtfertigte fristlose Kündigung des Handelsvertreters kann wiederum der Unternehmer zum Anlass nehmen, seinerseits eine fristlose Kündigung mit der Folge des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB auszusprechen, weil von einem Handelsvertreter, der einen begründeten Anlass nur zur fristgerechten, jedoch keinen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des Vertragsverhältnisses hat, verlangt werden kann, dass er auch bei einem bestehenden Interessengegensatz zwischen den Parteien die Interessen des Unternehmers nicht außer Acht lässt, indem er plötzlich seine Tätigkeit einstellt (BGH, Urt. v. 30.6.1969 - VII ZR 70/67, HVR Nr. 399; v. 7.6.1984 - I ZR 50/82, BGHZ 91, 321 [322] = MDR 1984, 999).
c) Ob der Kläger zu einer Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gem. § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB berechtigt war, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Das gilt auch für die Frage, ob die Beklagte ihrerseits zu einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB berechtigt war, sofern dem Kläger lediglich ein Recht zur ordentlichen Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist (§ 89 HGB) zustehen sollte. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S.d. § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB ist gegeben, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann (st.Rspr., zuletzt BGH v. 11.1.2006 - VIII ZR 396/03, z.V.b., unter II 2a, m.w.N.). Ob dies hinsichtlich der vom Kläger ausgesprochenen Kündigung der Fall ist, unterliegt unter Berücksichtigung des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsspielraums nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung (BGH v. 12.3.2003 - VIII ZR 197/02, MDR 2003, 943 = BGHReport 2003, 874 = NJW-RR 2003, 981 unter III). Die Verweigerung einer Beurkundung i.S.v. § 85 HGB kann das gegenseitige Vertrauen zwar erschüttern und deshalb unter Umständen zur fristlosen Kündigung gem. § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB berechtigen (Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., § 85 Rz. 10). Dem stünde hier aber möglicherweise entgegen, dass der Kläger bereits mehrere Jahre für die Beklagte tätig war, ohne im Fehlen einer Vertragsurkunde einen Anlass zur Kündigung zu sehen (OLG München VersR 1957, 97). Die erforderliche Abwägung, die das Berufungsurteil vermissen lässt, ist im weiteren Berufungsverfahren nachzuholen. Unter Umständen wird das Berufungsgericht auch zu erwägen haben, ob der Kläger seine Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB auf die weiteren Gesichtspunkte stützen kann, auf die er sich in seinem Kündigungsschreiben und auch im Prozess ausdrücklich berufen hat.
Sollte dem Kläger kein Recht zur fristlosen Kündigung zustehen, wird im weiteren Berufungsverfahren zu prüfen sein, ob die Beklagte ihrerseits zur fristlosen Kündigung berechtigt war, ohne ihn zuvor abgemahnt zu haben. Grundsätzlich bedarf es auch vor Ausspruch der fristlosen Kündigung i.S.v. § 89a HGB einer Abmahnung, die nur dann entbehrlich ist, wenn das Fehlverhalten des Vertragspartners die Vertrauensgrundlage in so schwerwiegender Weise erschüttert hat, dass diese auch durch eine erfolgreiche Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte (BGH v. 12.3.2003 - VIII ZR 197/02, MDR 2003, 943 = BGHReport 2003, 874 = NJW-RR 2003, 981; allgemein für Dauerschuldverhältnisse vgl. jetzt § 314 Abs. 2 BGB). Dabei werden die Unterredung der Parteien vom 31.8.1999 und das Schreiben des Klägers vom 8.9.1999 zu berücksichtigen sein.
Fundstellen