Leitsatz (amtlich)
a) Wer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist für die Anfechtung eines Verwaltungsakts mit der Begründung beansprucht, die erforderliche Anhörung vor Erlaß des Verwaltungsakts sei unterblieben, muß einen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unterbleiben der Anhörung und der Versäumung der rechtzeitigen Anfechtung schlüssig darlegen und glaubhaft machen.
b) Die Vorschrift des § 45 Abs. 3 VwVfG greift zugunsten desjenigen, der die rechtzeitige Anfechtung eines Verwaltungsakts versäumt hat, vor dessen Erlaß er nicht angehört worden war, nur so lange ein, als ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Anhörungsmangel und dem (weiteren) Unterbleiben der Anfechtung gegeben ist.
c) Wer mit einem Wiedereinsetzungsgesuch wegen der Versäumung der Anfechtung eines öffentlich bekannt gemachten Umlegungsbeschlusses anführt, im Falle einer vorherigen Anhörung wäre ihm der Erlaß des Umlegungsbeschlusses nicht entgangen und er hätte ihn rechtzeitig angefochten, kann von dem Zeitpunkt an nicht mehr als an einer Nachholung der Anfechtung „gehindert” angesehen werden, zu dem ihm der Umlegungsbeschluß und dessen wesentliche Zielsetzung persönlich bekanntgegeben worden ist.
Normenkette
VwVfG § 45 Abs. 3
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Auf die Revision des Beteiligten zu 3 wird das Urteil des Senats für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Dresden vom 21. April 1999 aufgehoben.
Die Berufung der Beteiligten zu 1 und 2 gegen das Urteil der Baulandkammer des Landgerichts Chemnitz vom 14. September 1998 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten zu 1 und 2 haben die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Umlegungsausschuß der Stadt C. (Beteiligter zu 3) beschloß am 9. September 1997 die Einleitung der Umlegung für das im Westen an die C. angrenzende Gebiet „K. 25”, in dem auch das den Beteiligten zu 1 und 2 gehörende Flurstück 468 der Gemarkung S. (F. Straße 35) liegt. Der Umlegungsbeschluß wurde am 12. September 1997 im Amtsblatt der Stadt C. mit einer Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gemacht.
Anlaß für den Umlegungsbeschluß war, daß ein umfangreiches, von der Stadt C. am 29. Juni 1995 unter Auflagen genehmigtes Instandsetzungs-, Ausbau- und Neubauvorhaben der Beteiligten zu 4 in diesem Bereich teilweise ins Stocken geraten war, unter anderem weil die Beteiligten zu 1 und 2 hiergegen mit der Begründung, der in Angriff genommene Neubau im rückwärtigen Bereich des Nachbargrundstücks F. Straße 37 halte nicht den erforderlichen Abstand zu ihrem Grundstück ein, vorgegangen waren.
Mit jeweils am 11. November 1997 zugegangenen Schreiben vom 5. November 1997 teilte der Beteiligte zu 3 den – in den alten Bundesländern wohnenden – Beteiligten zu 1 und 2 unter Hinweis auf den am 12. September 1997 einschließlich Rechtsbehelfsbelehrung ortsüblich bekannt gemachten Umlegungsbeschluß mit, daß ihr Grundstück sich in einem „rechtskräftig eingeleiteten” Umlegungsgebiet befinde, wobei sie – „zwecks Erörterung gemäß § 66 BauGB” – auf folgendes hinwies:
„… Rechtsgrundlage des Umlegungsbeschlusses ist die am 22. Juni 1995 erteilte Baugenehmigung nach § 34 BauGB … Die Baugenehmigung bezweckt und beinhaltet eine Neugestaltung und Sanierung … durch die Stadt C. … Die Baugenehmigung ist … bestandskräftig und unanfechtbar. Um den Planungswillen der Stadt C. in Form der unanfechtbar gewordenen Baugenehmigung umzusetzen, erfolgte die Einleitung eines gesetzlichen Umlegungsverfahrens, … um eine Bodenordnung entsprechend Baugesetzbuch durchführen zu können. Gegenstand der Erörterung mit Ihnen ist eine Änderung der Grundstücksrechte ihres Grundstückes durch eine Abstandsbaulast in Form einer Grunddienstbarkeit. Diese … Grunddienstbarkeit ist verbunden mit einer entsprechenden geldwerten Entschädigung, die durch eine amtliche Wertermittlung erfolgt ist. Die Entschädigungshöhe beträgt demnach 40.000 DM …
Im Rahmen dieser Erörterung bitte ich Sie, mir innerhalb der … Frist von 14 Tagen evtl. vorhandene Fragen und Probleme, u.a. im Zusammenhang mit dem Wertminderungsbetrag für die mit der Abstandsbaulast betroffene Teilfläche von ca. 332 qm (s. Anl.), mitzuteilen …”
Die Beteiligten zu 1 und 2, die erstmals hierdurch von dem eingeleiteten Umlegungsverfahren erfuhren, erhielten am 18. November 1997 auf die entsprechende Bitte ihres Anwalts Kopien der Baugenehmigung vom 22. Juni 1995 und des Umlegungsbeschlusses vom 9. September 1997. Mit (Anwalts-)Schreiben vom 24. November 1997 nahmen die Beteiligten zu 1 und 2 „zum Umlegungsverfahren an sich und der … bezweckten Erörterung im Sinne von § 66 BauGB” Stellung, wobei sie anführten, die ihnen übersandte Baugenehmigung sei keineswegs bestandskräftig, sondern von ihnen bereits angefochten, und der Umlegungsbeschluß sei rechtswidrig, weil die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Einleitung eines Umlegungsverfahrens offensichtlich fehlten; der vorgesehene Entschädigungsbetrag sei im übrigen wesentlich zu niedrig. Abschließend kündigten die Beteiligten zu 1 und 2 in diesem Schreiben an, „nicht nur gegen jedwede Umlegungsbeschlußfassung Widerspruch einzulegen bzw. Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen”, sondern die Stadt aus Amtshaftung in Regreß zu nehmen und eine rechtsaufsichtliche Überprüfung des Verfahrens zu veranlassen.
Am 9. Dezember 1997 legten die Beteiligten zu 1 und 2 Widerspruch gegen den Umlegungsbeschluß vom 9. September 1997 ein und baten vorsorglich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist. Hierzu trugen sie unter anderem vor, sie hätten am 4. Dezember 1997 zufällig bei einem Telefonat mit dem Bauordnungsamt der Stadt C. von der Absicht des Beteiligten zu 3 erfahren, trotz der von den Beteiligten zu 1 und 2 im Schreiben vom 24. November 1997 mitgeteilten Bedenken am Umlegungsbeschluß festzuhalten und das Verfahren fortzusetzen. Das Regierungspräsidium wies den Widerspruch der Beteiligten zu 1 und 2, dem der Beteiligte zu 3 nicht abhalf, als unzulässig (verfristet) zurück.
Den hiergegen gerichteten Antrag der Beteiligten zu 1 und 2 auf gerichtliche Entscheidung hat das Landgericht (Kammer für Baulandsachen) zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beteiligten zu 1 und 2 hat das Oberlandesgericht (Senat für Baulandsachen) – unter Wiedereinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist – den angefochtenen Umlegungsbeschluß aufgehoben. Mit der Revision erstrebt der Beteiligte zu 3 die Wiederherstellung des Urteils der Kammer für Baulandsachen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den Widerspruch der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Umlegungsbeschluß vom 9. September 1997 als zulässig behandelt und eine Sachentscheidung über die Gültigkeit dieses Beschlusses getroffen. Die von ihm den Beteiligten zu 1 und 2 gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist hat keine rechtliche Grundlage. Infolgedessen hat der Umlegungsbeschluß vom 9. September 1997 auch im Verhältnis zu den Beteiligten zu 1 und 2 Bestandskraft erlangt.
1. Ausgangspunkt – auch des Berufungsgerichts – ist, daß die Beteiligten zu 1 und 2 die Frist für einen Widerspruch gegen den Umlegungsbeschluß versäumt haben. Der Beschluß war – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, ohne daß die Beteiligten zu 1 und 2 dies für sich genommen im Revisionsverfahren in Frage stellen – zulässigerweise öffentlich (ortsüblich) bekannt gemacht worden (vgl. §§ 50 Abs. 1 BauGB, 41 Abs. 3 SächsVwVfG). Er galt damit zwei Wochen nach der Veröffentlichung im Amtsblatt von C. (12. September 1997) als bekannt gegeben (§ 41 Abs. 4 Satz 3 SächsVwVfG), so daß anschließend die Monatsfrist für den Widerspruch (§ 212 BauGB i.V.m. § 70 Abs. 1 VwGO und § 9 der Sächsischen Umlegungsausschußverordnung vom 6. April 1993, GVBl. S. 281) zu laufen begann, mithin am 27. Oktober 1997 abgelaufen war.
a) Ohne Erfolg machen die Beteiligten zu 1 und 2 mit ihrer Revisionserwiderung (erstmals) geltend, die – hier praktisch sechs Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung betragende – Frist für einen Widerspruch hätte im Hinblick auf § 58 VwGO überhaupt nicht zu laufen begonnen, weil die mitveröffentlichte Rechtsbehelfsbelehrung unklar und für den durchschnittlichen Adressaten widersprüchlich gewesen sei. Diese Rechtsbehelfsbelehrung lautet auszugsweise: „Gegen diesen Beschluß kann innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe (= 14 Tage nach Bekanntmachung des Beschlusses) Widerspruch durch die Beteiligten erhoben werden.” Die Revision meint, aufgrund des Klammerzusatzes hätte der Eindruck entstehen können, die Widerspruchsfrist ende 14 Tage nach der Bekanntmachung vom 12. September 1997. Das trifft jedoch nicht zu. Vielmehr bringt die Rechtsbehelfsbelehrung zum Ausdruck, daß gegen den Beschluß innerhalb eines Monats nach der „Bekanntgabe” Widerspruch erhoben werden kann, wobei der Begriff „Bekanntgabe” durch den Klammerzusatz („= 14 Tage nach Bekanntmachung des Beschlusses”) erläutert wird. Diese nächstliegende Bedeutung des verwendeten Textes ist für einen sorgfältigen Leser – auch ohne besondere Rechtskenntnisse – durchaus zu verstehen.
b) Die mit dem Umlegungsbeschluß veröffentlichte Rechtsbehelfsbelehrung war auch nicht, wie die Revisionserwiderung weiter meint, deshalb fehlerhaft, weil sie keine konkrete Angabe des Datums enthält, ab wann die jeweiligen Fristen zu laufen begannen. Die Daten des Fristablaufs konnte der Leser des Amtsblatts vom 12. September 1997 aus den Angaben über den Fristablauf in der Rechtsbehelfsbelehrung selbst ermitteln. Konkrete Angaben über das Datum des Fristbeginns sind bei Rechtsmittelbelehrungen, auf die sich § 58 VwGO bezieht, im allgemeinen nicht erforderlich (BVerwG NJW 1991, 508; Kopp/Schenke VwGO 11. Aufl. § 58 Rn. 11). Soweit in den Kommentaren zu § 56 a VwGO – bezogen auf die Bekanntgabe in verwaltungsgerichtlichen Massenverfahren – der Standpunkt vertreten wird, die hierauf bezogene Rechtsmittelbelehrung müsse, um nach § 58 Abs. 1 VwGO die Frist für Rechtsmittel in Lauf zu setzen („abweichend von dem allgemeinen Grundsatz, daß eine Belehrung über den Beginn der Frist nicht erforderlich ist”), auch bestimmte Daten über den Fristbeginn angeben (vgl. Kopp/Schenke aaO § 56 a Rn. 9 m.w.N.), handelt es sich ersichtlich – und erklärtermaßen – um besondere Erfordernisse speziell eines solchen Verfahrens. Entgegen dem von den Beteiligten zu 1 und 2 in der mündlichen Revisionsverhandlung vertretenen Standpunkt lassen sich zusätzliche Erfordernisse für die Art und Weise der Rechtsmittelbelehrung im Zusammenhang mit einem veröffentlichten Umlegungsbeschluß auch nicht aus § 73 Abs. 5 VwVfG, der die Auslegung des Plans im Planfeststellungsverfahren betrifft, herleiten.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, den Beteiligten zu 1 und 2 wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung des Widerspruchs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, hält der – dem Revisionsgericht auch insoweit eröffneten (vgl. BVerwG NJW 1977, 542; Senatsurteil vom 20. November 1980 - III ZR 95/79 - LM BBauG § 71 Nr. 1 = DVBl. 1981, 396; Kopp/Schenke aaO § 70 Rn. 12) – rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Beteiligten zu 1 und 2 einen wirksamen, mit der Nachholung des Widerspruchs als der versäumten Rechtshandlung verbundenen (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO), Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erstmals am 9. Dezember 1997 gestellt haben. Die Möglichkeit, bereits das Schreiben vom 24. November 1997 abweichend von seinem an sich eindeutig in eine andere Richtung gehenden Wortlaut als Widerspruch gegen den Umlegungsbeschluß vom 9. September 1997 auszulegen, verwirft es rechtsfehlerfrei, wobei es maßgeblich auch darauf abstellt, daß es sich hierbei um einen von einem Rechtsanwalt verfaßten Schriftsatz handelte. Gegen diese Ausführungen des Berufungsgerichts bringen auch die Beteiligten zu 1 und 2 im Revisionsverfahren keine (Gegen-)Rüge an.
b) Ausgehend von § 70 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach der Wiedereinsetzungsantrag verbunden mit der Nachholung des Widerspruchs binnen zwei Wochen „nach Wegfall des Hindernisses” zu stellen war, nimmt das Berufungsgericht an, daß der Wiedereinsetzungsantrag der Beteiligten zu 1 und 2 vom 9. Dezember 1997 als verspätet anzusehen wäre, wenn als „Hindernis” allein die Unkenntnis der Beteiligten zu 1 und 2 von der Existenz und der öffentlichen Bekanntmachung des Umlegungsbeschlusses in Betracht gekommen wäre. Die insoweit erforderliche Kenntnis hätten den Beteiligten zu 1 und 2 die am 11. November 1997 zugegangenen Schreiben des Beteiligten zu 3 vom 5. November 1997 verschafft. Diese Feststellung des Berufungsgerichts gilt um so mehr – bezogen auf den 18. November 1997 – bei Einbeziehung der Tatsache, daß der Beteiligte zu 3 den Beteiligten zu 1 und 2 am 18. November 1997 den Umlegungsbeschluß vom 9. September 1997 sowie die Baugenehmigung vom 29. Juni 1995 übersandt hatte.
Obwohl demzufolge – so das Berufungsgericht – die Beteiligten zu 1 und 2 die „typische Chance, die das Gesetz dem von einer öffentlichen Bekanntmachung betroffenen Nichtortsansässigen zur nachträglichen Anfechtung einräumt”, nicht fristgerecht wahrgenommen hätten, meint es, im Hinblick auf die Vorschrift des § 45 Abs. 3 VwVfG, den Beteiligten zu 1 und 2 Wiedereinsetzung gewähren zu müssen.
aa) Nach dieser Vorschrift, die anerkanntermaßen zumindest analog auch auf die Wiedereinsetzung für den Widerspruch gemäß § 70 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO anzuwenden ist (vgl. nur Kopp VwVfG 6. Aufl. § 45 Rn. 43; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG 5. Aufl. § 45 Rn. 172; wegen der Problematik, die entsprechenden Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze anzuwenden, vgl. Kopp aaO Rn. 49; Sachs aaO Rn. 171), gilt unter anderem dann, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlaß eines Verwaltungsaktes unterblieben und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden ist, die Versäumung als nicht verschuldet (Satz 1); das für die Wiedereinsetzungsfrist („nach § 32 Abs. 2”) maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein (Satz 2).
bb) Das Berufungsgericht nimmt an, daß es unbeschadet der Regelung in § 28 Abs. 2 Nr. 4 SächsVwVfG – wonach von der vorherigen Anhörung Beteiligter, insbesondere dann, wenn die Behörde eine Allgemeinverfügung erlassen will, abgesehen werden kann, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist – nach den Besonderheiten des Streitfalles unerläßlich gewesen sei, die Beteiligten zu 1 und 2 vor der Beschlußfassung über die Einleitung des Umlegungsverfahrens anzuhören. Daß der Beteiligte zu 3 nicht ermessensfehlerfrei von einer Anhörung der Beteiligten zu 1 und 2 hätte absehen dürfen, begründet das Berufungsgericht im wesentlichen damit: Es habe für den Umlegungsausschuß auf der Hand gelegen, daß die Beteiligten zu 1 und 2 in besonders nachteiliger Weise von der angestrebten Umlegung betroffen sein würden. Dem außerordentlich zeitnah an die formale Bestandskraft des Einleitungsbeschlusses versandten Schreiben vom 5. November 1997 und dem unstreitigen Vorbringen der Beteiligten sei zu entnehmen, daß der Beteiligte zu 3 von vornherein beabsichtigt habe, das Grundstück der Beteiligten zu 1 und 2 mit einer Abstandsflächenbaulast zu belasten, um das benachbarte Bauvorhaben der Beteiligten zu 4 voranzubringen und es rechtlich abzusichern. Daß dieses Vorhaben im September 1997 bereits seit vielen Monaten ruhte, sei dem Beteiligten zu 3 ebenso bekannt gewesen wie die Tatsache, daß die der Beteiligten zu 4 erteilte Baugenehmigung – nach der eigenen Darstellung des Beteiligten zu 3 im Schreiben vom 5. November 1997 die „Rechtsgrundlage” der Umlegung – bei der Verwirklichung Probleme bereitete.
Der dargelegte Anhörungsmangel – so das Berufungsgericht weiter – sei für die Versäumung der Widerspruchsfrist durch die Beteiligten zu 1 und 2 (mit-)ursächlich geworden. Wie ihrem Schreiben vom 24. November 1997 entnommen werden könne, hätten die Beteiligten zu 1 und 2, wären sie zuvor angehört worden, voraussichtlich rechtzeitig Widerspruch eingelegt. Hätte ihnen der Beteiligte zu 3 seine An- und Absichten, die im Verlaufe des Widerspruchsverfahrens erst nach und nach klar geworden seien, bereits im Vorfeld mitgeteilt und zur Erörterung gestellt, hätten die Beteiligten zu 1 und 2, wie aus ihrem vehementen Einsatz für den ungeschmälerten Erhalt ihres Grundstücks zu schließen sei, erhöhte Aufmerksamkeit walten lassen. Dann wäre nicht nur der Umlegungseinleitungsbeschluß samt der ihm zugrundeliegenden Motivation mutmaßlich nicht ihrer Kenntnis entgangen. Vielmehr hätten sie den Widerspruch dann aller Voraussicht nach auch rechtzeitig angebracht. Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG hätte die Wiedereinsetzungsfrist erst mit der Nachholung der gebotenen Anhörung zu laufen beginnen können. Das Schreiben des Beteiligten zu 3 vom 5. November 1997 habe für sich allein keine nachgeholte Anhörung dargestellt; darin werde die Einleitung des Umlegungsverfahrens als unabänderlich bezeichnet und folglich nicht mehr, dem Zweck einer Anhörung entsprechend, zur Disposition gestellt. Aus diesem Umstand sei andererseits nicht etwa zu folgern, § 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG gelange insgesamt nicht zur Anwendung. Daß die Behörde eine gebotene Anhörung sowohl vorher als auch nachträglich unterlasse, dürfe dem Adressaten des Verwaltungsaktes wiedereinsetzungsrechtlich grundsätzlich nicht zum Nachteil gereichen. Aus diesem Grunde hätten die Beteiligten zu 1 und 2 bis zum Abschluß des „Anhörungsverfahrens” Anfang Dezember 1997, als sie davon erfahren hätten, daß der Beteiligte zu 3 endgültig am Umlegungsbeschluß festhielt, mit der Entscheidung über die Einlegung des förmlichen Widerspruchs und über den gleichzeitigen Wiedereinsetzungsantrag zuwarten können. Die tatsächliche und stets mit einem Kostenrisiko verbundene Anbringung des Rechtsbehelfs nebst Wiedereinsetzungsantrag am 9. Dezember 1997 sei unter diesen Umständen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist erfolgt.
cc) Dem kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden.
(1) Es mag allerdings im Revisionsverfahren mit dem Berufungsgericht davon ausgegangen werden, daß angesichts der von dem Beteiligten zu 3 mit der Umlegung verfolgten Zwecke und der vom Berufungsgericht hervorgehobenen besonderen Betroffenheit der Beteiligten zu 1 und 2 von dem einzuleitenden Verfahren eine vorherige Anhörung derselben geboten, die Unterlassung einer solchen Anhörung also verfahrensfehlerhaft war (§§ 28 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 SächsVwVfG). Auf die Richtigkeit der – auf den ersten Blick allerdings nicht fernliegenden – Beurteilung des Berufungsgerichts zu dieser Frage und die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision kommt es nicht an.
(2) Denn die weiteren Folgerungen, die das Berufungsgericht aus diesem, hier jedenfalls zu unterstellenden, Verfahrensfehler des Beteiligten zu 3 für das Wiedereinsetzungsgesuch der Beteiligten zu 1 und 2 im Hinblick auf § 45 Abs. 3 VwVfG zieht, begegnen unter dem Gesichtspunkt, wie lange die Beteiligten zu 1 und 2 hierdurch gehindert waren, Widerspruch – gegebenenfalls verbunden mit einem Wiedereinsetzungsgesuch – gegen den Umlegungsbeschluß des Beteiligten zu 3 einzulegen, durchgreifenden Bedenken.
(aa) Zwar ist es entgegen der Revision nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung die Überzeugung gewonnen hat, daß der Anhörungsmangel (mit)ursächlich dafür war, daß die Beteiligten zu 1 und 2 den – durch ortsübliche Bekanntmachung wirksam gewordenen – Umlegungsbeschluß nicht fristgerecht (§§ 41 Abs. 4 Satz 3 Sächs VwVfG, 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) mit einem Widerspruch angefochten haben. Hätte ihnen der Beteiligte zu 3 die mit dem Umlegungsverfahren verfolgten Ziele, insbesondere was die Inanspruchnahme des Grundstücks der Beteiligten zu 1 und 2 anging, bereits im Vorfeld mitgeteilt und zur Erörterung gestellt, so wäre dadurch, wie das Berufungsgericht revisionsrechtlich unbedenklich feststellt, bei den Beteiligten zu 1 und 2 eine erhöhte Aufmerksamkeit geweckt worden, infolge derselben ihnen die Existenz des Umlegungsbeschlusses nicht entgangen wäre und sie auch rechtzeitig Widerspruch eingelegt hätten. Man könnte allerdings in Frage stellen, ob dieser festgestellte tatsächliche Ursachenzusammenhang auch unter wertenden Gesichtspunkten ausreichte, um mit dem Berufungsgericht den Tatbestand des § 45 Abs. 3 Satz 1 VwVfG als gegeben zu erachten und die Versäumung der Widerspruchsfrist als solcher gerade aufgrund dieser Vorschrift als nicht verschuldet zu behandeln. Einer solchen Wertung könnte möglicherweise entgegenstehen, daß der Sinn des Gebots einer Anhörung der Betroffenen vor Erlaß eines belastenden Verwaltungsakts nicht eigentlich darin liegt, die spätere Kenntnisnahme des zu erlassenden Verwaltungsaktes durch diese Personen sicherzustellen. Diese Frage braucht hier jedoch nicht vertieft zu werden.
(bb) Rechtsfehlerhaft ist jedenfalls die – sich an die vorausgegangene Aussage gleichsam „automatisch” anschließende – Anwendung des § 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG durch das Berufungsgericht, ohne daß es in Betracht zieht, daß – unbeschadet einer noch fehlenden oder jedenfalls noch nicht abgeschlossenen Nachholung der Anhörung der Beteiligten zu 1 und 2 durch die Beteiligte zu 3 – gerade diejenigen Umstände, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts für die Versäumung der Anfechtungsfrist ursächlich waren, schon am 11. November, spätestens jedoch am 18. November 1997, entfallen sein konnten.
Aufgrund des am 11. November 1997 zugegangenen Schreibens der Beteiligten zu 3 vom 5. November 1997 und – jedenfalls – nach Zugang der maßgeblichen Unterlagen (Umlegungsbeschluß, Baugenehmigung unter anderem für das nachbarliche Vorhaben) am 18. November 1997 war den Beteiligten zu 1 und 2 der Umlegungsbeschluß und dessen wesentliche Zielsetzung – soweit sie den die Beteiligten zu 1 und 2 entscheidend belastenden Zugriff auf ihr Grundstück (Abstandsflächenbaulast mit damit der Sache nach verbundener Unbebaubarkeit einer Teilfläche zugunsten des Bauvorhabens auf dem Nachbargrundstück) betraf – bekannt. Hätten die Beteiligten zu 1 und 2 eine solche Kenntnis schon zu einem Zeitpunkt erlangt gehabt, als die Frist für einen Widerspruch gegen den am 12. September 1997 öffentlich bekannt gemachten Umlegungsbeschluß noch lief – also vor dem 27. Oktober 1997 (oben zu 1) –, und gleichwohl einen fristwahrenden Widerspruch unterlassen, so ist nicht ersichtlich, wie sie mit einem Wiedereinsetzungsantrag nach Fristablauf schlüssig hätten darlegen und glaubhaft machen können (zu diesem Mindesterfordernis vgl. Kopp aaO Rn. 44; Sachs aaO Rn. 174; zu § 126 Abs. 3 AO - dem Vorbild des Gesetzgebers für § 45 Abs. 3 VwVfG - BFHE 43, 106), die Fristversäumung beruhe im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 1 VwVfG auf dem Unterbleiben ihrer Anhörung vor Erlaß des Umlegungsbeschlusses („dadurch”). Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich dazu nichts. Es sind zwar Fälle denkbar – und auch für sie soll die „wenig glücklich gefaßte” (vgl. Kopp aaO Rn. 43) Vorschrift des § 45 Abs. 3 VwVfG dem Betroffenen weitergehenden Rechtsschutz verschaffen –, daß selbst der Adressat eines ihm persönlich (mit Begründung) bekannt gegebenen Verwaltungsakts, dem vorher kein rechtliches Gehör gewährt worden war, aus Gründen, die gerade auf seine unterbliebene Anhörung zurückgehen, an einer fristgerechten Anfechtung gehindert worden ist. So mag es sein, daß der Verwaltungsakt und seine Begründung auf wesentliche zusätzliche Gesichtspunkte, die bei einer Anhörung zur Sprache gekommen wären, nicht eingehen und hierdurch dem Adressaten die Entscheidung, ob er einen Rechtsbehelf einlegen und/oder wie er diesen begründen soll, zumindest erschwert wird (vgl. Kopp aaO Rn. 44). Im Streitfall hätte aber darin, daß die Beteiligten zu 1 und 2 vor dem Umlegungsbeschluß nicht gehört worden waren, keinerlei Erschwernis dieser Art gelegen, gegen den ihnen mit seiner wesentlichen Zielsetzung bekannt gegebenen Verwaltungsakt, den sie nach eigenem Vorbringen von Anfang an als rechtswidrig ansahen, Widerspruch einzulegen.
Die vorstehende Überlegung – daß die zwischenzeitliche persönliche Bekanntgabe und Erläuterung eines zunächst nur öffentlich bekannt gemachten Verwaltungsakts während des Laufs der Rechtsmittelfrist die Ursächlichkeit des Mangels vorheriger Anhörung für die Versäumung der Anfechtung im Sinne des ersten Satzes des § 45 Abs. 3 VwVfG entfallen lassen kann – legt zugleich – vor dem Hintergrund der allgemeinen Grundsätze des Wiedereinsetzungsrechts – auch eine entsprechende Auslegung des zweiten Satzes dieser Vorschrift nahe: Die Regel des § 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG, daß – sobald der Tatbestand des Satzes 1 gegeben ist – das für die Wiedereinsetzungsfrist maßgebende Ereignis („Wegfall des Hindernisses”) im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung, bei Fehlen der erforderlichen Anhörung also der Nachholung derselben (wegen der Streitfragen zu diesem Erfordernis vgl. Kopp aaO Rn. 45; Stelkens/Bonk aaO Rn.175), eintritt, schließt nicht aus, daß im Einzelfall ausnahmsweise auch schon vor (dem Abschluß) der betreffenden „Nachholung” eine Situation eintritt, in der bei wertender Betrachtung keine Rede mehr davon sein kann, dem Betroffenen sei – weiterhin – selbst bei Anwendung der für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Beteiligten die Einlegung eines Rechtsmittels unmöglich oder unzumutbar (vgl. Kopp/Schenke aaO § 60 Rn. 8) gewesen. Ein solcher Ausnahmefall ist nach dem Regelungszusammenhang zwischen den Sätzen 1 und 2 des § 45 Abs. 3 VwVfG jedenfalls dann anzunehmen, wenn und sobald der – wie hier – an sich gegebene Ursachenzusammenhang zwischen dem Unterbleiben der vorherigen Anhörung des Beteiligten und der Versäumung der Anfechtung des Verwaltungsakts nachträglich durch Vorgänge „unterbrochen” wird, die – hätten sie schon während des Laufs der Anfechtungsfrist vorgelegen – einer Wiedereinsetzung auf der Grundlage des § 45 Abs. 3 Satz 1 VwVfG von vornherein entgegengestanden hätten.
Bei diesem Verständnis des § 45 Abs. 3 VwVfG hat die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beteiligten zu 1 und 2 hätten mit der Anfechtung des Umlegungsbeschlusses, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsgesuch, selbst dann noch bis zum Abschluß eines nachträglichen Anhörungsverfahrens – das als ein solches auch nach der Beurteilung des Berufungsgerichts nie stattgefunden hat – warten dürfen, als ihnen der Umlegungsbeschluß nebst seiner wesentlichen Zielsetzung persönlich zur Kenntnis gegeben worden war, keine Grundlage. Vielmehr mußte sich den Beteiligten zu 1 und 2 spätestens nach dem 18. November 1997 (Zugang des bereits vorher von der Beteiligten zu 3 erläuterten Umlegungsbeschlusses samt Baugenehmigung für den in Rede stehenden Baukomplex) aufdrängen, daß – wollten sie den Umlegungsbeschluß überhaupt mit förmlichen Rechtsmitteln angreifen – eine unverzügliche Widerspruchseinlegung unumgänglich war.
c) Eine andere Beurteilung des Wiedereinsetzungsgesuchs der Beteiligten zu 1 und 2 ergibt sich im Streitfall nicht daraus, daß vorliegend eine Auslegung des § 45 Abs. 3 VwVfG zum Tragen kommt, die nicht ohne weiteres aus dem bloßen Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen ist und bezogen auf die gegebene konkrete Fallgestaltung einen von den Gerichten zu entscheidenden „Erstfall” darstellen mag, wie die Beteiligten zu 1 und 2 in der mündlichen Revisionsverhandlung angeführt haben. Das Wiedereinsetzungsgesuch vom 9. Dezember 1997 läßt nicht erkennen, daß die – anwaltlich vertretenen – Beteiligten zu 1 und 2 zu dem hier entscheidenden Zeitpunkt (nach dem Erhalt des Schreibens der Beteiligten zu 3 vom 5. November 1997 am 11. November 1997 bzw. dem Zugang der weiteren Unterlagen am 18. November 1997) gerade im Hinblick auf die Vorschrift des § 45 Abs. 3 VwVfG und ein ganz bestimmtes Verständnis derselben von der Einlegung eines Widerspruchs gegen den Umlegungsbeschluß Abstand nehmen zu können geglaubt haben. Selbst im letzteren Fall müßten sie sich jedenfalls entgegenhalten lassen, daß sie anwaltlich vertreten waren (vgl. hierzu Kopp/Schenke aaO § 60 Rn. 20). Für einen Rechtsanwalt mußte aber die Rechtslage, was die vorstehend erörterten Fragen angeht, zumindest zweifelhaft erscheinen; er mußte in dem Stadium, um das es hier geht, allemal vorsorglich zu einem alsbaldigen förmlichen Rechtsmittel raten.
d) Der sich aus dem Verfassungsrecht ergebende Grundsatz, daß das Verfahrensrecht den Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer Weise erschweren darf (vgl. BVerfGE 93, 99, 108; Senatsurteil BGHZ 140, 208, 217), steht der vorliegenden Beurteilung nicht entgegen. Es war, wie gesagt, den Beteiligten zu 1 und 2 ohne weiteres möglich und zumutbar, jedenfalls nach den ihnen am 11. und am 18. November 1997 gegebenen zusätzlichen Informationen zu dem bekannt gemachten Umlegungsbeschluß gegen diesen alsbald den vom Gesetz eingeräumten förmlichen Rechtsbehelf einzulegen.
Unterschriften
Rinne, Wurm, Streck, Schlick, Dörr
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.04.2000 durch Freitag Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538761 |
BGHZ |
BGHZ, 210 |
NJW 2001, 233 |
NWB 2000, 2437 |
BGHR |
NVwZ 2000, 1326 |
JR 2001, 366 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 1411 |
ZfIR 2000, 559 |
MDR 2000, 898 |
NJ 2000, 599 |
RdL 2000, 221 |
ZfBR 2000, 561 |
DVBl. 2000, 1286 |
GuG 2001, 190 |
SächsVBl. 2000, 210 |