Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an die Widerlegung der vermuteten Selbstbegünstigungsabsicht eines Landes, dessen Finanzamt in der Krise ein Bankguthaben des späteren Gemeinschuldners pfändet, sowie der vermuteten Begünstigungsabsicht des Gemeinschuldners und ihrer Kenntnis, wenn die Bank dem Gemeinschuldner nach der Pfändung erlaubt, den geschuldeten Betrag an das Finanzamt zu überweisen.
Normenkette
KO § 30 Nr. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 1. Juli 1998 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 30. Mai 1997 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelzüge werden dem Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter im Konkurs über das Vermögen der K. GmbH (fortan: Gemeinschuldnerin). Diese hatte gegenüber dem beklagten Land Steuerschulden. Am 31. Mai 1995 stellte das Finanzamt Z. (im folgenden: Finanzamt) gegen die Gemeinschuldnerin Konkursantrag. Diesen Antrag nahm das Finanzamt etwa einen Monat später wieder zurück, nachdem der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin in seiner Anhörung vor dem Konkursgericht geltend gemacht hatte, auf die erheblich höhere Forderung des Finanzamts einen Abschlag in Höhe von 6.000 DM gezahlt zu haben. Am 6. September 1995 stellt das Finanzamt wegen Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin erneut Konkursantrag und machte Steuerschulden in Höhe von 27.465,05 DM geltend. Am 21. Dezember 1995 ordnete das Konkursgericht die Sequestration des Vermögens der Gemeinschuldnerin an. Am 27. Dezember 1995 wurde dem Konto der Gemeinschuldnerin bei der V. bank (im folgenden: Bank) ein Betrag von 104.841,67 DM gutgeschrieben. Am 2. Januar 1996 sprach der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin beim Finanzamt vor und machte geltend, daß er Zahlungseingänge erwarte; er unterzeichnete einen auf den 8. Januar 1996 vordatierten Scheck über 62.940,42 DM. Daraufhin nahm das Finanzamt am 4. Januar 1996 den Konkursantrag zurück. Der Scheck wurde von der Bank im Ergebnis nicht eingelöst. Am 22. Januar 1996 hob das Konkursgericht die Sequestration auf. Am selben Tag erließ das Finanzamt wegen rückständiger Steuerforderungen in Höhe von 65.870,11 DM eine der Bank am 23. Januar 1996 zugestellte Pfändungs- und Einziehungsverfügung, mit der das Konto der Gemeinschuldnerin gepfändet wurde. Im Zeitpunkt der Zustellung wies es ein Guthaben von 112.692,23 DM auf. Dies teilte die Bank dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin am nächsten Tage mit und gab ihm Gelegenheit, den vom Finanzamt verlangten Betrag an dieses zu überweisen. Der Geschäftsführer unterzeichnete daraufhin einen entsprechenden Überweisungsauftrag. Diesen führte die Bank am 25. Januar 1996 aus. Am 15. Februar 1996 wurde das Konkursverfahren auf den am 6. November 1995 gestellten Antrag des Gläubigers J. hin eröffnet. In seinem Bericht vom 30. April 1996 schätzte der Kläger die Konkursforderungen auf 291.000 DM.
Der Kläger verlangt von dem beklagten Land aus dem Gesichtspunkt der Konkursanfechtung Zahlung von 65.870,11 DM nebst Zinsen. Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat gemeint, der Beklagte habe bewiesen, daß er weder vom Konkursantrag des Gläubigers J. noch von einer Zahlungseinstellung der Gemeinschuldnerin gewußt habe. Das Finanzamt habe aus der Aufhebung der Sequestration den Schluß ziehen müssen, daß die Gemeinschuldnerin weder überschuldet noch zahlungsunfähig sei und sich keine Notwendigkeit zur Eröffnung eines Konkursverfahrens ergeben habe. Eine Anfechtung nach § 30 Nr. 2 KO scheitere daher ebenso wie eine Anfechtung nach § 30 Nr. 1 KO.
II.
Das Berufungsurteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Ein Anfechtungsanspruch des Klägers nach § 30 Nr. 2 KO läßt sich mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht ablehnen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist nicht davon auszugehen, daß die Pfändungs- und Überweisungsverfügung dem Beklagten ein rechtsbeständiges Absonderungsrecht an dem gepfändeten Guthaben vermittelte. Die Verfügung erfolgte nach dem von dem Gläubiger J. gestellten Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens. Das dadurch erwirkte Pfändungspfandrecht war inkongruent (vgl. BGHZ 136, 309, 311 ff; BGH, Urt. v. 11. April 2002 – IX ZR 211/01, NJW 2002, 2568). Gemäß § 30 Nr. 2 KO sind Rechtshandlungen, die nach dem Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens erfolgen und dem Konkursgläubiger eine inkongruente Sicherung gewähren, anfechtbar, sofern er nicht beweist, daß ihm zur Zeit der Handlung weder die Zahlungseinstellung und der Eröffnungsantrag noch eine Absicht des Gemeinschuldners, ihn vor den übrigen Gläubigern zu begünstigen, bekannt war. Das Berufungsgericht hat lediglich als bewiesen angesehen, daß das Finanzamt des beklagten Landes die Zahlungseinstellung und den Eröffnungsantrag des Gläubigers J. nicht kannte. Daß ihm auch eine Begünstigungsabsicht der Gemeinschuldnerin nicht bekannt war, hat es nicht festgestellt. Freilich fehlen Anhaltspunkte für die Annahme, daß die Gemeinschuldnerin an der Pfändungs- und Überweisungsverfügung des beklagten Landes beteiligt war. Indessen ist es bei einer durch Zwangsvollstreckung erlangten Deckung in einem solchen Fall nach Sinn und Zweck des Gesetzes geboten, nicht auf die Absicht des Gemeinschuldners, sondern auf diejenige dessen abzustellen, der die Masse verkürzt hat, hier also auf die Absicht des beklagten Landes. Deshalb ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Fällen, in denen ein Gläubiger nach der Zahlungseinstellung oder nach einem Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens im Wege der Zwangsvollstreckung eine inkongruente Deckung erlangt, die subjektive Anfechtungsvoraussetzung einer Kenntnis von der Begünstigungsabsicht des Gemeinschuldners nur dann nicht gegeben, wenn der Gläubiger im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der angefochtenen Rechtshandlung der Überzeugung war, das Vermögen des Gemeinschuldners reiche zur vollen Befriedigung aller seiner Gläubiger aus oder der Gemeinschuldner werde die dafür erforderlichen Mittel in absehbarer Zeit erhalten (BGHZ 128, 196, 203; BGH, Urt. v. 21. März 2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898). Zu dem Gesichtspunkt dieser sogenannten Selbstbegünstigungsabsicht (vgl. Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 30 KO Anm. 21) verhält sich das Berufungsurteil nicht. Schon deshalb kann es keinen Bestand haben.
III.
Das Berufungsurteil ist mithin aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Der Senat, der die Parteien auf den Gesichtspunkt der Begünstigungsabsicht ausdrücklich hingewiesen hat, kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.).
1. Der Beklagte kann nicht nachweisen, daß er (das Finanzamt) zur Zeit der Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung am 23. Januar 1996 der sicheren Überzeugung war, das Vermögen der Gemeinschuldnerin reiche zur vollen Befriedigung aller ihrer Gläubiger aus oder die Gemeinschuldnerin werde die dafür erforderlichen Mittel in absehbarer Zeit erhalten.
a) Der Beklagte hat behauptet, das Finanzamt sei von Zahlungsunwilligkeit ausgegangen. Unbestritten hat er vorgetragen, daß die Gemeinschuldnerin Zahlungszusagen gegenüber dem Finanzamt mehrfach nicht eingehalten habe. Vollstreckungsversuche des Vollziehungsbeamten des Finanzamts seien ohne Ergebnis geblieben. Der ein halbes Jahr vor der Zahlung gestellte erste Konkursantrag des Finanzamts habe nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt, sondern nur zu einer Teilzahlung; die Zahlungszusagen aus jenem Konkursverfahren habe die Gemeinschuldnerin ebenfalls nicht eingehalten. Er habe keine Kenntnis von den innerbetrieblichen Verhältnissen der Gemeinschuldnerin gehabt. Eine Betriebsprüfung sei nicht erfolgt. Steuererklärungen seien wiederholt verzögert worden. Die letzte habe die Gemeinschuldnerin für 1992 abgegeben. Ihre Ankündigung vom 2. Januar 1996, in Zukunft ihre Steuererklärungen wieder von einem Steuerberater fertigen zu lassen, habe sich nach Rückfrage bei dem von der Gemeinschuldnerin benannten Steuerberater als unrichtig erwiesen. Die fälligen Steuerschulden seien von höchstens 22.000 DM im Juli 1995, 27.465,05 DM im September 1995 und 62.940,42 DM zum Jahresende 1995 auf schließlich 65.870,11 DM gestiegen.
Aufgrund dieser Umstände ist nicht davon auszugehen, daß es an der gemäß § 30 Nr. 2 KO zu vermutenden Selbstbegünstigungsabsicht des Beklagten fehlte. Das Finanzamt mußte vielmehr nach der Lebenserfahrung davon ausgehen, daß die Gemeinschuldnerin als gewerbliches Unternehmen neben den Steuerschulden weitere Schulden gegenüber anderen Gläubigern hatte. Da bereits die offenen Steuerforderungen kontinuierlich angestiegen waren, obwohl die Gemeinschuldnerin Teilzahlungen geleistet und das Finanzamt mit Vollstreckungsmaßnahmen und zwei Konkursanträgen innerhalb von weniger als fünf Monaten erheblichen Druck ausgeübt hatte, hätte dieses allenfalls dann der Überzeugung gewesen sein können, die Gemeinschuldnerin werde in der Lage sein, alle ihre Gläubiger zu befriedigen, wenn es Einblick in die Verhältnisse der Gemeinschuldnerin gehabt hätte (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 15. Dezember 1994 – IX ZR 24/94, NJW 1995, 1090, 1093, insoweit in BGHZ 128, 196 ff nicht abgedruckt). Dies traf nicht zu. Deshalb konnte der Beklagte nicht ausschließen, daß die Gemeinschuldnerin zur vollen Befriedigung ihrer sämtlichen Gläubiger nicht in der Lage war.
b) An diesem Ergebnis ändert sich nichts, wenn das Finanzamt die Behauptung der Gemeinschuldnerin vom 2. Januar 1996, sie sei nicht zahlungsunfähig und erwarte weitere Zahlungseingänge, geglaubt haben sollte. Dies allein ließ nicht den Schluß zu, die Gemeinschuldnerin sei in der Lage, sämtliche Gläubiger zu befriedigen. Daß das Finanzamt aus Äußerungen des Klägers und seiner Mitarbeiter geschlossen haben will, die Gemeinschuldnerin sei nicht konkursreif gewesen, steht der Annahme, das Finanzamt habe keinen genügenden Überblick über die wirtschaftliche Gesamtsituation der Gemeinschuldnerin gehabt, ebenfalls nicht entgegen. Schließlich vermag ein bloßer durch das Verhalten des Klägers als Sequester im Dezember 1995 vermittelter „Eindruck”, die Krise der Gemeinschuldnerin sei behoben, vor dem Hintergrund der übrigen Kenntnisse des Finanzamts eine feste Überzeugung des Beklagten, die Gemeinschuldnerin könne ihre Verbindlichkeiten vollständig erfüllen, nicht zu begründen.
2. Die durch die Überweisung der Gemeinschuldnerin bewirkte Erfüllung der Steuerforderungen ist ebenfalls nach § 30 Nr. 2 KO anfechtbar. Denn sie erfolgte im Rahmen der von dem Beklagten ergriffenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Dies ergibt sich aus der Aussage der Zeugin T. vor dem Landgericht. Danach hatte die Bank die Gemeinschuldnerin über die Pfändungs- und Einziehungsverfügung unterrichtet und ihr Gelegenheit gegeben, die Überweisung selbst vorzunehmen, weil die Bank 14 Tage Zeit gehabt hätte, ihrer Verpflichtung aus der Verfügung nachzukommen. Eine in der Krise erfolgende Befriedigung zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung ist inkongruent (BGHZ 136, 309, 312 ff; BGH, Urt. v. 7. Februar 2002 – IX ZR 115/99, NJW 2002, 1574, 1576; v. 11. April 2002 – IX ZR 211/01, NJW 2002, 2568, 2569). Eine Inkongruenz ist erst recht zu bejahen, wenn die Befriedigung – wie im Streitfall – im Rahmen einer bereits eingeleiteten Zwangsvollstreckung in ein Bankkonto in der Weise erfolgt, daß die Bank dem Kontoinhaber gestattet, von dem gepfändeten Konto eine Überweisung an den Pfändungsgläubiger vorzunehmen.
Der Beklagte ist nicht in der Lage, die Vermutung, die Gemeinschuldnerin habe mit Gläubigerbegünstigungsabsicht gehandelt und der Beklagte habe diese Absicht gekannt, zu widerlegen. Aufgrund der unstreitigen Umstände ist auszuschließen, daß die Gemeinschuldnerin bei der Ausführung des Überweisungsauftrags der sicheren Überzeugung war, ihr Vermögen reiche zur vollständigen Befriedigung aller ihrer Gläubiger aus oder sie werde die dafür erforderlichen Mittel in absehbarer Zeit erhalten (vgl. BGHZ 128, 196, 202; BGH, Urt. v. 26. Juni 1997 – IX ZR 203/96, ZIP 1997, 1509, 1510). Daß das Finanzamt die danach anzunehmende Begünstigungsabsicht der Gemeinschuldnerin nicht gekannt hätte, kann der Beklagte nicht beweisen. Aufgrund der dem Finanzamt bekannten Umstände konnte dieses nicht von einer hinreichend sicheren Aussicht der Gemeinschuldnerin ausgehen, alle ihre Gläubiger in absehbarer Zeit befriedigen zu können. Insoweit gelten ähnliche Erwägungen wie zu III, 1.
Unterschriften
Kreft, Ganter, Raebel, Kayser, Bergmann
Fundstellen
Haufe-Index 886509 |
DStR 2003, 519 |
NJW 2003, 897 |
Inf 2003, 333 |
BGHR 2003, 307 |
KTS 2003, 260 |
KTS 2003, 395 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 59 |
ZIP 2003, 128 |
InVo 2003, 95 |
MDR 2003, 292 |
NZI 2003, 93 |
ZInsO 2003, 80 |
AO-StB 2003, 72 |
BKR 2003, 126 |
ZBB 2003, 31 |