Rn 1

Die Vorschrift stellt eine Neuerung gegenüber dem früheren Recht der Konkurs- und Vergleichs- sowie der Gesamtvollstreckungsordnung dar, die besondere Bestimmungen für die insolvenzrechtliche Behandlung des in der Praxis wichtigen und häufigen Falls eines Kaufes unter Eigentumsvorbehalt nicht enthalten haben.

 

Rn 2

Abs. 1 des § 107 enthält Regelungen zu der Fallkonstellation, dass über das Vermögen des Vorbehaltsverkäufers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine bewegliche Sache unter Eigentumsvorbehalt verkauft und dem Käufer den Besitz an der Kaufsache übertragen hat.

 

Rn 3

Abs. 2 trifft Bestimmungen zur umgekehrten Konstellation der Käuferinsolvenz. Nach früherem Recht wurden beide Fallkonstellationen über § 17 KO (§ 9 GesO) erfasst und geregelt, nunmehr gehen die Bestimmungen des § 107 als speziellere Regelungen denjenigen des § 103 vor.

1.1 Normzweck

 

Rn 4

Letztlich stellt der Verkauf einer Sache unter Eigentumsvorbehalt den klassischen Fall des beiderseits noch nicht vollständig erfüllten Vertrags dar,[1] da von dem einen Vertragsteil noch keine vollständige Bezahlung und von dem anderen Vertragsteil noch keine endgültige Übereignung stattgefunden hat. Auch wenn durch den Verkäufer bei dieser Konstellation ggf. keine weiteren Leistungshandlungen mehr erforderlich sind, da der Eigentumsübergang nur noch aufschiebend bedingt durch die vollständige Kaufpreiszahlung ist, steht der erforderliche Leistungserfolg noch aus.[2]

 

Rn 5

Durch Abs. 1 wird im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Vorbehaltsverkäufers das Wahlrecht des Insolvenzverwalters zur Erfüllung des Eigentumsverschaffungsanspruchs ausgeschlossen, die Vorschrift macht damit das Anwartschaftsrecht des Käufers auf Übertragung des Eigentums insolvenzfest und dient dem Insolvenzschutz des Käufers.

 

Rn 6

Abs. 2 dient der Erhaltung der Einheit eines Schuldner-Unternehmens zumindest bis zum ersten Gläubigerversammlungstermin, um Chancen einer Weiterführung und Erhaltung zu wahren. Hat der Schuldner bewegliche Sachen unter Eigentumsvorbehalt erworben, aber noch nicht vollständig bezahlt, muss der Insolvenzverwalter nach Aufforderung durch den Vertragspartner erst nach dem Berichtstermin eine Erklärung zur weiteren Vertragserfüllung abgeben.

[1] HambKomm-Ahrendt spricht vom "Paradefall", § 107 Rn. 1.
[2] BGH ZIP 1986, 1059 f. [BGH 09.07.1986 - VIII ZR 232/85]

1.2 Entstehungsgeschichte

 

Rn 7

Nach der früheren Rechtslage zu KO und GesO unterfiel der Kaufvertrag der Regelung des § 17 KO (bzw. § 9 GesO), da er seitens des Verkäufers wegen der fehlenden Übertragung des Eigentums und seitens des Käufers wegen nicht vollständiger Bezahlung des Kaufpreises noch nicht vollständig erfüllt war. Nach der Rechtsprechung führte die Anwendung des § 17 KO dazu, dass der Konkursverwalter in den lediglich durch Treu und Glauben (§ 242 BGB) gezogenen Grenzen durch Ablehnung der Erfüllung des Kaufvertrags die noch nicht voll bezahlte Vorbehaltsware wieder zur Insolvenzmasse ziehen konnte, während der Vorbehaltskäufer seinen Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens (insbesondere auf Rückerstattung bereits geleisteter Teilzahlungen) gemäß § 26 KO lediglich als Konkursforderung im Rahmen des Verfahrens geltend machen konnte.[3]

 

Rn 8

Die Rechtsprechung des BGH ist auf zahlreiche Kritik in der Literatur gestoßen, die bereits zum früheren Recht die Anwendbarkeit des § 17 KO auf die beschriebenen Konstellationen verneinte und dem Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers Konkursfestigkeit zubilligen wollte.[4]

 

Rn 9

Die Streitfrage hat der Gesetzgeber durch die Regelung des § 107 Abs. 1 dahin gehend entschieden, dass das Wahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 103 dann nicht gegeben ist, wenn der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewegliche Sachen unter Eigentumsvorbehalt verkauft hat; das durch eine aufschiebend bedingte Übereignung entstandene Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers ist nunmehr insolvenzfest.

Der Insolvenzverwalter hat aufgrund § 107 Abs. 1 keine Möglichkeit, wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das vom Schuldner noch vorbehaltene Eigentum zugunsten der Insolvenzmasse zu realisieren. Der Verwalter bleibt vielmehr an die Verpflichtung des Schuldners zur Übertragung des Eigentums an den Käufer gebunden, sofern der Käufer seinerseits vertragstreu ist, d.h. die noch ausstehenden Kaufpreisraten entsprechend der vertraglichen Vereinbarung leistet.

 

Rn 10

Abs. 2 ist Ausdruck des Sanierungsgedankens, der der InsO immanent ist. Es soll vermieden werden, dass die Fortführung eines Schuldnerunternehmens schon unmittelbar nach Verfahrenseröffnung dadurch erschert oder unmöglich gemacht wird, das aussonderungsberechtigte Gläubiger den Insolvenzverwalter zu einer Ausübung seines Wahlrechts auffordern und nach Erfüllungsablehnung oder fehlender Äußerung des Insolvenzverwalters gelieferte Sachen aussondern.

[3] BGH a.a.O.
[4] Kuhn/Uhlenbruck, § 17 Rn. 18d m.w.N.

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