Beteiligte
Westfälische landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 1998 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Entschädigung des Unfalls des Klägers am 2. September 1995 als Arbeitsunfall.
Der im Jahre 1941 geborene Kläger ist bei der Rentkammer W. (W) als Waldarbeiter beschäftigt. Außerdem bewirtschaftet er eine eigene Forstfläche von ca 4 ha und ist deshalb als Unternehmer Mitglied der Beklagten.
Am 2. September 1995 erlitt er beim Abtransport von Deputatholz mit dem Traktor einen Unfall, bei dem er erhebliche Verletzungen erlitt.
Das am Unfalltag abtransportierte Deputatholz stand dem Kläger für seine Tätigkeit bei der Rentkammer für das Jahr 1995 zu. Es sollte in seinem Privathaushalt verwendet werden. Bei dem abgefahrenen Holz befand sich kein Holz aus der vom Kläger selbst bewirtschafteten Fläche. Das Holz hatte der Kläger im Frühjahr 1995 selbst geschlagen, entastet, gesägt und transportfähig gemacht.
Der Kläger hatte als Waldarbeiter nach § 22 des Manteltarifvertrages für die Waldarbeiter der privaten Forstbetriebe in Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1989 iVm den im Betrieb der Rentkammer W geltenden Vereinbarungen Anspruch auf die Gewährung von kostenlosem Deputatholz. Alle Arbeiten im Zusammenhang mit der Gewinnung des Deputatholzes müssen die Arbeitnehmer selbst verrichten und die dazu erforderlichen Maschinen stellen. Da die Arbeitnehmer im Akkord arbeiten, ist es ihnen freigestellt, ob sie das Holz während der Arbeitszeit oder in ihrer Freizeit schlagen. Ein Teil der Arbeitnehmer nimmt seinen Anspruch auf Deputatholz nicht in vollem Umfang oder überhaupt nicht wahr. Bis zum Jahre 1993 erhielten die Arbeitnehmer für nicht in Anspruch genommenes Deputatholz eine Vergütung in Geld. Sie entfiel ab dem 1. Juli 1993. Bei dem Deputatholz handelt es sich um Holz, das für eine hochwertige Verwendung ungeeignet ist. Dieses Holz muß geschlagen werden, um dadurch die Erzeugung qualitativ hochwertigen Stammholzes zu fördern. Beim Weiterverkauf des Deputatholzes können 40,00 bis 45,00 DM je Festmeter erzielt werden. Seitens der Rentkammer wird nicht festgelegt, wann das Holz abzufahren ist. Das Holz des Klägers lag allerdings auf einer Fläche, auf der Fichtenstammholz aus einer Durchforstung gelagert werden sollte. Dies war für den Herbst des Jahres 1995 geplant, so daß seitens der Rentkammer ein Interesse an einem zügigen Abtransport des Holzes bestand.
Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab, weil der Kläger beim Abtransport des Deputatholzes als Unternehmer seines eigenen Haushalts tätig geworden sei (Bescheid vom 7. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 1996).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Der Abtransport des Holzes habe nicht wesentlich dem Betrieb der Rentkammer dienen sollen (Urteil vom 8. Oktober 1997).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers vom 2. September 1995 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen (Urteil vom 19. Mai 1998): Es könne dahingestellt bleiben, ob die im inneren Zusammenhang mit der Gewinnung des Deputatholzes anfallenden Arbeiten schon deshalb wesentlich dem Forstbetrieb dienen sollten, weil das dafür bestimmte Holz ohnehin hätte gefällt werden müssen, um das Wachstum hochwertiger Stämme zu fördern. Denn der Betrieb könne auch beim eigenen Einschlag in eigener Regie die Gewinnungskosten erlösen. Auch könne offen bleiben, ob der Abtransport des Holzes deshalb im Interesse des Betriebes gewesen sei, weil das Holz auf einer Fläche gelagert gewesen sei, die der Betrieb im Herbst des Jahres benötigt hätte. Denn das Deputat sei Teil des Entgelts aus dem Beschäftigungsverhältnis. Die Arbeitnehmer hätten nach dem Manteltarifvertrag Anspruch auf das Deputat. Der Umstand, daß mit dem 1. Juli 1993 für nicht in Anspruch genommenes Deputatholz ein Ausgleich durch eine Geldzahlung nicht mehr erfolge, mache den Entgeltcharakter des Deputats noch deutlicher. Seit jeher sei für den Lohnempfang im Lohnbüro einschließlich der dazu zurückzulegenden Wege Unfallversicherungsschutz bejaht worden. Daher sei auch für alle im Zusammenhang mit der „Inempfangnahme” des Deputatholzes stehenden Handlungen der innere Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis zu bejahen.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte, daß das LSG zu Unrecht davon ausgehe, daß das Deputatholz Entgeltcharakter habe. Das Deputatholz stelle zwar für den Berechtigten einen wirtschaftlichen Nutzen dar. Für den Entgeltcharakter einer Leistung komme es aber darauf an, daß sie als Gegenleistung für die Beschäftigung gewährt werde. Aus dem Manteltarifvertrag ergebe sich aber, daß das Deputatholz als eine Art „Treueprämie” für lange Betriebszugehörigkeit gewährt werde. Da aber selbst Rentner und Witwen, die in keinem Beschäftigungsverhältnis mehr stünden, Deputatholz erhielten, stehe für den Entgeltbegriff nicht der Gegenleistungsaspekt im Vordergrund. Das Deputatholz sei somit Preisnachlässen beim Personaleinkauf vergleichbar. In diesen Fällen habe das Bundessozialgericht (BSG) aber den inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit verneint. Auch nach der Arbeitsentgeltverordnung seien einmalige Einnahmen, die zusätzlich zu den Gehältern gewährt werden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen. Zutreffend sei daher auch das SG davon ausgegangen, daß der Abtransport des geschlagenen Holzes keine der Rentkammer wesentlich dienende Tätigkeit darstellte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 1998 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 8. Oktober 1997 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, als er am 2. September 1995 beim Abtransport des Deputatholzes verunglückte.
Der Entschädigungsanspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der vom Kläger geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ≪UVEG≫, § 212 SGB VII).
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Im vorliegenden Fall beurteilt sich der Versicherungsschutz nicht nach § 550 Abs 1 RVO, sondern nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO, weil das Zurücklegen des Weges mit dem Traktor einen Teil der versicherten Tätigkeit darstellte. Aufgrund des mit der Rentkammer W. bestehenden Beschäftigungsverhältnisses als Waldarbeiter war der Kläger nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert.
Zur Annahme eines Arbeitsunfalles nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der unfallversicherungsgeschützten Tätigkeit bestehen, der sog innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92; BSG SozR 2200 § 548 Nr 95; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 27; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 38). Dieser innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (stRspr s zB BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84; BSG SozR 3-2200 § 539 Nrn 38 und 42). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes stand die zum Unfall am 2. September 1995 führende Tätigkeit des Abtransportes des Deputatholzes im inneren Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis des Klägers als Waldarbeiter.
Das Deputat in Form von Holz war Teil der Vergütung aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der Rentkammer W. Denn die Arbeitsvergütung aufgrund eines Arbeitsvertrages kann in Geld- oder Naturalleistungen erfolgen, die im Rechtsverkehr als geldwerte Leistungen angesehen werden (MünchKomm-Schaub, BGB, 3. Aufl 1997, § 612 RdNr 17; Palandt/ Putzo, BGB, 58. Aufl, 1999, § 611 RdNrn 55 f). Zur Naturalvergütung gehört jede Vergütung, die zur Abgeltung der geleisteten Dienste des Arbeitnehmers nicht in Geld oder durch bargeldlose Geldleistung gewährt wird. Zu ihr gehören mithin ua die Gewährung von Sachbezügen (MünchKomm-Schaub, aaO, RdNr 23). Sachbezüge sind unter denselben Voraussetzungen wie Geldbezüge Arbeitsentgelt iS des § 14 Abs 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB IV≫ (vgl KassKomm-Seewald, § 14 SGB IV RdNr 50; Hauck, SGB IV, K § 14 RdNr 5). Sie sind daher auch rechtlich nicht anders zu behandeln als der Lohn in Form von Geld. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das dem Kläger gewährte Deputatholz nicht der Einräumung von Preisnachlässen durch den Arbeitgeber als etwa beim Personalkauf vergleichbar. Denn diese Preisnachlässe können zwar geldwerte Vorteile darstellen, sind aber nicht Teil des vom Arbeitgeber gewährten Arbeitsentgeltes. Nach § 22 Nr 1 des Manteltarifvertrages für die Waldarbeiter der privaten Forstbetriebe in Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1989 iVm den im Betrieb der Rentkammer W. geltenden Vereinbarungen hatten die Waldarbeiter Anspruch auf eine bestimmte Menge kostenlosen Deputatholzes. Die Rentkammer W. war somit arbeitsvertraglich verpflichtet, den bei ihr beschäftigten Waldarbeitern als Vergütung neben dem Geldlohn Deputatholz als Sachbezug zur Verfügung zu stellen. Zutreffend weist das LSG darauf hin, daß sich der Entgeltcharakter des Deputatholzes gerade aus der seit dem 1. Juli 1993 in der Rentkammer W. nicht mehr geltenden Regelung ergibt. Bis dahin erhielten nämlich Waldarbeiter für nicht in Anspruch genommenes Deputatholz eine Auszahlung in Geld.
Zu den unter Versicherungsschutz stehenden Verrichtungen, die der Betriebstätigkeit gleichgestellt sind, gehört der regelmäßige Lohnempfang. Denn das Betriebsinteresse erfordert es, daß der Betriebsangehörige zur rechten Zeit und an dem dafür vorgesehenen Ort seinen Lohn erhält. Daher steht die Lohnzahlung grundsätzlich in einem rechtlich inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit. Sie ist wesentlich durch den Betrieb und die in ihm geleistete Tätigkeit veranlaßt. Sie ermöglicht dem Arbeitgeber, seiner Hauptverpflichtung der Zahlung der Vergütung (vgl § 611 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫) nachzukommen. Daher stehen seit jeher auch die mit dem Lohnempfang zusammenhängenden Wege eines Versicherten, zB von der Baustelle bzw von seiner Wohnung zum Lohnbüro, unter Unfallversicherungsschutz (BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO aF; BSGE 41, 207 = SozR 2200 § 548 Nr 16; BSGE 43, 119, 121 = SozR 2200 § 548 Nr 28; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 483e; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 30; Podzun/Platz, Unfallsachbearbeiter, Kennzahl 095 S 5 f; Lauterbach/Schwerdtfeger, UV-SGB VII, 4. Aufl, § 8 RdNrn 119 f; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, 12. Aufl, SGB VII, § 8 RdNr 171 unter dem Stichwort Geldabheben vom Konto).
Gerade der Versicherungsschutz bei der früher gebräuchlichen Lohn- und Gehaltsauszahlung im Betrieb hatte den Gesetzgeber im Hinblick auf den wachsenden Umfang der bargeldlosen Lohn- oder Gehaltszahlung auf Girokonto bewogen, durch Einfügung des § 548 Abs 1 Satz 2 RVO auch den Versicherungsschutz im Zusammenhang mit der Lohnzahlung den besonderen Verhältnissen des Lohn- oder Gehaltsempfanges durch bargeldlose Überweisung auf ein Lohn- oder Gehaltskonto anzupassen. Eine entsprechende Regelung ist allerdings in § 8 SGB VII nicht aufgenommen worden, so daß jedenfalls in den früher von § 548 Abs 1 Satz 2 RVO erfaßten Fallgestaltungen grundsätzlich kein Versicherungsschutz mehr besteht. Hinzu kommt, daß nach der Rechtsprechung das, was für den Versicherungsschutz beim Lohnempfang selbst gilt, entsprechend auch für den Empfang anderer tariflicher Leistungen anzuwenden ist (vgl BSGE 27, 84 = SozR Nr 1 zu § 550 RVO; BSGE 41, 207 = SozR aaO). Nachdem Sachbezüge unter denselben Voraussetzungen wie Geldbezüge Arbeitsentgelt für die Arbeitsleistung darstellen, muß der Empfang des Deputatholzes versicherungsrechtlich ebenso beurteilt werden wie der Empfang des Lohnes in Form von Bargeld. Der Kläger stand damit nach alledem im Zeitpunkt des Unfalls unter Unfallversicherungsschutz.
Diesem Ergebnis widerspricht auch nicht die von der Revision angeführte Entscheidung des Bayerischen LSG vom 8. März 1988 - L 3 U 209/86 - (HV-Info 1988, 1869). Dort scheiterte der Versicherungsschutz nicht an der Zurverfügungstellung des Holzes und des Traktors als Naturalentlohnung, sondern weil es an einem Arbeits- oder Dienstverhältnis im forstwirtschaftlichen Betrieb der Schwiegermutter als Voraussetzung für einen Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO fehlte und auch ein Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs 2 RVO nicht in Betracht kam, weil es sich bei dem Ausmaß der Mithilfe nur um eine unversicherte familienhafte Gefälligkeitsleistung gehandelt hatte. Auch die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 22. Juli 1971 - L 1 U 102/70 - (Breith 1971, 997) steht nicht entgegen. Denn dort hatte der Arbeitnehmer einen tarifvertraglichen Anspruch auf ein Holz-Deputat im unzerkleinerten Zustand. Er verunglückte aber beim Zerkleinern des Holzes, das er laut Tarifvertrag selbst zu besorgen hatte, so daß schon deshalb diese Tätigkeit nicht dem Betriebe, sondern dem eigenwirtschaftlichen Bereich des Arbeitnehmers zuzuordnen war.
Das Berufungsgericht hat hiernach im angefochtenen Urteil zu Recht den Unfall des Klägers vom 2. September 1995 beim Abtransport des Deputatholzes aus dem Forst der Rentkammer W. als Arbeitsunfall angesehen und die Beklagte zur Entschädigungsleistung verurteilt.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
NZA 1999, 1208 |
NZS 2000, 98 |
SGb 1999, 404 |
RdW 1999, 571 |
SozSi 1999, 415 |