Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Mai 2002 aufgehoben, soweit es der Berufung der Beklagten zu 2) gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 16. März 2001 stattgegeben hat.
Das Urteil des Landessozialgerichts wird ferner aufgehoben, soweit es auf die Berufung der Beklagten zu 1) das Urteil des Sozialgerichts bezüglich der Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgehoben und die Klagen abgewiesen hat. Insofern wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger durch Erklärung seines damaligen Betreuers Mitglied der beklagten Krankenkasse (Beklagte zu 1) und der beklagten Pflegekasse (Beklagte zu 2) geworden ist.
Der 1958 geborene Kläger leidet an einem ausgeprägten hirnorganischen Psychosyndrom mit Orientierungsstörungen, Vergesslichkeit und anderen psychiatrischen Erscheinungsformen. Am 7. Oktober 1998 wurde für ihn ein Betreuer bestellt mit dem Wirkungskreis “Vermögenssorge einschließlich Versorgungs- und Sozialleistungen, Wohnungsangelegenheiten, Aufenthaltsregelung sowie Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen”. Die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten zu 1) wurde bis zum 15. Oktober 1998 auf Grund des Bezuges von Krankengeld aufrecht erhalten. Anschließend war der Kläger auf Grund des Bezuges von Arbeitslosengeld (Alg) bis zum 21. April 1999 weiter krankenversichert. Für die nachfolgende Zeit hob die Arbeitsverwaltung die Bewilligung von Alg mit Bescheid vom 19. April 1999 auf und stellte die Zahlung ein. Der Kläger könne nur noch versicherungsfreie Tätigkeiten ausüben und sei daher nicht verfügbar. Dieser Bescheid war an den Kläger persönlich gerichtet.
Am 8. September 1999 erhielt die Beklagte zu 1) eine Erklärung des Betreuers zur freiwilligen Weiterversicherung des Klägers. Der Betreuer wies darauf hin, dass ihm der Ablauf der gesetzlichen Frist wohl bewusst sei. Er bitte jedoch um Weiterversicherung, da es sich um einen Betreuungsfall handele und ihn die damit verbundenen Schwierigkeiten gehindert hätten, rechtzeitig zu reagieren. Die Beklagte zu 1) teilte daraufhin unter dem 8. und dem 21. September 1999 mit, “eine freiwillige Versicherung des Klägers in der Kranken- und Pflegeversicherung” sei nicht zu Stande gekommen, da der Antrag nicht innerhalb von drei Monaten, also spätestens am 20. Juli 1999 gestellt worden sei. Der Widerspruch blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 20. März 2000 führte die Beklagte zu 1) ergänzend aus, bei der Frist des § 9 Abs 2 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) handele es sich um eine Ausschlussfrist. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheide aus. Zwar sei der Kläger selbst nicht in der Lage gewesen, sich um seine Belange zu kümmern. An seiner Stelle habe aber der Betreuer handeln können.
Der Kläger hat daraufhin gegen die Beklagte zu 1) Klage erhoben. Mit dem Antrag, “den Bescheid vom 8. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung für den Kläger rückwirkend vom 22. April 1999 festzustellen”, hat er vor dem Sozialgericht (SG) obsiegt (Urteil vom 16. März 2001).
Die Beklagte zu 1) hat Berufung eingelegt. Nachdem während des Berufungsverfahrens ein Wechsel in der Betreuung des Klägers stattgefunden hatte, hat das Landessozialgericht (LSG) den früheren Betreuer beigeladen. Der Beiladungsbeschluss vom 19. September 2001 enthält auch den Hinweis “Die AOK Schleswig-Holstein – Pflegekasse – wird als Beklagte zu 2) in das Rubrum aufgenommen”. Im Schreiben des LSG an die neue Betreuerin des Klägers vom selben Tag heißt es außerdem: Die Beteiligten stritten offensichtlich um die freiwillige Weiterversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung. Daher halte der Senat es für angebracht, die Pflegekasse der AOK ausdrücklich als Beklagte zu 2) in das Verfahren aufzunehmen.
Mit Urteil vom 6. Mai 2002 hat das LSG die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Berufungen der Beklagten seien zulässig und begründet. Sie hätten es zutreffend abgelehnt, den Kläger rückwirkend zum 22. April 1999 in die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung aufzunehmen. Rechtsgrundlage für die begehrte Weiterversicherung seien § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V und § 20 Abs 3 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI). Zwar habe der Kläger die erforderliche Vorversicherungszeit zurückgelegt, aber die Dreimonatsfrist für den Beitritt nicht eingehalten. Seine Pflichtversicherung auf Grund des Bezuges von Alg habe mit Ablauf des 21. April 1999 als demjenigen Tag geendet, mit dem die Arbeitsverwaltung die entsprechende Bewilligung aufgehoben habe. Entgegen der Auffassung des SG sei dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren. Ihm sei nämlich das Verschulden des Beigeladenen zuzurechnen. Es liege darin, dass er den Beitritt nicht rechtzeitig angezeigt habe, obwohl er auf Grund der Kontoauszüge spätestens am 6. Juli 1999 von der Leistungsbeendigung durch das Arbeitsamt Kenntnis gehabt habe und ihm der Zusammenhang zwischen Alg-Bezug und Krankenversicherung bekannt gewesen sei. Der Beigeladene habe mithin die Beitrittserklärung bis zum Fristablauf am 21. Juli 1998 abgeben können. Die Beklagten könnten sich auch auf den Fristablauf berufen. Sie seien nicht verpflichtet gewesen, den Kläger oder den Beigeladenen auf das Beitrittsrecht hinzuweisen.
Der Kläger hat Revision eingelegt: Ihm sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 6. Mai 2002 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 16. März 2001 zurückzuweisen.
Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen übereinstimmend,
die Revision zurückzuweisen.
Nach den Feststellungen des LSG habe der Beigeladene innerhalb der Dreimonatsfrist (spätestens am 6. Juli 1999) Kenntnis vom Ende der Krankenversicherung erlangt. Er habe daher bei Anwendung der ihm als Berufsbetreuer zumutbaren Sorgfalt die Beitrittsfrist einhalten können. Auch habe er unter Nachweis seiner Bestellung zum Betreuer beim Arbeitsamt darauf hinwirken müssen, dass etwaige Bescheide ihm selbst bekannt gegeben oder zumindest in Abschrift übersandt werden. Eine Verletzung von Beratungspflichten liege nicht vor.
Der Beigeladene beantragt,
das Urteil des LSG vom 6. Mai 2002 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 16. März 2001 zurückzuweisen.
Die Beklagte habe es zu Unrecht abgelehnt, dem Kläger im Wege der Wiedereinsetzung das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung einzuräumen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg.
1. Die Revision erweist sich als begründet, soweit das LSG das erstinstanzliche Urteil auch auf die Berufung der im Verfahren vor dem SG nicht beteiligten Beklagten zu 2) aufgehoben hat. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, dass das jedenfalls durch entsprechende Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2001 eingelegte Rechtsmittel der Berufung mangels einer belastenden Vorentscheidung des SG nicht statthaft war (vgl Bernsdorff in Hennig, Komm zum SGG, Stand: April 1996, § 143 RdNr 20 und Vorbem zu §§ 143 – 178 RdNr 23). Der Kläger hat Klage ausdrücklich nur gegen die Beklagte zu 1) erhoben und seinen Antrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG auch nicht erweitert. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass sein für die Bestimmung des Streitgegenstandes maßgebliches Begehren (§ 123 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) idF des Antrags nur unvollständig Ausdruck gefunden haben könnte. Nur die Beklagte zu 1) hatte unter der Bezeichnung “AOK Schleswig-Holstein – Die Gesundheitskasse” jeweils nur im eigenen Namen die angegriffenen Bescheide vom 8. September 1999, 21. September 1999 und 20. März 2000 erlassen. Soweit sie dabei im Bescheid vom 21. September 1999 und im Widerspruchsbescheid vom 20. März 2000 am Rande auch die Frage einer Mitgliedschaft in der Pflegeversicherung angesprochen hat, sind hierin Entscheidungen der dafür allein zuständigen Pflegekasse nicht zu sehen. Bei dieser handelt es sich trotz Organidentität (§ 46 Abs 2 Satz 2 SGB XI) um eine vom Träger der Krankenversicherung zu unterscheidende eigenständige rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 46 Abs 2 Satz 1 SGB XI). Die Beklagte zu 2) ist weder selbst tätig geworden noch verlautbarten die genannten Entscheidungen der Beklagten zu 1) hinreichend deutlich den Willen, gleichzeitig auch im Namen der Beklagten zu 2) zu handeln. Das SG hat daher zutreffend eine gegen die später vom LSG eingeführte Beklagte zu 2) gerichtete Entscheidung nicht erlassen. Hieran hat sich durch die vom LSG vorgenommene Erweiterung des Rubrums auf der Beklagtenseite (um die Beklagte zu 2) nichts geändert. Eine zusätzliche Klage gegen die Beklagte zu 2) ist in zweiter Instanz weder erhoben worden noch hat das LSG hierüber eine Entscheidung getroffen, wofür es auch sachlich nicht zuständig gewesen wäre (§ 8 SGG).
2. Unbegründet ist die Revision des Klägers hinsichtlich der Aufnahme in die Pflegeversicherung. Im Ergebnis zutreffend hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben, soweit dieses die Beklagte zu 1) verpflichtet hat, den Kläger rückwirkend zum 22. April 1999 auch in die “freiwillige Pflegeversicherung” aufzunehmen. Sowohl die Anfechtungs- als auch die hiermit verbundene Verpflichtungsklage sind insofern unzulässig (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Die Beklagte zu 1) hat nämlich auch im eigenen Namen einen Verwaltungsakt über eine Mitgliedschaft des Klägers in der Pflegeversicherung nicht erlassen und die Feststellung ihres Bestehens nicht abgelehnt; sie wäre hierfür auch nicht zuständig gewesen. Soweit sie die Pflegeversicherung angesprochen hat, handelt es sich vielmehr erkennbar nur um schlussfolgernde Anmerkungen zu dem aus der Sicht der Beklagten zu 1) fehlenden Beitrittsrecht zur Krankenversicherung, die mit den einschlägigen Normen allein den Gegenstand der Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden bilden. Im Übrigen wäre Folge eines wirksamen Beitritts zur Krankenversicherung entgegen der Auffassung des LSG nicht etwa eine gleichfalls freiwillige Mitgliedschaft in der Pflegeversicherung, sondern eine Pflichtversicherung in diesem Versicherungszweig (§ 20 Abs 3 SGB XI).
3. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG als begründet. Die bisher getroffenen Feststellungen reichen für eine abschließende Beurteilung des Beitrittsrechts zur Krankenversicherung nicht aus.
Nach § 9 Abs 1 Nr 1 SGB V können der Versicherung Personen beitreten, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens zwölf Monate versichert waren; Zeiten der Mitgliedschaft nach § 189 SGB V werden dabei nicht berücksichtigt. Der Beitritt ist der Kasse in derartigen Fällen innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft anzuzeigen (§ 9 Abs 2 Nr 1 SGB V). Die hiernach erforderliche Vorversicherungszeit hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG zurückgelegt. Indes hat sich das LSG hinsichtlich der weiteren Frage, ob die Frist für den Eingang der Beitrittsanzeige bei der Beklagten zu 1) gewahrt ist, in Übereinstimmung mit den angegriffenen Entscheidungen der Beklagten zu 1) und dem Urteil des SG zu Unrecht darauf beschränkt, Fragen der Wiedereinsetzung (§ 27 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫) zu erörtern. Vorrangig zu klären ist die Frage, wann der Dreimonatszeitraum des § 9 Abs 2 Nr 1 SGB V zu laufen begonnen hat. Maßgeblich hierfür ist das Ende der durch den Alg-Bezug begründeten Pflichtmitgliedschaft.
Nach § 5 Abs 1 Nr 2 Halbsatz 1 SGB V sind Personen versicherungspflichtig in der Zeit, für die sie Alg beziehen; nach Halbsatz 2 gilt dies auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Die Mitgliedschaft der Bezieher von Alg beginnt mit dem Tag, von dem an die Leistung bezogen wird (§ 186 Abs 2a SGB V) und endet mit Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung bezogen wird (§ 190 Abs 12 SGB V). Unter dem “Bezug” von Leistungen im Sinne der genannten Bestimmungen ist zunächst der tatsächliche – auch rechtswidrige – Bezug von Alg zu verstehen. Dabei machen allerdings § 5 Abs 1 Nr 2 Halbsatz 1 SGB V und § 190 Abs 12 SGB V (dieser in wörtlicher Übereinstimmung mit der Vorgängerregelung in § 155 Abs 3 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes ≪AFG≫) deutlich, dass Beginn und Ende des Versicherungsverhältnisses nicht durch den Zahlungszeitpunkt, sondern durch die von der Arbeitsverwaltung getroffene Bestimmung über den Bewilligungszeitraum (“für”) bestimmt werden. Eigenständig und alternativ gleichwertig liegt ein Krankenversicherungsschutz begründender “Bezug” von Alg aber auch in dem Zeitraum vor, für den es durch besonderen Verwaltungsakt zuerkannt worden ist. Mit dem Erlass eines derartigen Verwaltungsakts steht für den gesamten Bewilligungszeitraum gleichzeitig fest, dass auch die Krankenversicherung der Arbeitslosen besteht (vgl zum Recht des AFG bereits BSG SozR 4100 § 159 Nr 5 S 11). Auf die Erfüllung hierdurch anerkannter Ansprüche und im Zusammenhang mit ihr getroffene Bestimmungen kommt es in derartigen Fällen nicht mehr zusätzlich an. Andernfalls hinge der Versicherungsschutz von der bloßen Zufälligkeit ab, ob die Arbeitsverwaltung ihren bindend anerkannten Verpflichtungen nachkommt (BSG, aaO S 10). Ebenso wenig ist in derartigen Fällen von Belang, ob die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des Alg-Bezugs tatsächlich vorlagen (so ausdrücklich BSG aaO S 11).
Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger Alg tatsächlich nur für die Zeit vom 16. Oktober 1998 bis einschließlich 21. April 1999 bezogen. Darüber hinaus lässt sich der weiteren Feststellung, das Arbeitsamt habe die “Bewilligung” von Alg mit Bescheid vom 19. April 1999 aufgehoben, entnehmen, dass auch der ursprünglichen Gewährung ein Verwaltungsakt zu Grunde gelegen hat. Dieser kommt als hinreichende Grundlage einer Mitgliedschaft auf Grund des “Bezuges” von Alg auch für Zeiträume nach dem 21. April 1999 in Betracht, sodass auch die Frist des § 9 Abs 2 Nr 1 SGB V erst nach dem 22. April 1999 zu laufen begonnen haben kann. Indes fehlen im Berufungsurteil Feststellungen zum Inhalt einer entsprechenden Regelung (§ 31 Satz 1 SGB X) und insbesondere dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens gegenüber dem Kläger (§ 39 Abs 1 SGB X), die das LSG nunmehr nachzuholen hat. Geht man insofern davon aus, dass der entsprechende Verwaltungsakt im Bewilligungsbescheid des Arbeitsamts vom 10. November 1998 verkörpert ist, der sich in Ablichtung teilweise in der Gerichtsakte findet, ergäbe sich hieraus beginnend mit dem 16. Oktober 1998 eine zuerkannte Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen. Sollte sich nach dem Ergebnis der noch durchzuführenden Ermittlungen die Bekanntgabe der allein begünstigenden Bewilligung unmittelbar an den Kläger als Adressaten des Bescheides vom 10. November 1998 mangels Handlungsfähigkeit als unwirksam erweisen, kommt insofern eine Genehmigung durch den Pfleger als gesetzlichen Vertreter in Betracht (vgl BVerwG in NVwZ 1985, 281 = DVBl 1985, 244). Eine derartige Genehmigung könnte auch nachträglich erfolgen.
Der durch Verwaltungsakt begründete Alg-Anspruch erledigt sich grundsätzlich erst mit dem Ende des Bewilligungszeitraums durch Zeitablauf (§ 39 Abs 2 SGB X). Ein früherer Zeitpunkt kommt hier nur in Betracht, wenn ein weiterer Verwaltungsakt die getroffene Regelung aufhebt. Soweit der Bescheid des Arbeitsamts vom 19. April 1999 eine derartige Aufhebung der Bewilligung enthält, lassen die bisherigen Feststellungen des LSG offen, ob und wann dieser Bescheid ordnungsgemäß bekannt gegeben und damit wirksam wurde (§ 39 Abs 1 Satz 1 SGB X). Insofern drängen sich auf Grund der Aktenlage Zweifel auf, denen das Berufungsgericht nachzugehen haben wird.
Soweit ersichtlich, hat das Arbeitsamt den Aufhebungsbescheid vom 19. April 1999 wie alle vorangegangenen Mitteilungen allein an den Kläger selbst übersandt. Das Berufungsgericht hat bereits nicht festgestellt, dass und gegebenenfalls wann der Kläger in den Besitz dieses Bescheides gelangt ist. Die Fiktion des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB X scheitert bisher daran, dass der Tag der Aufgabe zur Post nicht zweifelsfrei dokumentiert ist. Auf dem in den Akten der Arbeitsverwaltung verbliebenen Entwurf findet sich zwar eine ebenfalls mit dem 19. April 1999 datierte Paraphe, doch ergibt sich mangels näherer Erläuterung nicht, was hierdurch bezeugt werden soll. Selbst wenn der Kläger im Übrigen den Bescheid vom 19. April 1999 tatsächlich erhalten hat, ergibt sich hieraus noch keine rechtlich wirksame Bekanntgabe. Es liegen nämlich Hinweise auf eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers vor, sodass er möglicherweise im Zeitpunkt der Bekanntgabe nicht handlungsfähig iS des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB X war (vgl zur Identität des verwaltungsverfahrensrechtlichen Begriffs der Handlungsunfähigkeit und des bürgerlich-rechtlichen Begriffs der Geschäftsunfähigkeit etwa VGH Baden-Württemberg in NVwZ-RR 1991, 493 = VBlBW 1991, 65) und daher die Arbeitsverwaltung ihm gegenüber ohne Einschaltung des gesetzlichen Vertreters ein Verwaltungsverfahren nicht durchführen durfte (vgl BVerwG in NVwZ 1985, 281 = DVBl 1985, 244). Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 131 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wäre damit eine Bekanntgabe an ihn selbst auch im Anwendungsbereich des SGB X unwirksam (vgl BSGE 80, 283 = SozR 3-1300 § 50 Nr 19; BSGE 3, 192, 194 f; vgl auch BVerwG aaO und die Nachweise bei Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl, § 41 RdNr 26).
Nach einem Vermerk vom 14. Oktober 1998 in den Akten des Arbeitsamts war diesem – entgegen späteren Bekundungen – bekannt, dass für den Kläger ein Betreuer bestellt war. Der Vermerk lautet: “Arbeitslosmeldung am 14.10.98 erfolgte nicht durch Herrn S.… persönlich, sondern durch seinen gesetzl. bestimmten Betreuer, da Herr S.… sich in stationärer Behandlung befindet und er nicht in der Lage ist selbst das AA aufzusuchen. Klärung § 125 SGB III folgt. AG veranlasst.” Dieser Vermerk legt nahe zu prüfen, ob der Kläger gegenüber dem Arbeitsamt als durch seinen Betreuer vertreten anzusehen ist. Dann würde er nach § 11 Abs 3 SGB X iVm § 53 Zivilprozessordnung einem Geschäftsunfähigen gleichstehen.
Dafür, dass der Kläger über diese Gleichstellung hinaus sogar tatsächlich auch geschäftsunfähig gewesen ist, sprechen die ärztlichen Befunde aus der Betreuungsakte. So vermerkt insbesondere das unter dem 9. Dezember 1999 für das Amtsgericht erstellte Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. J.… ausdrücklich, dass der Kläger “krankheitsbedingt zur Regelung seiner Angelegenheiten nicht in der Lage ist” und “Der Rehabilitationsweg zu weiterer Stabilisierung und Erarbeitung weiterer Kompetenzen viele Jahre in Anspruch nehmen wird, sodass das empfohlene Betreuungsverhältnis vor Ablauf der gesetzlichen Höchstfrist keiner Überprüfung bedarf, sofern keine Besonderheiten auftreten”. Diese Beschreibung entspricht im Wesentlichen dem gefestigten Verständnis der Geschäftsunfähigkeit als einer auf Dauer angelegten krankhaften Störung der Geistestätigkeit, die es dem Betroffenen unmöglich macht, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (vgl § 104 Nr 2 BGB und Heinrichs in Palandt, Komm zum BGB, 62. Aufl, § 104 RdNr 5 mwN). Der bei einer derartigen Sachlage gebotene Schutz des Betroffenen ist verfassungsrechtlich insbesondere durch Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 1 Grundgesetz geboten und als fundamentales Wertungsprinzip innerhalb der Rechtsordnung durchgehend und unteilbar gewährleistet (vgl BSGE 82, 283 = SozR 3-5420 § 24 Nr 1).
Die bloße Nichterfüllung ihrer durch Verwaltungsakt begründeten und fortbestehenden Verpflichtungen durch die Arbeitsverwaltung ist dagegen nicht ihrerseits als Verwaltungsakt anzusehen (vgl BSG Urteil vom 16. Dezember 1997, 4 RA 7/97, juris-Nr KSRE068720215). Ebenso wenig hat die vom LSG festgestellte bloße Kenntnis von der faktischen “Leistungsbeendigung” bzw “Zahlungseinstellung” dem Beigeladenen eine ausreichende Kenntnis von einem aufhebenden Verwaltungsakt vermittelt. Schließlich ist in einer solchen Kenntnisnahme von der Zahlungseinstellung auch keine Genehmigung einer mangels Geschäftsfähigkeit unwirksamen Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides vom 19. April 1999 an den Kläger (BVerwG in NVwZ 1985, 281 = DVBl 1985, 244) zu sehen, weil sie dessen Interesse ersichtlich nicht entsprochen hat.
Zur Frage einer “allgemeinen Beratungspflicht über die Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung”, deretwegen das LSG die Revision zugelassen hat, Stellung zu nehmen, besteht beim derzeitigen Stand des Verfahrens kein Anlass.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Berufungsgerichts vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 959938 |
GuS 2003, 59 |