Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Kindergeld für die Zeit von November 1976 bis März 1980 nachzuzahlen hat.
Aus der Ehe der Klägerin mit dem am 15. Oktober 1976 verstorbenen Bundesbahnarbeiter H… R… sind die 1973 und 1976 geborenen Kinder K… und A… hervorgegangen. Das Kindergeld für diese Kinder hatte die Beigeladene bis zum Tode des Ehemannes der Klägerin an diesen gezahlt und danach die Zahlung formlos eingestellt.
Nach dem Tode ihres Ehemannes bzw. Vaters zahlt die Bundesbahnversicherungsanstalt der Klägerin Witwenrente und den Kindern Halbwaisenrente aus der Arbeiterrentenversicherung.
Im Oktober 1980 bat die Klägerin die Bundesbahnversicherungsanstalt um Auskunft, ob in der Rente Kindergeld enthalten sei. Auf einen entsprechenden Hinweis beantragte die Klägerin im November 1980 bei der Beklagten die rückwirkende Gewährung des Kindergeldes ab November 1976. Mit Bescheid vom 29. Januar 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1981 gewährte die Beklagte der Klägerin Kindergeld ab April 1980. Die Zahlung für die Zeit zwischen November 1976 und März 1980 lehnte sie mit der Begründung ab, sie habe der Klägerin das Kindergeld nicht aufgrund des von ihrem Ehemann bei der Beigeladenen gestellten Antrages weiterzahlen müssen. Der von der Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Anfrage bei der Bundesbahnversicherungsanstalt im Oktober 1980 gestellte Antrag rechtfertige die rückwirkende Gewährung des Kindergeldes nur ab April 1980.
Das Sozialgericht (SG) Würzburg hat mit Urteil vom 25. März 1982 die Klage abgewiesen. Mit Urteil vom 27. Juni 1984 hat das Bayeri-sche Landessozialgericht (LSG) die zugelassene Berufung zurückgewiesen. Da die Eltern R… gemäß § 3 Abs. 3 des Bundeskindergeld-gesetzes (BKGG) den Vater zum Berechtigten bestimmt hätten, sei dieser bis zu seinem Tode allein anspruchsberechtigt gewesen. Der von ihm gestellte Kindergeldantrag habe mit seinem Tode seine Wirkung verloren. Da die Klägerin ihren Antrag erst im November 1980 gestellt habe, stehe ihr das Kindergeld auch nur indem von der Beklagten gewährten Umfange zu. Für die streitige Zeit komme die Gewährung des Kindergeldes auch nicht im Wege des Herstellungsanspruches in Betracht. Die Beklagte habe ihre Beratungspflicht schon mangels einer Anfrage der Klägerin nicht verletzt. Die Beigeladene sei nicht in das Kindergeldverfahren der Beklagten eingebun-den und daher auch nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin auf die Notwendigkeit der Stellung eines neuen Antrages hinzuweisen.
Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision in erster Linie geltend, die Beklagte habe nach dem Tode des von den Eltern zum Anspruchsberechtigten bestimmten Vaters das Kindergeld von Amts wegen ab November 1976 an die Klägerin weiterzahlen müssen. Zumindest sei ihr Leistungsbegehren aber als Herstellungsanspruch begründet; das die Leistungspflicht der Beklagten begründende Fehlverhalten der Beigeladenen liege darin, daß sie die Klägerin nicht entsprechend belehrt habe.
Die Klägerin beantragt, die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1984 und des Sozialgerichts Würzburg vom 25. März 1932 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16. Februar 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 30. März 1981 zu verurteilen, der Klägerin für die Kinder K… und A… rückwirkend Kindergeld für die Zeit von November 1976 bis März 1980 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Beklagte hat der Klägerin das Kindergeld auch für die streitige Zeit nachzuzahlen.
Das LSG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte der Klägerin das Kindergeld nicht aufgrund des für die Kindergeldzah-lung für die Zeit bis Oktober 1976 maßgeblich gewesenen Antrages ihres Ehemannes nachzuzahlen hat.
Zu Lebzeiten des Ehemannes der Klägerin erfüllten beide Eltern R… die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld. Gemäß § 3 Abs. 3 BKGG hatten sie den Vater zum Berechtigten bestimmt, dem als Angehörigem des öffentlichen Dienstes i.S. des § 45 Abs. 1 Nr. 3 BKGG das Kindergeld von der Beigeladenen als der zuständigen Stelle gezahlt wurde. Das LSG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß die konkurrierende Anspruchsberechtigung der Klägerin mit der Bestimmung des Ehemannes R… zum (alleinigen) Berechtigten nicht nur ruhte, sondern erloschen war. Dementsprechend verlor der von H… R… bei der Beigeladenen gestellte Kindergeldantrag auch seine Wirkung mit Ablauf des Todesmonats.
Der 7. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (Urteil vom 27. April 1962 - 7 RKg 12/61 -, BSGE 17, 48, 49) hat bereits entschieden, daß der Antrag des Ehemannes nicht als schon für den Fall gestellt angesehen werden könne, daß seine Ehefrau nach seinem Tode einmal bezugsberechtigt sein werde. An dieser Rechtsprechung hält auch der erkennende Senat fest. Darüber hinaus hat der 7. Senat (aaO) aber auch entschieden, daß die Berufung auf die Versäumung der Antragsfrist im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalles und wegen der in wirtschaftlicher Hinsicht bestehenden Fortsetzung des Kindergeldanspruches jedenfalls dann unbillig sei, wenn der Ehemann bis zu seinem Tode Kindergeld bezogen hatte und der Anspruch für dieselben Kinder sich gegen dieselbe Familienausgleichskasse richtete. Mit dieser Entscheidung hat der 7. Senat den aus § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) hergeleiteten und auch für das Sozialversicherungsrecht allgemein anerkannten Grundsatz (BSG, Urteil vom 1. Februar 1979 - 12 RK 33/77 -, BSGE 48, 12 = SozR 2200 § 1227 Nr. 23 m.w.N.) auf die Antragsfrist im Kindergeldrecht erstreckt, daß die Berufung des Leistungsträgers auf eine gesetzliche Ausschlußfrist jedenfalls dann rechtsmißbräuchlich ist, wenn die versäumte Frist für den Leistungsträger von geringer Bedeutung ist und ganz erhebliche, langfristig wirksame Interessen des Berechtigten auf dem Spiel stehen. Diese Auffassung wird vom erkennenden Senat geteilt. Die Beklagte nutzt hier aber nicht eine ihr formal zustehende Rechtsposition rechtsmißbräuchlich aus. Denn es handelt sich weder um eine Angelegenheit mit nur geringer Bedeutung für den Leistungsträger, noch stehen bei dem sich nur auf eine zurückliegende Zeit erstreckenden Nachzahlungsbegehren der Klägerin deren langfristige Interessen auf dem Spiel.
Der Klägerin steht das geltend gemachte Kindergeld aber nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu. Wie das LSG zutreffend entschieden hat, ist dieser Anspruch zwar nicht bereits wegen einer unrichtigen oder unterbliebenen Beratung durch die Beklagte gegeben. Denn nach den unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Klägerin sich wegen ihres Kinder-geldanspruches an die Beklagte erstmals mit der Antragstellung im November 1980 gewandt.
Der Anspruch besteht aber, weil die Beigeladene, die an dem Verfahren zur Gewährung des Kindergeldes beteiligt war, ihre sich daraus ergebende Beratungspflicht verletzt hat und die Unterlassung der Antragstellung durch die Klägerin hierauf auch beruht.
Wie der 12. Senat des BSG bereits entschieden hat (Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 34/80 - BSGE 51, 89 m.w.N.), kann ein Herstellungsanspruch gegen die zur Entscheidung berufene Behörde auch dann gegeben sein, wenn die unzureichende Beratung, die zu Nachteilen für den Berechtigten geführt hat, einer anderen Behörde zuzurechnen ist, die vom Gesetzgeber "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist (BSG aaO S. 95 f). Ebenso hat der 11. Senat des BSG (Urteil vom 13. Dezember 1984 - 11 RA 68183 -, zur Veröffentli-chung bestimmt) entschieden, daß der Herstellungsanspruch in Betracht kommt, wenn eine "in den Verwaltungsablauf eingeschaltete an-dere Behörde" Beratungspflichten verletzt hat. Dieser Grundsatz gilt auch hier.
Ursprünglich waren beide Elternteile gleichrangig berechtigt. Die Eltern hatten durch die der Beklagten gegenüber abgegebene Erklärung gemäß § 3 Abs. 3 BKGG den Ehemann der Klägerin zum Berechtigten bestimmt. Damit war der Beigeladenen nicht aus ihrer Eigenschaft als im arbeits- oder dienstrechtlichen Sinne fürsorgepflichtiger Arbeitgeber, sondern aus ihrer Funktion als der nach § 45 BKGG für die Durchführung des BKGG zuständigen Stelle die in § 14 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) geregelte individuelle Bera-tungspflicht erwachsen. Diese hatte die Verpflichtung der Beigeladenen zum Inhalt, jedenfalls dann, wenn der von den Eltern zum Anspruchsberechtigten bestimmte Elternteil durch Tod weggefallen ist und die Anspruchsvoraussetzungen i.S. des § 2 BKGG unverändert geblieben sind, den anderen Elternteil darauf hinzuweisen, daß sowohl die Berechtigtenbestimmung gemäß § 3 Abs. 3 BKGG als auch der Antrag des zum Berechtigten bestimmten Elternteils (§ 17 BKGG) ihre Wirkung verloren haben und daß der andere Elternteil zur Wahr-nehmung seiner Rechte nunmehr einen neuen Antrag bei dem zuständigen Leistungsträger zu stellen hat. Denn für Laien sind sowohl das Konkurrenzverhältnis zwischen der Hinterbliebenenrente und dem Kindergeld als auch die genauen Rechtswirkungen der Bestimmung des Bezugsberechtigten und insbesondere die Rechtsfolgen des Wegfalles des zum Bezugsberechtigten bestimmten Elternteils nicht ohne weiteres erkennbar. In Fällen dieser Art muß der bisherige Leistungsträger den anderen, jetzt anspruchsberechtigten Elternteil zwar nicht im einzelnen über die Antragstellung belehren. Gerade weil der wegen des Wegfalls des zum Berechtigten bestimmten Elternteils gestellte Antrag i.S. des § 17 BKGG auch bei ununterbrochen fortbestehenden Leistungsvoraussetzungen i.S. des § 2 BKGG nicht über den Tod des Antragstellers hinaus wirkte, hat der bisherige Leistungsträger aber die sich aus seiner Fürsorge- und Beratungspflicht ergebende Nebenpflicht, zugleich mit der Mitteilung des Wegfalles des Kindergeldes darauf hinzuweisen, daß der Kindergeldanspruch nunmehr neben der Witwen- und Waisenrente gegeben sein kann und daß dazu ein Antrag bei dem zuständigen Arbeitsamt zu stellen ist. Nur durch eine derart umfassende Information ist gewährleistet, daß nach dem Wegfall des bisherigen Kindergeldberechtigten der nunmehr Kinder-geldberechtigte über die sich aus der Änderung der Sach- und Rechtslage ergebenden Rechtsfolgen hinreichend unterrichtet wird (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 28. Februar 1984 - 12 RK 31/82 - (SozR 1200 § 14 Nr. 16 m.w.N.).
Obwohl die Beklagte eine ihr obliegende Beratungs- und Betreuungspflicht nicht verletzt hat muß sie für die unterlassene Beratung durch die Beigeladene einstehen, weil diese in das Kindergeld-Antrags- und Feststellungsverfahren einbezogen ist und der Zuständigkeitswech-sel beim Tode des Berechtigten sich nicht zum Nachteil des nunmehr Berechtigten auswirken darf.
Nach den auch für die Entscheidung hierüber hinreichenden tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Beigeladene die Klägerin nicht darauf hingewiesen, daß ihr nach dem Tode ihres kindergeldbzugsberechtigten Ehemannes nunmehr das Kindergeld zustehen konnte und an welche Stelle sie sich deshalb zu wenden hatte. Nach den Feststellungen des LSG ist auch davon auszugehen, daß die unterbliebene Beratung kausal für die Unterlassung der Antragstellung war. Damit ist der streitige Kindergeldanspruch der Klägerin, dem auch sonstige Leistungshindernisse nicht entgegenstehen, gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.10 RKg 18/84
Bundessozialgericht
Fundstellen