Verfahrensgang
Tenor
1. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 23. Januar 2007 – 13 Sa 954/06 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Damit wird der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Mai 2007 – 5 AZN 234/07 – gegenstandslos. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht Köln zurückverwiesen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen ein Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts Köln und einen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts über eine Nichtzulassungsbeschwerde. Im Ausgangsverfahren geht es darum, ob dem Beschwerdeführer im Ergebnis keine Möglichkeit offen stand, seine Ansprüche auf Annahmeverzugslohn in zumutbarer Weise gerichtlich geltend zu machen.
1. Der Beschwerdeführer führte mit seiner Arbeitgeberin (im Folgenden: Beklagte) einen Rechtsstreit über den Abschluss eines Arbeitsvertrags im Anschluss an eine Berufsausbildung. In diesem wurde die Beklagte verurteilt, an den Beschwerdeführer ein Angebot abzugeben, ihn ab dem 7. Juli 2004 befristet für zwölf Monate in ein Vollzeitarbeitsverhältnis gemäß § 15 des Tarifvertrags Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung zu übernehmen.
2. Da sich die Verurteilung der Beklagten zur Angebotserklärung auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezog, konnte der Beschwerdeführer in diesem Arbeitsverhältnis von vornherein nicht mehr tätig werden. Er verlangte deshalb von der Beklagten die Zahlung von Vergütung aufgrund dieses Arbeitsverhältnisses unter den Gesichtspunkten des Annahmeverzugs und des Schadensersatzes. Die von ihm errechneten Ansprüche machte er mit Schreiben vom 25. Oktober 2005 gegenüber der Beklagten schriftlich geltend. Nachdem die Beklagte die Zahlung abgelehnt hatte, reichte der Beschwerdeführer am 28. Dezember 2005 Klage beim Arbeitsgericht ein. Das Arbeitsgericht gab ihr überwiegend statt. Mit dem hier angegriffenen Urteil änderte das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil ab und wies die Klage ab. Der Anspruch sei gemäß § 31 des bei der Beklagten geltenden Manteltarifvertrags (MTV T.) verfallen.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen lauten:
(1) Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.
Bei regelmäßig wiederkehrenden Leistungen bedarf es keiner erneuten schriftlichen Geltendmachung, sofern der nicht oder unzutreffend erfüllte Anspruch auf dem selben Fehler beruht. Nach Ablauf der vorstehenden Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen.
(…)
(4) Werden die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis trotz Geltendmachung durch Bestreiten in Schriftform nicht erfüllt oder nur teilweise erfüllt, ist innerhalb einer Frist von zwei Monaten Klage zu erheben. Wird keine Klage erhoben, verfallen die Ansprüche.
Protokollnotiz zu Absatz 1:
Bis zum 30. Juni 2005 gilt eine abweichende Ausschlussfrist von zwölf Monaten.
Die streitgegenständlichen Ansprüche seien nicht erst mit Annahme des Vertragsangebots der Beklagten, also am 25. Oktober 2005, fällig geworden, sondern bereits zum Monatsende des jeweiligen Monats. Deshalb sei die schriftliche Geltendmachung vom 25. Oktober 2005 für sämtliche Vergütungsansprüche verspätet gewesen.
Der Beschwerdeführer habe die zweite Stufe der Ausschlussfrist aus § 31 Abs. 4 MTV T. nicht gewahrt, die eine gerichtliche Geltendmachung erfordert hätte. Das zur Auslösung des Laufs der zweiten Stufe der Frist erforderliche gegnerische „Bestreiten in Schriftform” liege hier in dem Schriftsatz der Beklagten aus dem Vorprozess, der den Klageabweisungsantrag beinhaltet habe und aus dem zweiten Halbjahr 2004 stamme. Ebenso wie ein Klageabweisungsantrag in einem Kündigungsschutzprozess habe auch hier der Antrag auf Abweisung der auf die Begründung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Klage die Ablehnung damit verknüpfter Ansprüche enthalten. Da die auf der zweiten Stufe zu beachtende zweimonatige Klagefrist also spätestens Ende 2004 begonnen habe und die vorliegende Klage erst am 28. Dezember 2005 beim Arbeitsgericht eingegangen sei, sei die Frist durch diese Klage nicht eingehalten worden. Auch die im Vorprozess erstmals vor dem Landesarbeitsgericht am 26. April 2005 hilfsweise erhobene Vergütungsklage sei verspätet, so dass es nicht darauf ankomme, ob diese eine gerichtliche Geltendmachung im Sinne der Verfallfrist gewesen wäre.
3. Die gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gerichtete, auf Divergenz und Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Bundesarbeitsgericht mit dem hier ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 9. Mai 2007 als unzulässig.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
Dazu gehöre, nicht durch Kostenbarrieren von der Verfolgung berechtigter Interessen und geschützter Positionen auf dem Rechtsweg abgehalten zu werden oder zu deren Durchsetzung aussichtslose und zugleich kostenträchtige Gerichtsverfahren führen zu müssen. Hiergegen verstoße das Landesarbeitsgericht. Denn nach dessen Argumentation habe seine Klageerhebung zu einem Zeitpunkt erfolgen müssen, zu dem weder die Zahlungsansprüche für Februar bis Juli 2005 fällig gewesen seien noch das zur Begründung der Ansprüche erforderliche Vertragsverhältnis tatsächlich zustande gekommen sei. Der Streitwert einer solchen Klage sei gegenüber der Klage auf Abschluss eines Arbeitsvertrags deutlich höher gewesen, da sich der Streitwert um zwölf Monatsgehälter erhöht habe und damit circa 20.000 EUR betragen hätte. Eine solche Klage sei aber von vornherein aussichtslos gewesen und wäre auf seine Kosten abgewiesen worden. Denn entweder hätten die Ansprüche mangels Fälligkeit nicht ausgeurteilt werden können oder als Klage auf zukünftige Leistung hätte das fehlende Vertragsverhältnis entgegen gestanden. Ihm habe daher keine effektive Möglichkeit zur Verfügung gestanden, seine Ansprüche durchzusetzen. Sachliche Gründe für diese Konsequenz habe das Landesarbeitsgericht nicht genannt.
Die Bundesregierung, das Bundesministerium der Justiz, die Landesregierung Nordrhein-Westfalen und die Beklagte des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
III.
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen vor, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts richtet. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen, weil ihre Annahme zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der angegriffene Beschluss des Bundesarbeitsgerichts wird damit gegenstandslos.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. zum effektiven Rechtsschutz im Zivilprozess: BVerfGE 85, 337 ≪345≫; 88, 118; 97, 169 ≪185≫; BVerfGK 6, 206 ≪209 f.≫; vgl. zur Beeinträchtigung des effektiven Rechtsschutzes durch Verfahrenskosten: BVerfGE 11, 139 ≪143≫; 50, 217 ≪231≫; 54, 39 ≪41≫; 85, 337 ≪347≫; zu Ausschlussfristen: BVerfGK 4, 137 ≪141≫) bereits entschieden.
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.
Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes, das in zivilrechtlichen Streitigkeiten durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verbürgt wird. Das Landesarbeitsgericht hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob im vorliegenden Fall die Ausschlussfrist unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes in der von ihm vertretenen Art und Weise ausgelegt und angewandt werden durfte, und ob das von ihm erzielte Ergebnis in Ansehung des Grundrechts des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz vertretbar war. Es hat grundlegend Inhalt und Umfang des Grundrechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verkannt, indem es dem Beschwerdeführer eine übersteigerte Obliegenheit zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche auf Annahmeverzugslohn auferlegte.
a) Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistet den Parteien im Zivilprozess effektiven Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 88, 118 ≪123≫). Danach darf den Prozessparteien der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪274 f.≫; 78, 88 ≪99≫; 88, 118 ≪124≫).
Auch die Festsetzung der Verfahrenskosten darf daher nicht in einer Weise erfolgen, die dem Betroffenen die Anrufung des Gerichts praktisch unmöglich macht (vgl. BVerfGE 11, 139 ≪143≫; 54, 39 ≪41≫). Eine derartige rechtsschutzhemmende Wirkung liegt aber nicht nur vor, wenn das Kostenrisiko die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen übersteigt. Vielmehr wird die Beschreitung des Rechtswegs oder die Ausschöpfung prozessualer Möglichkeiten auch dann faktisch vereitelt, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht, so dass die Inanspruchnahme der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint (vgl. BVerfGE 85, 337 ≪347≫).
Der Gesetzgeber erkennt durch § 4 Abs. 1 KSchG und § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG an, dass dem Bürger der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht durch Kostenbarrieren abgeschnitten werden darf, indem sie den Streitwert bei Bestandsschutzstreitigkeiten auf drei Monatsgehälter begrenzen und den Arbeitnehmer lediglich dazu zwingen, die Bestandsschutzstreitigkeit binnen drei Wochen rechtshängig zu machen, nicht aber die mit ihr im Zusammenhang stehenden Entgeltansprüche (so auch BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – 1 AZR 96/06 –, NZA 2007, S. 453 ≪456 f.≫). Dies ist Teil einer vom Gesetzgeber seit jeher verfolgten Gesamtkonzeption, dem Arbeitnehmer insbesondere beim Streit über den (Fort-)Bestand seines Arbeitsverhältnisses den Weg zu den Gerichten für Arbeitssachen zu ebnen und nicht durch Kostenbarrieren zu versperren (BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – 1 AZR 96/06 –, NZA 2007, S. 453 ≪456 f.≫). Die Vorschriften sind damit als Ausprägungen des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG bei der Auslegung und Anwendung von Regelungen, wie der in § 31 MTV T. enthaltenen Ausschlussfrist zu berücksichtigen.
Auch der Richter muss die Tragweite des Grundrechts auf einen effektiven Rechtsschutz beachten. Er hat das Verfahrensrecht so auszulegen und anzuwenden, dass er mit diesen Grundsätzen nicht in Widerspruch gerät (vgl. BVerfGE 88, 118 ≪125≫). Diese Grundsätze kommen auch dann zur Anwendung, wenn sich aus der Auslegung und Anwendung einer materiellrechtlich wirkenden Ausschlussfrist Rückwirkungen auf die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen ergeben (BVerfGK 4, 137 ≪141≫).
b) Das angegriffene Urteil wird diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht. Das Landesarbeitsgericht hätte sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die vom Beschwerdeführer verlangte Art der Geltendmachung seiner Ansprüche auf Annahmeverzugslohn diesem möglich und zumutbar war. Dies war vorliegend nicht der Fall.
Denn dadurch, dass der Beschwerdeführer bereits bevor der Rechtsstreit über die Begründung eines Arbeitsverhältnisses abgeschlossen war, gezwungen war, seine Ansprüche auf Annahmeverzugslohn einzuklagen, erhöhte sich sein Kostenrisiko im Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses (vgl. zu Ausschlussfristen in Betriebsvereinbarungen: BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – 1 AZR 96/06 –, NZA 2007, S. 453 ≪456 f.≫). Jedenfalls mit Blick auf die Kostenrisiken eines Leistungsantrags oder eines unechten Hilfsantrags, die angesichts der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte bestehen, weil diese Anträge insgesamt oder zumindest mit Blick auf die Anwaltsgebühren als streitwerterhöhend angesehen werden (LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. Juli 2007 – 1 Ta 167/07 –, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. Juli 2008 – 1 Ta 123/08 –, juris; LAG Nürnberg, Beschluss vom 13. März 2008 – 6 Ta 57/08 –, juris; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. März 2008 – 17 Ta (Kost) 6027/08 –, juris), war es naheliegend der Frage nachzugehen, ob die entsprechende Obliegenheit zur Klageerhebung für den Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund zumutbar war. Vor dem Hintergrund des bei einer derartigen Antragstellung bestehenden Kostenrisikos (vgl. BAG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – 1 AZR 96/06 –, NZA 2007, S. 453 ≪456 f.≫) durfte dem Beschwerdeführer die vom Landesarbeitsgericht angenommene Obliegenheit zur Klageerhebung vor dem rechtskräftigen Abschluss des Vorprozesses jedenfalls im Ergebnis nicht auferlegt werden.
3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf der Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Unter Berücksichtigung der dargestellten verfassungsrechtlichen Vorgaben erscheint eine andere für den Beschwerdeführer günstigere Sachentscheidung möglich.
4. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 23. Januar 2007 ist zur Beseitigung des festgestellten Verfassungsverstoßes aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die weiter erhobenen Rügen noch ankommt. Der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Mai 2007 – 5 AZN 234/07 – wird damit gegenstandslos.
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Kirchhof, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 2620817 |
DB 2011, 1526 |