Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme einer prüfungsfreien Bestellung zum Steuerberater nach Übergangsrecht der DDR
Leitsatz (redaktionell)
Neben der Rechtswidrigkeit der Bestellung als Steuerberater ist für deren Rücknahme nach § 46 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 StBerG die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Begünstigten von den die Rechtswidrigkeit begründenden Umständen erforderlich. Mithin ist die Rücknahme nach dem Gesetz nur in Fällen zulässig, in denen voraussetzungsgemäß jeder Anknüpfungspunkt für verfassungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer rechtswidrig erlangten Begünstigung fehlt.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; StBerG § 46 Abs. 1 Sätze 1, 2 Alt. 1; StBerV § 15 Abs. 2
Verfahrensgang
BFH (Beschluss vom 14.11.1996; Aktenzeichen VII B 166/96) |
FG des Landes Brandenburg (Entscheidung vom 18.04.1996; Aktenzeichen 1 K 153/93) |
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Rücknahme einer durch bundesdeutsches Recht übergeleiteten prüfungsfreien Bestellung zum Steuerberater nach Übergangsrecht der ehemaligen DDR gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes – StBerG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. November 1975 (BGBl I S. 2735), in der hier maßgeblichen Fassung durch das Verbrauchssteuer-Binnenmarktgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2150) und beantragt, deren Vollziehung im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.
1. Der 1945 geborene Beschwerdeführer stammt aus den alten Bundesländern. In den Jahren 1964/65 besuchte er die Abendrealschule, 1966 nahm er an zwei Buchhaltungslehrgängen und von 1967 bis 1970 an einem Bilanzbuchhalterlehrgang bei einem Fernlehrinstitut teil. 1971 legte er die Kaufmannsgehilfenprüfung im Bereich Bürokaufmann, 1972 die Prüfung als Betriebs- und Marktwirt HWL ab. Seit 1984 war er Unternehmensberater in der Bundesrepublik Deutschland.
Mit Bescheid vom 6. September 1990 ist der Beschwerdeführer nach Verleihung der Staatsbürgerschaft der DDR vom Ministerium der Finanzen der DDR prüfungsfrei zum Steuerberater bestellt worden. Seither ist er in Potsdam als Steuerberater niedergelassen, wo er inzwischen nach eigener Angabe 13 Angestellte und mehrere Auszubildende und Praktikanten beschäftigt und zuletzt Jahresumsätze von etwa 1,6 Mio. DM erzielt hat.
2. Die Bestellung zum Steuerberater wurde von der Landesfinanzverwaltung mit Bescheid vom 13. April 1993 zurückgenommen, da die seinerzeitigen Bestellungsvoraussetzungen, insbesondere die hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens gemäß § 15 Abs. 2 der Verordnung über die Hilfeleistung in Steuersachen – Steuerberatungsordnung – der DDR vom 27. Juni 1990 (GBl DDR Nr. 1455) nicht vorgelegen hätten. Diese Umstände habe der Beschwerdeführer zumindest kennen müssen. Die hiergegen ergriffenen Rechtsmittel blieben erfolglos. Die Klage ist durch Urteil des Finanzgerichts vom 18. April 1996 abgewiesen, die Revision durch Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 14. November 1996 zurückgewiesen worden. Auch nach Ansicht des Finanzgerichts fehlten die ursprünglichen Bestellungsvoraussetzungen; Vertrauensschutz stehe dem Beschwerdeführer nicht zu, weil er die die Rechtswidrigkeit der Bestellung begründenden Umstände mindestens habe kennen müssen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und Verstöße gegen Art. 19 des Einigungsvertrages und Art. 3 Abs. 1 GG. Noch im Jahre 1991 habe die Senatsverwaltung für Finanzen in Berlin von einer Rücknahme der Bestellung abgesehen. Bei der Auslegung der ursprünglichen Bestellungsvoraussetzungen sei nicht hinreichend beachtet worden, daß das Recht der DDR nicht am Maßstab des Rechts der Bundesrepublik Deutschland ermittelt und ausgelegt werden könne, weil die Rechtspraxis von dem geschriebenen Gesetz vielfach abgewichen sei. Die Rücknahme verletze von ihm erworbenes, schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der Bestellung. Nach Art. 19 des Einigungsvertrages sei die in der DDR erlangte Position in eine wenn auch nur vorläufige Bestellung nach bundesdeutschem Recht übergeleitet worden. In die Berufsfreiheit werde unverhältnismäßig eingegriffen, weil nach § 40 a StBerG ohnehin die Verpflichtung bestehe, nach einer Übergangszeit ausreichende Kenntnisse im bundesdeutschen Steuerrecht nachzuweisen.
2. Am 18. Januar 1997 beantragte der Beschwerdeführer den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, um die Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu erreichen. Ihm drohten unzumutbare Nachteile, da er seine Praxis schließen müsse und dadurch umfangreiche Investitionen vergeblich würden.
III.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg.
1. Nach §§ 32, 93 d Abs. 2 BVerfGG kann die Kammer im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (BVerfGE 88, 25 ≪35≫; 89, 109 ≪110 f.≫).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet.
Bereits in der Vergangenheit hat die Kammer in vergleichbaren Fällen die Annahme von Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung abgelehnt, weil sie ohne Aussicht auf Erfolg waren. Auch die vorliegende Verfassungsbeschwerde zeigt offensichtlich keine Annahmegründe gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG auf.
a) Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung gemäß § 93 a Abs. 2 a BVerfGG kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Das gilt insbesondere für den von dem Beschwerdeführer in Anspruch genommenen Vertrauensschutz. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, daß Vertrauen namentlich dann enttäuscht ist, wenn das Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte, den er also bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen konnte (BVerfGE 72, 175 ≪196≫ m.w.N.).
So liegt es hier nicht. Neben der Rechtswidrigkeit der Bestellung ist für deren Rücknahme nach der 1. Alternative von § 46 Abs. 1 Satz 2 StBerG die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Begünstigten von den die Rechtswidrigkeit begründenden Umständen erforderlich. Mithin ist die Rücknahme nach dem Gesetz nur in Fällen zulässig, in denen voraussetzungsgemäß jeder Anknüpfungspunkt für verfassungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer rechtswidrig erlangten Begünstigung fehlt. Dies im Einzelfall festzustellen, ist Aufgabe der Fachgerichtsbarkeit und einer Klärung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht zugänglich (BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 85, 248 ≪258≫). Soweit die Finanzgerichtsbarkeit in diesem Zusammenhang die Voraussetzungen für den prüfungsfreien Zugang zum Beruf des Steuerberaters nach der Steuerberatungsordnung der DDR nur als erfüllt ansieht, wenn die Betreffenden eine Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens gerade der DDR nachweisen konnten, ist das nach diesem Maßstab von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden; offenkundig konnte sich die Steuerberatungsordnung der DDR nur auf Sachverhalte in ihrem Geltungsbereich beziehen.
b) Zu Art. 12 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht im Bereich der Steuerrechtspflege Regelungen für zulässig angesehen, die sicherstellen sollen, daß nur solche Berater geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen leisten, die dazu die erforderliche sachliche und persönliche Zuverlässigkeit besitzen (BVerfGE 55, 185 ≪196 f.≫; BVerfGE 59, 302 ≪317≫). Dem Gesetzgeber steht es zu, den Nachweis der für eine sachgerechte Berufsausübung als Steuerberater benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten zu verlangen (BVerfGE 55, 185 ≪196≫). Schafft er auch prüfungsfreie Zugangsmöglichkeiten, handelt er in Ausübung der ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit, ohne an die engen Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 GG gebunden zu sein. Dann ist nur am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG die Einhaltung äußerster Grenzen der gesetzgeberischen Freiheit (BVerfGE 55, 185 ≪198≫) zu prüfen.
Daß diese Grenze bei der Rücknahme in solchen Fällen verletzt sein könnte, in denen die Ersatzvoraussetzungen für den erleichterten Zugang zum Beruf des Steuerberaters bzw. – bevollmächtigten – je nach Ausbildungsabschluß eine zwischen sechs- und fünfzehnjährige hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens – von Anfang an fehlten, ist nicht ersichtlich; dafür wird auch von dem Beschwerdeführer nichts geltend gemacht.
c) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht gemäß § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten angezeigt. Die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts obliegt der Fachgerichtsbarkeit und ist von Verfassungs wegen nur eingeschränkt nachprüfbar (BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 85, 248 ≪258≫). Nach diesen Maßstäben ist nicht erkennbar, daß Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Rücknahmevorschrift durch das Finanzgericht, die in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu diesen Fragen steht, Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt; das gilt sowohl für die Auslegung der ursprünglichen Bestellungsvoraussetzungen nach Übergangsrecht der DDR wie für die Überzeugung des Gerichts, daß der Beschwerdeführer die die Rechtswidrigkeit seiner Bestellung zum Steuerberater begründenden Umstände im Sinne von § 46 Abs. 1 Satz 1 StBerG kennen mußte.
Wegen der Dringlichkeit ergeht der Beschluß ohne Anhörung des an der Hauptsache beteiligten Ministeriums der Finanzen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 1496708 |
NWB 1997, 1118 |