Entscheidungsstichwort (Thema)
Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bei Rüge einer überlangen Verfahrensdauer
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird die Rüge einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG durch eine überlange Verfahrensdauer bei einem Instanzgericht (hier: fast 13 Jahre beim FG) erstmals mit der Verfassungsbeschwerde erhoben, steht ihr der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. § 90 Abs. 2 BVerfGG verlangt, den Rechtsweg auch mit denjenigen Rügen zu erschöpfen, welche sodann – soweit sie ergebnislos geblieben sind – zur Überprüfung durch das BVerfG gestellt werden sollen. Nur so ist es den Fachgerichten möglich, das BVerfG zu entlasten, indem sie diesen verfassungsrechtlichen Rügen – soweit sie begründet sind – Rechnung tragen oder sich mit ihnen – soweit sie unbegründet sind – inhaltlich auseinandersetzen.
2. Im Streitfall wäre die Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO in Betracht gekommen, soweit die Beschwerdeführer sich gegen den Steueranspruch als solchen wenden und seine Verwirkung geltend machen, und zum anderen verblieb die Möglichkeit, die überlange Verfahrensdauer als einen Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu rügen.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3; BVerfGG § 90 Abs. 2; EMRK Art. 6
Verfahrensgang
BFH (Beschluss vom 03.10.1989; Aktenzeichen VIII B 59/89) |
FG Düsseldorf (Urteil vom 13.03.1989; Aktenzeichen 12 K 241/76 F) |
Gründe
1. Soweit die Beschwerdeführer die Verfahrensdauer vor dem Finanzgericht von fast dreizehn Jahren als verfassungswidrig rügen, steht einer Prüfung in der Sache der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, der auch Ausdruck in der Regelung des § 90 Abs. 2 BVERFGG gefunden hat. Hiernach gilt, daß die Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus alle ihnen zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen müssen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVERFGE 68, 384 ≪388 f.≫; 74, 102 ≪113≫; 81, 97 ≪102≫). Das bedeutet, daß eine Grundrechtsverletzung im Interesse einer ordnungsgemäßen Vorprüfung der Beschwerdepunkte zunächst in dem mit der Beeinträchtigung unmittelbar zusammenhängenden sachnächsten Verfahren geltend gemacht werden muß (vgl. BVERFGE 59, 63 ≪83≫). Der sich aus § 90 Abs. 2 BVERFGG ergebende Grundsatz der Subsidiarität verlangt also von den Beschwerdeführern nicht nur, daß sie den Rechtsweg zu den Fachgerichten überhaupt, sondern auch mit all denjenigen Rügen erschöpfen, welche sie sodann – soweit sie ergebnislos geblieben sind – zur Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu stellen gedenken. Nur auf diese Weise ist es den Fachgerichten möglich, das Bundesverfassungsgericht zu entlasten, indem sie diesen verfassungsrechtlichen Rügen – soweit sie begründet sind – Rechnung tragen oder sich mit ihnen – soweit sie unbegründet sind – inhaltlich auseinandersetzen.
Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht, denn die Beschwerdeführer haben die Rüge der Verfassungswidrigkeit der Verfahrensdauer beim Finanzgericht erstmals in der Verfassungsbeschwerde erhoben. Demgegenüber war mit der Nichtzulassungsbeschwerde zum einen lediglich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wegen materiell-rechtlicher Fragen geltend gemacht worden, zum anderen hatten die Beschwerdeführer nur Verfahrensverstöße im Rahmen der Beweiswürdigung gerügt. Diese Begründung hat mit der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit der Verfahrensdauer beim Finanzgericht ersichtlich nichts zu tun. Gründe, die erkennen ließen, warum es den Beschwerdeführern verwehrt gewesen sein könnte, eine Zulassung der Revision auch im Hinblick auf die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der überlangen Verfahrensdauer zu erreichen, sind weder von den Beschwerdeführern vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Denn zum einen kam die Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO – in Betracht, soweit die Beschwerdeführer sich gegen den Steueranspruch als solchen wenden und seine Verwirkung geltend machen, und zum anderen verblieb die Möglichkeit, die überlange Verfahrensdauer als einen Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu rügen. Einschlägige, dem Begehren der Beschwerdeführer entgegenstehende Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, die sich mit der Verfassungswidrigkeit einer überlangen Verfahrensdauer unter dem Gesichtspunkt insbesondere des Art. 19 Abs. 4 GG und des Art. 103 Abs. 1 GG mit den daraus abzuleitenden Folgen auseinandersetzen, sind nicht ergangen. Insbesondere enthält der Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 24. August 1987 (BFH/NV 1988, S. 59, 63) keine Entscheidung darüber, ob von Verfassungs wegen eine überlange Verfahrensdauer zur Verwirkung des Steueranspruchs führen kann. Das Gericht hat sich ausschließlich mit der Anwendbarkeit des Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention befaßt. Auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit waren die Beschwerdeführer somit gehalten, durch die Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde auch insoweit eine Eröffnung einer weiteren Instanz zu erreichen (vgl. BVERFGE 16, 1 ≪2 f.≫; 51, 386 ≪395 f.≫; 52, 380 ≪387≫; vgl. auch BVERFGE 77, 275 ≪282≫).
2. Soweit die Beschwerdeführer den Beschluß des Bundesfinanzhofs angreifen, fehlt es an einem Sachvortrag, der mit hinreichender Deutlichkeit zumindest die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsähnlichen Rechten aufzeigt (vgl. BVERFGE 28, 17 ≪19≫; st. Rspr.). Eine solche Darlegung wäre allein schon deshalb unverzichtbar gewesen, weil der Bundesfinanzhof für seine Entscheidung nur etwa sechs Monate benötigte.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 1513313 |
NJW 1992, 1497 |
NVwZ 1992, 767 |