Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzlicher Richter: Vorlagepflicht an den EuGH
Leitsatz (redaktionell)
1. Durch eine Maßnahme, Unterlassung oder Entscheidung eines Gerichts wird der gesetzliche Richter nur dann entzogen, wenn diese Maßnahme, Unterlassung oder Entscheidung auf Willkür beruht.
2. Der gesetzliche Richter wird auch in den Fällen, in denen keine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs eingeholt worden ist, nur dann entzogen, wenn die Vorlageverpflichtung gemäß Art. 177 Abs. 3 EWGV willkürlich unterlassen wird.
3. Die Frage nach dem gesetzlichen Richter ist auch hier eine Frage des innerstaatlichen Rechts, die in allen Fällen der Vorlageverpflichtung unter gleichen Maßstäben geprüft werden muß. Eine umfassende Nachprüfung der Vorlageverpflichtung aus Art. 177 EWGV findet in diesem Zusammenhang nicht statt, denn sie würde das Bundesverfassungsgericht entgegen seiner eigentlichen Aufgaben in die Rolle eines „Vorlagen-Kontroll-Gerichts” versetzen.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; EWGV Art. 177 Abs. 3
Verfahrensgang
Gründe
1. Die Beschwerdeführerin ist nicht in ihren Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.
a) Der Europäische Gerichtshof ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 73, 339 ≪366 f.≫).
Durch eine Maßnahme, Unterlassung oder Entscheidung eines Gerichts wird der gesetzliche Richter jedoch nur dann entzogen, wenn diese Maßnahme, Unterlassung oder Entscheidung auf Willkür beruht (st. Rspr. seit BVerfGE 3, 359 ≪363 f.≫). Das gilt auch, wenn ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht, das über eine bestimmte Rechtsfrage zu entscheiden hat, außer acht läßt. Art. 101 Abs. 1 Satz, 2 GG schützt nicht gegen Verfahrensfehler, die infolge eines Irrtums des Gerichts unterlaufen, sondern nur gegen Willkür (st. Rspr.; vgl. BVerfGE 29, 198 ≪207≫). Der gesetzliche Richter wird auch in den Fällen, in denen keine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs eingeholt worden ist, nur dann entzogen, wenn die Vorlageverpflichtung gemäß Art. 177 Abs. 3 EWGV willkürlich unterlassen wird (st. Rspr.; BVerfGE 29, 198 ≪207≫; 29, 213 ≪219≫; 31, 145 ≪169≫; 45, 142 ≪181≫; 73, 339 ≪369≫; 75, 223 ≪245≫; BVerfG, Beschluß vom 9. November 1987 – 2 BvR 808/82 –, EuGRZ 1988, S. 109).
Die Frage nach dem gesetzlichen Richter ist auch hier eine Frage des innerstaatlichen Rechts, die in allen Fällen der Vorlageverpflichtung unter gleichen Maßstäben geprüft werden muß. Eine umfassende Nachprüfung der Vorlageverpflichtung aus Art. 177 EWGV findet in diesem Zusammenhang nicht statt, denn sie würde das Bundesverfassungsgericht entgegen seiner eigentlichen Aufgaben in die Rolle eines „Vorlagen-Kontroll-Gerichts” versetzen (BVerfG, Beschluß vom g. November 1987, a.a.O.).
Allerdings ist der anzulegende Willkürmaßstab auch vom Sinn und Zweck der in Art. 177 Abs. 3 EWGV statuierten Vorlagepflicht geprägt, nämlich eine möglichst einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten (BVerfG, Beschluß vom 9. November 1987, a.a.O.).
b) Nach diesem vom Gemeinschaftsrecht bestimmten Willkürmaßstab ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls dann nicht verletzt, wenn ein Gericht die Vorlageverpflichtung an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 Abs. 3 EWGV mit rechtlich nachvollziehbarer und sachlich einleuchtender Begründung verneint und sich begründete Zweifel an der Richtigkeit der Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Frage durch das Gericht nicht aufdrängen. Eine Verletzung ist vielmehr nur dann gegeben, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat; d. h. wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BVerfG, a.a.O.).
c) Der Bundesfinanzhof hat danach im vorliegenden Fall die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof jedenfalls nicht willkürlich unterlassen. Die Begründung des Bundesfinanzhofs, daß eine Vorlagepflicht nicht besteht, ist rechtlich nachvollziehbar und sachlich einleuchtend. Der Bundesfinanzhof ist auch nicht bewußt von Entscheidungen anderer innerstaatlicher Gerichte oder des Europäischen Gerichtshofs abgewichen.
Der Bundesfinanzhof verneint eine Vorlagepflicht nach Art. 177 Abs. 3 EWGV mit der Erwägung, die richtige Auslegung und Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften sei offenkundig. Die hierfür gegebene, an der einschlägigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs orientierte und sich mit den Argumenten der Beschwerdeführerin auseinandersetzende Begründung ist rechtlich vertretbar. Die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Verfassungsbeschwerde zwar geltend, daß der Bundesfinanzhof sich in Widerspruch zu Urteilen des Europäischen Gerichtshofs setze und Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechts bestünden. Aus ihrem Vorbringen läßt sich jedoch nicht entnehmen, daß die von ihr vertretene Auffassung zu der gemeinschaftsrechtlichen Frage deutlich den Vorzug vor der vom Bundesfinanzhof vertretenen Rechtsmeinung verdient. Damit wird ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht dargelegt.
2. Die Beschwerdeführerin ist auch nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, der Bundesfinanzhof habe sich mit den von ihr vorgetragenen Tatsachen und Rechtsauffassungen nicht ausreichend auseinandergesetzt, liegt kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat,(BVerfGE 22, 267 ≪274≫; st. Rspr.). Es besteht in der Regel keine Verpflichtung, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (BVerfGE 65, 293 ≪295≫). Besondere Umstände, die vorliegend eine Ausnahme von diesem Grundsatz begründen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Soweit die Beschwerdeführerin im übrigen geltend macht, daß die genaue Höhe der Beihilfe an selbstvermarktende Kornbrenner nicht ermittelt worden sei, würde die Entscheidung nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen. Da der Bundesfinanzhof einen Zusammenhang zwischen der Branntweinsteuererhöhung und der Beihilfe verneint, ist die Höhe der Beihilfe nicht entscheidungserheblich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen