Verfahrensgang
VG Köln (Vorlegungsbeschluss vom 03.12.2008; Aktenzeichen 8 K 5791/08) |
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Tatbestand
I.
Das Normenkontrollverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG betrifft die Vereinbarkeit der allgemeinen Wehrpflicht mit dem Grundsatz der Wehrgerechtigkeit.
1. Der am 10. Januar 1989 geborene Kläger des Ausgangsverfahrens wurde als uneingeschränkt tauglich gemustert und mit Bescheid des Kreiswehrersatzamtes Köln vom 13. Juni 2008 ab 1. Oktober 2008 einberufen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Wehrbereichsverwaltung West unter dem 20. August 2008 mit der Begründung zurück, der Kläger habe einen Ausbildungsplatz für die von ihm beabsichtigte Berufsausbildung bislang nicht nachgewiesen. Soweit er die derzeitige Einberufungspraxis für rechtswidrig halte, werde auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2005 – 6 C 9.04 – sowie den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Mai 2004 – 2 BvR 821/04 – verwiesen.
2. Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Köln und beantragte die Anordnung deren aufschiebender Wirkung. Mit Beschluss vom 19. September 2008 – 8 L 1330/08 – gab das Verwaltungsgericht zunächst dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes statt.
3. Mit Beschluss vom 3. Dezember 2008 hat das Verwaltungsgericht das Hauptsacheverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die allgemeine Wehrpflicht gemäß § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 21 WPflG mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage führt es aus, der Kläger sei nach geltender Rechtslage einzuberufen. Ihm stünden weder Wehrdienstausnahmen noch Zurückstellungs- oder Befreiungsgründe zur Seite; auch mache er keine gesundheitlichen Bedenken geltend. Die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der genannten Normen bestehe nicht.
Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, das Wehrpflichtgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. September 2008 (BGBl I S. 1886) sei aufgrund der durch Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zivildienstgesetzes und anderer Vorschriften (Zweites Zivildienständerungsgesetz – 2. ZDGÄndG) vom 27. September 2004 (BGBl I S. 2358) und durch das Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vorschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz 2008 – WehrRÄndG 2008) vom 31. Juli 2008 (BGBl I S. 1629) neu geregelten Verfügbarkeitskriterien und Wehrdienstausnahmen mit dem Grundgesetz unvereinbar. Diese hätten dazu geführt, dass gegenüber der bis zum 30. September 2004 geltenden Rechtslage ein erheblicher Teil der jungen Männer von der Wehrdienstleistungspflicht ausgenommen werde. Aufgrund der veränderten Aufgabenstellung der Bundeswehr sei die Zahl der Wehrdienstplätze in den letzten Jahren kontinuierlich reduziert und die Einberufungspraxis nicht an der Geburtenstärke eines Jahrgangs, sondern an der Bedarfslage der Bundeswehr orientiert worden. Die Veranlagungsstärke für die jährlich zur Verfügung stehenden Plätze für Grundwehrdienstleistende und solche Wehrpflichtige, die im Anschluss an den Grundwehrdienst freiwillig zusätzlichen Wehrdienst leisteten, sei von 128.400 im Jahr 2000 auf 60.000 im Jahr 2007 zurückgegangen. Es sei beabsichtigt, in den Jahren 2008 und 2009 eine Jahresdurchschnittsstärke von 60.000 Plätzen beizubehalten. Nach dem Personalstrukturmodell 2010 seien 30.000 Plätze für Grundwehrdienstleistende und 25.000 Plätze für Grundwehrdienstleistende, die im Anschluss an den Grundwehrdienst einen freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst leisteten, vorgesehen. Die Zahl der Wehrpflichtigen, die den Grundwehrdienst angetreten hätten, sei von 160.425 im Jahr 1998 auf 67.834 im Jahr 2007 zurückgegangen.
Das Bundesministerium der Verteidigung habe zunächst mit am 1. Juli 2003 in Kraft getretenen Einberufungsrichtlinien das Einberufungshöchstalter auf 23 Jahre herabgesetzt und vorgesehen, Wehrpflichtige nicht mehr einzuberufen, die über einen abgeschlossenen Ausbildungsvertrag verfügten, verheiratet seien oder als verwendungsfähig mit Einschränkung in der Grundausbildung für bestimmte Tätigkeiten (Verwendungsgrad T 3) gemustert worden seien. Mit dem Zweiten Zivildienständerungsgesetz habe der Gesetzgeber die veränderten Verfügbarkeitskriterien in das Wehrpflichtgesetz aufgenommen und mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz 2008 weitere Wehrdienstausnahmen normiert. Diese Gesetzesänderungen sowie die im Haushaltsplan ausgewiesene Zahl der Stellen für Wehrpflichtige hätten dazu geführt, dass nunmehr nicht einmal mehr jeder fünfte junge Mann eines Geburtsjahrgangs für den Wehrdienst benötigt und herangezogen werde. Damit seien tatsächliche und rechtliche Veränderungen eingetreten, die die Grundlage der früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht berührten und deren Überprüfung nahe legten.
Die zur Überprüfung gestellten § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 WPflG seien nicht für sich gesehen verfassungswidrig. Ihre Verfassungswidrigkeit ergebe sich vielmehr in Zusammenschau mit den neu geregelten Verfügbarkeitskriterien und Wehrdienstausnahmen. Die Grenzen, die der Grundsatz der Wehrgerechtigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber ziehe, habe das Bundesverfassungsgericht in seinen bisherigen Entscheidungen nicht konkret umschrieben. In einer gesetzlichen Ausnahmebestimmung, die sich auf einen eng begrenzten und überschaubaren Personenkreis beziehe, habe das Bundesverfassungsgericht keine Gefahr für die Wehrgerechtigkeit gesehen (BVerfGE 38, 154 ≪168≫). Auch sei entschieden worden, dass zur Wahrung der staatsbürgerlichen Gleichheit und Wehrgerechtigkeit Wehrdienstausnahmen und Zurückstellungen sachgerecht sein müssten (BVerfGE 48, 127 ≪162≫). Das Bundesverfassungsgericht habe ferner dem Gebot der Wehrgerechtigkeit die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Vorsorge entnommen, dass nur derjenige von der Erfüllung der Wehrpflicht freigestellt werde, der nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe getroffen habe (BVerfGE 69, 1 ≪24≫). Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2005 – 6 C 9.04 – seien dem Grundsatz der Wehrgerechtigkeit keine strikten quantitativen Vorgaben zu entnehmen. Habe sich aufgrund abnehmenden Bedarfs der Bundeswehr zwischen der Zahl der verfügbaren und der Zahl der tatsächlich einberufenen Wehrpflichtigen eine Lücke aufgetan, so sei der Gesetzgeber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts verpflichtet, diese durch eine sachgerechte Neuregelung der Verfügbarkeitskriterien, insbesondere durch Erweiterung der Wehrdienstausnahmen zu schließen. Ausgehend von diesem Prüfungsansatz habe das Bundesverwaltungsgericht die hier streitbefangenen Vorschriften des Wehrpflichtgesetzes als verfassungsgemäß beurteilt. Dieser Ansatz werde dem Gebot der Wehrgerechtigkeit nicht gerecht. Es könne nicht unbegrenzt in der Macht des Gesetzgebers stehen, eine solche, dem Grundsatz der Wehrgerechtigkeit widersprechende Lücke zwischen der Zahl der für die Bundeswehr verfügbaren und der Zahl der tatsächlich einberufenen Wehrpflichtigen durch eine sachgerechte Neuregelung der Verfügbarkeitskriterien und Erweiterung der Wehrdienstausnahmen zu schließen. Es sei dem Gesetzgeber verwehrt, die Wehrpflicht allein an dem Kriterium der Bedarfslage auszurichten. Eine staatsbürgerliche Pflichtengleichheit sei nur gewährleistet, wenn eine umfassende und gleichmäßige Heranziehung der Wehrpflichtigen sichergestellt sei und nicht nur eine Minderheit Dienst leiste und der Rest gesetzlich von der Dienstleistung befreit sei. Auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur werde vertreten, dass der Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit immer auch ein quantitatives Element enthalte. Ein Auswahlwehrdienst werde für bedenklich gehalten. Der Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts sei auch abzulehnen, weil sich sachliche Kriterien für die Veränderung der Verfügbarkeitskriterien und Wehrdienstausnahmen faktisch beliebig begründen ließen, ihre Berechtigung aber selten konsensfähig sei. Soweit der Gesetzgeber den Wegfall des Verwendungsgrades T 3 mit den gestiegenen Anforderungen an den zu erreichenden Ausbildungsstand begründet habe, sei dies nicht nachvollziehbar. Schließlich seien seit der Einführung der Wehrpflicht Dienstposten im Büro- und Stabsdienst, in Truppenküchen, bei den Kraftfahrern und im protokollarischen Dienst im Wachbataillon von mit dem Verwendungsgrad T 3 gemusterten Wehrpflichtigen besetzt worden. Bei ungleicher Belastung aller Wehrpflichtigen könne zudem die individuelle Wehrbereitschaft nicht erhalten werden.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht sich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 1974 – 2 BvL 6/71 – stütze, verkenne es, dass diese sich auf eine für einen eng begrenzten Personenkreis geltende Ausnahmebestimmung des Wehrpflichtgesetzes bezogen habe. Eine Gefahr für die Wehrgerechtigkeit und Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik sei aufgrund der eng begrenzten Regelung nicht zu befürchten gewesen.
Der Grundsatz der Wehrgerechtigkeit verlange die umfassende und gleichmäßige Heranziehung der Wehrpflichtigen. Daran fehle es, wenn der Gesetzgeber nur noch die Notwendigkeit sehe, nicht einmal jeden fünften jungen Mann eines Jahrgangs zum Zwecke des Wehrdienstes einzuberufen. Seien von dem Geburtsjahrgang 1981 noch 114.866 zum Wehrdienst herangezogen worden, so hätten von dem Geburtsjahrgang 1985 lediglich 63.396 junge Männer den Wehrdienst geleistet. Bezogen auf den Geburtsjahrgang 1984 hätten lediglich etwa 17 % der männlichen deutschen Bevölkerung Wehrdienst geleistet. Nach der früheren Rechtslage hätten durchschnittlich 40 % der jungen Männer eines Geburtsjahrgangs für den Wehrdienst tatsächlich zur Verfügung gestanden. Die übrigen seien nicht verfügbar gewesen, weil sie entweder wehrdienstuntauglich gewesen seien, eine Wehrdienstausnahme vorgelegen habe, sie dem externen Bedarf (Polizei, Katastrophenschutz etc.) zugerechnet worden seien, als Soldat auf Zeit gedient hätten oder aufgrund einer anerkannten Kriegsdienstverweigerung nicht herangezogen worden seien. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass sich an der Größe von 40 % bei Beibehaltung der bisherigen Rechtslage etwas geändert hätte. Stünden nach der bisherigen Rechtslage in den kommenden Jahren tatsächlich zwischen 140.000 und 180.000 junge Männer pro Jahrgang für den Wehrdienst zur Verfügung, so habe die neue Rechtslage zur Folge, dass nicht einmal mehr jeder zweite der jungen Männer eines Geburtsjahrgangs zum Wehrdienst herangezogen werde. Dies sei mit dem Gebot der staatsbürgerlichen Pflichtengleichheit in Gestalt der Wehrgerechtigkeit nicht vereinbar.
Entscheidungsgründe
II.
Die Vorlage ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen an die Darlegung der Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen.
1. Ein Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG muss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, aus welchen Gründen das vorlegende Gericht von der Unvereinbarkeit der Norm überzeugt ist und dass es bei Gültigkeit der Regelung zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Fall ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 77, 259 ≪261≫; 97, 49 ≪60≫; 98, 169 ≪199≫; 105, 61 ≪67≫; stRspr). Das Gericht muss sich mit der Rechtslage auseinandersetzen, die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen berücksichtigen und auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten der Norm eingehen, soweit diese für deren Verfassungsmäßigkeit von Bedeutung sein können (vgl. BVerfGE 79, 245 ≪249≫; 86, 71 ≪77≫; 97, 49 ≪60≫). Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen darstellen, wobei sich das Gericht jedenfalls mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen hat (vgl. BVerfGE 86, 52 ≪57≫; 86, 71 ≪78≫; 94, 315 ≪325≫). Diesen Anforderungen genügt der Vorlagebeschluss nicht.
2. Der Vorlagebeschluss erörtert die grundlegende Frage, welche Bezugsgrößen für die Beurteilung, ob das Gebot der Wehrgerechtigkeit als Ausprägung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist, heranzuziehen sind, nicht in der gebotenen Weise. In Betracht kommt einerseits, die Zahl derjenigen, die tatsächlich Wehrdienst leisten, der Zahl derer gegenüber zu stellen, die nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen für den Wehrdienst zur Verfügung stehen (sog. Innenwirkung des Gebots der Wehrgerechtigkeit), und andererseits, die Zahl der tatsächlich zum Wehrdienst Einberufenen ins Verhältnis zur Zahl aller Männer eines Geburtsjahrgangs zu setzen (sog. Außenwirkung des Gebots der Wehrgerechtigkeit).
a) Das Verwaltungsgericht hält erkennbar die Außenwirkung des Gebots der Wehrgerechtigkeit für maßgeblich (zur Kritik an den vorhergehenden Vorlagebeschlüssen des Verwaltungsgerichts vom 15. April 2005 Unterreitmeier, ZRP 2007, S. 163 ≪164≫). Der Vorlagebeschluss geht offensichtlich davon aus, dass die Wehrgerechtigkeit verletzt ist, wenn gegenwärtig nur noch jeder fünfte Mann eines Jahrgangs zum Wehrdienst einberufen werde. Dass diese Zahl sich in einer realistischen Größenordnung bewegt, ergibt der Blick etwa auf das Planungsjahr 2008, für das, ausgehend von 452.076 erfassten Angehörigen des Geburtsjahrgangs 1990 und 58.800 Einberufungen zum Wehrdienst, eine Ausschöpfungsquote von ungefähr 13 % zu ermitteln ist (vgl. Antwort der Bundesregierung vom 26. März 2009 auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE, BTDrucks 16/12522, S. 4 und 21).
Stellt man hingegen auf die geschätzte Zahl der tatsächlich verfügbaren (einberufbaren) Wehrpflichtigen von ca. 122.900 ab (vgl. dazu für die Planungsjahre 2005 – 2010 Fleischhauer, Wehrpflichtarmee und Wehrgerechtigkeit, 2007, S. 185, Tabelle 16; vgl. auch Tobiassen, Wehrgerechtigkeit 2005, S. 26, Tabelle 20), erhöht sich die Ausschöpfungsquote auf ungefähr 48 %. Bezieht man schließlich in die Betrachtung ein, dass von den geschätzten 292.300 wehrdienstfähigen Wehrpflichtigen des Geburtsjahrgangs 1990 nach den Erfahrungswerten bis zu 48 % als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden könnten (140.300), erhöht sich die Ausschöpfungsquote entsprechend um den – derzeit ebenfalls noch nicht feststehenden – Anteil der tatsächlich zum Ersatzdienst herangezogenen Wehrpflichtigen (vgl. Fleischhauer, a.a.O., S. 185, Tabelle 16; Tobiassen, a.a.O., S. 25, Tabelle 19; zur Zahl der Anerkennungen von Kriegsdienstverweigerern und der Zahl der Zivildienstleistenden der Jahrgänge 1981 bis 1992 siehe Antworten der Bundesregierung vom 8. Juni 2007 und vom 26. März 2009 auf die Kleinen Anfragen von Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE, BTDrucks 16/5578, S. 11 f. sowie BTDrucks 16/12522, S. 13 f.).
b) Vor diesem tatsächlichen Hintergrund hätte das Verwaltungsgericht eingehend darlegen müssen, aus welchen Gründen es von Verfassungs wegen auf die Außenwirkung des Gebots der Wehrgerechtigkeit ankommt. Dem ist das Verwaltungsgericht nicht nachgekommen. Insoweit fehlt es auch an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
aa) Das Bundesverwaltungsgericht sieht in seiner Entscheidung vom 19. Januar 2005 die Wehrgerechtigkeit dann als gewährleistet an, wenn die Zahl derjenigen, die tatsächlich Wehrdienst leisten, der Zahl derer, die nach Maßgabe der Bestimmungen des Wehrpflichtgesetzes für den Wehrdienst zur Verfügung stehen, zumindest nahe kommt. Die verfügbaren Wehrpflichtigen müssten daher, von einem administrativ unvermeidbaren Ausschöpfungsrest abgesehen, bis zum Erreichen der Altersgrenze ihren Grundwehrdienst abgeleistet haben (BVerwGE 122, 331 ≪339≫). Indem das Bundesverwaltungsgericht die Zahl derjenigen Wehrpflichtigen eines Jahrgangs, die tatsächlich zum Wehrdienst herangezogen werden, zu der Zahl der für den Wehrdienst zur Verfügung stehenden Angehörigen des Jahrgangs ins Verhältnis setzt, also nur diejenigen Wehrpflichtigen betrachtet, die tatsächlich verfügbar und damit einberufbar sind, stellt es auf die Innenwirkung des Gebots der Wehrgerechtigkeit ab. Aus der Betrachtung ausgeschlossen sind damit nicht gemusterte und wehrdienstunfähige Angehörige eines Jahrgangs sowie diejenigen an sich wehrdienstfähigen Wehrpflichtigen, denen eine Wehrdienstausnahme zur Seite steht, die anerkannte Kriegsdienstverweigerer sind, die einen unter den so genannten externen Bedarf fallenden Dienst – etwa im Zivil- und Katastrophenschutz (§ 13a WPflG) oder im Vollzugsdienst der Polizei oder Bundespolizei (§ 42, § 42a WPflG) – leisten oder die schließlich als Soldaten auf Zeit oder Offiziersanwärter nicht mehr für die Einberufung zum Grundwehrdienst zur Verfügung stehen.
Das Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Wehrdienstausnahmen und Einberufungshindernisse eine zwar weitgehende, wenngleich nicht unbeschränkte Gestaltungsfreiheit genießt, und betont die Pflicht zur Abwägung zwischen der Notwendigkeit einer wirksamen Landesverteidigung und der Erfüllung der Bündnisverpflichtungen einerseits und den Anforderungen an die Wehrgerechtigkeit andererseits (BVerwGE 122, 331 ≪338≫ unter Bezugnahme auf BVerfGE 38, 154 ≪167 f.≫; 48, 127 ≪162≫).
bb) Das Verwaltungsgericht begründet seine Ansicht, dieser Ansatz werde dem Gebot der Wehrgerechtigkeit nicht gerecht, lediglich pauschal und unzureichend.
(1) So fehlt bereits eine Erörterung der Bestimmung des § 3 Abs. 1 Satz 1 WPflG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die bloße Wiedergabe von Auszügen aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vermag die geforderte Auseinandersetzung nicht zu ersetzen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 WPflG wird die Wehrpflicht auch durch diejenigen wehrdienstfähigen Wehrpflichtigen erfüllt, die den Zivildienst ableisten. Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen sind gemäß Art. 12a Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 GG von Verfassungs wegen vom Wehrdienst befreit. Der Ersatzdienst tritt dabei nur an die Stelle des im Einzelfall rechtmäßig verweigerten Wehrdienstes und ersetzt diesen. Eine Umdeutung der Ersatzdienstpflicht in eine selbständige, neben der Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes stehende Alternativpflicht ist nicht möglich (vgl. BVerfGE 48, 127 ≪165≫). Das Verwaltungsgericht hat sich folglich auch nicht zu der Frage verhalten, ob der aus dem Gebot der Wehrgerechtigkeit sich ergebende Grundsatz der Pflichtengleichheit nur jeweils innerhalb der Wehrdienstverpflichtung und des Ersatzdienstes oder aber auch im Verhältnis zwischen beiden Anwendung findet (zum Meinungsstand vgl. Fleischhauer, a.a.O., S. 108 ff.). Es liegt auf der Hand, dass die Beachtung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebots nicht ohne Einbeziehung dieser Aspekte beurteilt werden kann.
(2) Soweit das Verwaltungsgericht ausführt, es könne nicht unbegrenzt in der Macht des Gesetzgebers stehen, eine Lücke zwischen der Zahl der für die Bundeswehr verfügbaren und der Zahl der tatsächlich einberufenen Wehrpflichtigen durch sachgerechte Neuregelungen der Verfügbarkeitskriterien und Erweiterung der Wehrdienstausnahmen zu schließen, genügen die pauschalen Ausführungen ebenfalls nicht den Anforderungen an die Begründung einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. Das Verwaltungsgericht stellt insoweit keine hinreichenden Erwägungen zur Rechtfertigung und zur Bedeutung der Verfügbarkeitskriterien für die Wehrgerechtigkeit an. Die Frage, ob sich eine Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Rechtslage aus dem Summierungseffekt mehrerer, jeweils für sich gerechtfertigter, aber eventuell sich zu einer nicht mehr hinnehmbaren Ungleichbehandlung addierender Einzelregelungen ergeben könnte, wird in der Vorlage nicht vertieft. Hierzu hätte es nicht nur einer eingehenden Würdigung der einzelnen Wehrdienstausnahmen, Befreiungstatbestände und Zurückstellungsgründe sowie der Verfügbarkeitskriterien und – im Wege einer Gesamtschau – der Prüfung der Auswirkungen des Zusammenwirkens sämtlicher Einzelregelungen auf das Gebot der Wehrgerechtigkeit bedurft. Das Verwaltungsgericht hätte auch verfassungsimmanente Grenzen des Gebots der Wehrgerechtigkeit – etwa im Hinblick auf veränderte Anforderungen an die Verteidigungsbereitschaft (vgl. BVerfGE 38, 154 ≪167 f.≫) vor dem Hintergrund der Integration der Bundesrepublik Deutschland in transnationale Sicherheitssysteme – zu würdigen gehabt.
3. Die Vorlage ist ferner deshalb unzulässig, weil das Verwaltungsgericht die von ihm für verfassungswidrig erachtete Rechtslage nicht ausreichend gewürdigt hat. Das Verwaltungsgericht verkennt den mit dem Gebot umfassender Begründung von Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG verfolgten Zweck. Es geht offensichtlich davon aus, mit der Feststellung, nach der früheren Rechtslage hätten durchschnittlich 40 % der Männer eines Geburtsjahrgangs für den Wehrdienst tatsächlich zur Verfügung gestanden und es gebe keine Hinweise darauf, dass sich daran bei Beibehaltung der bisherigen Rechtslage etwas geändert hätte, den Darlegungserfordernissen Genüge getan zu haben. Da der Begründungszwang des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG das Bundesverfassungsgericht entlasten soll, muss der Vorlagebeschluss aber aus sich heraus verständlich sein und die rechtlichen Erwägungen erschöpfend darlegen (vgl. BVerfGE 68, 311 ≪316≫; 77, 340 ≪342 f.≫; 83, 111 ≪116≫). Dies verlangt neben einer schlüssigen Darlegung der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm, dass der Beschluss eine nachvollziehbare und erschöpfende Aufbereitung der Rechtssache enthält, die dem Bundesverfassungsgericht eine verfassungsrechtliche Beurteilung ermöglicht. Dazu gehört hier eine detaillierte Erörterung der Auswirkungen der mit den zur Prüfung gestellten Normen in Zusammenhang stehenden Gesetzesänderungen, auf die das Verwaltungsgericht seine Überzeugung stützt, das Gebot der Wehrgerechtigkeit sei verletzt (vgl. BVerfGE 78, 306 ≪316≫; 80, 96 ≪101≫; 83, 111 ≪116 f.≫). Der Vorlagebeschluss genügt diesen Anforderungen nicht.
a) Soweit sich das Verwaltungsgericht darauf beruft, die Gesetzeslage habe sich seit 2004 in einer die Verfassungswidrigkeit herbeiführenden Weise verändert, fehlt es an einem Vergleich der aktuellen mit den bis zum 30. September 2004 geltenden, vom Verwaltungsgericht offensichtlich für verfassungsgemäß gehaltenen Bestimmungen.
Hinsichtlich der durch das Zweite Zivildienständerungsgesetz eingeführten Befreiungsmöglichkeit für verheiratete Wehrpflichtige (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG) erschöpft sich der Vorlagebeschluss in dem Hinweis darauf, dass hierfür in der rechtswissenschaftlichen Literatur kein sachlicher Grund gesehen werde. Zu der auf soziale Gesichtspunkte gestützten Begründung des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 15/3279, S. 9 und 11) und dem Umstand, dass spätere Änderungen des Familienstandes die Befreiung nicht aufheben (vgl. Steinlechner/Walz, WPflG, 7. Aufl. 2009, § 11 Rn. 58), verhält sich die Vorlage nicht. Das Verwaltungsgericht lässt zudem offen, welche Überzeugung es selbst hierzu gebildet hat.
Zum Beleg dafür, dass der Gesetzgeber für die mit dem Zweiten Zivildienständerungsgesetz erfolgte Streichung des in § 8a Abs. 2 Satz 1 WPflG vorgesehenen Verwendungsgrads „verwendungsfähig mit Einschränkung in der Grundausbildung und für bestimmte Tätigkeiten” (Tauglichkeitsgrad T 3) keine nachvollziehbare Begründung gegeben habe, zählt das Verwaltungsgericht lediglich einzelne Dienstposten auf, die seit Einführung der Wehrpflicht mit Wehrpflichtigen des Tauglichkeitsgrads T 3 besetzt worden seien. Damit blendet das Verwaltungsgericht nicht nur das Interesse der Bundeswehr an einer möglichst breiten Verwendungsfähigkeit der Wehrpflichtigen, sondern auch das durch Auslandseinsätze veränderte Anforderungsprofil aus seinen Überlegungen aus. Ob die von dem Gesetzgeber angeführte bestmögliche Eignung (vgl. BTDrucks 15/3279, S. 10 und 13) als sachlicher Differenzierungsgrund für einen Verzicht auf die Einberufung von mit dem Tauglichkeitsgrad T 3 gemusterten Wehrpflichtigen ausreicht, erörtert das Verwaltungsgericht somit nicht in dem gebotenen Umfang.
Auf die mit dem Zweiten Zivildienständerungsgesetz erfolgte Absenkung des Einberufungshöchstalters (§ 5 Abs. 1 Satz 1 WPflG) sowie die Aufnahme weiterer Befreiungstatbestände in § 11 WPflG geht die Vorlage nicht ein.
b) In der Vorlage wird nicht dargestellt, welche Auswirkungen die mit dem Zweiten Zivildienständerungsgesetz geänderten Verfügbarkeitskriterien und Wehrdienstausnahmen haben. Erörterungsbedürftig wäre unter anderem gewesen, wie sich das mit dem Zweiten Zivildienständerungsgesetz auf 23 Jahre herabgesetzte Einberufungshöchstalter auf die Zahl der verheirateten und die Zahl der wegen Unentbehrlichkeit zurückgestellten Wehrpflichtigen auswirkt. Das Verwaltungsgericht hat ferner nicht erläutert, wie es die Gruppe der sich als Soldaten auf Zeit oder Offiziersanwärter verpflichtenden Angehörigen eines Geburtsjahrgangs bewertet, zumal auch der Soldat auf Zeit mit seinem freiwillig in der Bundeswehr geleisteten Dienst – sofern dieser dem Grundwehrdienst inhaltlich gleichwertig ist – seine gesetzliche Verpflichtung zum Leisten des Grundwehrdienstes erfüllt (vgl. § 7 Abs. 1 WPflG; vgl. auch Steinlechner/Walz, a.a.O., § 7 Rn. 4; zum internen Bedarf der Bundeswehr siehe Prognose für die Jahre 2005 – 2010 in Fleischhauer, a.a.O., S. 184). Auch auf die nicht unbeachtliche Zahl derjenigen, die aufgrund ihrer Verwendung im externen Bedarf nicht für den Wehrdienst zur Verfügung stehen, wird in der Vorlage nicht hinreichend eingegangen (vgl. im Einzelnen BTDrucks 16/5578, S. 13 ff. sowie BTDrucks 16/12522, S. 15 ff.).
c) Soweit das Verwaltungsgericht darüber hinaus die Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Rechtslage auch auf die durch das Wehrrechtsänderungsgesetz 2008 geänderten Regelungen zurückführt, ist dies ohne weitere Darlegungen nicht nachvollziehbar. Die Änderungen des Wehrpflichtgesetzes lassen Auswirkungen auf die Wehrgerechtigkeit zwar grundsätzlich für möglich erscheinen, die Dimension bedürfte aber näherer Untersuchung. So wurde durch Einfügung eines Befreiungsgrundes in § 11 Abs. 1 Nr. 5 WPflG sowie eines inhaltsgleichen Zurückstellungsgrundes in § 12 Abs. 1a WPflG dem Umstand Rechnung getragen, dass sich Befreiungen oder Zurückstellungen für in einer internationalen Behörde tätige Wehrpflichtige in mehreren völkerrechtlichen Verträgen finden; die zahlenmäßige Bedeutung der Vorschrift dürfte aber gering sein (vgl. Steinlechner/Walz, a.a.O., § 11 Rn. 40 und § 12 Rn. 17). Soweit mit der Erweiterung der Zurückstellungsgründe in § 12 Abs. 7 WPflG wegen Unentbehrlichkeit des Wehrpflichtigen für einen Betrieb oder eine Dienstbehörde das bisherige Verfahren über die Unabkömmlichstellung nach § 13 Abs. 1 WPflG auf den Spannungs- und Verteidigungsfall beschränkt wurde (vgl. BTDrucks 16/7955, S. 24 f. und 28), ist gänzlich unklar, inwieweit diese Verlagerung im vorliegenden Zusammenhang relevant ist. Entsprechendes gilt hinsichtlich der in § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Buchstabe c WPflG eingefügten Privilegierung dualer Ausbildungsgänge gegenüber dem Hochschulstudium gemäß § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Buchstabe b WPflG (vgl. Steinlechner/Walz, a.a.O., § 12 Rn. 129).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Osterloh, Mellinghoff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 2338214 |
NVwZ 2010, 183 |
ZAP 2009, 893 |
JA 2010, 475 |
JuS 2009, 948 |