Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbarkeit, Leistungsaustausch, Schadensersatz
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass der im Vorhinein festgelegte Betrag, den ein Wirtschaftsteilnehmer im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer Mindestbindungsfrist durch seinen Kunden oder aus einem diesem zuzurechnenden Grund bezieht und der dem Betrag entspricht, den dieser Wirtschaftsteilnehmer ohne diese vorzeitige Beendigung für die restliche Laufzeit erhalten hätte – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist –, als Gegenleistung für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung anzusehen ist und als solche der Mehrwertsteuer unterliegt.
2. Für die Qualifizierung des im Dienstleistungsvertrag im Vorhinein festgelegten Betrags, den der Kunde bei dessen vorzeitiger Beendigung schuldet, sind die Umstände nicht entscheidend, dass der Zweck dieses Pauschbetrags darin besteht, die Kunden von der Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist abzuhalten und den Schaden des Betreibers durch die Nichteinhaltung dieser Frist auszugleichen, dass die von einem Handelsvermittler erhaltene Vergütung für den Abschluss von Verträgen mit Mindestbindungsfrist höher ist als jene, die im Rahmen von Verträgen ohne eine solche Frist vorgesehen ist, sowie dass dieser Betrag nach nationalem Recht als Konventionalstrafe zu qualifizieren ist.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c
Beteiligte
Meo – Serviços de Comunicações e Multimédia |
MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA |
Autoridade Tributária e Aduaneira |
Verfahrensgang
Tribunal Arbitral Tributário (Portugal) (Beschluss vom 08.01.2017; Abl.EU 2017, Nr. C 256/13) |
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa) (Schiedsgericht in Steuersachen [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren], Portugal) mit Entscheidung vom 8. Januar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Mai 2017, in dem Verfahren
MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA
gegen
Autoridade Tributária e Aduaneira
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie des Richters E. Levits (Berichterstatter) und der Richterin M. Berger,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA, vertreten durch V. Codeço, M. Machado de Almeida und R. M. Fernandes Ferreira, advogados,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und R. Campos Laires als Bevollmächtigte,
- der irischen Regierung, vertreten durch M. Browne, J. Quaney und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von N. J. Travers, SC, und A. Keirse, BL,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und A. Caeiros als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. Juni 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 64 Abs. 1, Art. 66 Abs. 1 Buchst. a und Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA (im Folgenden: MEO) und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) über die Erhebung von Mehrwertsteuer samt Ausgleichszinsen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor, dass „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt”, der Mehrwertsteuer unterliegen.
Rz. 4
Art. 64 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„Geben Lieferungen von Gegenständen … und Dienstleistungen zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass, gelten sie jeweils als mit Ablauf des Zeitraums bewirkt, auf den sich diese Abrechnungen oder Zahlungen beziehen.”
Rz. 5
Art. 66 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Abweichend von den Artikeln 63, 64 und 65 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem der folgenden Zeitpunkte entsteht:
a) spätestens bei der Ausstellung der Rechnung;
…”
Rz. 6
Art. 73 der Richtlinie lautet:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerb...