Entscheidungsstichwort (Thema)
Bürgschaftsaufwendungen eines mit 8,7 % mittelbar an der Schuldnerin beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführers als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus Kapitalvermögen. Saldierung nach § 177 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Rechtsfehlerhaft i. S. d. § 177 AO ist ein Bescheid nicht nur, wenn geltendes Recht unrichtig angewendet wurde, sondern auch dann, wenn der Steuerfestsetzung ein Sachverhalt zugrunde gelegt wurde, der sich als unrichtig erweist. Auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen kommt es nicht an.
2. Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit liegen vor, wenn die Aufwendungen den Beruf des Arbeitnehmers im weitesten Sinne fördern. Zu diesen Aufwendungen zählen alle Vermögensabflüsse in Geld und Geldeswert einschließlich den Arbeitnehmer unfreiwillig treffende Substanzverluste.
3. Aufwendungen zur Tilgung einer Bürgschaftsverpflichtung sind der Einkunftsart zuzuordnen, die bei der Eingehung der Bürgschaft im Vordergrund steht und die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt
4. Es besteht ein engerer Zusammenhang der Bürgschaftsübernahme zum Arbeitsverhältnis eines mit 8,7 % an der Schuldnerin mittelbar beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführers als zu seinem Gesellschaftsverhältnis, wenn das Interesse an dem angestrebten Erhalt des Arbeitsplatzes das Interesse als Gesellschafter am Erhalt der GmbH überwiegt.
5. Sind Aufwendungen für eine Bürgschaftsübernahme eines Gesellschafter-Geschäftsführers keine Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, sind sie als Werbungskosten bei den Kapitaleinkünften zu berücksichtigen, wenn die Bürgschaftsverpflichtung vorrangig eingegangen wird, um zukünftig Dividenden i.S. des § 20 EStG aus seiner Beteiligung an der GmbH zu erzielen, für die die Bürschaftserklärung abgegeben wurde.
6. Die Ertragslosigkeit einer GmbH-Beteiligung reicht für sich allein genommen zur Verneinung der Einkünfteerzielungsabsicht nicht aus.
Normenkette
EStG §§ 17, 20, 9, 22 Nr. 3, § 3c; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 177 Abs. 1, 3, § 182 Abs. 1 S. 1
Tenor
1. Der Einkommensteueränderungsbescheid für das Jahr 2003 vom 30. März 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2010 wird dahin gehend geändert, dass im Wege der Berichtigung materieller Fehler (§ 177 Abs. 1 der Abgabenordnung) Bürgschaftsaufwendungen in Höhe von 31.755,10 EUR als weitere Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden. Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung auf den Beklagten übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, haben die Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet haben, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Die Zuziehung eines Bevollmächtigen zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die einkünftemindernde Berücksichtigung von Zahlungen, die der Kläger aufgrund von drei Bürgschaften im Jahr 2003 geleistet hat.
Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger ist mindestens seit dem Jahr 1999 Gesellschafter sowohl der … (U-GmbH; Gesellschaftsvertrag s. Bl. 61 ff. der [vom Gericht in eine vernünftige Reihenfolge gebrachten] Rechtsbehelfsakte –Rb-A–) als auch der … (U-GmbH & Co. KG). Seine Beteiligung am Stammkapital der U-GmbH betrug 4.900 DM (2.505,33 EUR). Seine Kommanditeinlage betrug 375.340 DM. Davon finanzierte der Kläger 244.000 DM über ein Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), für das ihm Haftungsfreistellung gewährt wurde.
Daneben bezog der Kläger von der KG Arbeitslohn als Geschäftsführer der KG (s. Arbeitsvertrag vom 5. März 1999 nebst Anlagen und Zusatzvereinbarungen, Bl. 173 ff. der Gerichtsakte – GA –). Der Kläger erklärte den Arbeitslohn in Höhe von 159.888 DM im Jahr 1999 auf der Anlage N als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Entsprechend berücksichtigte das Finanzamt … (FA S) zunächst die Einkünfte in den Einkommensteuerbescheiden für 1999 vom 20. Oktober 2000 und 9. Oktober 2001. Mit ihrem Einspruch vom 17. Oktober 2001 trugen die Kläger vor, der Arbeitslohn sei zutreffenderweise im Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte der U-GmbH & Co. KG als Sonderbetriebseinnahmen erfasst. Das FA S änderte daraufhin den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1999 unter dem 13. November 2001 und erfasste lediglich die gesondert und einheitlich festgestellte...