Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung nach § 77 EStG bei Erledigung eines Untätigkeitseinspruchs
Leitsatz (redaktionell)
Ein Einspruch – auch Untätigkeitseinspruch – ist nur „erfolgreich” i. S. v. § 77 Abs. 1 EStG, wenn die Behörde zu Gunsten des Einspruchsführers tatsächlich über den Streitgegenstand des Einspruchsverfahrens entscheidet. Eine bloße formelle Erledigung des Untätigkeitseinspruchs dahingehend, dass die Behörde über den gestellten Antrag entscheidet, ist nicht ausreichend. Erforderlich ist auch eine Entscheidung, mit der die Behörde das beantragte Kindergeld gewährt.
Normenkette
EStG § 77; AO § 347 Abs. 1 S. 2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist polnischer Staatsbürger und war im Streitzeitraum in Inland ansässig. Im August 2013 beantragte er bei der beklagten Familienkasse (der Familienkasse) u.a. für seinen Sohn P (geboren am 26.1.1996) Kindergeld. Der Kläger wurde aufgefordert, weitere Unterlagen beizubringen. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers lagen der Familienkasse spätestens zum 12.9.2013 die zur Entscheidung notwendigen Unterlagen vor. Mit Schreiben vom 22.4.2014 legte der Kläger, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, Untätigkeitseinspruch ein, da die Familienkasse zu diesem Zeitpunkt noch nicht über den Antrag entschieden hatte. Mit Bescheid vom 10.10.2014 wurde der Kindergeldantrag des Klägers für den Sohn P für den Zeitraum bis Dezember 2012 abgelehnt. Mit Schreiben vom 3.11.2014 teilte die Familienkasse dem Kläger mit, dass der Untätigkeitseinspruch somit erledigt sei und die im Einspruchsverfahren entstandenen Kosten nicht erstattet würden. Hiergegen legte der Kläger unter Verweis auf ein Urteil des FG Düsseldorf vom 08. Juni 2011 Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 9.2.2015 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger ist der Auffassung, dass ein Erstattungsanspruch nach § 77 Abs. 1 EStG hinsichtlich der im Rahmen des Einspruchsverfahrens entstandenen Rechtsanwaltskosten bestehe. Dies gelte auch dann, wenn die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung abgelehnt habe. Durch die über sechs Monate andauernde „Nichtentscheidung” über den Antrag habe die Familienkasse die Einspruchseinlegung veranlasst.
Der Kläger beantragt,
die Familienkasse unter Aufhebung der Ablehnungsverfügung vom 3.11.2014 und der hierzu erlassenen Einspruchsentscheidung zu verpflichten, ihm die außergerichtlichen Kosten im Zusammenhang mit dem Kindergeldantrag für den Sohn P zu erstatten.
Die Familienkasse beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 EStG lägen nicht vor, denn „erfolgreich” im Sinne dieser Vorschrift sei ein Einspruch nur dann, wenn die Familienkasse zugunsten des Einspruchsführers tatsächlich über den Streitgegenstand entschieden habe.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Der Senat hat die Streitsache dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage ist unbegründet. Die Familienkasse hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten im Zusammenhang mit dem von ihm eingelegten Untätigkeitseinspruch zu erstatten.
1. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG hat die Familienkasse dem Einspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Einspruch gegen die Kindergeldfestsetzung erfolgreich ist. Über ihren Wortlaut hinaus ist die Vorschrift auch auf Einsprüche gegen die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung (BFH-Urteil vom 23. Juli 2002 VIII R 73/00, BFH/NV 2003, 25) und gegen die damit verbundene Rückforderung des Kindergelds anwendbar. Einspruch im Sinne dieser Vorschrift ist auch ein sogen. Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO, der auf die erstmalige Kindergeldfestsetzung zielt (vgl. Finanzgericht – FG – Hamburg, Gerichtsbescheid vom 06. Juni 2017 – 5 K 148/16 –, juris; FG – Köln, Urteil vom 21.11.2012, 14 K 1020/12, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2013, 713; FG Düsseldorf, Urteil vom 08.06.2011, 7 K 3951/10 Kg, juris; FG Düsseldorf, Urteil vom 08.06.2011, 7 K 85/11 Kg, EFG 2012, 529; Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz –DA-KG– vom 13. Juli 2017, BStBl I 2017, 1006/1121 unter R 6.5).
2. Ein Einspruch – auch Untätigkeitseinspruch – ist jedoch nur „erfolgreich” i.S.v. § 77 Abs. 1 EStG, wenn die Behörde zu Gunsten des Einspruchsführers tatsächlich über den Streitgegenstand des Einspruchsverfahrens entscheidet. Erledigt sich das Einspruchsverfahren dadurch, dass die Behörde lediglich aus anderen Gründen dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers entspricht, ist deshalb nicht von vorne herein von einem Erfolg des Einspruchs i.S.d. § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG auszugehen; in diesem Fall hängt die Kostenerstattung davon ab, ob die Behörde, wenn man das erledigende Ereignis au...