Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein grobes Verschulden bei versehentlich falscher Ablage eines Belegs und daraufhin unterlassener Angabe in der Steuererklärung durch einen Steuerberater in eigener Sache
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird ein Zahlungsbeleg versehentlich falsch abgelegt (hier: in einem Ordner für ein anderes Veranlagungsjahr) und unterbleibt dadurch die Erklärung einer als Sonderausgabe zu berücksichtigenden Beitragszahlung, trifft den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran, dass dem Finanzamt die Beitragszahlung erst nachträglich bekannt geworden ist. Das falsche Abheften eines Zahlungsbelegs stellt – auch unter Berücksichtigung der besonderen Sorgfaltsanforderungen für Steuerberater – als ein bloßes mechanisches Versehen bei Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (hier: Arbeitsbelastung und Fachkräftemangel bei den Angehörigen der steuerberatenden Berufe; kurzfristige Kündigung einer Mitarbeiterin) keinen schwerwiegenden Sorgfaltsverstoß dar.
2. Bei zusammen veranlagten Eheleuten bestehen keine Sorgfaltsanforderungen dahingehend, dass der eine Ehepartner den anderen Ehepartner nach der Erstellung einer Steuererklärung immer und bis ins kleinste Detail überprüfen müsste (etwa durch erneute vollständige Durchsicht von Kontoauszügen und anderen Unterlagen etc.), wenn der die Erklärung erstellende Ehepartner als Steuerberater entsprechend qualifiziert ist, sich seit Jahrzehnten verlässlich um die Steuerangelegenheiten der Eheleute gekümmert hat, von der streitbefangenen Zahlung Kenntnis hatte und lediglich den vom anderen Ehepartner ordnungsgemäß weitergeleitet Zahlungsbeleg versehentlich fehlerhaft abgelegt hat.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2020 vorliegen.
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war und ist als Steuerberater selbständig tätig. Die Klägerin war im Streitjahr als Angestellte bei dem Kläger angestellt.
Am 26. 11. 2020 zahlte die Klägerin von ihrem Konto zum Ausgleich einer Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente einen Betrag in Höhe von rrr € an die Deutsche Rentenversicherung X (DRV). Der Kläger hatte hiervon Kenntnis. Die DRV bestätigte die Zahlung mit Schreiben vom 4. 12. 2020. Den Zahlungsbeleg übergab die Klägerin an den Kläger und dieser legte den Beleg versehentlich in dem Belegordner für die Steuererklärung 2021 ab.
Zum 31. 3. 2021 kündigte eine Mitarbeiterin des Klägers und eine weitere Mitarbeiterin war ab Mitte November 2021 bis Ende Februar 2022 arbeitsunfähig. Im Übrigen waren im Jahr 2021 die Klägerin im Rahmen eines Minijobs und der als X qualifizierte Sohn der Kläger, S., im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung von zehn Stunden pro Woche bei dem Kläger beschäftigt, wobei die Klägerin Verwaltungstätigkeiten erledigte und der Sohn in der Beratung von Mandanten eingesetzt wurde.
Der Kläger erstellte die Einkommensteuererklärung für 2020 und reichte sie im September 2021 elektronisch bei dem Beklagten ein. In der Anlage Vorsorgeaufwand waren – die in der Lohnsteuerbescheinigung ausgewiesenen – Altersvorsorgebeiträge der Klägerin (Arbeitnehmeranteil in Höhe von xx € und Arbeitgeberanteil in Höhe von yy €), nicht aber die Einmalzahlung in Höhe von rrr € eingetragen (Bl. 91 GA); auch erfolgte insoweit keine automatische Übermittlung durch die DRV.
Entsprechend der seit Jahren bei den Klägern üblichen Praxis unterschrieb die Klägerin den für die eigenen Unterlagen erstellten Ausdruck der Steuererklärung, ohne dabei die einzelnen Positionen auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen.
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer für 2020 mit Bescheid vom 29. 12. 2021 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest (Bl. 93 GA). Nachdem der Kläger – auf Bitten des Beklagten – Unterlagen zu hier nicht streitbefangenen Besteuerungsgrundlagen nachgereicht hatte, hob der Beklagte den Vorbehalt der Nachprüfung mit Einkommensteuerbescheid für 2020 vom 13. 1. 2022 auf (Bl. 100 ff GA).
Im Rahmen des sich anschließenden Einspruchsverfahrens beantragte der Kläger, den Ertragsanteil einer von ihm bezogenen Rente steuerfrei zu stellen. Zur Begründung verwies er auf das Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 1. 7. 2021 VIII R 4/18, BFHE 273, 293. Der Beklagte half dem Einspruch mit Einkommensteuerbescheid für 2020 vom 24. 2. 2022 ab. In den Erläuterungen führte er aus, dass sich hierdurch der Einspruch erledige (Bl. 107 ff GA).
Im August 2022 beantragten die Kläger, die Zahlung an die DRV als beschränkt abziehbare Sonderausgaben zu berücksichtigen. Zur Begründung führten sie an, dass die Zahlung vom Konto der Klägerin geleistet worden sei. Erst bei der Vorbereitung der Steuererklärung für 2021 sei aufgefallen, dass die Zahlung nicht für das Jahr 2020 erklärt und die Belege in den Rentenunterlagen für 2021 abgelegt worden seien. Wegen der allgemeinen Arbeitsüberlastung der Angehörigen der steu...