Dr. Nils Häck, Dr. Julian Böhmer
Rz. 551
Fiktive Veräußerung der Anteile. § 6 Abs. 1 Satz 1 a.F. war so fomuliert ("auch ohne Veräußerung anzuwenden"), dass die wegzugsteuerrelevanten "Ereignisse" i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 a.F. letztlich keine "Veräußerung" i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG fingierten, sondern die "Veräußerung" in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG substituierten. Hieraus folgte im Umkehrschluss, dass § 6 Abs. 1 a.F. nach bisherigem Verständnis keine "fiktive Veräußerung" zeitigte. Richtigerweise konnte die Verwirklichung eines Tatbestands i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 a.F. von vornherein zu keiner schädlichen Veräußerung im Sinne der verschiedenen Sperr- oder Nachbehaltensfristen führen. Gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 "stehen" hingegen die in § 6 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 AStG aufgezählten Tatbestände "der Veräußerung von Anteilen im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz zum gemeinen Wert gleich", womit sich die Neufassung an die Formulierungen in § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG und § 17 Abs. 5 EStG eng anlehnt. Allerdings hat der Gesetzgeber nicht – wie z.B. in § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG, § 23 Abs. 1 Satz 5 EStG oder § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG – angeordnet, dass ein Ereignis i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 als Veräußerung "gilt", was deutlicher eine gesetzliche Fiktion zum Ausdruck gebracht hätte. Zu sehen ist aber, dass § 6 Abs. 1 Satz 2 von der "Veräußerung im Sinne des Satzes 1" spricht, scheint sich also noch deutlicher einer "echten" Veräußerung annähern zu wollen. Hierfür spricht auch § 6 Abs. 1 Satz 3 ("Veräußerungsgewinn") und Abs. 4 Satz 1 ("die nach Absatz 1 realisierten Einkünfte"). Hierdurch wird jedenfalls ergänzend deutlich, dass das "Gleichstehen" i.S.d. § 6 ("stehen der Veräußerung gleich") trotz seiner fehlenden Deutlichkeit im Sinne einer fiktiven Veräußerung zu verstehen ist, was dem gesetzgeberischen Willen entspricht und von der Finanzverwaltung entsprechend aufgegriffen wird.
Rz. 552
Bedeutung für andere Vorschriften (Überblick). Während die Änderung hin zu einer "fiktiven Veräußerung" hinsichtlich der primären Rechtsfolge – Aufdeckung stiller Reserven in den Anteilen i.S.v. § 17 Abs. 1 EStG und Versteuerung eines Veräußerungsgewinns i.S.v. § 17 EStG – gegenüber der bisherigen Rechtslage keine Neuerung zeitigt, ergibt sich erstmals die Folgefrage, ob diese zugleich eine "schädliche" Veräußerung im Rahmen der verschiedenen Sperr- und Nachbehaltensfristen (s. Rz. 553 ff.) herbeiführen kann. Der AEAStG nimmt hierzu nicht ausdrücklich Stellung. Zu sehen ist aber, dass nach Rz. 101 AEAStG im Rahmen des § 6 ein sog. Kürzungsbetrag i.S.v. § 11 Abs. 4 nicht in Betracht kommen soll (s. bereits Rz. 514). Gem. § 11 Abs. 4 ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen an Zwischengesellschaften ein sog. Kürzungsbetrag abzuziehen, soweit für diese Beteiligung zuvor Hinzurechnungsbeträge angesetzt wurden. Die Aussage in Rz. 101 AEAStG lässt sich nur rechtfertigen, wenn nach Verwaltungsauffassung die "fiktive Veräußerung" i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 keine "Veräußerung" i.S.v. § 11 Abs. 4 AStG darstellt. Im Umkehrschluss wird man dann aber auch die (zutreffende) Verwaltungsauffassung "herauslesen" können, dass auch an anderen Stellen (z.B. § 22 Abs. 1 UmwStG) die "fiktive Veräußerung" keine tatbestandliche "Veräußerung" ist. Dies wäre aber insoweit nicht konsequent, als die Finanzverwaltung die Verwirklichung eines Tatbestands i.S.v. § 6 schon bisher an anderer Stelle als "schädliche" Veräußerung angesehen hat und auch dem – ähnlich konzipierten – § 12 Abs. 1 KStG eine entsprechende Wirkung zuspricht. Ob sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs etwas anderes herleiten lässt, ist angesichts des Wortlauts des § 6 Abs. 1 Satz 1 ("im Sinne des § 17" EStG), Satz 2 ("[d]ie Veräußerung") und Satz 3 zweifelhaft. Weshalb es bei der Beurteilung einen Unterschied machen soll, ob es zu einem Rechtsträgerwechsel gekommen ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) oder nicht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) leuchtet nicht ein. Richtigerweise lassen sich keine generellen Aussagen treffen, vielmehr sind die einschlägigen Vorschriften daraufhin zu betrachten, ob nach Sinn und Zweck auch "fiktive Veräußerungen" erfasst sein sollen (s. Rz. 553 ff.). Für die Praxis verbleiben jedenfalls erhebliche Rechtsunsicherheiten, ob die Verwirklichung eines der Tatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 sperrfristrelevant sein kann. Soweit man eine Sperrfristrelevanz bejaht, stellt sich die weitere Folgefrage, welche Auswirkungen ein Entfallen der Wegzugsteuer i.S.v. § 6 Abs. 3 hätte. Sachgerecht wäre es, in diesem Fall auch den Sperrfristverstoß rückwirkend entfallen zu lassen. Der Wortlaut des § 6 Abs. 3 Satz 1 lässt jedoch nur den "Steueranspruch nach [§ 6] Absatz 1" entfallen, beseitigt aber nicht einen etwaigen Sperrfristverstoß.
Rz. 553
Bedeutung für § 6 Abs. 3, Abs. 5 a.F. S. die Beispiele 2 und 3 in Rz. 262.
Rz. 554
Bedeutung für § 11 AStG. S. Rz. ...