Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachforderung. Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Summenbescheid. Widerrufsregelung des § 28f Abs 2 SGB 4. keine Verdrängung der Rücknahmeregelung nach § 45 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
Die Widerrufsregelung des § 28f Abs 2 SGB IV verdrängt nicht die Rücknahmeregelung des § 45 SGB X.
Normenkette
SGB IV § 28f Abs. 2 S. 5; SGB X § 45 Abs. 1; SGG § 86a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 7. März 2016 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 15. Oktober 2015 und vom 2. Februar 2016 angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten beider Instanzen.
Der Streitwert wird auf 158.837,81 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine weitere Beitragsnachforderung.
Die Antragstellerin betreibt in der Form einer GmbH & Co. KG das Hotel “A... G...„ in H... mit zahlreichen festangestellten Arbeitnehmern sowie Aushilfs- und Saisonkräften seit Oktober 2006. Aufgrund einer Anzeige, bezogen auf die Zahlung steuerfreier Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit (zukünftig: SFN-Zuschläge) ohne Vorliegen der Voraussetzungen einer Steuerfreiheit, leitete die Staatsanwaltschaft Flensburg 2008 ein Strafverfahren ein. Dazu durchsuchte die Abteilung Finanzkontrolle Schwarzarbeit Standort Flensburg des Hauptzollamtes Itzehoe den Hotelbetrieb der Antragstellerin, wobei umfangreiche Personal- und Lohnunterlagen vorgelegt wurden. Nach dem Vermerk des Hauptzollamtes vom 24. Juni 2010 habe die Auswertung der beschlagnahmten Lohnunterlagen ergeben, dass in den Arbeitsverträgen vereinbarte Gehälter gekürzt und durch die Erhöhung der SFN-Zuschläge ausgeglichen worden seien. Im Arbeitsvertrag vereinbarte Gehälter seien durch Zusatzvereinbarungen in Grundgehalt und SFN-Zuschläge aufgesplittet worden. Die SFN-Zuschläge seien monatlich in gleicher Höhe gezahlt worden, ohne dass spätestens am Jahresende eine Abrechnung mit Ausgleich von zu viel bzw. zu wenig gezahlten Zuschlägen vorgenommen worden sei. Es gebe keine Einzelaufzeichnungen über tatsächlich geleistete Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitsstunden, sondern nur die Jahreslisten, in denen festgehalten worden sei, wie viele SFN-Stunden monatlich geleistet worden seien.
Für die Jahre 2006 bis 2008 forderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. August 2012 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 318.823,10 EUR einschließlich Säumniszuschlägen mit der Begründung, dass die Voraussetzungen einer Steuerfreiheit der SFN-Zuschläge nicht erfüllt seien. Damit gelte auch deren Beitragspflicht. Unter dem 26. Februar 2014 schloss die Antragstellerin mit dem Finanzamt Flensburg eine “tatsächliche Verständigung„ für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2012. Daraufhin kürzte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. April 2014 die Beitragsnachforderungen für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2008 auf 64.440,77 EUR einschließlich Säumniszuschlägen und legte dabei als Bemessungsgrundlage die “tatsächliche Verständigung„ vom 26. Februar 2014 zugrunde. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2015 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin zurück. Hiergegen hat die Antragstellerin am 31. März 2015 beim Sozialgericht Schleswig Klage erhoben (S 6 KR 109/15). Ein Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage blieb ohne Erfolg (Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 29. Juni 2015 - S 6 KR 12/15 ER, Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2015 - L 5 KR 153/15 B ER).
Mit Bescheid vom 3. April 2014 forderte die Antragsgegnerin auf der Grundlage der “tatsächlichen Verständigung„ vom 26. Februar 2014 für den hier streitigen Zeitraum 2009 bis 2012 Beiträge in Höhe von 63.571,00 EUR einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 18.212,50 EUR in Form eines Summenbescheides nach § 28f Abs. 2 SGB IV. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch der Antragstellerin half die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14. Oktober 2014 ab und nahm den Bescheid vom 3. April 2014 zurück, weil die Voraussetzungen die Voraussetzungen für den Erlass eines Summenbeitragsbescheides nicht vorgelegen hätten.
Nach Beschaffung der Lohnunterlagen für die Jahre 2009 bis 2012 erstellte die Antragsgegnerin nach Anhörung der Antragstellerin am 15. Oktober 2015 einen weiteren nunmehr personenbezogenen Beitragsbescheid für die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 476,082,37 EUR einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 166.434,00 EUR. Dabei blieb sie bei ihrer Einschätzung, dass die pauschal gezahlten SFN-Zuschläge beitragspflichtig seien. Für die Beitragsberechnung sei zudem der tatsächlich ausgezahlte Lohn der Mitarbeiter von einem Nettolohn auf Bruttolohn hochgerechnet worden. Es gelte die 30jährige Verjährung...