Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 1
§ 200 Abs. 1 S. 1 AO enthält den in allgemeiner Form formulierten Grundsatz, dass der Stpfl. während des Außenprüfungsverfahrens bei der Feststellung der steuerlich erheblichen Sachverhalte mitzuwirken habe. Die Bedeutung dieser Vorschrift ist unklar. M. E. ist sie als "Rahmen" aufzufassen für die einzelnen Mitwirkungspflichten, die im Gesetz geregelt sind; sie hat daher selbst keinen "vollziehbaren" Inhalt, sondern hat mehr die Funktion einer Verweisung auf die in der AO enthaltenen Mitwirkungspflichten, insbesondere also § 200 Abs. 1 S. 2 AO, aber auch §§ 93ff., 153 AO. Der Prüfer hat somit alle Befugnisse der §§ 93ff. AO. Insoweit hat § 200 Abs. 1 S. 1 AO keinen eigenständigen, über § 90 Abs. 1 AO hinausgehenden spezifischen Inhalt und ist daher überflüssig. Vereinzelt wird jedoch die Ansicht vertreten, § 200 Abs. 1 S. 1 AO habe einen darüber hinausgehenden Inhalt. "Mitwirken" bedeutet danach "mitmachen, konstruktive Beiträge leisten", mit dem Prüfer gemeinsam ein Ziel anstreben. Soweit mit diesen Formulierungen ausgedrückt werden soll, dass der Stpfl. über die in §§ 200 Abs. 1 S. 2, 93ff., 153 AO aufgeführten Pflichten noch weitere, im Gesetz nicht konkretisierte Pflichten dahin gehend habe, dass er gemeinsam mit dem Prüfer zu prüfen habe, den Prüfer also z. B. auf prüfungswürdige Bereiche aufmerksam machen müsse, kann dem nicht gefolgt werden. Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit erfordert es, dass die Pflichten des Stpfl. im Gesetz oder jedenfalls aufgrund des Gesetzes klar und eindeutig konkretisiert sind. Eine "Mitwirkungspflicht" in dem umschriebenen Sinn wäre weder konkret noch konkretisierbar. Der Stpfl. hat immer nur das zu tun, was das Gesetz oder aufgrund des Gesetzes konkretisiert von ihm verlangt wird, z. B. also die Steuererklärung nach § 153 AO zu berichtigen, wenn er erkennt, dass diese unrichtig ist, nicht aber den Prüfer auf die Möglichkeit einer anderen rechtlichen Würdigung hinzuweisen. Er hat Anfragen des Prüfers zu beantworten oder Unterlagen vorzulegen, nicht aber ungefragt alles mitzuteilen oder vorzulegen, was vielleicht für den Prüfer von Interesse sein könnte (abgesehen davon, dass dies schon aus praktischen Gründen unmöglich wäre). Diese Ansicht übersieht auch, dass kraft Gesetzes noch keine konkreten Pflichten des Stpfl. bestehen, sondern nur Pflichtigkeiten, die durch den Prüfer konkretisiert werden müssen (vgl. Rz. 2).