Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Einstufung eines Geländewagens der Mark Toyota (J 10)
Leitsatz (NV)
1. Nach Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO ist auch bei Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t die Beurteilung, ob ein LKW oder ein PKW vorliegt, anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu bestimmen.
2. Für die vom Tatsachengericht unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller technischen Merkmale vorzunehmende Bewertung der objektiven Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs ist die Einstufung in eine Fahrzeugklasse der Richtlinie 70/156/EWG unerheblich.
3. Daher kann die Feststellung, dass ein Geländewagen der Marke Toyota (J 10) nicht der Klasse M 1 der Richtlinie 70/156/EWG angehört, die Gesamtwürdigung aller technischen Merkmale zur kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Einstufung als PKW oder LKW nicht ersetzen.
Normenkette
KraftStG § 2 Abs. 2, § 8 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 3; StVZO § 23 Abs. 6a; PBefG § 4 Abs. 4 Nr. 1; EWGRL 156/70; EGRL 116/2001
Verfahrensgang
FG Köln (Beschluss vom 16.02.2006; Aktenzeichen 6 V 162/06) |
Tatbestand
I. Auf den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist ein Geländewagen der Marke Toyota (J 10) zugelassen. Das Fahrzeug weist ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t auf und ist mit einem Dieselmotor (Hubraum 4 164 ccm) ausgerüstet. Das Fahrzeug hat insgesamt fünf Sitzplätze und ist im Fahrzeugbrief als "PKW geschlossen" ausgewiesen. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) hatte das Kfz ursprünglich als "anderes Fahrzeug" i.S. von § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) eingestuft und es als LKW nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG der Gewichtsbesteuerung unterworfen. Unter Hinweis auf die Aufhebung der in § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) getroffenen Sonderregelung für Kombinationskraftwagen mit Wirkung vom 1. Mai 2005 stufte das FA das Kfz mit Änderungsbescheid vom 5. Dezember 2005 als PKW ein und nahm eine entsprechende Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer vor.
Gegen den Änderungsbescheid legte der Antragsteller Einspruch ein, über den das FA noch nicht entschieden hat. Seinem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheides gab das Finanzgericht (FG) statt. Zur Begründung beruft es sich darauf, dass nach der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO auf das Gemeinschaftsrecht zurückgegriffen werden müsse. Die Einstufung eines Kfz als PKW oder LKW richte sich nunmehr ausschließlich nach der Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom 20. Dezember 2001 zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1). Nach den Vorgaben dieser Richtlinie könne das streitgegenständliche Fahrzeug nicht als PKW der Klasse M1 angesehen werden. Denn es sei als Mehrzweckfahrzeug der Klasse M1 AF zuzuordnen. Auch erfülle es die im Anhang II C 1 b der RL 2001/116/EG festgelegte Bedingung P - (M + N x 68) ≫ N x 68, d.h. dass die unter Berücksichtigung der zulässigen Gesamtmasse maximal zuladbare Nutzlast bei dem Fahrzeug größer sei, als die bei Ausnutzung sämtlicher Sitzplätze (außer dem Fahrersitz) erreichbare Personenlast. Zwischen den verkehrsrechtlichen Vorschriften, zu denen die Richtlinienbestimmungen gehörten, und ihrer Anwendung sei zu unterscheiden, so dass der Einstufung nach Gemeinschaftsrecht auch eine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zukomme. Ob das Fahrzeug auch als Geländefahrzeug (G) anzusehen sei, könne dahingestellt bleiben. Entscheidend sei, dass es nicht in die Klasse M1 gehöre.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA insbesondere geltend, dass das Fahrzeug nach der RL 70/156/EWG nicht als Mehrzweckfahrzeug, sondern nur als Kombilimousine der Klasse M1 AC eingestuft werden könne. Die Lastenformel könne daher keine Anwendung finden. Die Einordnung in die Klasse M1 AF habe der Antragsteller nicht belegt. Dennoch habe das FG diese Behauptung ohne eigene Überprüfung übernommen und rechtsfehlerhaft die Lastenformel angewandt. Im Übrigen könne auf das Gemeinschaftsrecht nicht unmittelbar zurückgegriffen werden. Denn der Begriff des "Personenkraftwagens" werde in der RL 70/156/EWG nicht näher definiert. Somit finde nach wie vor § 4 Abs. 4 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) Anwendung.
Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten. Entgegen der Auffassung des FA sei die Einstufung als Mehrzweckfahrzeug der Klasse AF durch die vorgelegte Kopie des Kraftfahrzeugscheins und durch die persönliche Inaugenscheinnahme des Fahrzeugs durch die zuständige Sachbearbeiterin belegt worden. Als Kombilimousine könne das Fahrzeug keinesfalls eingestuft werden.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass das FG seine Entscheidung zu Unrecht darauf gestützt hat, dass sich das Fahrzeug nicht in die Klasse M1 der RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG einordnen lasse und dass es daher weitere Umstände, wie z.B. die Größe der Ladefläche oder das äußere Erscheinungsbild, von vornherein unberücksichtigt gelassen hat.
1. In seinem Beschluss vom 21. August 2006 VII B 333/05 (BStBl II 2006, 721, BFH/NV 2006, 2001) hat der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt, dass die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG keine Bestimmung über die Einstufung von Kfz in die Klasse der "Personenkraftwagen" enthalte. Den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen seien keine für die Mitgliedstaaten als verbindlich anzusehenden Festlegungen hinsichtlich der Einteilung von Kraftfahrzeugen für die Zwecke der Erhebung von Kraftfahrzeug- und Zulassungssteuern zu entnehmen. Maßgebend sei demnach das nationale Recht, dem --wie § 4 Abs. 4 Nr. 1 PBefG belege-- der Begriff des PKW geläufig sei.
a) Mit der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO durch die Siebenundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 2. November 2004 (BGBl I, 2712) ist die bis dahin nur für Kombinationskraftwagen bestehende Sonderregelung ersatzlos entfallen. Daher kann auch die Rechtsprechung des Senats, nach der Kombinationskraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild des Fahrzeugs nicht als PKW zu besteuern sind (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. März 1998 VII R 116/97, BFHE 185, 511, BStBl II 1998, 487), keine Geltung mehr beanspruchen.
b) Auch für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t gilt nun der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder PKW vorliegt. Dabei obliegt es dem Tatsachengericht, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale eine Bewertung der objektiven Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers (Senatsurteile vom 26. November 1991 VII R 88/90, BFH/NV 1992, 414; vom 5. Mai 1998 VII R 104/97, BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489; vom 26. Juni 1997 VII R 12/97, BFH/NV 1997, 810, und vom 1. August 2000 VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Dabei kann kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen (Senatsurteil in BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489).
c) Die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde hat als solche weder kraftfahrzeugsteuerrechtlich bindende Wirkung, wie sich im Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG ergibt, noch lässt sie im Allgemeinen deshalb einen zuverlässigen Rückschluss auf die richtige kraftfahrzeugsteuerrechtliche Beurteilung zu, weil die Verkehrsbehörden insofern eine überlegene Sachkunde anwenden könnten (BFH-Urteile vom 30. September 1981 II R 56/78, BFHE 134, 367, BStBl II 1982, 82, und in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Vielmehr hat die Kraftfahrzeugsteuerstelle die Einstufung eigenverantwortlich vorzunehmen. Auch der Fahrzeugklassifikation des Herstellers und der darauf beruhenden verkehrsrechtlich orientierten Beurteilung durch das Kraftfahrtbundesamt kommt keine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zu (Senatsurteil vom 8. Februar 2001 VII R 73/00, BFHE 194, 264, 269, BStBl II 2001, 368). Die Finanzbehörden sind somit an die von der Verkehrsbehörde vorgenommene Einstufung eines Fahrzeugs in die Klassen der RL 70/156/EWG nicht gebunden.
2. Entgegen der Auffassung des FG bestimmt sich die Besteuerung des streitgegenständlichen Kfz nicht nach den in der RL 2001/116/EG getroffenen Festlegungen. Daher ist es vorliegend unerheblich, ob sich das Fahrzeug nicht in die Klasse M1 einstufen lässt und ob es sich nach den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen um eine Kombilimousine (AC) oder ein Mehrzweckfahrzeug (AF) handelt. Die Einstufung des Fahrzeugs ist vielmehr aufgrund einer komplexen Gesamtwürdigung der die Bauart und Einrichtung bestimmenden Merkmale unter Berücksichtigung der hierzu entwickelten BFH-Rechtsprechung vorzunehmen. Wie bereits ausgeführt, ist die Gesamtheit der technischen Merkmale einer tatrichterlichen Würdigung zu unterziehen.
3. Im Streitfall sind daher auch die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sicherheitsgurten bzw. Sitzbefestigungspunkten, die mögliche Zuladung, die Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und evtl. durchgeführte Umbaumaßnahmen einer Gesamtbeurteilung zu unterziehen. Dabei kommt der Größe der Ladefläche eine besondere, wenn auch nicht allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn zu den Merkmalen, denen bei der Zuordnung eines Fahrzeugs zum Typ des PKW oder des LKW besonderes Gewicht beizumessen ist, gehören nach der Senatsrechtsprechung die Größe der Ladefläche, weil dieses Merkmal von besonderer Bedeutung dafür ist, ob die Möglichkeit einer Nutzung des Fahrzeugs zur Lastenbeförderung gegenüber seiner Eignung zur Personenbeförderung Vorrang hat (Senatsurteil in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Im Interesse praktikabler Zuordnungsmaßstäbe und der um der Rechtssicherheit willen geforderten Vorhersehbarkeit kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Zuordnungen hat es der Senat für gerechtfertigt erachtet, typisierend davon auszugehen, dass Fahrzeuge nicht vorwiegend der Lastenbeförderung zu dienen geeignet und bestimmt sind, wenn ihre Ladefläche oder ihr Laderaum nicht mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche ausmacht (BFH-Urteil in BFHE 194, 257, 262, BStBl II 2001, 72, m.w.N.).
Da sich das FG mit der Größe der Ladefläche und anderen technischen Merkmalen überhaupt nicht befasst, sondern seine Entscheidung ausschließlich darauf gestützt hat, dass das Fahrzeug des Antragstellers nach der RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG nicht der Klasse M1 angehören könne, war der Beschluss aufzuheben. Obwohl der BFH im Streitfall Tatsacheninstanz ist, erscheint es dem Senat zweckmäßig, die Sache an das FG zurückzugeben. Eine Zurückverweisung ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch im Beschwerdeverfahren möglich (Senatsentscheidungen vom 4. Mai 2004 VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363, und vom 8. August 1995 VII B 61/95, BFH/NV 1996, 105).
Fundstellen
Haufe-Index 1693412 |
BFH/NV 2007, 783 |