Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Nachprüfung eines Gewinnfeststellungs bescheids
Leitsatz (NV)
1. Im Einspruchsverfahren hat die Finanzbehörde den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid ohne Bindung an den Antrag des Steuerpflichtigen in vollem Umfang auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen.
2. Eine Klageänderung i. S. von §67 FGO liegt vor, wenn während der Rechtshängigkeit der Streitgegenstand geändert wird. Im Verfahren der Anfechtungsklage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid können die einzelnen Besteuerungsgrundlagen, deren Änderung der Kläger begehrt, Streit gegenstand sein.
Normenkette
AO 1977 § 157 Abs. 2, § 367 Abs. 2 S. 1; FGO §§ 48, 67, 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) sind Eheleute; sie waren in den Streitjahren 1988 und 1989 je zur Hälfte Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Die Kläger sind ferner je zur Hälfte am Stammkapital der von ihnen in 1976 gegründeten X-GmbH (GmbH) beteiligt. Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH ist der Kläger.
Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks, auf dem sie im Jahre 1980 eine Werkhalle mit Anbau errichteten. Die Werkhalle sowie die Büro- und Sozialräume des Anbaus vermieteten sie nach Fertigstellung ab 1. September 1980 an die GmbH. In dem Anbau befand sich ferner eine Drei-Zimmer-Wohnung, die an die Mutter des Klägers vermietet wurde.
Im Jahre 1981 erwarben die Kläger als Miteigentümer eine Drehmaschine zum Preis von 165 606 DM, die sie ab 1. Dezember 1981 an die GmbH vermieteten. Mit Wirkung zum 1. September 1988 übertrug der Kläger seinen Miteigentumsanteil an der Maschine unentgeltlich auf die Klägerin.
In ihren Einkommensteuer-Erklärungen für die Streitjahre erklärten die Kläger die Einnahmen aus der Vermietung der Werkhalle und der Drehmaschine (bis September 1988) als gemeinschaftliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und die ab September 1988 erzielten Einnahmen aus der Vermietung der Drehmaschine als Einkünfte der Klägerin. Die gemeinschaftlich erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gaben die Kläger mit 48 974,70 DM (1988) und ./. 13 037,97 DM (1989), die Vermietungseinkünfte der Klägerin mit 36 616,80 DM (1988) und 59 979,43 DM (1989) an.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (Finanzamt -- FA --) vertrat (ebenso wie in den Vorjahren) die Ansicht, daß zwischen der aus den Klägern bestehenden GbR und der GmbH eine Betriebsaufspaltung bestehe. Die Einkünfte aus der Verpachtung der Werkhalle, des Anbaus und der Dreh maschine seien deshalb als gewerbliche Einkünfte zu erfassen. Die Schenkung des hälftigen Miteigentumsanteils des Klägers an der Maschine stelle eine unentgeltliche Übertragung in das Sonderbetriebsvermögen der Klägerin dar mit der Folge, daß die Mieteinnahmen ab 1. September 1988 als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu behandeln seien.
Gegen die Feststellungsbescheide legten die Kläger erfolglos Einspruch ein.
Mit der Klage -- wie schon zuvor im Einspruchsverfahren -- machten die Kläger geltend, die Einkünfte aus der Vermietung der Werkhalle und der Drehmaschine seien keine gewerblichen Einkünfte, da zwischen der GbR und der GmbH keine Betriebsaufspaltung bestehe.
Sie beantragten zunächst (mit Schriftsatz vom 27. März 1992), die angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide aufzuheben, da sie in den Streitjahren keine gewerblichen Einkünfte erzielt hätten.
In der mündlichen Verhandlung beantragten sie, die Gewinnfeststellungsbescheide 1988 und 1989 dahin zu ändern, daß statt der festgestellten Einkünfte aus Gewerbebetrieb für 1988 ein Überschuß der Mieteinnahmen über die Werbungskosten in Höhe von 48 974,70 DM und für 1989 ein Überschuß der Werbungskosten über die Mieteinnahmen in Höhe von 13 037,97 DM festgestellt und je zur Hälfte auf die Kläger aufgeteilt werde.
Die Klage hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) folgte zwar der Auffassung des FA, daß zwischen der GbR und der GmbH eine Betriebsaufspaltung bestehe, es vertrat jedoch die Ansicht, daß die Einnahmen aus der Vermietung der Drehmaschine ab September 1988 nicht mehr in die Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb einbezogen werden dürften, da die Maschine ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zum Betriebsvermögen der GbR gehöre. Diese Einnahmen seien unmittelbar im Rahmen der Einkommensteuer-Veranlagung als Einkünfte der Klägerin zu erfassen. Die Einkünfte aus der Vermietung der Wohnung im Hallenanbau seien nicht als gewerbliche Einkünfte der GbR, sondern als solche aus Vermietung und Verpachtung festzustellen.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Das FA hat gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.
Das FA stützt seine Beschwerde auf den Zulassungsgrund des §115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe §96 Abs. 1 Satz 2 FGO verletzt, weil es über den Antrag der Kläger hinausgegangen sei. Das FG sei weder befugt gewesen, die Höhe der festgestellten Einkünfte zu mindern, noch die Qualifizierung und Zurechnung der Einkünfte aus der Vermietung der Drehmaschine als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin rückgängig zu machen.
Die Kläger beantragen, die Beschwerde zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Einen Verfahrensmangel, der die Zulassung der Revision gemäß §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rechtfertigen könnte, hat das FA in der Beschwerdebegründung nicht entsprechend den Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 FGO schlüssig dargelegt.
1. Die fehlerhafte Anwendung des §96 Abs. 1 Satz 2 FGO kann einen Verfahrensmangel begründen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Juli 1993 VIII R 67/91, BFHE 173, 480, 486, BStBl II 1994, 469; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., §96 FGO Rz. 200; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rz. 26, m. w. N.). Zur Bezeichnung eines solchen Mangels müssen jedoch die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tat sachen -- als wahr unterstellt -- die Schlußfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen (BFH-Beschlüsse vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, 253; vom 21. Mai 1992 III B 76/91, BFH/NV 1993, 32, ständige Rechtsprechung). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, daß das FG die durch §96 Abs. 1 Satz 2 FGO gezogenen Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis überschritten hat.
Die Vorschrift des §96 Abs. 1 Satz 2 FGO ist Ausdruck der Befugnis der Beteiligten des finanzgerichtlichen Verfahrens, Art und Umfang der gerichtlichen Nachprüfung eines Verwaltungsakts zu bestimmen (Lange, a.a.O., §96 FGO Rz. 173; Gräber, a.a.O., §96 Rz. 3). Die Finanzgerichte sind deshalb an das erkennbare, ggf. durch Auslegung zu ermittelnde Klagebegehren gebunden. Hat ein Kläger -- wie im Streitfall -- in der mündlichen Verhandlung einen vom Antrag in der Klagebegründung abweichenden Antrag gestellt, so ist grundsätzlich der in der mündlichen Verhandlung gestellte und in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung protokollierte Antrag für das FG maßgebend, sofern keine Einwände gegen die Richtigkeit des Protokolls erhoben wurden (BFH-Urteil vom 14. Juni 1994 IX R 36/89, BFH/NV 1995, 218). Etwas anderes gilt, wenn der neue Antrag als unzulässige Klageänderung (§67 FGO) zu beurteilen ist.
2. Der im angefochtenen Urteil festgestellte Klageantrag entspricht wörtlich dem Antrag, den die Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellt haben. Das FA behauptet selbst nicht, das FG sei über diesen Antrag hinausgegangen. Das FA meint jedoch, der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag könne für die Bestimmung des Klagebegehrens im Sinne von §96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht maßgebend sein, weil die Kläger damit ihr ursprünglich verfolgtes Klageziel geändert hätten, ohne daß die Voraussetzungen des §67 FGO für eine zulässige Klageänderung erfüllt seien. Das FG habe über den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag schon deshalb nicht sachlich entscheiden dürfen, weil die angefochtenen Feststellungsbescheide hinsichtlich der festgestellten Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin bestandskräftig geworden seien.
Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.
a) Entgegen der Ansicht des FA ist eine Teilbestandskraft der Gewinnfeststellungsbescheide nicht schon durch deren beschränkte Anfechtung im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren eingetreten. Dabei kann offen bleiben, ob sich die Kläger, wie das FA meint, mit dem Einspruch nur gegen die Art der festgestellten Einkünfte gewandt haben. Selbst wenn der im Einspruchsverfahren gestellte Antrag in diesem Sinne ausgelegt werden könnte, folgt daraus nicht, daß die Bescheide hinsichtlich der für die Klägerin festgestellten Sonderbetriebseinnahmen bestandskräftig geworden sind. Im Einspruchsverfahren besteht -- anders als im finanzgerichtlichen Verfahren -- keine Bindung an die vom Rechtsbehelfsführer gestellten Anträge. Vielmehr ist die Finanzbehörde gemäß §367 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) verpflichtet, den angefochtenen Bescheid in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in vollem Umfang erneut zu überprüfen; dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn Gegenstand des Einspruchsverfahrens ein Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften ist (BFH-Urteil vom 28. November 1989 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, 415, BStBl II 1990, 561). Das FA beruft sich für seine abweichende Auffassung zu Unrecht auf das Urteil des BFH vom 6. März 1991 II R 152/88, BFH/NV 1991, 726, das zur Anfechtung von Feststellungsbescheiden über den Einheitswert von Grundstücken ergangen ist. Nach der Rechtsprechung des BFH sind Feststellungen über den Grundstückswert, die Grundstücksart und die Zurechnung des Grundstücks Gegenstand je eigenständiger Verwaltungsakte, die selbständig mit Rechtsbehelfen anfechtbar sind und selbständig bestandskräftig werden können. Diese Rechtsprechung beruht auf Besonderheiten des Bewertungsrechts; sie kann nicht auf die einheitlich und gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen eines Gewinnfeststellungsbescheids übertragen werden. Die einzelnen Feststellungen in einem Gewinnfeststellungsbescheid können zwar gemäß §157 Abs. 2 AO 1977 gesondert angefochten werden, sie sind aber in der Regel nicht Gegenstand eigenständiger Verwaltungsakte, die selbständig bestandskräftig werden können (Senatsurteil in BFHE 159, 410, 415, BStBl II 1990, 561).
b) Das FG hat seiner Entscheidung zu Recht den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Kläger zugrunde gelegt. Dieser Antrag beinhaltet keine unzulässige Klageänderung. Bei fristgebundenen Klagen ist eine Klageänderung, unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen des §67 Abs. 1 FGO, nur statthaft, wenn nicht nur für das ursprüngliche, sondern auch für das geänderte Klagebegehren die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen (BFH-Urteile vom 19. Mai 1972 III R 138/68, BFHE 106, 8, 12, BStBl II 1972, 703, und vom 26. Februar 1980 VII R 60/78, BFHE 130, 12, BStBl II 1980, 331). Bei der Anfechtungsklage ist deshalb eine Klageänderung nur innerhalb der Klagefrist zulässig.
Eine Klageänderung liegt vor, wenn während der Rechtshängigkeit der Streitgegenstand geändert, d. h. anstelle des ursprünglichen Begehrens oder neben ihm ein anderer Klageantrag gestellt wird (Gräber/von Groll, a.a.O., 4. Aufl., §67 Anm. 2 und 6). Maßgeblich für das Vorliegen einer Klageänderung ist der Streitgegenstandsbegriff der FGO. Wird ein Feststellungsbescheid i. S. von §§179, 180 AO 1977 angegriffen, ist zu beachten, daß im Gegensatz zu Steuerbescheiden Streitgegenstand die einzelnen in ihm enthaltenen Besteuerungsgrundlagen sein können (§157 Abs. 2 AO 1977). Die einzelnen Besteuerungsgrundlagen sind selbst Regelungsgegenstand dieses Steuerverwaltungsakts. Das gilt z. B. für Aussagen zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, zur Qualifikation der Einkünfte, zum Vorliegen einer Mitunternehmerschaft, zur Höhe des Gesamtgewinns, des laufenden Gewinns, eines Veräußerungsgewinns oder eines Sondergewinns. Der Feststellungsbescheid stellt sich daher als eine Zusammenfassung einzelner Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen dar, die -- soweit sie eine rechtlich selbständige Würdigung enthalten -- auch als selbständiger Gegenstand eines Klageverfahrens in Betracht kommen. Eine selbständig anfechtbare Besteuerungsgrundlage kann danach auch die Höhe der Sonderbetriebseinnahmen oder -ausgaben sein (BFH-Urteil vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze war im vorliegenden Fall Streitgegenstand des Klageverfahrens in erster Linie die Qualifizierung der Einkünfte der GbR, darüber hinaus aber auch das Vorliegen von Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin. Das folgt aus einer die Interessen der Kläger angemessen berücksichtigenden Auslegung des ursprünglichen Klageantrags, bei der das gesamte Vorbringen zur Begründung der Klage heranzuziehen ist. Im finanzgerichtlichen Verfahren haben sich die Kläger von Anfang an gegen die Behandlung der Einkünfte aus der Ver mietung des Grundstücks und der Drehmaschine als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gewandt. Dabei kam es ihnen ersichtlich darauf an, die Qualifizierung dieser Einkünfte als solche aus Vermietung und Verpachtung durchzusetzen, und zwar unabhängig davon, ob diese Einkünfte von der Personengesellschaft oder von der Klägerin persönlich erzielt worden waren. Bei einem Erfolg dieses Klagebegehrens mußte zwangsläufig die Einbeziehung der von der Klägerin persönlich erzielten Vermietungseinkünfte in den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften entfallen, weil bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung "Sonderbetriebsvermögen" nicht möglich ist. Der im Schriftsatz vom 27. März 1992 gestellte Antrag ist deshalb unter Berücksichtigung der Ausführungen zu seiner Begründung dahin auszulegen, daß das Klagebegehren von Anfang an nicht nur auf eine Feststellung der gemeinschaftlich erzielten Einkünfte als solche aus Vermietung und Verpachtung, sondern auch auf eine Aufhebung der Feststellung von Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin gerichtet war. Der in diesem Sinne in der mündlichen Verhandlung präzisierte Klageantrag beinhaltet deshalb keine unzulässige Klageänderung.
Fundstellen
Haufe-Index 66927 |
BFH/NV 1998, 282 |