Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßvollmacht durch Schreiben des Klägers unmittelbar an das Gericht; Ausschluß des Prozeßbevollmächtigten wegen fehlender Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag
Leitsatz (NV)
1. Eine Prozeßvollmacht kann sich auch aus einem Schreiben des Klägers an das Gericht ergeben. Wenn der Kläger in dem Schreiben unmittelbar an das Gericht eine umfassende Vollmacht für die bei demselben Senat bereits anhängigen oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schreiben anhängig werdenden Verfahren erteilt, handelt es sich um eine wirksame Vollmacht für all diese Verfahren.
2. Die Zurückweisung eines Prozeßbevollmächtigten durch das FG wegen fehlender Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag ist eine Ermessensentscheidung, die vom BFH nur auf Ermessensfehler überprüft werden kann. Ausreichend für die Zurückweisung ist, wenn eine der beiden Fähigkeiten (die Fähigkeit zum mündlichen oder die Fähigkeit zum schriftlichen Vortrag) fehlt.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, §§ 129, 155; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; ZPO § 87
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) führte und führt noch vor dem Finanzgericht (FG) Klageverfahren wegen Einkommensteuer 1984, 1985, 1986, Umsatzsteuer 1984, 1985, 1986, 1987, 1988, 1989, 1990, 1973 bis 1976, Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 1982 bis 1983, Erlaß von Säumniszuschlägen sowie Aussetzung der Vollziehung Umsatzsteuer 1987 bis 1988. Ein Teil dieser Verfahren ist vom FG bereits entschieden worden. Die Klage ist jeweils abgewiesen worden. Hierzu sind Nichtzulassungsbeschwerden unter den Az. III B 43-- 51/94 beim erkennenden Senat anhängig.
Die Klagen waren in den Jahren 1990 bis 1992 erhoben worden. Zum Prozeßvertreter bestellte der Kläger jeweils seinen Sohn X. Schriftliche Begründungen der Klagen oder schriftliche Klageanträge wurden in der Regel nicht eingereicht. Es wurde vielmehr eine Reihe von Fristverlängerungsanträgen für die Klagebegründung gestellt, ohne daß dies nach deren Ablauf zu einer Klagebegründung geführt hätte.
Das FG führte am 30. November 1993 mündliche Verhandlungen in den Verfahren durch. Für den Kläger erschien zu den Terminen der Prozeßvertreter X. Aufgrund der mündlichen Verhandlungen vertagte das FG die Sachen.
Es schloß sodann mit dem mit vorliegender Beschwerde angegriffenen Beschluß den Prozeßvertreter X von der Prozeßvertretung des Klägers aus, bevor es die Sachen weiterführte. Den Beschluß begründete es damit, daß dem Prozeßvertreter X die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen und mündlichen Vortrag fehle. Die mangelnde Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen Vortrag zeige sich darin, daß die Klagen trotz des Zeitablaufs von zum Teil mehr als drei Jahren in der Regel nicht schriftlich begründet worden seien. In den mündlichen Verhandlungen vom 30. November 1993 sei deutlich geworden, daß der Klägervertreter auch nicht zum geeigneten mündlichen Vortrag in der Lage sei. Er habe völlig unsubstantiiert Ablehnungsanträge gegen den die Verhandlung führenden Richter gestellt. Außerdem habe er wiederholt nicht zur Sache gehörige Ausführungen gemacht, mit denen teilweise andere, auch frühere Angehörige des FG persönlich angegriffen worden seien. Die unsachlichen Ausführungen hätten dazu geführt, daß trotz mehrstündiger Verhandlung nur in vier Klagen hätten Sachanträge zu Protokoll genommen werden können. Zur Verzögerung habe u. a. weiter beigetragen, daß der Klägervertreter während der Verhandlung habe eine Einspruchsentscheidung einsehen müssen, obgleich er bereits am Vortag Akteneinsicht genommen habe. Die Verzögerung der mündlichen Verhandlungen und deren teilweise Störung durch den Klägervertreter habe die Vertagung der Sachen erforderlich gemacht.
Die vorliegende Beschwerde, mit der sich der Kläger durch einen vor dem Bundesfinanzhof (BFH) vertretungsberechtigten Prozeßbevollmächtigten gegen den Ausschluß seines Sohnes von der Prozeßvertretung wehrt, ist nicht begründet worden.
Der Prozeßbevollmächtigte hat trotz Aufforderung durch die Geschäftsstelle des erkennenden Senats keine schriftliche Prozeßvollmacht vorgelegt. Bei den Akten eines der beim Senat anhängigen Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das klageabweisende Urteil in einer der Sachen, in denen der Prozeßvertreter X von der Prozeßvertretung des Klägers ausgeschlossen worden ist (Az. des BFH III B 43/94), befindet sich jedoch unter dem Briefkopf des Klägers ein handschriftlich unterzeichnetes Schreiben an das FG mit dem Betreff "Rechtsstreite. . ." (Name des Klägers) gegen "Finanzamt. . ." (Bezeichnung des Beklagten) und der Überschrift "Vollmacht zur Vorlage beim Finanzgericht und Bundesfinanzhof". Das Schreiben hat zum Inhalt, daß der Prozeßbevollmächtigte zur Führung der Rechtsstreite bevollmächtigt sei.
Auf die bereits genannte erfolglose Aufforderung der Geschäftsstelle des erkennenden Senats an den Prozeßbevollmächtigten zur Vorlage einer schriftlichen Prozeßvollmacht teilte der Prozeßbevollmächtigte mit, daß er das Mandat niederlege und den Kläger nicht mehr vertrete. Er begründete dies damit, daß er vom Kläger trotz Aufforderung mit Fristsetzung keine schriftliche Prozeßvollmacht erhalten habe und aufgrund des nur mündlich erteilten Auftrags sein Mandat nicht wahrnehmen könne.
Nachdem die Geschäftsstelle des erkennenden Senats dem Prozeßbevollmächtigten eine Kopie des bei den Akten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens III B 43/94 befindlichen Schreibens des Klägers über die Bevollmächtigung übersandt hatte, äußerte sich der Prozeßbevollmächtigte, daß er dieses Bevollmächtigungsschreiben nicht kenne und auch die Unterschrift nicht dem Kläger zuordnen können.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Sie ist wirksam durch einen vor dem BFH vertretungsberechtigten Prozeßbevollmächtigten (vgl. Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs -- BFHEntlG --) eingelegt worden. Der Senat sieht trotz der von dem Prozeßbevollmächtigten selbst geltend gemachten Zweifel den durch eine schriftliche Vollmacht zu erbringenden Nachweis der Bevollmächtigung als erbracht an.
Die Vollmacht braucht nicht auf einem üblichen Vordruck erteilt zu werden. Sie muß ferner nicht vom Prozeßbevollmächtigten selbst eingereicht werden. Da die Vollmacht durch einseitige schriftliche Erklärung gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten, dem Prozeßgegner oder dem Gericht erteilt werden kann (BFH-Entscheidungen vom 23. Juni 1987 IX R 77/83, BFHE 150, 309, BStBl II 1987, 717; vom 30. Juli 1991 VIII B 88/89, BFHE 165, 22, BStBl II 1991, 848), kann sie sich vielmehr auch aus einem Schriftsatz des Klägers an das Gericht ergeben (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 13. September 1985 III R 69/85, BFH/NV 1986, 223; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 62 Rdnr. 27). In dem in den Akten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens III B 43/94 befindlichen Schreiben des Klägers an das FG vom 14. Februar 1994 ist daher eine wirksame Bevollmächtigung des Prozeßbevollmächtigten zu sehen.
Dieses Schreiben deckt mit der darin enthaltenen Vollmacht nicht nur das Verfahren III B 43/94 ab, bei dessen Akten es sich befindet. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Prozeßvollmacht zwar grundsätzlich dem zuständigen Spruchkörper zu dem jeweiligen Verfahren im Original einzureichen. Eine Bezugnahme auf eine Vollmacht, die in einem anderen Verfahren eingereicht worden ist, reicht als Nachweis der Bevollmächtigung aber aus, wenn dem Gericht eine Einsicht in diese Vollmachtsurkunde ohne weiteres möglich ist und sich aus der Urkunde ergibt, daß sie auch für das Verfahren, in dem die Bezugnahme erfolgt, bestimmt ist (BFH-Beschluß in BFHE 165, 22, BStBl II 1991, 848). Ebenso kann es genügen, wenn ein Kläger in einem Schreiben unmittelbar an das Gericht eine umfassende Vollmacht für die bei dem Gericht (hier dem BFH) bereits anhängigen oder in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Schreiben anhängig werdenden Verfahren erteilt. Wenn in einem solchen Fall diese Verfahren alle bei demselben Spruchkörper des Gerichts anhängig sind oder werden, ist die Einsichtnahme dieses Spruchkörpers in die Vollmachtsurkunde in allen Verfahren ohne weiteres möglich, wenn diese Urkunde in den Akten eines der Verfahren abgeheftet wird.
Diese Sachlage ist im Streitfall gegeben. Das Schreiben des Klägers über die Bevollmächtigung ist datiert vom 14. Februar 1994. Das gleiche Datum tragen die Schriftsätze, mit denen der Prozeßbevollmächtigte gegen die klageabweisenden Urteile des FG in den von dem Ausschluß des Prozeßvertreters X betroffenen Verfahren Nichtzulassungsbeschwerden eingelegt hat. Der Senat geht daher zunächst davon aus, daß das Bevollmächtigungsschreiben all diese unter dem Datum des 14. Februar 1994 anhängig gemachten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erfaßt. Wegen des Zusammenhangs erstreckt es sich aber auch auf das vorliegende Beschwerdeverfahren über den Ausschluß des X von der Prozeßvertretung des Klägers, das schon vorher anhängig war. Dieses Beschwerdeverfahren ist zum Teil Nebenverfahren zu den Nichtzulassungsbeschwerden. In den Beschwerdeschriften der Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird zudem der Ausschluß des X von der Prozeßvertretung gerügt und ausdrücklich auf das vorliegende Beschwerdeverfahren Bezug genommen. Die Bevollmächtigung für das vorliegende Beschwerdeverfahren kann daher nicht anders behandelt werden als die für die Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren.
Der Senat hat entgegen den von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers geäußerten Bedenken auch keine ernsthaften Zweifel, daß das Schreiben vom 14. Februar 1994 über die Bevollmächtigung des Prozeßbevollmächtigten eigenhändig vom Kläger unterzeichnet worden ist und daher die Anforderungen an die Schriftlichkeit der Vollmachtserteilung erfüllt. Sowohl in den Gerichtsakten zu den verschiedenen vom Kläger angestrengten Verfahren als auch in den dem Senat vorliegenden Akten des FA finden sich eine Reihe von Unterschriften des Klägers. Diese Unterschriften ähneln sich nur im Schriftbild und weisen in der Regel Unterschiede zueinander auf. In diesem Ähnlichkeitsrahmen liegt auch die Unterschrift unter dem Schreiben vom 14. Februar 1994 über die Bevollmächtigung des Prozeßbevollmächtigten.
b) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, daß keine Beschwerdebegründung erfolgt ist. Eine Beschwerde (ausgenommen nach § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) braucht nach § 128 ff. FGO nicht begründet zu werden (BFH-Beschluß vom 25. April 1968 VI B 47/67, BFHE 92, 469, BStBl II 1968, 608; Gräber/Ruban, a.a.O., 3. Aufl., § 129 Rdnr. 6 m. w. N.).
c) Die Zulässigkeit der Beschwerde wird ferner nicht dadurch berührt, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers sein Mandat niedergelegt hat. Gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG i. V. m. § 155 FGO und § 87 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erlangt die Kündigung des Vollmachtsvertrages erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Prozeßbevollmächtigten, der nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG postulationsfähig ist, Wirksamkeit (vgl. BFH-Urteil vom 13. Januar 1977 V R 87/76, BFHE 121, 20, BStBl II 1977, 238).
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Da der Prozeßbevollmächtigte keine Gründe für die Beschwerde dargelegt hat, kann der Senat die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses des X von der Prozeßvertretung des Klägers nur anhand der Aktenlage überprüfen. Danach ist die Entscheidung des FG über den Ausschluß nicht zu beanstanden.
a) Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO können Prozeßvertreter, denen die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt, zurückgewiesen werden. Ob die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO zutreffen, hat das Gericht in Ausübung seines ihm eingeräumten Ermessens zu entscheiden. Der BFH kann die vom FG in Ausübung seines Ermessens getroffene Entscheidung, die auch stark vom persönlichen Eindruck des FG von dem Prozeßvertreter abhängt, nur auf Ermessensfehler überprüfen (vgl. BFH-Beschluß vom 16. Oktober 1984 IX B 49/84, BFHE 142, 355, BStBl II 1985, 215). Die Entscheidung des FG über den Ausschluß des X von der Prozeßvertretung des Klägers läßt Ermessensfehler nicht erkennen.
b) So ist es nicht fehlerhaft, wenn das FG aus der Tatsache, daß der Prozeßvertreter X die von ihm für den Kläger eingelegte Vielzahl von Klagen in der Regel trotz des Zeitablaufs von zum Teil mehr als drei Jahren nicht schriftlich begründet und konkretisiert hat, auf mangelnde Fähigkeit zum sachgemäßen schriftlichen Vortrag geschlossen hat. Die in einem Teil der Verfahren immer wieder gestellten Fristverlängerungsanträge, ohne daß mit Ablauf der beantragten Fristverlängerung eine Klagebegründung erfolgt wäre, lassen den Schluß zu, daß der Prozeßvertreter zu einer geeigneten Klagebegründung nicht in der Lage war.
Im übrigen hat das FG den Ausschluß des Prozeßvertreters sowohl auf die fehlende Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen als auch auf die fehlende Fähigkeit zum geeigneten mündlichen Vortrag begründet. Ausreichend für den Ausschluß ist es nach § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO aber schon, wenn nur eine dieser beiden Fähigkeiten fehlt. Auch die fehlende Befähigung zum geeigneten mündlichen Vortrag reichte daher für den Ausschluß von der Prozeßvertretung aus.
Die mangelnde Fähigkeit zum geeigneten mündlichen Vortrag des Prozeßvertreters X hat sich nach den mit der Beschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des FG in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 30. November 1993 deutlich gezeigt. Wer mehrmals trotz entsprechender Hinweise des Gerichts in Verhandlungen zu bestimmten Sachen Ausführungen über andere Sachen macht und wegen mangelnder Vorbereitung der Sachen und aufgrund wiederholter unsubstantiierter und unsachlicher persönlicher Angriffe gegen den die Verhandlung führenden Richter sowie andere, auch frühere Angehörige des Gerichts die Verhandlung so verzögert, daß trotz mehrstündiger Verhandlung nur in vier Klagen überhaupt Sachanträge zu Protokoll genommen werden können, kann nicht als geeignet für eine Prozeßvertretung eines anderen angesehen werden. Jedenfalls ist es nicht fehlerhaft, wenn das FG aus einem solchen Verhalten auf mangelnde Fähigkeit zu geeignetem mündlichen Vortrag schließt.
Fundstellen
Haufe-Index 420460 |
BFH/NV 1995, 889 |