Entscheidungsstichwort (Thema)
Akteneinsicht
Leitsatz (NV)
1. Die Beteiligten haben Anspruch auf Einsicht in die den Streitfall betreffenden, dem FG gemäß § 71 Abs. 2 FGO vorgelegten Akten der beteiligten Behörde.
2. Ein Anspruch auf Einsicht in Akten, die dem Gericht nicht vorliegen, besteht nicht.
3. Wurden die vorgelegten Akten der Behörde dem äußeren Anschein nach ordnungsgemäß geführt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie vollständig sind.
Normenkette
FGO § 71 Abs. 2, § 78 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Köln (Beschluss vom 04.06.2007; Aktenzeichen 10 K 1400/07) |
Tatbestand
I. Streitpunkt ist die Gewährung von Akteneinsicht.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, hat beim Finanzgericht (FG) Köln Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer 2000, 2001 und 2002 vom 22. November 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. März 2007 erhoben (Az. des FG: 10 K 1400/07). In der Klageschrift hat sie Akteneinsicht in die Gerichtsakten sowie in die durch das Gericht beigezogenen Akten des Besteuerungsverfahrens beantragt.
Das FA hat daraufhin mit Schreiben vom 24. April 2007 "3 Bände Steuerakten (Rb-Akte, USt-Akte, Betriebsprüfungsakte)" übersandt. Diese Akten übersandte das FG am 4. Mai 2007 dem FA X, wo der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin am 14. und 15. Mai 2007 Einsicht nahm.
Bei den Gerichtsakten 10 K 1400/07 befindet sich darüber hinaus eine weitere Akte des FA, nämlich die Akte "Haftung".
Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2007 machte die Antragstellerin geltend, die gewährte Akteneinsicht sei "völlig untauglich" gewesen. Der vorgelegte Akteninhalt sei nicht nummeriert gewesen. Ferner seien "die Akten zur Umsatzsteuer 2000 bis 2002 nicht vorgelegt" worden. Diese Akten seien "Grundlage für die falsche Festsetzung der Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer". Wegen der fehlenden Nummerierung sei eine Bezugnahme auf den Akteninhalt nicht möglich.
Zur weiteren Rechtsverfolgung und zur weiteren Begründung des anhängigen Klageverfahrens würden "sämtliche" von dem FA geführten Steuerakten der Antragstellerin zur Einsichtnahme benötigt. Dazu gehörten insbesondere die Feststellungsakten, die Umsatzsteuerakten, die Bilanzakten, die Betriebsprüfungsakten und weitere vorhandene Nebenakten.
Das FG lehnte den "Antrag auf Einsicht in sämtliche beim FA geführten Akten" ab. Es führte zur Begründung u.a. aus, das FA habe folgende Akten übersandt:
- "1 Bd. Umsatzsteuerakte (enthaltend die Jahre 1998 bis 2002 einschließl. Einspruchsentscheidung zur USt 2000 bis 2002),
- 1 Bd. BP-Akten
- 1 Bd. Rechtsbehelfsakte zu Hinterziehungszinsen USt 2000 bis
2002".
Nach § 78 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) habe die Antragstellerin nur Anspruch auf Einsicht in die Akten, die das Gericht für seine Entscheidung benötige. Zur Entscheidung des Rechtsstreits reichten die Umsatzsteuerakten einschließlich der Rechtsbehelfsakten aus. Die Antragstellerin habe nicht dargelegt, wieso die Feststellungs-, Bilanz- und weitere Akten für den Rechtsstreit von Bedeutung sein könnten.
Der hiergegen erhobenen Beschwerde hat das FG nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
II. Die gemäß § 128 Abs. 1 FGO statthafte Beschwerde (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. November 1991 VII B 55/91, BFH/NV 1992, 403; vom 9. September 2003 VI B 63/02, BFH/NV 2004, 207) ist unbegründet. Das FG hat dem Gesuch der Antragstellerin auf Einsicht in weitere Steuerakten des FA zu Recht nicht entsprochen.
1. Gemäß § 78 Abs. 1 FGO haben die Beteiligten Anspruch auf Einsicht in die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten. Zu den letztgenannten Akten gehören die den Streitfall betreffenden, dem FG gemäß § 71 Abs. 2 FGO vorgelegten Akten der beteiligten Behörde, hier also jene des FA (BFH-Beschluss vom 24. November 2000 V B 82/00, BFH/NV 2001, 622; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 78 Rz 3).
Ein Anspruch auf Einsicht in Akten, die dem Gericht nicht vorliegen, besteht nicht (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2001, 622; vom 8. Oktober 2003 VII B 321/02, BFH/NV 2004, 499; vom 12. November 2003 VII B 347/02, BFH/NV 2004, 511; vom 8. Dezember 2006 XI B 59/06, BFH/NV 2007, 737).
2. Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin am 14. und 15. Mai 2007 beim FA X Akteneinsicht genommen.
a) Der Senat geht nach Durchsicht der FG-Akte davon aus, dass der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin dabei sämtliche vom FA dem FG vorgelegten Steuerakten, also auch die Akte "Haftung" eingesehen hat. Diese Akte wird zwar weder in dem Schreiben vom 24. April 2007, mit dem das FA die Steuerakten übersandt hat, noch in dem Schreiben des FA X vom 15. Mai 2007 über die erfolgte Akteneinsicht, noch in dem angefochtenen Beschluss des FG erwähnt. Nach Aktenlage muss diese Akte aber vom FA mit dem Schreiben vom 24. April 2007 übersandt --aber versehentlich in diesem Schreiben und dann fortlaufend nicht erwähnt-- worden sein; einen gegenteiligen Anhaltspunkt gibt es nicht.
Ebenso wenig gibt es nach Lage der Akten einen Anhaltspunkt für die Richtigkeit der nicht belegten Behauptung der Antragstellerin, die Umsatzsteuerakte sei ihr nicht zur Einsichtnahme vorgelegt worden.
b) Hiervon ausgehend besteht nach der dargelegten Rechtsprechung kein Anspruch der Antragstellerin auf Einsicht in weitere Steuerakten.
c) Dass die vom FA vorgelegten Steuerakten nicht nummeriert (paginiert) sind, ist unerheblich.
Es entspricht einem allgemein im Recht der Dokumentationspflichten anerkannten Rechtsgrundsatz --der auch auf die Verwaltungsaktenführung anzuwenden ist--, dass eine dem äußeren Anschein nach ordnungsgemäß geführte Dokumentation grundsätzlich die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich hat (vgl. Urteil des Oberverwaltungsgerichts --OVG-- Rheinland-Pfalz vom 2. Oktober 1991 7 A 10880/91, Deutsches Verwaltungsblatt --DVBl-- 1991, 1367, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 1992, 384). Die dem FG vorgelegten Steuerakten vermitteln --wovon sich der Senat im Einzelnen überzeugt hat-- den Eindruck inhaltlicher Geschlossenheit. Dem inhaltlichen Zusammenhang der Vorgänge nach drängt sich in keiner Weise das Fehlen irgendwelcher Vorgänge auf. Dazu hat die Antragstellerin auch nichts vorgetragen.
Soweit die Antragstellerin das Fehlen einer durchlaufenden Paginierung --was zutrifft-- rügt, ist eine solche zwar wünschenswert; sie kann aber durch andere nachvollziehbare Ordnungsprinzipien, wie das Einheften nach der zeitlichen Reihenfolge der Vorgänge, ersetzt werden (vgl. Urteil des OVG Rheinland-Pfalz in DVBl 1991, 1367, NVwZ 1992, 384).
Dementsprechend hat auch der BFH eine fehlende Paginierung der einem FG vom FA vorgelegten Akten nicht beanstandet (vgl. BFH-Beschluss vom 31. Januar 2002 X B 184/01, BFH/NV 2002, 674).
Entgegen der Behauptung der Antragstellerin ist trotz fehlender Nummerierung der Steuerakten eine Bezugnahme auf den Akteninhalt möglich (vgl. z.B. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27. Januar 2000 10 C 99.3695, NVwZ 2000, 693, Bayerische Verwaltungsblätter 2001, 251).
Fundstellen