Leitsatz (amtlich)
1. Hat der BFH auf einen erstmals in der Revisionsinstanz gestellten Antrag die Aussetzung der Vollziehung gem. § 69 Abs. 3 FGO ohne zeitliche Begrenzung angeordnet, so bleibt dieser Beschluß bis zur Aufhebung oder Änderung längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, gültig.
2. Wird danach in der Hauptsache das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen, so ist das FG als Gericht der Hauptsache zur Entscheidung über einen Antrag auf Aufhebung oder Abänderung des Aussetzungsbeschlusses zuständig.
Normenkette
FGO §§ 69-70
Tatbestand
Zu entscheiden ist über den Antrag des FA auf Änderung des Beschlusses des erkennenden Senats vom ... über die Aussetzung der Vollziehung des Vermögensabgabebescheids in der Fassung der Einspruchsentscheidung in der Vermögensabgabesache der X - Antragsgegnerin (Klägerin) - soweit die zu leistenden Vermögensabgabe-Vierteljahrsbeträge ... DM übersteigen.
In der Hauptsache war streitig, welcher Art die Ansprüche der Klägerin aus einem Vertrag und mit welchem Betrag sie bei der Vermögensabgabeveranlagung anzusetzen waren.
Der Senat hat im ersten Rechtsgang das Urteil des FG aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.
Die Klägerin hatte im ersten Rechtsgang zusammen mit der Revision beim BFH Aussetzung der Vollziehung des Vermögensabgabebescheids insoweit beantragt, als die zu zahlenden Vermögensabgabe-Vierteljahrsbeträge den Betrag von ... DM überstiegen. Der erkennende Senat hat dem Antrag teilweise insoweit stattgegeben, als die zu leistenden Vermögensabgabe-Vierteljahrsbeträge den Betrag von ... DM überstiegen.
Nach Ergehen des zurückverweisenden Urteils des Senats hat das FA die Klägerin aufgefordert, Zahlungsvorschläge für die bis dahin aufgelaufenen Vermögensabgaberückstände zu machen. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam, hat das FA im Wege des Verwaltungszwangsverfahrens eine Sicherungshypothek auf dem Grundstück eintragen lassen. Dem Antrag der Klägerin, die Zwangsvollstreckungsmaßnahme aufzuheben, da die Vollziehung durch den BFH ausgesetzt sei, hat das FA nicht stattgegeben. Mit Schreiben vom ... 1972 regte das FA an, den Aussetzungsbeschluß des erkennenden Senats zu überprüfen. Es hält eine Stundung der rückständigen Raten sowohl im Hinblick auf die Höhe des Rückstandes als auch im Hinblick auf die fehlende Sicherheitsleistung für nicht mehr vertretbar. Das FA beantragt die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses, hilfsweise, den Beschluß dahin gehend abzuändern, daß die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen ist.
Die Klägerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie ist der Meinung, daß der BFH für die Abänderung nicht zuständig sei, da die Hauptsache nach Zurückverweisung wieder beim FG anhängig sei. Sie hält auch die Auffassung des FA, daß über die Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung im Aussetzungsverfahren entschieden werden könne, wodurch die vorgenommene Zwangsvollstreckungsmaßnahme nachträglich gerechtfertigt werde, für unzutreffend. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses lägen nicht vor. Die Gründe, die zur Zurückverweisung der Sache an das FG geführt hätten, beständen auch jetzt noch fort. Das FG habe Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet und in der mündlichen Verhandlung den Sachverständigen in Anwesenheit der Prozeßparteien in seinen Auftrag eingewiesen. Es sei also nach wie vor offen, welches Ergebnis die Beweisaufnahme haben werde. Von dem Ergebnis hänge es aber ab, wie hoch die zu zahlenden Vermögensabgabe-Vierteljahrsbeträge seien. Auch der Hilfsantrag des FA sei unbegründet, da sich in den Vermögensverhältnissen der Klägerin keine Verschlechterung ergeben habe.
Entscheidungsgründe
In der Sache wegen Aussetzung der Vollziehung des Vermögensabgabebescheids in der Fassung der Einspruchsentscheidung erklärt sich der erkennende Senat zur Entscheidung über den Antrag des FA auf Aufhebung oder Änderung des Beschlusses des erkennenden Senats für unzuständig und verweist die Sache an das FG zur Entscheidung über den Antrag.
Der erkennende Senat hat im Aussetzungsbeschluß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vermögensabgabebescheids in der Fassung der Einspruchsentscheidung gehabt und deshalb die Aussetzung verfügt. Zwar hat der erkennende Senat dann in dem Urteil zur Hauptsache dahin gehend entschieden, daß die Klägerin nicht einen Anteil an Grundstücken, sondern eine Geldforderung in Höhe von ... v. H. eines Gesellschaftsvermögens habe. Der erkennende Senat hat weiter ausgesprochen, daß diese Forderung nach dem gemeinen Wert der Wirtschaftsgüter bemessen werden müsse, die die Klägerin aufgrund des Vergleichs erhalten habe. Der Senat hat jedoch hinsichtlich der Höhe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter und hierbei insbesondere wegen der Schätzung der gemeinen Werte der Grundstücke auf 150 v. H. der Einheitswerte Bedenken geäußert.
Beschlüsse über die Aussetzung der Vollziehung sind der Rechtskraft nicht fähig. Sie können von dem Gericht, das sie erlassen hat, jederzeit geändert werden. Voraussetzung ist, daß sich die tatsächlichen Verhältnisse, die zur Aussetzung geführt haben, geändert haben (vgl. v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO, Anm. 35 und 37; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 69 Anm. 63).
Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung sind grundsätzlich für jeden Verfahrensabschnitt besonders zu prüfen (Ziemer-Birkholz, a. a. O., § 69 Anm. 38). Der I. Senat des BFH hat es im Beschluß vom 19. Juni 1968 I S 4/68 (BFHE 92, 326, BStBl II 1968, 540) aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit für zulässig gehalten, die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung zeitlich über die Revisionsinstanz hinaus wirken zu lassen, wenn der BFH in der Hauptsache die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen hat. Der I. Senat hat hier zutreffend darauf hingewiesen, daß in diesen Fällen das FG genötigt wäre, alsbald nach der Entscheidung über die Zurückverweisung der Sache erneut über die Aussetzung der Vollziehung zu befinden, auch wenn die erforderliche Aufklärung des Sachverhalts im neuen Hauptsacheverfahren noch gar nicht hätte erfolgen können. Im Streitfall hat der erkennende Senat die Aussetzung der Vollziehung zeitlich nicht begrenzt. Nach Auffassung des Senats ist daher davon auszugehen, daß der Beschluß des Senats über die Aussetzung der Vollziehung bis zur Aufhebung oder Änderung, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, weiterhin gültig bleibt. Dies erfordert auch das Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen, der sich auf den Bestand einer - wenn in ihrer Wirkung auch nur vorläufigen - höchstrichterlichen Entscheidung zu seinen Gunsten im vorstehend ausgesprochenen Rahmen verläßt.
Hiervon unabhängig ist darüber zu befinden, wer über den Antrag des FA auf Aufhebung oder Änderung des Aussetzungsbeschlusses des Senats zu entscheiden hat. Nach § 69 Abs. 3 FGO ist grundsätzlich das Gericht der Hauptsache zuständig für die Frage, ob die Vollziehung ausgesetzt werden kann oder nicht. Da sich nach Zurückverweisung der Hauptsache an das FG neue Gesichtspunkte ergeben können, die die Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts in der Form der Einspruchsentscheidung nicht mehr als ernstlich zweifelhaft erscheinen lassen könnten, ist das FG nunmehr wiederum als Gericht der Hauptsache anzusehen. Der erkennende Senat erklärt sich daher für unzuständig und verweist auf den Hilfsantrag des FA hin die Sache an das FG zur Entscheidung. Hierbei ist das FG nicht an die bisherige rechtliche Auffassung des BFH in dem Aussetzungsbeschluß gebunden, da der Aussetzungsbeschluß - wie oben ausgeführt - nicht in Rechtskraft erwachsen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 70184 |
BStBl II 1973, 456 |
BFHE 1973, 152 |