Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Revisionsbegründung; schlüssige Darlegung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht
Leitsatz (NV)
- In der Revisionsbegründung müssen die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art angegeben werden, die das erstinstanzliche Urteil als unrichtig erscheinen lassen sollen. Der Revisionskläger hat sich mit den tragenden Gründen des finanzgerichtlichen Urteils auseinander zu setzen und darzulegen, weshalb er diese für unrichtig hält. Hierzu reicht die bloße Bezugnahme auf erstinstanzliches Vorbringen nicht aus.
- Wird mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung geltend gemacht, das FG hätte den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantrag von Amts wegen weiter aufklären müssen, so sind u.a. schlüssige Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung auch ohne entsprechenden Antrag aufdrängen musste und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a, b
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) vertreibt im Inland das geschlossene Fahrzeug X, das u.a. mit zwei Sitzen, einem Kofferraum, einem Benzinmotor sowie einem Automatikgetriebe ausgestattet ist und in Versionen mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h oder 25 km/h ausgeliefert wird. Das Fahrzeug weist grundsätzlich Fußpedale für Gas und Bremse auf. Als Sonderanfertigungen sind auch ein Rollstuhlhalter und Vorrichtungen für den reinen Handbetrieb erhältlich.
In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr 1997 nahm die Klägerin für die Lieferungen des Fahrzeugs den ermäßigten Umsatzsteuersatz in Anspruch. Im Anschluss an eine Außenprüfung kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) zu der Auffassung, dass es sich bei dem Fahrzeug nicht um eine Ware der Pos. 8713 der Kombinierten Nomenklatur ―KN― ("Rollstühle und andere Fahrzeuge für Kranke und Körperbehinderte, auch mit Motor oder anderer Vorrichtung zur mechanischen Fortbewegung"), sondern um einen PKW der Pos. 8703 KN handele. Dementsprechend unterwarf das FA die Umsätze dem Regelsteuersatz und änderte mit Bescheid vom 16. November 1999 die Festsetzung der Umsatzsteuer.
Das Finanzgericht (FG) wies die von der Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, das FA habe die Umsätze aus den Verkäufen des Fahrzeugs zu Recht dem Regelsteuersatz des § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. April 1993 (BGBl I, 565), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 1996 (BGBl I, 1851), unterworfen. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) seien PKW und Fahrzeuge, die umgebaut worden seien, damit sie von Behinderten benutzt werden könnten, nicht in die Pos. 8713 KN einzureihen und unterlägen deshalb nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG i.V.m. Nr. 51 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG. Fahrzeuge i.S. der Pos. 8713 KN müssten speziell zum Befördern von Kranken oder Körperbehinderten hergerichtet sein. Typische Rollstuhlnutzer wie z.B. Querschnittsgelähmte oder beinamputierte Körperbehinderte könnten das von der Klägerin vertriebene Fahrzeug für ihre besonderen Bedürfnisse gar nicht nutzen, weil sie die Fußpedale nicht bedienen könnten. Eine reine Handbedienung sei nur als Sonderanfertigung erhältlich, wie sie auch bei üblichen PKW angeboten werde. Nach den vorliegenden Werbeprospekten wende sich die Klägerin nicht vorrangig an Kranke und Körperbehinderte, sondern allgemein an ältere Menschen.
Die straßenverkehrsrechtliche Einordnung des Fahrzeugs als motorisierter Krankenfahrstuhl sei für dessen Tarifierung unerheblich. Es sei ferner unbeachtlich, ob andere Finanzbehörden vergleichbare Fahrzeuge als Rollstühle bzw. rollstuhlähnliche Fahrzeuge anerkannt hätten, weil nur das Fahrzeug X zu beurteilen sei und die Klägerin sich nicht auf eine Gleichbehandlung im Unrecht berufen könne. Selbst wenn die Umsätze aus dem Verkauf des Fahrzeugs in den Niederlanden ermäßigt besteuert würden, verstoße es nicht gegen Gemeinschaftsrecht, entsprechende Umsätze im Inland dem Regelsteuersatz zu unterwerfen. Denn nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG ―Richtlinie 77/388/EWG― (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 145/1) i.d.F. der Richtlinie 96/95/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 (ABlEG Nr. L 338/89) stehe es den Mitgliedstaaten frei, derartige Umsätze ermäßigt zu besteuern oder nicht. Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) bedürfe es daher nicht. Dem Antrag der Klägerin, eine verbindliche Zolltarifauskunft einzuholen, sei schon deshalb nicht zu entsprechen, weil die Erteilung einer solchen Auskunft nur für den Zweck, eine Ermäßigung der Umsatzsteuer zu erhalten, unzulässig sei.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie geltend macht, das Fahrzeug X unterliege dem ermäßigten Steuersatz. Es obliege einem Sachverständigen, das Fahrzeug in die KN einzureihen. Das FG habe kein Gutachten eines Sachverständigen eingeholt und das Fahrzeug auch nicht in Augenschein genommen. Wäre dies geschehen, so wäre ersichtlich geworden, dass das Fahrzeug speziell zum Befördern von Kranken oder Körperbehinderten gebaut worden sei. Sie habe überdies die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Sachverhalts gerügt und die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH beantragt. Die Tarifierungsentscheidung des FA führe wegen der hiervon abweichenden Einreihung des Fahrzeugs in den Niederlanden zu einer Ungleichbehandlung und Verzerrung des Binnenmarktes.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung sowie den Umsatzsteuerbescheid vom … 16. November 1999 und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―); eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Der Inhalt der Revisionsbegründung entspricht nicht den Mindestanforderungen.
1. Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO muss die Revisionsbegründung die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Dies erfordert, dass die erhobene Rüge eindeutig erkennen lassen muss, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält. Ferner muss der Revisionskläger die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art angeben, die nach seiner Auffassung das erstinstanzliche Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Das folgt aus dem Sinn und Zweck des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO, das Revisionsgericht zu entlasten und den Revisionskläger zu zwingen, Inhalt, Umfang und Zweck des Revisionsangriffs von vornherein klarzustellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30. April 2002 VII R 109/00, BFH/NV 2002, 1185; vom 31. Oktober 2002 VII R 4/02, BFH/NV 2003, 328, 329). Demgemäß muss sich der Revisionskläger mit den tragenden Gründen des finanzgerichtlichen Urteils auseinander setzen und darlegen, weshalb er diese für unrichtig hält (vgl. Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 16. Oktober 1998 III R 7/98, BFH/NV 1999, 501, 502; Urteil vom 16. März 2000 III R 21/99, BFHE 192, 169, 172, BStBl II 2000, 700, 702; Senatsbeschluss in BFH/NV 2003, 328, 329).
Diesen Anforderungen an die Darlegung einer Rechtsverletzung wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Der Revisionsbegründung lässt sich nicht entnehmen, welche Rechtsnorm die Klägerin für verletzt hält. Sie macht lediglich geltend, das Fahrzeug X unterliege dem ermäßigten Steuersatz, ohne überhaupt auf Nr. 51 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG sowie auf die Pos. 8713 KN einzugehen. Die Klägerin hat auch nicht dargelegt, welche Gründe tatsächlicher oder rechtlicher Art in dem erstinstanzlichen Urteil unrichtig sein sollen. Sie setzt sich nicht mit den Entscheidungsgründen des Urteils des FG auseinander, das eingehend unter Heranziehung der ErlHS ausgeführt hat, warum das Fahrzeug X seiner Auffassung nach nicht in die Pos. 8713 KN eingereiht werden könne. Die Hinweise der Klägerin auf die ihrer Meinung nach bestehende Ungleichbehandlung und Verzerrung des Binnenmarktes ersetzen nicht die nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO erforderliche Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der Vorentscheidung, zumal das FG auch auf dieses Vorbringen eingegangen ist. Im Übrigen reicht die bloße Bezugnahme der Klägerin auf ihr erstinstanzliches Vorbringen nicht aus, weil es auch insoweit an einer Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des Urteils des FG fehlt (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1999 VIII R 81/94, BFH/NV 1999, 1457, 1458; BFH-Beschluss vom 16. Juni 2000 XI R 10/00, BFH/NV 2000, 1239).
2. Soweit die Klägerin sinngemäß Verfahrensmängel rügt, genügt die Revisionsbegründung gleichfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen. Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO sind bei einer Verfahrensrüge die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben. Eine Verfahrensrüge ist unzulässig, wenn sie nicht schlüssig ist, d.h. wenn die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen als solche ―unabhängig von ihrer Beweisbarkeit― nicht ausreichen oder nicht geeignet sind darzutun, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 10. Mai 1990 V R 17/85, BFH/NV 1991, 201, 202; BFH-Beschluss vom 12. September 2000 III R 56/99, BFH/NV 2001, 197, 198).
Die Klägerin rügt mit ihrem Vorbringen, das FG habe weder ein Sachverständigengutachten eingeholt noch das Fahrzeug in Augenschein genommen, einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Wird geltend gemacht, das FG hätte den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantrag von Amts wegen weiter aufklären müssen, so sind u.a. schlüssige Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung auch ohne entsprechenden Antrag aufdrängen musste und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, 394; BFH-Beschluss vom 25. Juni 2002 X B 199/01, BFH/NV 2002, 1332, 1333). Daran fehlt es hier.
Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe es unterlassen, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, hat sie nicht dargelegt, gegen welche Vorschrift des Gerichtsverfahrensrechts das FG damit verstoßen haben soll. Überdies ist ein FG, das ―wie im Streitfall― nicht letztinstanzlich tätig wird, nach Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2002 VII B 35/02, BFH/NV 2002, 1499, 1503; vom 7. März 2003 VII B 282/02).
Fundstellen
Haufe-Index 1113515 |
BFH/NV 2004, 521 |