Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensausübung bei Inanspruchnahme zur Haftung
Leitsatz (NV)
Darüber, daß sich aus dem Grundsatz der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) in den Fällen, in denen das Gesetz der Verwaltung die Ausübung des Ermessens einräumt, auch ein Anspruch des Bürgers auf eine fehlerfreie Ermessensausübung ergibt, besteht in Literatur und Rechtsprechung kein Zweifel. Die Rechtsfrage ist daher nicht von grundsätzlicher Bedeutung.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Gründe
Ungeachtet der versäumten Rechtsmittelfrist ist die Beschwerde jedenfalls deshalb unzulässig, weil sie den geltend gemachten Grund für die Zulassung der Revision (grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Eine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde setzt die schlüssige Rüge eines der in § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO genannten Revisionsgründe voraus. Beruft sich der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage, so hat er diese in der Beschwerdeschrift konkret zu formulieren und auf ihre Klärungsbedürftigkeit sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung einzugehen (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).
Dem genügt die Beschwerdeschrift insoweit nicht, als sie die grundsätzliche Bedeutung der aus dem Beschwerdevorbringen erst herauszufilternden Rechtsfrage, ob sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung ableiten läßt und ob Ermessensfehlgebrauch vorliegt, wenn der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den (von der Gesellschaft bestelllten) Geschäftsführer anstatt "eines wirtschaftlich potenten Anteilseigners, der zugleich faktischer Geschäftsführer ist", zur Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuerbeträge heranzieht, lediglich behauptet.
Darüber, daß sich aus dem Grundsatz der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) in den Fällen, in denen das Gesetz der Verwaltung die Ausübung des Ermessens einräumt, auch ein Anspruch des Bürgers auf eine fehlerfreie Ermessensausübung ergibt, besteht in Literatur und Rechtsprechung nicht der geringste Zweifel (vgl. die umfangreiche Darstellung dieser Fragen z.B. in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 5 AO 1977, insbesondere Rz. 15 ff., 21 ff.; Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 17. Dezember 1969 2 BvR 23/65, BVerfGE 27, 297, 307 ff., und BFH-Entscheidung vom 26. Mai 1982 I R 16/78, BFHE 136, 111, BStBl II 1982, 583, 586). Gegenteiliges behauptet auch das Finanzgericht (FG) nicht, wenn es ausführt, aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebe sich kein Anspruch darauf, daß nur der nicht geschäftsführende Gesellschafter S. zur Haftung heranzuziehen sei.
Die Beschwerdeschrift versäumt es auch, zu der Rechtsprechung des BFH Stellung zu nehmen, daß die Inanspruchnahme der als alleiniger Geschäftsführer bestellten Person als Haftender vor oder neben anderen evtl. auch für eine Haftungsinanspruchnahme in Betracht kommenden Personen in der Regel ermessensgerecht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 22. Juli 1997 I B 44/97, BFH/NV 1998, 11, m.w.N., und Senatsurteil vom 2. Juli 1987 VII R 104/84, BFH/NV 1988, 6, m.w.N.) und daß bei der Ausübung des Ermessens grundsätzlich nicht auf die Beteiligungsverhältnisse der Geschäftsführer am Gesellschaftskapital abzustellen ist (vgl. Senatsurteil vom 29. Mai 1990 VII R 85/89, BFHE 161, 486, BStBl II 1990, 1008); sie stellt auch nicht dar, worin sie einen weiteren Klärungsbedarf für diese Rechtsfragen sieht (vgl. BFH-Beschluß vom 24. Februar 1995 VIII B 56/94, BFH/NV 1995, 973, 974). Mit der Behauptung, das FG habe bestimmte Rechtsgrundsätze auf den konkreten Sachverhalt fehlerhaft angewendet und letztlich zu der Frage, ob ein Ermessensfehlgebrauch seitens der zuständigen Verwaltungsbehörde vorliegt, nicht entschieden, ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Gleiches gilt für die Behauptung, daß die Finanzämter regelmäßig bei einer Konstellation, wie sie auch im Streitfall vorliegt, durch Ermessensfehlgebrauch den falschen Schuldner in Anspruch nähmen.
Da die Beschwerde aus diesen Gründen ohnehin keinen Erfolg haben konnte, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob dem Kläger wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewährt werden können, weil eine Angestellte des Prozeßbevollmächtigten des Klägers die Beschwerdeschrift irrtümlich unter einer unzutreffenden Faxnummer an das FG abgesandt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 302758 |
BFH/NV 2000, 3 |