Entscheidungsstichwort (Thema)
Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Befangenheit ist nicht zu besorgen, wenn eine Äußerung des Richters bei objektiver und vernünftiger Betrachtung erkennen läßt, daß sie auf einer lediglich vorläufigen (persönlichen) Meinungsbildung beruht und daß eine anderweitige Entscheidung des Senats nicht ausgeschlossen ist.
Befangenheit ist ebenfalls nicht zu besorgen, wenn der Richter von der Aufnahme von Vorgängen und Äußerungen in das Protokoll absieht, auf die es nicht ankommt.
Normenkette
FGO §§ 51, 94; ZPO § 42 Abs. 2, § 160 Abs. 4
Tatbestand
In dem Termin vom 17. November 1984 wurde die Streitsache (Einkommensteuer 1989) vor dem Richter am Finanzgericht K erörtert. Das Protokoll enthält zunächst die Darstellung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger). Im Anschluß daran heißt es wörtlich:
"Der Berichterstatter weist darauf hin, daß nach dem bisherigen Prozeßstoff voraussichtlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, daß der Kläger aufgrund seiner Vor- und Weiterbildung bereits zu Beginn des Streitjahres 1989 die Qualifikationsmerkmale aufgewiesen hat, die für eine Beurteilung seiner Tätigkeit als Katalogberuf i. S. v. § 18 EStG erforderlich sind.
Die Sach- und Rechtslage wird abschließend erörtert. Der Berichterstatter empfiehlt dem Kläger nicht, die Sache streitig fortzuführen.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erklärt:
Ich werde die Klage nicht zurücknehmen. Ich bitte vielmehr, mir noch eine Frist bis zum 31. März 1995 zu gewähren. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erklärt weiterhin: Ich erkläre hiermit die Ablehnung des Berichterstatters."
Das Finanzgericht (FG) wies den Antrag, Richter K für befangen zu erklären, zurück. Es liege kein Grund vor, der geeignet sei, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.
Mit der Beschwerde machen die Kläger geltend, daß Richter K den Parteien die Vor- und Nachteile eines durch alle Instanzen laufenden Verfahrens hätte vor Augen führen und vor allem die wirtschaftlichen Konsequenzen erläutern müssen. Das habe der abgelehnte Richter unterlassen und statt dessen die drakonische Empfehlung treten lassen, die Sache nicht streitig fortzuführen. Ein Richter, der mit einer eindeutigen "Empfehlung" vorgreiflich den Prozeßverlust in Aussicht stelle, handele pflichtwidrig. Auch sei diese "Empfehlung" ein unwiderlegbares Indiz dafür, daß sich der Richter bereits seine abschließende Meinung gebildet habe.
Das FG übergehe das Hauptargument der Kläger, nämlich daß der Richter K den Hergang falsch beurkundet habe. Insoweit werde auf den Schriftsatz vom 2. Dezember 1994 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet; der angefochtene Beschluß ist nicht zu beanstanden.
1. Gemäß § 51 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Ein solcher Grund kann nicht darin gesehen werden, daß sich der Berichterstatter eine Meinung über den Verfahrensausgang gebildet hat und er den Hinweis auf seine Rechtsmeinung mit der Empfehlung verbindet, eine Klagerücknahme zu erwägen. Ein solches Verhalten begründet keine Befangenheitsbesorgnis, wenn die Äußerung des Richters bei objektiver und vernünftiger Betrachtung erkennen läßt, daß sie auf einer lediglich vorläufigen (persönlichen) Meinungsbildung beruht und daß eine anderweitige Entscheidung des Senats nicht ausgeschlossen ist. Selbst bei Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises des Richters darauf, daß seine Äußerung auf einer lediglich vorläufigen (persönlichen) Meinungsbildung beruhe, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, der Berichterstatter hätte sich bereits endgültig fest gelegt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 1. September 1992 VII B 138/92, BFH/NV 1993, 256; vom 27. September 1994 VIII B 64--76/94, BFH/NV 1995, 526).
Im Streitfall kommt deutlich zum Ausdruck, daß K lediglich seine vorläufige Meinung geäußert hat. In dem Protokoll heißt es ausdrücklich, daß "nach dem bisherigen Prozeßstoff voraussichtlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit" die Qualifikationsmerkmale des § 18 des Einkommensteuergesetzes gegeben seien. Diese Formulierungen lassen erkennen, daß es sich nur um ein vorläufiges Urteil auf der Grundlage des bisherigen Prozeßstoffes handelt. Aus diesen Äußerungen kann nicht auf die Befangenheit des Richters K geschlossen werden.
2. Der Umstand, daß Richter K sich geweigert habe, den Protest des Prozeßbevollmächtigten zu der Protokollformulierung, die Sach- und Rechtslage sei abschließend erörtert worden, in das Protokoll aufzunehmen, begründet (selbst wenn sich der Vorgang so, wie ihn der Prozeßbevollmächtigte der Kläger darstellt, zugetragen haben sollte) ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit. Gemäß § 94 FGO i. V. m. § 160 Abs. 4 ZPO kann das Gericht von der Aufnahme absehen, wenn es auf die Feststellung des Vorgangs oder der Äußerung nicht ankommt. In Anbetracht des Umstandes, daß die Formulierung der abschließenden Erörterung sich nur auf den Erörterungstermin beziehen konnte, war Richter K aus seiner Sicht berechtigt, die Protokollierung des Protestes zu unterlassen. Doch selbst wenn ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht vorgelegen hätte, führte dieser Verstoß nicht ohne weiteres zur Besorgnis der Befangenheit (vgl. BFH-Beschluß vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308). Auch in diesem Fall bedürfte es eines besonderen Verhaltens, aufgrund dessen der Unvoreingenommenheit des Richters K hätte mißtraut werden können. Daran fehlt es.
Fundstellen
Haufe-Index 421005 |
BFH/NV 1996, 235 |