Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Äußerungen der Finanzbehörde; Umfang der Haftung für Bauabzugsteuer
Leitsatz (NV)
1. Ob das Finanzamt einen Verwaltungsakt erlassen oder nur eine zuvor ergangene Entscheidung des FG nachvollzogen hat, ist durch eine Würdigung des gesamten Inhalts der in Rede stehenden Maßnahme zu ermitteln.
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die in §§ 48 ff. EStG getroffenen Regelungen zum Steuerabzug bei Bauleistungen mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.
3. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Empfänger einer Bauleistung auch dann für die nicht einbehaltene und abgeführte Abzugsteuer haftet, wenn und soweit eine Steuerschuld des Leistenden nicht besteht.
Normenkette
EStG §§ 48, 48a, 48b, 48c Abs. 1; AO § 30 Abs. 4 Nr. 1; FGO § 69 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) nach § 48a Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für eine von ihr nicht einbehaltene und abgeführte Steuer haftet.
Im Rahmen einer bei der Antragstellerin durchgeführten Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, dass die Antragstellerin in den Streitjahren (2003 und 2005) von der Firma M, einer Kapitalgesellschaft bosnischen Rechts, Bauleistungen erhalten und in diesem Zusammenhang keine Abzugsteuer einbehalten hatte. Die Firma M habe eine Geschäftsanschrift im Inland besessen; für den Zeitraum vom 17. Juli 2003 bis zum 31. Dezember 2003 habe der Antragstellerin eine gefälschte Freistellungsbescheinigung vorgelegen. Der Prüfer nahm an, dass die Antragstellerin verpflichtet gewesen sei, die Freistellungsbescheinigung zu überprüfen; da sie diese Verpflichtung nicht erfüllt habe, hafte sie für die nicht einbehaltene Steuer. Den Haftungsbetrag bezifferte der Prüfer mit 247 788,30 €.
Auf dieser Basis erließ der Antragsgegner und Beschwerdeführer --das Finanzamt (FA)-- gegenüber der Antragstellerin einen Haftungsbescheid über den genannten Betrag. Die Antragstellerin focht diesen Bescheid mit einem Einspruch an, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden worden ist. Einen Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des Haftungsbescheids auszusetzen, lehnte das FA ab.
Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Haftungsbescheids. Im Verlauf des deshalb geführten Verfahrens setzte das FA die Vollziehung dieses Bescheids in Höhe von 61 477,20 € aus. Nachdem die Antragstellerin an ihrem weiter gehenden Antrag festhielt, setzte das FG die Vollziehung des Haftungsbescheids in Höhe der Restsumme (186 311,10 €) ebenfalls aus.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde rügt das FA sinngemäß eine fehlerhafte Anwendung des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Antrag auf AdV in dem noch verbliebenen Umfang abzulehnen, hilfsweise die AdV nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren.
Im Anschluss an die Einlegung der Beschwerde hat das FA der Antragstellerin mit Schreiben vom 18. August 2008 mitgeteilt, dass es die Vollziehung des angefochtenen Bescheids in vollem Umfang ohne Sicherheitsleistung aussetze. In dem Schreiben heißt es weiter, die AdV erfolge "auf Grund des Beschlusses des Finanzgerichts" und ende "einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch". Die Bearbeitung des Einspruchs werde "nach Entscheidung des BFH über die … gegen den … FG-Beschluss erhobene Beschwerde" erfolgen. Nach Erhalt dieses Schreibens hat die Antragstellerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das FA hat der Erledigungserklärung widersprochen. Daraufhin hat die Antragstellerin hilfsweise beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Durch die Verfügung des FA vom 18. August 2008 hat sich der Rechtsstreit wegen AdV nicht erledigt. Daher ist über die Beschwerde in der Sache zu entscheiden. Diese Entscheidung geht dahin, dass der angefochtene Beschluss des FG aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen wird.
1. Die Antragstellerin begehrt in erster Linie eine Entscheidung des Inhalts, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Eine solche Feststellung kann zwar grundsätzlich auch im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes getroffen werden (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 138 FGO Rz 43). Im Streitfall ist die von der Antragstellerin angenommene Erledigung aber nicht eingetreten.
a) Ein Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn nach Rechtshängigkeit ein Ereignis eingetreten ist, durch das das gesamte im Klageantrag zum Ausdruck kommende, in dem betreffenden Verfahren streitige Klagebegehren objektiv gegenstandslos geworden ist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Oktober 2004 II R 74/00, BFHE 207, 355, BStBl II 2005, 99, 100, m.w.N.). Das gilt im Verfahren wegen AdV entsprechend.
b) Im Streitfall richtet sich das Begehren der Antragstellerin auf eine AdV des angefochtenen Haftungsbescheids ohne Sicherheitsleistung. Es wäre gegenstandslos, wenn dem Schreiben des FA vom 18. August 2008 entnommen werden könnte, dass das FA diese Maßnahme nunmehr von sich aus --ohne gerichtliche Entscheidung-- angeordnet hat. So kann das Schreiben aber nicht verstanden werden. Es enthält vielmehr nur Aussagen dazu, dass und mit welchen Folgen die zuvor vom FG ausgesprochene AdV nunmehr vom FA kassentechnisch nachvollzogen werde.
Allerdings mag das genannte Schreiben auf den ersten Blick den Eindruck vermitteln können, das FA habe dem Antrag auf AdV abgeholfen. In diese Richtung weist vor allem sein Eingangssatz, der lautet: "… ich setze die Vollziehung des … Haftungsbescheides … unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs … aus". Ebenso mag die daran anschließende Wendung, die AdV werde "ohne Sicherheitsleistung bewilligt", für das Vorliegen einer abhelfenden Verfügung sprechen. Doch werden diese Faktoren schon dadurch relativiert, dass es sodann heißt, die AdV erfolge "auf Grund des Beschlusses des FG"; diese Bezugnahme lässt erkennen, dass das FA nicht eine eigenständige Entscheidung treffen, sondern nur die zuvor vom FG getroffene Entscheidung umsetzen wollte. Entscheidend für eine solche Deutung spricht aber vor allem der das Schreiben abschließende Hinweis, die weitere Bearbeitung des Einspruchs werde "nach Entscheidung des BFH über die … Beschwerde" erfolgen; er macht deutlich, dass das FA sich nicht etwa dem FG in der Sache anschließen wollte, sondern eine AdV weiterhin für unzulässig hielt und dazu nach wie vor eine Entscheidung des BFH anstrebte. Angesichts dessen ist das Schreiben bei der gebotenen verständigen Würdigung seines gesamten Inhalts dahin zu verstehen, dass das FA nicht dem Begehren der Antragstellerin abhelfen wollte, sondern an seinem bisherigen Standpunkt festhielt und es --ähnlich wie bei einer Mitteilung i.S. des § 100 Abs. 2 Satz 3 FGO (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. November 2004 V R 37/03, BFHE 208, 98, BStBl II 2005, 217)-- nur um die Umsetzung der Entscheidung des FG ging. Damit aber war der bisherige Streitstoff erkennbar nicht beseitigt. Für eine Feststellung des Inhalts, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei, ist deshalb kein Raum.
c) Die Antragstellerin hat hilfsweise ihren Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde wiederholt. Ein solches Vorgehen ist zulässig (BFH-Urteil in BFHE 207, 355, BStBl II 2005, 99, 101; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 138 FGO Rz 36, m.w.N.). Es führt dazu, dass nunmehr über den Gegenstand der Beschwerde inhaltlich zu entscheiden ist.
2. Die Beschwerde ist begründet. Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die Vollziehung des Haftungsbescheids aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen in vollem Umfang auszusetzen ist. Inwieweit der Antragstellerin eine AdV gewährt werden kann, kann aber auf der Basis des derzeitigen Erkenntnisstandes nicht abschließend beurteilt werden.
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die AdV soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Solche Zweifel bestehen dann, wenn bei summarischer Überprüfung des Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (Senatsbeschluss vom 26. September 2007 I B 53, 54/07, BFHE 219, 19, BStBl II 2008, 415, m.w.N.).
b) Im Streitfall ist nicht zweifelhaft, dass der angefochtene Bescheid insoweit der Gesetzeslage entspricht, als die Antragstellerin für die dort genannten Beträge haftet. Denn nach § 48a Abs. 3 EStG haftet der Empfänger einer Bauleistung (§ 48 Abs. 1 Satz 1 EStG) für den von ihm abzuführenden Steuerabzugsbetrag (§ 48a Abs. 1 EStG) in Höhe von 15 % des Leistungsentgelts (§ 48 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Voraussetzungen für eine solche Haftung sind, wie auch das FG angenommen hat, im Streitfall erfüllt. Ebenso ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass das FA die hiernach bestehende Haftung durch einen Haftungsbescheid geltend machen durfte; das ergibt sich mit hinreichender Klarheit aus § 48a Abs. 3 Satz 4 EStG, der die Zuständigkeit für den Erlass eines solchen Bescheids regelt. Der Senat verzichtet auf weitere Ausführungen zu diesen Punkten, da die Antragstellerin insoweit keine Einwendungen erhoben hat.
c) Das FG hat diese Einschätzung geteilt. Es hat dem Antrag dennoch stattgegeben, da es angenommen hat, dass die in §§ 48 ff. EStG getroffenen Regelungen mit der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 f. des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte) nicht vereinbar seien. Dem ist nicht beizupflichten.
aa) Das in §§ 48 ff. EStG angeordnete Steuerabzugsverfahren ist in systematischer Hinsicht mit demjenigen vergleichbar, das § 50a Abs. 4 EStG und § 50d EStG im Zusammenhang mit der Besteuerung ausländischer Künstler und Sportler vorsehen. Dazu hat der Senat entschieden, dass die Vereinbarkeit jener Regelungen mit dem Gemeinschaftsrecht nach den im Jahr 2007 gegebenen Verhältnissen nicht i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO ernstlich zweifelhaft ist (Senatsbeschluss vom 29. November 2007 I B 181/07, BFHE 219, 214, BStBl II 2008, 195). Das FG zieht die Richtigkeit dieser Entscheidung zwar in Zweifel. Der Senat hält aber die dort angestellten Überlegungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, weiterhin für tragfähig.
bb) Im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Vorschriften kommt hinzu, dass §§ 48 ff. EStG nicht danach unterscheiden, ob die Bauleistung durch einen inländischen oder einen ausländischen Unternehmer erbracht wird. Die mit dem Steuerabzug verbundenen Verpflichtungen des Leistungsempfängers knüpfen vielmehr ausschließlich an die in § 48 EStG genannten Merkmale an, zu denen die Ansässigkeit des leistenden Unternehmers nicht gehört. Darin unterscheiden sich die maßgeblichen Regelungen namentlich von denjenigen des belgischen Rechts, die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) für mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erachtet hat (EuGH-Urteil vom 9. November 2006 Rs. C-433/04, "Kommission vs. Belgien", Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2007, 655); jene Entscheidung kann daher auf den Streitfall nicht übertragen werden. Die Erstreckung der Abzugsregelungen auf alle Leistenden schließt eine dem Gemeinschaftsrecht widerstreitende Diskriminierung ausländischer Unternehmer im Grundsatz aus.
Es mag dahingestellt bleiben, ob gleichwohl für die Annahme Raum ist, dass die gesetzliche Regelung ausländische Anbieter von Bauleistungen gegenüber ihren inländischen Konkurrenten benachteiligen kann. Selbst wenn man diese Frage im Hinblick auf mögliche Unterschiede im Verwaltungsvollzug oder in anderen tatsächlichen Gegebenheiten bejahen wollte (vgl. dazu Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., § 48 Rz 4; Ebling in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 48 EStG Rz 47 f.; Fuhrmann in Korn, Einkommensteuergesetz, § 48 Rz 13 ff.), wäre eine solche Benachteiligung jedenfalls deutlich geringer als diejenige, der Steuerausländer im Bereich der Besteuerung von Künstlern und Sportlern unterliegen. Sie müsste daher zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels, einen gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze zu ermöglichen, umso mehr hingenommen werden. Angesichts dessen muss im Streitfall auf die Überlegungen des FG dazu, dass die Rechtsprechung des Senats zu § 50a EStG der Überprüfung bedürfe, nicht näher eingegangen werden; im Bereich der Bauabzugsteuer besteht jedenfalls kein Anlass, die Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht für ernstlich zweifelhaft zu halten.
d) Die Antragstellerin hat jedoch weiterhin geltend gemacht, dass der ihr gegenüber angesetzte Haftungsbetrag die Steuerschulden der M deutlich übersteige, was hinsichtlich des Differenzbetrags zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids führe. Dieser Einwand ist erheblich.
aa) Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Haftung des Leistungsempfängers nach § 48a Abs. 3 EStG der Höhe nach durch die zu sichernde Steuerforderung gegenüber dem Leistenden begrenzt ist. Für eine solche Annahme könnte zum einen die allgemein anerkannte Akzessorietät einer Haftungsschuld gegenüber der Steuerschuld (vgl. dazu z.B. § 191 Abs. 5 der Abgabenordnung --AO--) sprechen. Zum anderen könnte sie sich auf die Überlegung stützen lassen, dass die Haftung nach § 48a Abs. 3 EStG Schadensersatzcharakter hat (so z.B. FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27. Mai 2008 4 K 1300/06, nicht veröffentlicht). Schließlich ist zu bedenken, dass nach § 48d EStG eine auf einem Doppelbesteuerungsabkommen beruhende Steuerbefreiung des Leistenden der Anwendung der §§ 48 ff. EStG nicht entgegensteht; daraus könnte sich der Gegenschluss ziehen lassen, dass der Leistungsempfänger nicht haftet, wenn und soweit eine Steuerschuld des Leistenden aus anderen Gründen nicht besteht. Diese Frage ist bei summarischer Betrachtung ungeklärt. Dasselbe gilt für die weitere Frage, ob als "zu sichernde Steuerforderung" ggf. die Gesamtheit aller Steuerbeträge i.S. des § 48c Abs. 1 Satz 1 EStG anzusehen oder ob ein bestimmter Zusammenhang mit der die Abzugspflicht begründenden Leistung zu fordern ist.
Es kann nicht Aufgabe des Verfahrens wegen einstweiligen Rechtsschutzes sein, die damit angesprochenen Fragen abschließend zu klären. Bezogen auf den Streitfall hält der Senat es jedoch für ernstlich möglich, dass der angefochtene Bescheid als rechtswidrig anzusehen wäre, wenn und soweit zwischen der Verletzung der Abzugspflicht einerseits und einer Steuerforderung gegenüber dem Leistenden andererseits erkennbar kein Zusammenhang bestünde. Diese Überlegung könnte namentlich dann durchgreifen, wenn die Steuerschuld der M --zur Gänze oder teilweise-- erst nach dem Ende der Geschäftsbeziehungen zwischen der Antragstellerin und M begründet worden ist. Das FG ist dem, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, nicht nachgegangen. Das muss deshalb nachgeholt werden.
bb) Einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts in dieser Richtung steht das vom FA angesprochene Steuergeheimnis (§ 30 Abs. 1 AO) nicht entgegen. Denn wenn und soweit zwischen Steuerforderung und Haftungsschuld ein rechtlicher Zusammenhang besteht, dienen Angaben zur Höhe der Steuerforderung der Durchführung des Haftungsverfahrens (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Dem entsprechend geht auch das Bundesministerium der Finanzen (BMF) davon aus, dass bei der Frage nach der Inanspruchnahme des Leistungsempfängers die Höhe bestehender Steuerforderungen gegenüber dem Leistenden jedenfalls im Rahmen der Ermessensbetätigung zu berücksichtigen ist (BMF-Schreiben vom 27. Dezember 2002, BStBl I 2002, 1399, Tz. 73). In Übereinstimmung damit müssen im Streitfall die Erkenntnisse der Finanzbehörden über die steuerlichen Verhältnisse der M in die Würdigung des angefochtenen Bescheids einbezogen werden.
cc) Der Senat hält es für sachgerecht, die hiernach notwendige weitere Aufklärung des Sachverhalts dem FG zu überlassen. Er verweist deshalb zu diesem Zweck die Sache zurück, was auch im Beschwerdeverfahren zulässig ist (Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 132 Rz 10, m.w.N.). Sofern das FG feststellen sollte, dass der Haftungsbetrag die von M geschuldeten Steuern der in § 48c Abs. 1 EStG bezeichneten Art übersteigt oder die Steuerforderung gegenüber M keinesfalls mit der Verletzung der Abführungspflicht zusammenhängen kann, wäre der Antragstellerin die begehrte AdV zu gewähren.
e) Die übrigen Einwendungen der Antragstellerin gegen den Haftungsbescheid greifen bei summarischer Betrachtung zweifelsfrei nicht durch.
aa) Das gilt zum einen für den Vortrag, im Bereich der Bauabzugsteuer bestehe ein "strukturelles Vollzugsdefizit" und deshalb ein verfassungswidriger Zustand (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. März 2004 2 BvL 17/02, BStBl II 2005, 56), da die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen nicht hinreichend überprüft werde. Dem ist schon deshalb nicht zu folgen, weil nicht erkennbar ist, dass die Erfüllung der sich aus §§ 48 ff. EStG ergebenden Verpflichtungen in deutlich geringerem Umfang sichergestellt ist als die Beachtung anderer steuerrechtlicher Vorgaben; nur dann könnte jedoch ein verfassungsrechtlich relevantes Vollzugsdefizit vorliegen (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 7. September 2005 VIII R 90/04, BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61).
bb) Die Rüge, das FA habe durch die Freigabe gepfändeter Forderungen der M einen möglichen Steuerausfall mitverschuldet, geht ebenfalls fehl. Denn die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners kann nur dann unter dem Gesichtspunkt des behördlichen Mitverschuldens ganz oder teilweise ausgeschlossen sein, wenn die anderweitige Beitreibung der Steuer in Folge einer besonders groben Pflichtverletzung der Behörde unterblieben ist (Senatsurteil vom 29. Juli 1992 I R 112/91, BFH/NV 1994, 357; Jatzke in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 AO Rz 63, m.w.N.), und ein solcher Sachverhalt ergibt sich aus dem Vortrag der Antragstellerin nicht. Vielmehr wäre es in erster Linie Sache der Antragstellerin gewesen, dem Fehlen einer Freistellungsbescheinigung i.S. des § 48b EStG durch eine korrekte Durchführung des Steuerabzugs Rechnung zu tragen.
cc) Soweit die Antragstellerin schließlich beanstandet, dass die Finanzverwaltung Unterlagen beschlagnahmt habe und sie --die Antragstellerin-- diese Unterlagen nunmehr nicht auf darin befindliche Freistellungsbescheinigungen durchsuchen könne, ist sie auf die Möglichkeit der Akteneinsicht zu verweisen. Wenn sie davon keinen Gebrauch machen oder ihr eine Akteneinsicht rechtmäßig verwehrt werden sollte (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 4. Juni 2003 VII B 138/01, BFHE 202, 231, BStBl II 2003, 790), könnte dies nicht zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids führen.
f) Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung auch dann ausgesetzt werden, wenn sie für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Regelung greift im Streitfall nicht ein. Denn sie setzt voraus, dass eine unbillige Folge nicht durch die Vollziehung des Steueranspruchs als solche, sondern gerade durch die Vollziehung vor Unanfechtbarkeit des Bescheids ausgelöst wird (BFH-Beschlüsse vom 3. Dezember 1968 II B 39/68, BFHE 94, 352, BStBl II 1969, 170; vom 11. Dezember 1969 II B 51/69, BFHE 97, 296, BStBl II 1970, 132; Koch in Gräber, a.a.O., § 69 Rz 105). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Sachverhalts sind im Streitfall nicht erkennbar.
3. Im Ergebnis bleibt es deshalb dabei, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nur bestehen könnten, wenn und soweit die Steuerforderungen gegenüber M eindeutig nicht mit dem Verstoß der Antragstellerin gegen ihre Verpflichtung zum Steuerabzug zusammenhängen. Nur in diesem Umfang wäre, wenn das FG bei seinen weiteren Ermittlungen einen solchen Sachverhalt feststellen sollte, die Vollziehung des Bescheids auszusetzen. Ob dann die AdV von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden müsste, hinge davon ab, ob und inwieweit die streitige Steuerforderung bei einem etwaigen Unterliegen der Antragstellerin in der Hauptsache gefährdet wäre; auch dazu hat das FG keine Feststellungen getroffen, was im zweiten Rechtsgang ggf. nachgeholt werden muss.
Fundstellen
Haufe-Index 2098441 |
BFH/NV 2009, 377 |
BFH/PR 2009, 279 |
BB 2009, 703 |
PStR 2009, 129 |