Leitsatz (amtlich)
1. Es erscheint verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn dem leiblichen Vater eines nichtehelichen Kindes auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder am 1. Juli 1970 der Kinderfreibetrag des § 32 Abs. 2 EStG vorerst versagt geblieben ist.
2. In einem beim Gericht anhängigen Lohnsteuerermäßigungsverfahren entfällt nicht das Rechtsschutzinteresse für die gerichtliche Entscheidung, wenn die begehrte Eintragung des Freibetrages wegen Ablauf des betreffenden Jahres sich in bezug auf die Einbehaltung von Lohnsteuer nicht mehr auswirken kann.
Normenkette
EStG 1969 § 32 Abs. 2-3, § 40; LStDV 1962 § 7 Abs. 5-8, 2, § 18a Abs. 5, § 18b Abs. 3, § 27 Abs. 5; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger lebt von seiner Ehefrau getrennt; aus der Ehe sind drei Söhne hervorgegangen, für die der Kläger drei Kinderfreibeträge erhalten hat. Dem Antrag des Klägers im Lohnsteuerermäßigungsverfahren, ihm für ein weiteres nichteheliches Kind ebenfalls einen Kinderfreibetrag zu gewähren, entsprach das FA nicht. Es berücksichtigte die Unterhaltskosten für dieses Kind lediglich in Höhe eines Freibetrages von 1 200 DM gemäß §§ 33a EStG (25a LStDV). Die Mutter des nichtehelichen Kindes lebt mit diesem im Haushalt des Klägers und ist dort nach seinen Angaben als Wirtschafterin tätig. Das FA war der Auffassung, daß ein Kinderfreibetrag nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 LStDV für ein nichteheliches Kind allein der Mutter zustehe. Da sie noch die Obhut und Fürsorge (Sorgerecht) für das Kind habe, könne dieses beim Kläger lohnsteuerrechtlich nicht als "Pflegekind" anerkannt werden. Wenn auch der Vater zivilrechtlich ab 1. Juli 1970 mit seinem nichtehelichen Kind verwandt sei, so könne ihm mangels einer Änderung des § 32 EStG (§ 8 LStDV) kein Kinderfreibetrag gewährt werden.
Die deswegen beim FG erhobene Klage, mit der der Kläger geltend machte, die bisherige steuerrechtliche Regelung und das ihr folgende Urteil des Senats vom 14. Dezember 1962 VI 99/62 S (BFHE 76, 342, BStBl III 1963, 124) seien durch die im GG vorgesehene und im Bereich des BGB inzwischen durchgesetzte Gleichberechtigung nichtehelicher Kinder überholt, hatte keinen Erfolg. Das FG ging in seinem Urteil davon aus, daß Art. 6 Abs. 5 GG lediglich ein Postulat an den Gesetzgeber enthalte, dieser aber auf steuerlichem Gebiet die Gleichstellung nichtehelicher und ehelicher Kinder bisher nicht vollzogen habe. Bei der Schwierigkeit, das Steuerrecht hinsichtlich der Kinderfreibeträge insgesamt zu reformieren, habe der Deutsche Bundestag bisher im Rahmen des StÄndG 1971 dieses Gebiet nicht ganz durchdenken und neu regeln können. Wenn er im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit des Gesetzes noch keine Lösung dieser Frage im Hinblick auf nichteheliche Kinder abweichend vom bisherigen Steuerrecht geschaffen habe, so könne ihm daraus kein Vorwurf gemacht werden. Anders wäre die Rechtsfrage nur zu entscheiden gewesen, wenn der Bundestag willkürlich, ohne sachlich vertretbaren Grund eine Steuerregelung abgelehnt oder auf völlig unbestimmte Zeit verschoben hätte. Das FG könne nur Gesetzesvorschriften auslegen, aber nicht Aufgaben des Gesetzgebers wahrnehmen.
Das FG führte dann noch aus, daß das Steuerrecht bei einem nichtehelichen Kind ein Kindschaftsverhältnis nur im Verhältnis zur leiblichen Mutter anerkenne, nicht auch zum Vater. Ein Pflegekindschaftsverhältnis könne nicht anerkannt werden, weil nach der ständigen Rechtsprechung des BFH Voraussetzung sei, daß das natürliche Obhuts- und Pflegeverhältnis der leiblichen Eltern nicht mehr bestehe. Die gewollte unterschiedliche steuerrechtliche Regelung könne nicht im Wege der Auslegung dadurch beseitigt werden, daß man unter bestimmten Voraussetzungen dem nichtehelichen Vater den Kinderfreibetrag gebe. Im anderen Fall würden der Vater und die Mutter eines nichtehelichen Kindes je einen Kinderfreibetrag erhalten, während die Eltern eines ehelichen Kindes zusammen nur einen Kinderfreibetrag erhalten können. Damit würden nicht die gleichen Bedingungen für eheliche und nichteheliche Kinder geschaffen, wie es Art. 6 Abs. 5 GG fordere.
Mit der Revision begehrt der Kläger, ihm auch für das nichteheliche Kind einen vollen Kinderfreibetrag zuzusprechen. Er rügt Verletzung des geltenden Rechts. Die vom FG angezogenen Urteile des BFH lägen vor der Änderung des Nichtehelichenrechts und vor der Forderung des BVerfG, den Art. 6 Abs. 5 GG durch Einzelgesetze zu konkretisieren. Die unterbliebene Einbeziehung der nichtehelichen Kinder in das StÄndG 1971 wegen der Gefahr der mehrfachen Gewährung von Kinderfreibeträgen sei für den Streitfall nicht relevant. Die Aufschiebung sei ausdrücklich wegen der Gefahr der mehrfachen Gewährung von Kinderfreibeträgen erfolgt, die im Streitfall nicht bestehe. In dem vom FG angeführten Urteil des BFH vom 15. September 1961 VI 190/61 (DB 1961, 1570) habe es sich um einen Sachverhalt gehandelt, der vor dem Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. August 1961 gelegen habe und vom BFH nicht habe berücksichtigt werden können. Nach der Änderung des Nichtehelichenrechts gemäß dem Auftrag des BVerfG sei das Urteil des FG aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Dem Begehren des Klägers, den Rechtsstreit auch noch im Wege der Revision fortzusetzen, kann das Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden. Nach §§ 38 ff. EStG richtet sich die vom Arbeitgeber eines Steuerpflichtigen einzubehaltende Lohnsteuer nach den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte. Der Steuerpflichtige hat bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nach § 40 EStG einen Rechtsanspruch auf Eintragung gewisser Freibeträge auf der Lohnsteuerkarte durch das FA. Das gilt nach § 18a LStDV auch für die Eintragung von Kinderfreibeträgen. Nach § 18 Abs. 2, § 18a Abs. 5, § 27 Abs. 5 LStDV 1962 mußten Anträge auf Änderungen und Eintragung von Freibeträgen bis spätestens 31. Januar des folgenden Kalenderjahres gestellt werden. War dies fristgerecht geschehen, so konnte einem in diesem Eintragungsverfahren anhängig gewordenen Rechtsstreit nicht dadurch der Boden entzogen werden, daß über den begehrten Lohnsteuerfreibetrag und dessen Eintragung auf der Lohnsteuerkarte nicht bis zu einem Zeitpunkt entschieden wurde, zu dem der Arbeitgeber den Freibetrag bei der Einbehaltung der Lohnsteuer oder bei dem von ihm durchzuführenden Lohnsteuer-Jahresausgleich noch berücksichtigen kann. Dem entspricht auch die in § 18b Abs. 3 LStDV 1962/1970 getroffene Regelung, daß bei Änderungen der Lohnsteuerkarte mit rückwirkender Kraft die zuviel einbehaltene Lohnsteuer vom FA zu erstatten ist.
Der erkennende Senat hat es in ständiger Rechtsprechung für Rechtens erachtet, in den bei ihm anhängig gewordenen Lohnsteuerermäßigungsverfahren des § 40 EStG oder wegen Änderung der Steuerklasse (§ 7 Abs. 5 bis 8 LStDV) auch nach Ablauf des Jahres sachlich zu entscheiden. Wenn sich auch der angestrebte Kinderfreibetrag nicht mehr bei der Besteuerung des Streitjahres im Wege der Lohnsteuereinbehaltung oder des vom Arbeitgeber noch durchzuführenden Lohnsteuer-Jahresausgleichs auswirken kann, so ist er aber doch in der Regel Grundlage eines Erstattungsanspruchs nach § 151 AO (vgl. dazu Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, Anm. 3 zu § 27 LStDV, ferner Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 1c zu § 151 AO). Das FA hat die durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung festgestellte rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts entweder in einem für das Streitjahr offenen Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren oder in einem aus dem Streitverfahren überzuleitenden Erstattungsverfahren nach § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO zu berücksichtigen. Der Senat hält die gleichen Erwägungen für geboten, wenn dem Lohnsteuerabzugsverfahren später ein Veranlagungsverfahren nach § 46 EStG nachfolgt. Wenn auch die in einem Lohnsteuerverfahren getroffenen Entscheidungen für das Veranlagungsverfahren rechtlich nicht verbindlich sind, so kann nicht unbeachtet bleiben, daß im Lohnsteuerverfahren ergangene Gerichtsurteile doch eine natürliche Autorität genießen (vgl. Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 2 Abs. 3 zu § 96 AO). Es erscheint dem Senat prozeßökonomisch nicht vertretbar, das mit der Klage begonnene Verfahren ohne Sachentscheidung zu beenden und den Kläger auf ein neues Verfahren zu verweisen. Nach alledem kann das Rechtsschutzinteresse an der vorliegenden Revision nicht verneint werden.
In der Sache selbst mußte der Revision jedoch der Erfolg versagt bleiben.
Das Urteil des FG steht mit dem geltenden Recht in Einklang. Das FG ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, wie sie der Senat im Urteil VI 99/62 S für die Auslegung des Begriffs "Pflegekind" dargelegt hat. Die darin vertretene Auffassung zur Berücksichtigung von Pflegekindschaftsverhältnissen im Rahmen des Steuerrechts ist auch durch den Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Januar 1971 Gr. S. 6/70 (BFHE 101.247, BStBl II 1971, 274) bestätigt worden. Danach sind Pflegekindschaftsverhältnisse steuerrechtlich nicht anzuerkennen, wenn der Vater nicht nur das nichteheliche Kind, sondern auch die Mutter des Kindes in seinen Haushalt aufgenommen hat. Nach dem Beschluß des Großen Senats wäre es nicht vertretbar, bei Personen, die nicht miteinander verheiratet sind, zwei "Halbfamilien" anzunehmen, wenn sie mit ihrem gemeinsamen Kind zusammenleben. Danach ist es auch nicht angängig, in derartigen Fällen ein Pflegekindschaftsverhältnis anzunehmen, weil dies zu einer nicht zu rechtfertigenden Begünstigung nichtehelicher Gemeinschaften führen würde, was mit den sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Grundsätzen des Schutzes von Ehe und Familie nicht vereinbar wäre. Dabei ist es für die rechtliche Beurteilung des Einzelfalles unerheblich, ob sich aus tatsächlichen Gründen der Kinderfreibetrag nicht auswirkt, weil die Mutter des Kindes keine steuerpflichtigen Einkünfte hat.
Der Kläger kann auch aus dem Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl I 1969, 1243) und aus der Bestimmung in Artikel 12, § 27 des am 1. Juli 1970 in Kraft getretenen Gesetzes setzes für seinen Anspruch auf den Kinderfreibetrag nichts herleiten. Wenn auch mit der damit im Streitjahr erfolgten Streichung des § 1589 Abs. 2 BGB auch das nichteheliche Kind nunmehr ebenso mit dem leiblichen Vater im Rechtssinn verwandt ist wie das eheliche Kind (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch 32. Aufl., Anm. 3 zu § 1589), so ist damit der tatsächliche Unterschied zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern nicht beseitigt. Wenn sich auch erst mit der angeführten Rechtsänderung Konsequenzen für eine Änderung der steuerrechtlichen Vorschriften ergeben konnten, insbesondere die Frage nach dem auch dem nichtehelichen Vater zu gewährenden Kinderfreibetrag, so handelt es sich hier aber um ein Gesetzgebungsproblem, das sich, wie der Große Senat des BFH bereits in seinem Beschluß Gr. S. 6/70 dargelegt hat, dem Gesetzgeber erst für die Zeit nach dem 1. Juli 1970 gestellt hat.
Während im Entwurf der Bundesregierung eines StÄndG 1971 vorgeschlagen worden war, auch dem Vater eines nichtehelichen Kindes den Kinderfreibetrag zu gewähren, hat der Gesetzgeber im StÄndG 1971 dies noch nicht für geboten erachtet. Es handelt sich hierbei um ein vielschichtiges Gesetzgebungsproblem. Nach dem schriftlichen Bericht des Finanzausschusses wäre die steuerrechtliche Behandlung der Väter nichtehelicher Kinder gegebenenfalls in einer Weise zu ändern, die eine Benachteiligung der intakten ehelichen Familie vermeidet; eine solche Lösung könne nur in einem umfassenderen Rahmen gefunden werden, als es ein besonders eilbedürftiges StÄndG ermögliche. Dabei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß die geltenden steuerlichen Regelungen zur Gewährung von Kinderfreibeträgen insgesamt reformbedürftig sind. Er hat es jedoch nach Erörterung der verfassungsrechtlichen Gegebenheiten abgelehnt, hinsichtlich der Väter nichtehelicher Kinder eine Übergangslösung vorzunehmen, deren Fortbestand zweifelhaft sei (vgl. die Bundestagsdrucksachen VI/1313 und VI/1477 - 6. Wahlperiode -).
Nach dem geltenden Recht des § 32 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. e EStG 1969 kann für ein nichteheliches Kind ein Freibetrag nur in bezug auf die leibliche Mutter gewährt werden. Wenn damit dem leiblichen Vater des nichtehelichen Kindes der Anspruch auf einen Kinderfreibetrag versagt geblieben ist, so hält dies der erkennende Senat auch verfassungsrechtlich für unbedenklich, weil das geltende Einkommensteuerrecht insoweit keineswegs in jeder Hinsicht eine Benachteiligung des nichtehelichen Kindes bedeutet. Die alleinstehende Mutter eines nichtehelichen Kindes erhält neben dem vollen Kinderfreibetrag einen Sonderfreibetrag von 1 200 DM nach § 32 Abs. 3 Nr. 1b EStG; daneben kann der Vater des nichtehelichen Kindes seine Unterhaltszahlungen bis zu einem Betrag von 1 200 DM nach § 33a Abs. 1 EStG geltend machen.
Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor, wenn dem Vater für ein nichteheliches Kind kein Kinderfreibetrag zugestanden wird; denn es handelt sich um ungleiche Sachverhalte. Die bestehende unterschiedliche steuerrechtliche Regelung ist auch nicht willkürlich.
Fundstellen
Haufe-Index 70313 |
BStBl II 1973, 223 |
BFHE 1973, 92 |