Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Rückwirkungsfiktion der Aufrechnung hinsichtlich Säumniszuschlägen bei fehlender Fälligkeit einer Erstattungsforderung; Verrechnungsvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. Rechnet das Finanzamt eine bei Fälligkeit nicht entrichtete Steuerforderung gegen eine damals bereits entstandene Erstattungsforderung des Steuerpflichtigen auf, bleiben in der Zeit bis zum Fälligwerden der Erstattungsforderung entstandene Säumniszuschläge bestehen (s. jetzt § 240 Abs. 1 Satz 5 AO 1977 i.d.F. des StBereinG 1999).
2. Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss eines Verrechnungsvertrages über noch nicht fällige Erstattungsansprüche.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; BGB §§ 387, 389; AO 1977 §§ 5, 37 Abs. 2, §§ 38, 218, 226, 240
Verfahrensgang
Hessisches FG (Dok.-Nr. 0146139; EFG 1999, 61) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat Ende 1994 eine Gewinnausschüttung vorgenommen und die dadurch entstandene Kapitalertragsteuer am 5. Januar 1995 angemeldet. Die Klägerin hat die Steuer jedoch nicht entrichtet, da sie mit einem ―u.a. infolge der Gewinnausschüttung entstandenen― Körperschaftsteuerguthaben rechnete. Der Körperschaftsteuerbescheid erging am 13. Juli 1995 aufgrund der von der Klägerin Anfang Februar 1995 abgegebenen Körperschaftsteuererklärung. Dabei verfügte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Verrechnung der rückständigen Kapitalertragsteuer sowie der seiner Ansicht nach aufgelaufenen Säumniszuschläge mit dem Erstattungsanspruch der Klägerin und erstattete dieser nur einen Restbetrag. Auf die wegen der Säumniszuschläge von der Klägerin erhobenen Einwände erließ das FA den streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid.
Die hiergegen erhobene Klage ist durch in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 61 veröffentlichtes Urteil abgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der die Verletzung materiellen und formellen Rechts geltend gemacht wird.
Die vom FA erklärte Aufrechnung habe nach § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 389 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zum rückwirkenden Erlöschen der Kapitalertragsteuerschuld der Klägerin geführt, so dass keine Säumniszuschläge angefallen seien. Das Finanzgericht (FG) hingegen habe offenbar im Anschluss an Nr. 2 des Anwendungserlasses zu § 226 AO 1977 unterstellt, für die Zeit vor Fälligkeit der Erstattungsforderung der Klägerin entstandene Säumniszuschläge blieben trotz der vom FA erklärten Aufrechnung bestehen. Dafür fehle es jedoch an einer gesetzlichen Grundlage.
Im Übrigen habe die Klägerin Anspruch auf Abschluss eines Verrechnungs- oder Aufrechnungsvertrages. Dieser stehe entgegen der Auffassung des FG nicht im freien Ermessen des FA. Nur die Frage der Wirksamkeit des Verrechnungsvertrages sei nach rein privatrechtlichen Rechtsgrundsätzen zu beurteilen; hingegen sei die Frage, ob ein Angebot zum Abschluss des Vertrages in Betracht zu ziehen oder anzunehmen sei, dem öffentlich-rechtlichen Bereich mit der Folge der Grundrechtsbindung zuzuordnen. Aus Ziff. 5 des Anwendungserlasses zu § 226 AO 1977 ergebe sich eine Verwaltungsübung dahin, den Abschluss eines solchen Vertrages grundsätzlich in Betracht zu ziehen, mit der Rechtsfolge, dass aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung durch diese Vorschrift i.V.m. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) die Entscheidung über den Abschluss eines solchen Vertrages nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen sei.
Die Klägerin beantragt, die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und dessen Abrechnungsbescheid dahingehend zu ändern, dass die Säumniszuschläge auf 0 DM festgesetzt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Nach § 240 AO 1977, über dessen Tatbestandsverwirklichung der angefochtene Bescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 entscheidet, ist ein Säumniszuschlag auf einen Steuerbetrag zu entrichten, wenn die Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Die Klägerin hat die von ihr zu entrichtende (Kapitalertrag-)Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages in dem Sinne "entrichtet", dass sie ihre Steuer(entrichtungs)schuld durch Hingabe von Zahlungsmitteln getilgt hätte. Anders als die Revision meint, fehlt es an einem nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichteten Steuerbetrag i.S. des § 240 AO 1977 auch nicht deshalb, weil die Steuer(entrichtungs)schuld der Klägerin durch Aufrechnung des FA gegen einen Steuererstattungsanspruch der Klägerin erloschen ist und der Entstehungstatbestand dieses Steuererstattungsanspruchs am Fälligkeitstage der Steuerentrichtungsschuld bereits verwirklicht gewesen ist.
Für die Aufrechnung mit Steuern einschließlich der Steuervergütungen gelten nach § 226 AO 1977 die Aufrechnungsvorschriften des BGB sinngemäß. Nach § 387 BGB kann der Schuldner seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teiles aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann, sofern die gegenseitigen Forderungen auf Leistungen gerichtet sind, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind. Eine Aufrechnung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis setzt mithin voraus, dass die Forderung des Aufrechnenden, mit der aufgerechnet werden soll (sog. Gegenforderung), entstanden und auch fällig ist. Eine wirksame Aufrechnung setzt ferner voraus, dass die Forderung des Aufrechnungsgegners, gegen die aufgerechnet werden soll (sog. Hauptforderung), bereits entstanden und schon erfüllbar ist. Denn erst wenn eine Schuld entstanden ist, lässt sich davon sprechen, dass dem Aufrechnenden eine Leistung "obliegt". Sie muss aber noch nicht fällig sein (vgl. Bundesgerichtshof ―BGH―, Urteil vom 16. Juni 1993 XII ZR 6/92, BGHZ 123, 49).
Liegen diese Voraussetzungen vor, bewirkt die Aufrechnung nach § 389 BGB, dass die aufgerechneten Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (Aufrechnungslage). Diese Vorschrift ist auch im Rahmen der von § 226 AO 1977 angeordneten sinngemäßen Anwendung der Aufrechnungsvorschriften des BGB anzuwenden (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 3. Mai 1991 V R 105/86, BFH/NV 1992, 77, sowie des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 9. Oktober 1959 VII C 53.58, Deutsches Verwaltungsblatt 1960, 36). Für den Fall, dass das FA die Aufrechnung einer Steuerforderung gegen eine Erstattungsforderung des Steuerpflichtigen erklärt, ergibt sich also aus § 389 BGB, dass die fällige Steuerforderung des FA als in dem Zeitpunkt erloschen gilt, in welchem das FA die ihm obliegende Steuererstattung i.S. des § 387 BGB bewirken konnte, weil der diesbezügliche Anspruch des Steuerschuldners existent und erfüllbar gewesen ist.
Ein steuerlicher Anspruch ist i.S. des § 387 BGB existent, wenn er i.S. des § 38 AO 1977 entstanden ist, sobald also der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Nach der Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteile in BFH/NV 1992, 77, und vom 10. November 1953 I 108/52 S, BFHE 58, 294, BStBl III 1954, 26) gilt dies auch für einen Steuererstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO 1977). Das Entstehen eines Steuererstattungsanspruchs ist also unabhängig von seiner Festsetzung in einem Erstattungsbescheid oder von einer Anrechungsverfügung, in der nach Festsetzung der Jahressteuer wegen diese übersteigender Vorauszahlungen ein Erstattungsbetrag ausgewiesen ist (BFH-Urteile vom 22. Mai 1979 VIII R 58/77, BFHE 128, 146, BStBl II 1979, 639, und vom 6. Februar 1990 VII R 86/88, BFHE 160, 108, BStBl II 1990, 523, 524; vgl. auch das Urteil des erkennenden Senats vom 29. Januar 1991 VII R 45/90, BFH/NV 1991, 791).
Allerdings wird zu der Frage, wann ein Erstattungsanspruch entsteht, insbesondere im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten, Voraussetzung für das Entstehen eines Anspruchs auf Rückzahlung der auf bestandskräftiger Festsetzung beruhenden Steuervorauszahlungen sei die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung in dem Vorauszahlungsbescheid bzw. der Erlass des Jahressteuerbescheides, der zur Erledigung der Vorauszahlungsbescheide (§ 124 Abs. 2 AO 1977) führt (BFH-Entscheidungen vom 3. Juli 1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730; vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, 103, BStBl II 1985, 370; vom 4. Juni 1981 VIII B 31/80, BFHE 133, 267, 270, BStBl II 1981, 767, und vom 12. April 1994 VII B 278/93, BFHE 174, 8, BStBl II 1995, 817). Ob dieser sog. formellen Rechtsgrundtheorie (vgl. hierzu u.a. Boeker in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 37 AO 1977 Rdnr. 17 und 21, sowie Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 6. Aufl. 1998, § 37 Anm. 3) oder der sog. materiellen Rechtsgrundtheorie zu folgen ist, kann dahinstehen. Der erkennende Senat unterstellt zugunsten der Klägerin, dass dem FA bei Fälligkeit ihrer Kapitalertragsteuerschuld eine Leistungspflicht i.S. des § 389 BGB oblag, dass also zu diesem Zeitpunkt der Erstattungsanspruch der Klägerin existent und für das FA erfüllbar war, obgleich er nach § 218 Abs. 1 AO 1977 noch einer Festsetzung bedurfte und diese noch nicht ergangen war. Denn der Wegfall des Säumniszuschlages aufgrund Rückwirkung der vom FA später erklärten Aufrechnung ist, selbst wenn Entstehen und Erfüllbarkeit der Erstattungsschuld der Klägerin in jenem Zeitpunkt bejaht werden, aus anderen Gründen zu verneinen.
Die Forderungen des Aufrechnenden und des Aufrechnungsgegners gelten, wie ausgeführt, nach § 389 BGB als im Zeitpunkt des Eintritts der Aufrechnungslage erloschen. Aufgrund dieser gesetzlichen Fiktion fallen grundsätzlich die Rechtsfolgen fort, die nach Eintritt der Aufrechnungslage infolge Nichterfüllung der aufgerechneten Forderungen eingetreten sind. Dies gilt nach einhelliger Ansicht insbesondere für Verzugsfolgen, wie die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen, zum Ersatz eines Verzugsschadens oder die Verwirkung einer im Falle des Verzuges geschuldeten Vertragsstrafe (vgl. Gursky in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Aufl. 1995, § 389 Rdnr. 18 ff., m.N.).
Würde dasselbe bei Säumniszuschlägen gelten, wären diese für die Zeit seit Entstehen der Körperschaftsteuererstattungsforderung der Klägerin (Hauptforderung) aufgrund der Aufrechnungserklärung des FA weggefallen. Denn § 389 BGB nimmt die Rückwirkungsfiktion ungeachtet der Fälligkeit der Hauptforderung bei Eintritt der Aufrechnungslage vor. Die Säumniszuschläge würden also ungeachtet dessen wegfallen, dass die Klägerin Steuern bei Fälligkeit nicht gezahlt hat und dass ihr Steuererstattungsanspruch erst später festgesetzt und damit fällig geworden ist; sie würden wegfallen, obwohl die Aufrechnungsbefugnis in dem Zeitpunkt, auf den die Aufrechnungswirkungen vom Gesetz zurückbezogen werden, einseitig nur dem FA, nicht hingegen der Klägerin als säumiger Steuerschuldnerin (Entrichtungspflichtigen) zustand. Das FA verlöre mit anderen Worten aufgrund seiner eigenen Aufrechnungserklärung und der Ausübung des bei Eintritt der Aufrechnungslage nur ihm zustehenden Aufrechnungsrechts seinen Anspruch auf Säumniszuschläge (so im Ergebnis Rozek in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 226 AO 1977 Rdnr. 112 im Anschluss an Ulrike Hermann, Die Aufrechnung im Steuerrecht, 1993, S. 158 f., sowie Bahlau, Die Aufrechnung im Steuerrecht, 1994, S. 138 ff.; vgl. auch BTDrucks 14/1514, Begründung zu Art. 17 Nr. 17).
Obwohl § 389 BGB die Rückwirkungsfiktion, wie erwähnt, nicht von der Fälligkeit der Hauptforderung bei Eintritt der Aufrechnungslage abhängig macht, ging indes die Finanzverwaltung (Anwendungserlass zur AO 1977, § 226 Nr. 2) schon vor In-Kraft-Treten des hier noch nicht anwendbaren, durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 (BGBl I 1999, 2601) eingefügten § 240 Abs. 1 Satz 5 AO 1977 davon aus, die Rückwirkung einer Aufrechnungserklärung des FA reiche nicht über den Zeitpunkt hinaus, in dem der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen fällig geworden ist. Diese Auffassung ist in der Kommentarliteratur zur AO 1977 fast einhellig gebilligt worden (Helsper in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl. 1996, § 226 Rz. 20; Rüsken in Klein, a.a.O., § 226 Rdnr. 8; Schultz in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 226 AO 1977 Rdnr. 19; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 226 AO 1977 Rdnr. 20; ferner von Wallis in der Vorkommentierung in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, a.a.O.). Sie ist auch nach Auffassung des erkennenden Senats wegen der gebotenen einschränkenden Auslegung des § 389 BGB, erst recht aber angesichts dessen nur sinngemäßer Anwendung im Steuerrecht zutreffend. Rechnet das FA eine bei Fälligkeit nicht entrichtete Steuerforderung gegen eine damals bereits entstandene Erstattungsforderung des Steuerpflichtigen auf, bleiben folglich in der Zeit bis zum Fälligwerden der Erstattungsforderung entstandene Säumniszuschläge bestehen.
Im Einzelnen ist dazu zu bemerken:
a) Die von der Finanzverwaltung und dem überwiegenden Schrifttum vertretene Auffassung kann sich zunächst auf das Urteil des BGH vom 17. April 1958 II ZR 335/56 (BGHZ 27, 123) berufen. Es betrifft zwar, wie die Revision richtig hervorhebt, einen anderen Sachverhalt. Die Entscheidung ist zu dem Fall ergangen, dass sich die (Schadensersatz-)Forderung des Aufrechnenden, seit sie der Forderung seines Schuldners gegenübergetreten ist, erhöht hat; streitig war, ob sich diese Erhöhung noch zugunsten des Aufrechnenden auswirkt oder dieser sich entgegenhalten lassen muss, seine Forderung sei bei Eintritt der Aufrechnungslage (fiktiv) erloschen. Der BGH hat § 389 BGB dahin ausgelegt, die Aufrechnung habe dann, wenn lediglich der Gläubiger aufrechnen konnte, nur zur Folge, dass die gegenseitigen Forderungen in dem Umfang erloschen sind, in dem sie sich zur Zeit seiner Aufrechnungserklärung gedeckt haben (BGHZ 27, 123, 126). Die Entscheidung des BGH ist von dem auch im Streitfall einschlägigen Rechtsgedanken getragen, derjenige, dem selbst kein Aufrechnungsrecht zusteht, dürfe dem anderen nicht dessen Aufrechnungsrecht dadurch gleichsam streitig machen und ihn zwingen, seine Schuld zu begleichen und seine Forderung ggf. einzuklagen, dass er ihn auf (infolge der vom Gesetz grundsätzlich angeordneten Rückwirkung entstehende) Rechtsnachteile seiner Aufrechnungserklärung verweist (siehe auch Gursky in Staudinger, a.a.O., Rdnr. 40). Dieser Rechtsgedanke bedeutet bei Nebenforderungen, hier: Säumniszuschlägen, die dem einseitig aufrechnungsberechtigten FA zustehen und wegen Fälligkeit der zur Aufrechnung verwandten Gegenforderung des FA entstanden sind, dass diese bestehen bleiben, auch wenn das FA die Aufrechnung gegen eine bei Fälligkeit seiner Gegenforderung schon entstandene, aber noch nicht fällige Hauptforderung erklärt.
b) Schon in den Motiven zum BGB wird betont, dass sich grundsätzlich bis zur Aufrechnungserklärung Forderung und Gegenforderung "unabhängig und unbeeinflusst von einander" gegenüber stünden (Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II, Berlin 1896, S. 108 f.); wenn sich die Motive trotzdem für die Rückwirkungsfiktion aussprechen, tun sie dies, um insbesondere den praktischen Wert des Rechtsinstituts Aufrechnung gegenüber der Theorie der ipso iure Wirkung der Aufrechnungslage nicht zu sehr zu schmälern (a.a.O. S. 109); hingegen kommt darin nicht zum Ausdruck, die Aufrechnung müsse die Tatsache der ausgebliebenen Erfüllung der Schuld schlechthin ungeschehen machen können (vgl. Zeiss in Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl. 1990, § 389 Rdnr. 1; anderer Ansicht Ulrike Hermann, a.a.O., S. 154). Das wird auch daran deutlich, dass das BGB nicht vorschreibt, die Aufrechnungserklärung fiktiv als im Zeitpunkt der Aufrechnungslage abgegeben zu behandeln, sondern die Wirkungen der Aufrechnungserklärung auf diesen Zeitpunkt zurückbezieht (vgl. Gursky in Staudinger, a.a.O., Rdnr. 28), so dass Rechtsfolgen, die nicht an das Bestehen der (durch Aufrechnung tilgbaren) Schuld, sondern z.B. an die Tatsache noch nicht vollzogener Tilgung anknüpfen, unter Umständen bestehen bleiben (siehe dazu die bei Gursky in Staudinger, a.a.O., angeführte Entscheidung des Reichsgerichts).
Um solche Rechtsfolgen, die durch die Rückwirkung einer vom FA erklärten Aufrechnung nicht beiseite geräumt werden, handelt es sich bei Säumniszuschlägen, die wegen der Nichtentrichtung für den Steuerpflichtigen nicht aufrechenbarer Steuerschulden entstehen.
Zweck des Säumniszuschlages ist es u.a., der Finanzbehörde eine Gegenleistung für das Hinausschieben einer Steuerzahlung zu gewähren (BFH-Urteile vom 15. März 1979 IV R 174/78, BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429; vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, 517, BStBl II 1985, 489; vom 26. April 1988 VII R 127/85, BFH/NV 1989, 71; vom 22. Juni 1990 III R 150/85, BFHE 161, 4, BStBl II 1991, 864; vom 29. August 1991 V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906). Darin erschöpft sich das Wesen der Säumniszuschläge indes nicht. § 240 AO 1977 gestaltet den Säumniszuschlag vielmehr als ein dem Steuerrecht eigenes Druckmittel zur Durchsetzung von titulierten Zahlungsansprüchen des Fiskus aus. Es soll den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten (BFH-Beschluss vom 8. Dezember 1975 GrS 1/75, BFHE 117, 352, BStBl II 1976, 262). Ungeachtet eines "Verzugsschadens" des FA soll er, wenn er nicht pünktlich zahlt, schon wegen seines Steuerungehorsams einen Steuerzuschlag zahlen. Säumniszuschläge sind deshalb mit (Verzugs-) Zinsen i.S. des BGB nicht gleichzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727).
Säumniszuschläge besitzen überdies von Gesetzes wegen nicht die Akzessorietät, die Zinsen wesenseigen ist. Das zeigt sich insbesondere an § 240 Abs. 1 Satz 4 AO 1977, wonach Säumniszuschläge im Falle der Berichtigung, Änderung oder Aufhebung einer Steuerfestsetzung auf eine nicht bestehende ―freilich sofort vollziehbar festgesetzte― Schuld zu zahlen sind. Das Schicksal des Säumniszuschlages, obwohl Nebenleistung, ist in diesen Fällen von der Beständigkeit der Steuerforderung nicht abhängig. Denn für den Säumniszuschlag ist entscheidender Anknüpfungspunkt nicht das (materiell-rechtliche) Bestehen einer Steuerschuld, sondern der in der Missachtung vollziehbarer Steuerbescheide zum Ausdruck kommende Steuerungehorsam. Ebenso wenig entspräche es dem Wesen des Säumniszuschlages, wenn er in dem Fall wegfiele, dass die Steuerschuld infolge der Rückwirkungsfiktion des § 389 BGB nachträglich aufgrund Ausübung eines während der Säumnis nur dem FA zustehenden Aufrechnungsrechts als erloschen gilt. Die Tatsache, dass der Steuerpflichtige die von ihm geschuldete Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages "entrichtet" hatte, wird in diesem Fall durch die spätere Aufrechnung, die in der Regel nur um der Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens und des Zahlungsverkehrs willen vorgenommen wird, nicht ungeschehen gemacht.
c) Im Schrifttum zum BGB wird im Übrigen übereinstimmend hervorgehoben, dass § 389 BGB zur Disposition der Parteien stehe und folglich von ihnen abbedungen werden könne (vgl. statt aller schon Reichel, Rückwirkung der Aufrechnung gegen Fremdgeldforderungen, Archiv für die civilistische Praxis, Bd. 126 ―1926―, S. 313, 318). Von gewichtigen Stimmen wird darüber hinaus die Auffassung vertreten, in der Aufrechnungserklärung könne sogar eine einseitige abweichende Bestimmung der Rechtswirkungen der Aufrechnung insoweit vorgenommen werden, als dem schutzwürdige Interessen des Aufrechnungsgegners nicht entgegenstehen; nur so könne nämlich das sonst unter Umständen eintretende, jedoch nicht dem Gesetzesplan entsprechende Ergebnis vermieden werden, dass der Aufrechnungsberechtigte auf den Weg der Beitreibung seiner Forderung abgedrängt wird (Gursky in Staudinger, a.a.O.; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, S. 309, m.w.N.; zur vertraglichen Abbedingung siehe auch das BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 77; anderer Ansicht zur einseitigen Abbedingung von Feldmann in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl. 1994, § 389 Rdnr. 8; Reichel, a.a.O., allerdings mit der Folgerung, dass bei einem solchen Vorbehalt die Aufrechnungserklärung insgesamt unwirksam sei).
Eine solche Einschränkung ist im Streitfall aus der Verrechnungserklärung des FA zumindest im Wege der Auslegung zu entnehmen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 77). Dies ergibt sich nicht nur aus der bei der Ermittlung des Bedeutungsgehalts dieser Erklärung zu berücksichtigenden, für das FA bindenden Verwaltungsvorschrift in Nr. 2 des Anwendungserlasses zur AO 1977 und der eindeutigen Interessenlage. Es ergibt sich vor allem auch daraus, dass das FA in der nämlichen Verrechnungsverfügung zugleich Säumniszuschläge angesetzt hat, was rechtslogisch voraussetzt, dass trotz der erklärten Aufrechnung die (Kapitalertragsteuerentrichtungs-)Schuld der Klägerin in Ansehung der verwirkten Säumniszuschläge nicht als im Zeitpunkt der Fälligkeit erloschen ("entrichtet") anzusehen ist.
Selbst wenn jedoch entgegen der Rechtsnatur der Aufrechnung als Ausübung eines einseitigen rechtsgeschäftlichen Gestaltungsrechts, mit dem eine umfassende Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage nicht denknotwendig verbunden ist, eine einseitige Beschränkung deren Rückwirkung durch rechtsgeschäftlichen Vorbehalt ―wie von der überwiegenden Meinung im bürgerlichen Rechtsverkehr― auch bei der Durchsetzung von Steuern sollte für unwirksam gehalten werden müssen, müsste bei der von § 226 AO 1977 vorgeschriebenen sinngemäßen Anwendung des § 389 BGB ins Gewicht fallen, dass diese Vorschrift disponibles Recht enthält. Für das Steuerschuldverhältnis kommt zwar eine vertragliche Abbedingung des § 389 BGB im Allgemeinen nicht in Betracht; denn Art und Weise der Abwicklung des Steuerschuldverhältnisses erfolgen unbeschadet der noch zu erörternden Möglichkeit eines Aufrechnungsvertrages grundsätzlich durch einseitig-hoheitliche Verwirklichung steuerlicher Ansprüche. Das gilt auch dann, wenn die Finanzbehörde durch zwar lediglich rechtsgeschäftlich-gestaltende, indes gleichwohl ebenfalls (schlicht) hoheitliche Erklärung eine Aufrechnung vornimmt. Umso mehr besteht aber für eine sinn- und zweckgerechte Anwendung des § 389 BGB bei der Verwirklichung öffentlich-rechtlicher Forderungen die Notwendigkeit, die Wirkungen einer Aufrechnung der Finanzbehörde gegen einen erst nach der Steuerschuld fällig gewordenen Vergütungsanspruch auf bis dahin entstandene Säumniszuschläge nicht zu erstrecken.
2. Die Klägerin könnte die Änderung des Abrechnungsbescheides des FA auch dann nicht erreichen, wenn sie, wie sie meint, einen Anspruch darauf hätte, dass das FA mit ihr einen Verrechnungsvertrag auf den Zeitpunkt des Entstehens ihrer Erstattungsforderung schließt und sie dadurch, obwohl ihr damals die Aufrechnungsbefugnis fehlte, so stellt, wie sie bei Fälligwerden ihrer Forderung gleichzeitig mit der Forderung des FA gestanden hätte.
Ein Abrechnungsbescheid entscheidet (nur) darüber, ob eine bestimmte Zahlungsverpflichtung erloschen ist (§ 47 AO 1977), d.h. ob wirksam gezahlt, aufgerechnet, verrechnet, erlassen, ob Verjährung eingetreten, die Schuld bereits vor der Begründung der Zahlungspflicht erloschen oder der Forderungsausgleich durch Vollstreckungsmaßnahmen erreicht worden ist (Senatsurteile vom 22. Juli 1986 VII R 10/82, BFHE 147, 117, BStBl II 1986, 776, und vom 4. Mai 1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285). Nicht der vermeintliche Anspruch der Klägerin auf Abschluss eines Verrechnungsvertrages würde zum Erlöschen der säumigen Kapitalertragsteuerschuld der Klägerin und damit zum Wegfall der verwirkten Säumniszuschläge führen, sondern erst ein von den Beteiligten tatsächlich abgeschlossener (verfügender) Verrechnungsvertrag, der freilich nicht zustande gekommen ist. Die Klägerin macht vielmehr gerade geltend, das FA habe zu Unrecht ihr diesbezügliches Angebot nicht angenommen und die Möglichkeit des Abschlusses eines solchen Vertrages gar nicht in Betracht gezogen.
Das FG hat allerdings, obwohl dies in den von ihm aufgenommenen Klageanträgen und in dem Entscheidungsausspruch nicht deutlich zum Ausdruck kommt, sinngemäß auch über das im Klagevorbringen enthaltene Begehren der Klägerin entschieden, das FA im Wege der Leistungsklage zu verurteilen, das angebliche Vertragsangebot zum Abschluss eines Verrechnungsvertrages anzunehmen bzw. über seine Annahme ermessensfehlerfrei zu entscheiden. Sein Urteil, mit dem diese Klage (stillschweigend) abgewiesen worden ist, entspricht auch insofern dem Bundesrecht.
a) Die Zulässigkeit eines Aufrechnungs- bzw. Verrechnungsvertrages auch bei öffentlich-rechtlichen Ansprüchen ist allgemein anerkannt (vgl. BFH-Urteile vom 21. Februar 1989 VII R 42/86, BFH/NV 1989, 762; vom 18. März 1986 VII R 104/82, BFH/NV 1986, 581; vom 18. Februar 1986 VII R 8/81, BStBl II 1986, 506; vom 12. November 1985 VII R 119/81, BFH/NV 1986, 642; vom 21. März 1978 VIII R 60/73, BFHE 125, 326, BStBl II 1978, 606, m.w.N.; vom 11. Dezember 1984 VIII R 263/82, BFHE 143, 1, BStBl II 1985, 278, und vom 13. Oktober 1972 III R 11/72, BFHE 107, 260, BStBl II 1973, 66, 68). Grundsätze des Steuerrechts stehen der Anerkennung eines Verrechnungsvertrages nicht entgegen, weil der Steuergläubiger nicht auf seinen Steueranspruch verzichtet und der Steuerpflichtige bis zur Tilgung der Steuerschuld Steuerschuldner bleibt (Senatsurteile vom 5. August 1986 VII R 167/82, BFHE 147, 398, BStBl II 1987, 8 und in BFH/NV 1986, 642, 643; BFH-Urteil in BFHE 125, 326, 329, 330, BStBl II 1978, 606). Ein Verrechnungsvertrag mag demnach grundsätzlich auch dann geschlossen werden können, wenn die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nur für einen der Schuldner gegeben sind, etwa wenn es ―wie im Streitfall― an der Fälligkeit einer der Forderungen fehlt.
Aus der Zulässigkeit eines Verrechnungsvertrages und aus der von der Revision als Rechtfertigung für den Abschluss eines solchen Vertrages anstelle einer einseitigen Aufrechnungserklärung angeführten Vertragsfreiheit des FA lässt sich freilich nichts dafür herleiten, das FA sei zum Abschluss eines solchen Vertrages verpflichtet. Es lässt sich daraus auch nicht folgern, das FA sei jedenfalls verpflichtet, die Möglichkeit des Abschlusses ernstlich zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob von ihr Gebrauch gemacht werden soll. Ein Rechtsanspruch auf Abschluss eines Verrechnungsvertrages besteht mangels einer entsprechend verpflichtenden Rechtsnorm erkennbar nicht. Das Klagebegehren könnte deshalb nur Erfolg haben, wenn die Klägerin wenigstens einen (subjektiv-rechtlichen) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des FA über den (objektiv-rechtlich möglichen) Abschluss eines solchen Vertrages hätte. Dabei würden sich erst nachrangig Fragen dazu stellen, welchen genauen Inhalt dieser Anspruch hat, ob insbesondere das Ermessen durch den Anwendungserlass zur AO 1977 gebunden ist, ob nur auf Antrag zu entscheiden ist und ob eine besondere Härte bzw. die Begründung von Forderung und Gegenforderung in dem nämlichen Lebenssachverhalt, auf welche die Revision abstellt, nur eine Entscheidung dahin zulässt, dass der angestrebte Vertrag geschlossen wird und dass damit Rechtswirkungen beseitigt werden, die sonst nach § 240 AO 1977 gerade eintreten sollen. Schon die rechtslogisch vorrangige Frage nach dem Bestehen eines Anspruchs des Steuerpflichtigen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung dem Grunde nach ist aus den nachfolgenden Gründen zu verneinen. Es fehlt für diesen Anspruch am Rechtsgrund.
b) Ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung wird, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 12. April 1994 VII R 67/93, BFH/NV 1995, 77), durch einen Ermessen einräumenden Rechtssatz begründet, dessen Regelungsgehalt zumindest auch dem individuellen Interesse des Anspruchstellers zu dienen bestimmt ist (vgl. auch die st. Rspr. des BVerwG, u.a. Urteile vom 7. Januar 1972 IV C 49.68, BVerwGE 39, 235, 237 f.; vom 19. Juni 1974 VIII C 89.73, BVerwGE 45, 197; vom 11. Mai 1989 3 C 63.87, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 451.512 MGVO Nr. 17, und vom 29. Juni 1990 8 C 26.89, BVerwGE 85, 220; siehe auch Bundesverfassungsgericht ―BVerfG―, Beschluss vom 17. Dezember 1969 2 BvR 23/65, BVerfGE 27, 297, 307; Lange in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, a.a.O., § 102 FGO Rdnr. 31, m.w.N.).
Ein solcher hier einschlägiger Rechtssatz besteht nicht. § 5 AO 1977 enthält ihn nicht und vermag daher einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nicht zu begründen; diese Vorschrift setzt vielmehr eine entsprechende Ermessensnorm voraus (Senatsurteil in BFH/NV 1995, 77). Erst recht nicht sind Verwaltungsanweisungen wie der Anwendungserlass zur AO 1977, auf den sich die Klägerin in diesem Zusammenhang beruft, (die Verwaltung gleichsam selbstverpflichtende) Rechtssätze in dem hier maßgeblichen Sinne. Der (angebliche) Antrag der Klägerin, über den Abschluss eines Vertrages zu entscheiden, vermag ebenso wenig eine diesbezügliche Verpflichtung des FA zum Entstehen zu bringen und einen Anspruch der Klägerin auf (ermessensfehlerfreie) Entscheidung nicht zu begründen; denn es gibt keinen dem individuellen Interesse dienenden Rechtssatz, dass eine Behörde über Anträge stets zu entscheiden hat, auch wenn sie keine Rechtsgrundlage haben, ein Antragsrecht i.S. eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf Prüfung des Antragsbegehrens also nicht besteht.
Schließlich ist ein von gesetzlichen Anspruchsgrundlagen unabhängiger Anspruch auf Ausübung eines objektiv-rechtlich eröffneten Ermessens oder auf eine zumindest gleichmäßige Betätigung des Ermessens nicht gegeben, wie der erkennende Senat ebenfalls in seinem Urteil in BFH/NV 1995, 77 ausgesprochen hat. Ein Anspruch darauf, dass das FA seine Befugnis, einen Verrechnungsvertrag zu schließen ("Vertragsfreiheit"), pflichtgemäß ausübt, lässt sich aus grundrechtlichen Gewährleistungen nicht herleiten (vgl. dazu BVerfG-Beschluss vom 18. Juni 1997 2 BvR 2501, 2990/95, BVerfGE 96, 100). Das Grundgesetz gewährt keinen Anspruch darauf, dass die Finanzbehörden bei der Einziehung nach dem Gesetz entstandener Steuerforderungen über die bürgerlich-rechtlichen Aufrechnungsvorschriften hinausgehend den für den Steuerpflichtigen denkbar schonendsten Weg gehen und Verrechnungsverträge über noch gar nicht festgesetzte Erstattungsansprüche schließen bzw. trotz des gesetzlich vorgesehenen unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunktes einer Steuerforderung und eines ihr später gegenübertretenden Erstattungsanspruches nach dessen Festsetzung rückwirkend die Verrechnung vereinbaren, um das Entstehen der von Gesetzes wegen an sich gerade verwirkten Säumniszuschläge doch noch zu vermeiden. Einen diesbezüglichen Anspruch, zumindest auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber, als von Verfassungs wegen gegeben anzuerkennen, besteht umso weniger Anlass, als die Finanzbehörde zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse im Einzelfall Stundung gewähren kann. Hierüber ist zumindest auf Antrag (ermessensfehlerfrei) zu entscheiden. Dementsprechend hat die Klägerin selbst zunächst Stundung begehrt; wenn sie meinte, damit zu Unrecht erfolglos geblieben zu sein, hätte es ihr offen gestanden, sich dagegen mit den gegebenen Rechtsbehelfen zu wehren. Dies ist indes nicht Gegenstand dieses Verfahrens, so dass die Klägerin folgerichtig die Ablehnung ihres Stundungsantrages auch nicht angreift.
c) Über die vorgenannten Rechtsgrundsätze noch hinausgehend wird allerdings im Schrifttum die vom erkennenden Senat in seinem Urteil in BFH/NV 1995, 77 dargestellte Auffassung vertreten, dass ein aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitender Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung dann gegeben sei, wenn "normativ" ―auch durch eine Richtlinie oder ständige Verwaltungspraxis― die (objektiv-rechtliche) Pflicht zu einer Entscheidung über eine die Rechtssphäre des Einzelnen verbessernde (in diesem Sinne individualgerichtete) Leistung bestehe (Pietzcker, Zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Gleichbehandlung nach Art. 3 I GG, Juristenzeitung ―JZ― 1989, 305, 308). Diese Rechtsansicht gibt aber zugunsten der Revision nichts her. Nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) besteht keine Praxis des FA, in den dem Fall der Klägerin vergleichbaren Fällen mit dem Steuerpflichtigen einen Verrechnungsvertrag über nicht fällige Erstattungsansprüche zu schließen. Absatz 5 des Anwendungserlasses zu § 226 AO 1977 verdeutlicht lediglich die Möglichkeit und rechtliche Zulässigkeit, trotz fehlender Aufrechnungslage einen Verrechnungsvertrag zu schließen; für eine (antizipierte und deshalb bei gebotener Beachtung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG verbindliche) Verwaltungspraxis, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, ist ihm offenkundig nichts zu entnehmen. Selbst wenn es anders wäre, würde dies im Übrigen nichts ändern. Denn Verwaltungsvorschriften sind von den Gerichten nicht wie Rechtsnormen anzuwenden, sondern grundsätzlich allenfalls zu beachten, wenn ihnen die Verwaltungspraxis tatsächlich entspricht. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen muss indes davon ausgegangen werden, dass zumindest eine vom Anwendungserlass abweichende (derogierende) Verwaltungspraxis besteht.
d) Ob nicht im Übrigen die Annahme, es bestehe ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, von vornherein deshalb ausgeschlossen wäre, weil eine Behörde Vertrags(abschluss)freiheit genießt, wo sie berechtigt ist, statt einen Verwaltungsakt zu erlassen oder ―wie hier― eine rechtsgeschäftliche Aufrechnungserklärung abzugeben, einen Vertrag zu schließen (so insbesondere Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1995, § 70 Rdnr. 4; anders i.S. eines pflichtgemäß auszuübenden Abschlussermessens unter Beachtung z.B. des Gleichheitssatzes: Obermayer/Tiedemann, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 1999, § 54 Rdnr. 38 und 43, sowie offenbar auch Bonk in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl. 1998, § 54 Rdnr. 14), bedarf danach keiner Entscheidung mehr.
3. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Denn der angebliche Verfahrensmangel, der im Revisionsverfahren mangels der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO nur geprüft werden könnte, wenn er ordnungsgemäß gerügt worden wäre (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO), ist nicht schlüssig bezeichnet. Die Klägerin hat insbesondere nicht angegeben, weshalb sich dem FG die Notwendigkeit der Beiziehung ―genau zu bezeichnender, jedoch von der Revision nicht bezeichneter― Beweismittel hätte aufdrängen müssen, obwohl die sachkundig vertretene Klägerin selbst eine solche Beweiserhebung nicht mit zulässigen Beweisanträgen verlangt hat.
Die Rüge, das FG habe bei seiner Entscheidung die vom FA selbst eingeräumte, im Rahmen der maschinellen Bescheidabrechnung vorgenommene Verrechnung von Steuerforderungen mit künftigen Erstattungsforderungen nicht berücksichtigt, führt die Revision ebenso wenig zum Erfolg. Soweit insofern der Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör (vollständige Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten und des sonstigen Akteninhalts) gerügt werden soll, fehlt es schon an schlüssigen Darlegungen dazu, woraus sich das (vermeintliche) Geständnis des FA ergeben soll (genaue Angabe der Aktenstelle) und weshalb die Klägerin zu der Annahme berechtigt zu sein meint, das FG habe dieses Geständnis bei seiner Entscheidung nicht gewürdigt. Soweit die Revision darüber hinaus aus der angeblichen Verrechnungspraxis des FA materiell-rechtliche Folgerungen ziehen will, scheitert dies schon daran, dass das FG nicht festgestellt hat, dass das FA fällige Kapitalertragsteuer mit erklärten, aber noch nicht festgesetzten Körperschaftsteuererstattungsansprüchen zu verrechnen pflegt.
Fundstellen
Haufe-Index 424996 |
BFH/NV 2000, 770 |
BStBl II 2000, 246 |
BFHE 191, 5 |
BFHE 2001, 5 |
BB 2000, 1183 |
BB 2000, 914 |
DB 2000, 860 |
DStR 2000, 682 |
DStRE 2000, 493 |
DStZ 2000, 600 |
HFR 2000, 473 |
StE 2000, 258 |