Leitsatz (amtlich)
Im Jahre 1971 erzielte Einkünfte aus Kapitalvermögen darf die Rechtsprechung nicht wegen der Geldentwertung von der Besteuerung freistellen (Anschluß an BFH-Urteil vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72).
Normenkette
EStG § 20 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1, Art. 109 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob im Jahre 1971 erzielte Einkünfte aus Kapitalvermögen als Ausgleich für die Geldentwertung einkommensteuerfrei zu stellen sind.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bezog im Streitjahr neben ihren als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit versteuerten Versorgungsbezügen und Einkünften aus einer Angestelltenversicherungsrente Kapitalerträge in Höhe von 2 011 DM, die nicht der inländischen Kapitalertragsteuer unterlagen. Es handelt sich um Wertpapiererträge in Höhe von 535 DM, Sparzinsen in Höhe von 1 028 DM sowie Zinsen aus Postsparguthaben in Höhe von 448 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) zog diese Kapitalerträge nach Abzug von 150 DM Werbungskosten zur Einkommensteuer in Höhe von insgesamt 1 861 DM heran. Mit der hiergegen form- und fristgerecht erhobenen Sprungklage beantragte die Klägerin, diese Einkünfte aus Kapitalvermögen bei der Veranlagung 1971 außer Ansatz zu lassen. Das FG wies die Klage als unbegründet ab.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, § 20 EStG verletze bei Auslegung nach dem Nominalwertprinzip in seinen Auswirkungen die Art. 14 Abs. 1, 19 Abs. 2, 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG. Es werde beantragt, eine Stellungnahme des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, der Gemeinschaft zum Schutze der deutschen Sparer und des Bundesverbandes des privaten Bankgewerbes zu der Frage einzuholen, ob für das Jahr 1971 die Einkommensbesteuerung von Zinserträgen des privaten Sparkapitals angesichts der im Streitjahr zu beobachtenden Geldentwertung aus dem Ertrag oder aus der Substanz erbracht werden müsse.
Die Klägerin beantragt, die FG-Entscheidung aufzuheben und die im Streitjahr bezogenen Zinsen nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen zur Einkommensteuer heranzuziehen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der erkennende Senat hat in der Entscheidung vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72 (BStBl II 1974, 572), ausgesprochen, daß § 20 Abs. 1 EStG 1969 keine vom Nominalwertprinzip (Mark = Markgrundsatz) abweichende Auslegung oder richterliche Rechtsfortbildung gestattet. Nach Ansicht des Senats ist das geltende Recht auch mit dem GG vereinbar. Da die Klägerin die Geltung des Nominalwertprinzips im Rahmen des § 20 Abs. 1 EStG 1971 nicht in Abrede stellt, ist allein zur verfassungsrechtlichen Streitfrage Stellung zu nehmen. Auch insoweit haben aber die Gründe der Entscheidung VIII R 95/72 nahezu völlig auch für das vorliegende Streitjahr 1971 zu gelten. Es trifft insbesondere entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zu, daß die Besteuerung ihrer Einkünfte aus Kapitalvermögen gegen Art. 14 GG verstößt. Die Eigentumsgarantie schützt in steuerrechtlicher Hinsicht allein vor "Erdrosselungssteuern" und erheblichen Eingriffen in die Vermögenssubstanz, wie in der Entscheidung VIII R 95/72 näher dargelegt ist. Diese Fallgestaltung liegt im Streitfall schon deshalb nicht vor, weil der Streitwert des Verfahrens lediglich 390 DM beträgt. Auch weichen die Währungsverhältnisse im Streitjahr nicht so wesentlich von denen des Jahres 1969 ab, daß eine andere Beurteilung als im Falle VIII R 95/72 geboten wäre. Denn der Ertrag langfristig angelegten Kapitals lag auch 1971 über der jährlichen Geldentwertungsrate. Nach Auskunft der Deutschen Bundesbank im Verfahren VIII R 95/72 haben sich damals die Lebenshaltungskosten für alle privaten Haushalte nominell um 5,2 v. H. erhöht, während langfristige Sparguthaben mit 6,85 % und festverzinsliche Wertpapiere mit 8,2 % verzinst wurden. Ob ein von der Entscheidung VIII R 95/72 abweichendes Ergebnis möglich wäre, wenn die Geldentwertungsrate die nominellen Erträge langfristig angelegten Kapitalvermögens überschritten hätte, bedarf mithin keiner Prüfung.
Zum Fehlen einer Verletzung des Sozialstaatsprinzips verweist der Senat ebenfalls auf die Ausführungen in der Sache VIII R 95/72. Danach bildet das Sozialstaatsprinzip primär einen Programmsatz, dem keine speziellen steuerlichen Folgerungen entnommen werden können.
Dem Antrag der Klägerin, Stellungnahmen der Bankverbände zur Auswirkung der Geldentwertung auf die Besteuerung einzuholen, brauchte nicht entsprochen zu werden. Der Senat hat bereits im Verfahren VIII R 95/72 Stellungnahmen der Deutschen Bundesbank und der von der Klägerin benannten Bankverbände eingeholt, die auch die Auswirkungen der Geldwertverschlechterung im Zeitraum 1971 in die - mit der Auffassung des erkennenden Senats übereinstimmende - Betrachtung einbezogen hatten.
Fundstellen
Haufe-Index 70966 |
BStBl II 1974, 582 |
BFHE 1974, 567 |