Leitsatz (amtlich)
Ist eine Produktionsgesellschaft zur Versorgung eines bestimmten Marktes gegründet worden, so kann ihre wirtschaftliche Eingliederung als Organgesellschaft auch dann gegeben sein, wenn zwischen ihr und der Muttergesellschaft Warenlieferungen nur im geringen Umfange oder überhaupt nicht vorkommen.
Normenkette
UStG 1951 § 2 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), eine Aktiengesellschaft nach französischem Recht (Société Anonyme), deren Anteile zu 88,2 v. H. die Fa. Gebr. B KG besitzt, hat dieser Gesellschaft in den Jahren 1960, 1961 und 1962 Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat die Steuerpflichtige mit den Entgelten hierfür wegen Erbringung sonstiger Leistungen (§ 1 Nr. 1 UStG 1951) zur Umsatzsteuer herangezogen.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, in der sich die Steuerpflichtige auf das Vorliegen nichtsteuerbarer Innenumsätze zwischen ihr und der Gebr. B KG berief, hat das FG abgewiesen. Es hat ausgeführt, nichtsteuerbare Innenumsätze könnten nur dann anerkannt werden, wenn es sich bei der Steuerpflichtigen und der Gebr. B KG um ein einheitliches Unternehmen handele oder die Steuerpflichtige eine Organgesellschaft der Gebr. B KG sei. Beides sei nicht der Fall.
Die Steuerpflichtige und die Gebr. B KG ständen zueinander nicht in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung, weil beide Unternehmen in eigener Produktion Waren herstellten und diese ohne gegenseitige Einschaltung, also voneinander unabhängig, veräußerten. Organschaft nach § 2 Nr. 2 UStG 1951 scheide daher aus. Aber auch eine Unternehmereinheit zwischen der Steuerpflichtigen und der B KG sei nicht gegeben, weil eine solche die volle Identität der Gesellschafter und gleiche Beteiligungsverhältnisse bei beiden Gesellschaften voraussetze. Die Gebr. B KG besitze aber nur 88,2 v. H. der Anteile der Steuerpflichtigen. Da somit weder Organschaft noch Unternehmereinheit vorlägen, handele es sich bei der Zurverfügungstellung der Arbeitskräfte um steuerbare und steuerpflichtige Umsätze, die zu Recht der Umsatzsteuer unterworfen worden seien.
In der Revision rügt die Steuerpflichtige unrichtige Anwendung des geltenden Rechts, vorsorglich auch unzureichende Aufklärung des Sachverhalts. Zu Unrecht habe das FG, so wird ausgeführt, die wirtschaftliche Eingliederung der Steuerpflichtigen in die Gebr. B KG nicht anerkannt. Schon nach der Entstehungsgeschichte der Steuerpflichtigen komme dieser die Funktion einer wirtschaftlich mit der Gebr. B KG eng verflochtenen und weisungsgebundenen Geschäftsabteilung ohne irgendwelche Eigenständigkeit zu. Der Zweck der Gründung der Steuerpflichtigen in der Form einer Société Anonyme sei einzig und allein die im Interesse der Erhaltung des Absatzanteils auf dem französischen Markt und damit letztlich die für die Existenzgrundlage der Gebr. B KG unbedingt notwendige Schaffung einer wirtschaftlichen Einheit zwischen dem Unternehmen und dem französischen Markt gewesen. Diese Verbindung wäre anderenfalls mit der Errichtung der Zollgrenze zwischen dem Saargebiet und Frankreich nach der Rückgliederung des Saarlandes abgerissen. Bei dieser Sachlage sei die gewählte Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen beiden Unternehmen nicht nur als betriebswirtschaftlich vernünftige, sondern sogar als zwingend notwendige Verflechtung und damit als wirtschaftliche Eingliederung der Steuerpflichtigen in den Geschäftsbetrieb der Gebr. B KG zu qualifizieren. Dies um so mehr, als die Form der Aktiengesellschaft nach französischem Recht aus staatsrechtlichen Gründen erforderlich gewesen sei. Unbeschadet ihrer rechtlichen Selbständigkeit habe die Steuerpflichtige wirtschaftlich keine andere Funktion als die eines Zweigbetriebes der Gebr. B KG.
Dies zeige sich auch darin, daß sich beide Unternehmen im Produktionsablauf technisch mehrfach gegenseitig ergänzten. So werde die Steuerpflichtige von der Gebr. B KG mit Einzelteilen beliefert und dadurch oftmals überhaupt erst zur Fertigstellung der Endprodukte befähigt. Solche Zulieferungen seien im Jahre 1959/60 in Höhe von … DM, im Jahre 1960/61 in Höhe von … DM und im Jahre 1961/62 in Höhe von … DM durchgeführt worden. Umgekehrt seien bestimmte Halbfabrikate, die infolge der Verlagerung von Maschinen und Werkzeugen nach Frankreich nicht mehr hergestellt werden könnten, von der Steuerpflichtigen an die Gebr. B KG geliefert worden, und zwar im Jahre 1959/60 im Wert von … NF, im Jahre 1960/61 in Höhe von … NF und im Jahre 1961/62 in Höhe von … NF.
Die Steuerpflichtige ist zusammenfassend der Meinung, daß sie aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Funktion gegenüber der Gebr. B KG und der produktionsmäßigen Verflechtung der beiden Unternehmen nach dem Gesamtbild in die Gebr. B KG wirtschaftlich eingegliedert sei. Da die finanzielle und die organisatorische Eingliederung in die Gebr. B KG auch seitens des FA nicht bestritten werde, unterlägen die hier gegenüber der Fa. Gebr. B KG getätigten Leistungen wegen Vorliegens eines Organschaftsverhältnisses nicht der Umsatzsteuer.
Die Steuerpflichtige beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuerbescheide für 1960 über … DM, für 1961 über … DM und für 1962 über … DM ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es hält daran fest, daß ein Organschaftsverhältnis wegen Fehlens der wirtschaftlichen Eingliederung der Steuerpflichtigen in die Gebr. B KG nicht gegeben und die Vorentscheidung daher im Ergebnis zutreffend sei.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Es handelt sich darum, ob die mit der Zurverfügungstellung von Arbeitskräften durch die Steuerpflichtige bewirkte sonstige Leistung (§ 1 Nr. 1 UStG 1951) als sogenannter Innenumsatz nicht zur Umsatzsteuer heranzuziehen ist. Nichtsteuerbare Innenumsätze könnten bei Vorliegen von Unternehmereinheit oder von Organschaft gegeben sein. Unternehmereinheit scheidet hier schon deshalb aus, weil diese nur bei gleicher Beteiligung und bei voller Identität der Gesellschafter an mehreren Gesellschaften möglich ist (vgl. Urteil des BFH V 255/60 U vom 25. April 1963, BFH 77, 78, BStBl III 1963, 345). Die Beteiligungsverhältnisse bei der Steuerpflichtigen einerseits und der Gebr. B KG andererseits sind jedoch nicht gleich, sondern unterschiedlich.
Organgesellschaft der Gebr. B KG wäre die Steuerpflichtige dann, wenn sie finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in die Gebr. B KG eingegliedert wäre. Das Merkmal der finanziellen Eingliederung ist hier wegen der Beteiligung der Gebr. B KG an der Steuerpflichtigen mit 88, 2 v. H. gegeben (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1951 in Verbindung mit § 17 UStDB bzw. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1951 in der Fassung des Elften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961, BGBl I 1961 S. 1330, BStBl I 1961, 609). Auch eine organisatorische Eingliederung der Steuerpflichtigen in die Gebr. B KG liegt vor, da die persönlich haftenden Gesellschafter und Geschäftsführer der Kommanditgesellschaft gleichzeitig bei der Steuerpflichtigen Generaldirektor bzw. Vizepräsident, also Organe der Aktiengesellschaft sind, im übrigen auch auf technischem Gebiet eine weitgehende gegenseitige Verknüpfung beider Unternehmen besteht.
Zur Frage der wirtschaftlichen Eingliederung gilt folgendes:
Nach dem BFH-Urteil V R 89/66 vom 22. Juni 1967 (BFH 89, 402, BStBl III 1967, 715) ist zur Annahme einer Organschaft nicht erforderlich, daß alle drei Eingliederungsmerkmale - das finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische - im Einzelfall gleichermaßen ausgeprägt vorliegen. Tritt auf einem der drei Gebiete die Eingliederung weniger stark in Erscheinung, so hindert dies nicht, trotzdem Organschaft anzunehmen, wenn sich die Eingliederung auf den beiden anderen Gebieten - im Streitfall also dem finanziellen und dem organisatorischen - deutlich zeigt. Wirtschaftliche Eingliederung liegt vor, wenn die Organgesellschaft im Rahmen des Gesamtunternehmens, und zwar in enger wirtschaftlicher Verflechtung mit diesem, es fördernd und ergänzend, tätig wird.
Für eine solche wirtschaftliche Verflechtung spricht im Streitfall zunächst die Entstehungsgeschichte der Steuerpflichtigen, der für die rechtliche Beurteilung eine wesentliche Bedeutung zukommt: Die Steuerpflichtige ist ausschließlich mit dem Zweck gegründet worden, den von der Gebr. B KG vor der Rückgliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland auf dem französischen Markt gewonnenen Kundenstamm zu erhalten, zu versorgen und für ihn zu produzieren. Diesen Zweck hat sie seit ihrer Gründung auch erfüllt. Im Ablauf der Produktion beider Gesellschaften besteht eine weitgehende Zusammenarbeit und Arbeitsteilung, die sich insbesondere in der gegenseitigen Zurverfügungstellung von Maschinen und der Belieferung mit Einzelteilen und Halbfabrikaten zeigt. Selbst wenn man mit dem FA davon ausgeht, daß die Steuerpflichtige ihre Fertigerzeugnisse in überwiegendem Maße über ihre eigene Verkaufsorganisation an ihren eigenen Abnehmerkreis in Frankreich vertreibt, kommt diesem Umstand im Streitfall keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn gerade hierin wird offenkundig, daß die Steuerpflichtige den mit ihrer Gründung bezweckten und von der Gebr. B KG gestellten wirtschaftlichen Auftrag, den von der Obergesellschaft geschaffenen französischen Kundenstamm zu erhalten und zu versorgen, erfüllt. Ergibt sich sonach aus einer Mehrzahl von Gesichtspunkten im Gesamtbild, daß die Steuerpflichtige mit der Gebr. B KG im Sinne des obengenannten BFH-Urteils vom 22. Juni 1967 auch wirtschaftlich eng verflochten ist, so ist auch die wirtschaftliche Eingliederung anzuerkennen. Es ist hierfür nicht zwingend erforderlich, daß das Organ überwiegend Innenlieferungen an oder mit dem Organträger selbst tätigt. Entscheidend ist vielmehr das wirtschaftliche Gesamtbild (vgl. Urteil des BFH V 184/61 U vom 23. April 1964, BFH 79, 316, BStBl III 1964, 346), das im Streitfall die wirtschaftliche Machtposition der Gebr. B KG gegenüber der Steuerpflichtigen und damit deren Unterordnung im Sinne eines Organschaftsverhältnisses nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1951 klar zutage treten läßt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BFH V 101/62 U vom 27. August 1964 (BFH 80, 181, BStBl III 1964, 539). Dieses Urteil behandelt einen Grenzfall (vgl. Wauer, BB 1966 S. 284), in dem es um eine ausschließlich für die Belieferung der Obergesellschaft gegründete Produktionsfirma ging, die aber überwiegend andere Abnehmer belieferte. Der Sachverhalt unterscheidet sich also wesentlich von demjenigen des Streitfalls, in dem die Steuerpflichtige zur Belieferung des von der Obergesellschaft seinerzeit gewonnenen Kundenstammes in Frankreich, nicht aber zur Belieferung der Obergesellschaft selbst gegründet worden ist. Eine Anwendung der in dem letztgenannten BFH-Urteil vom 27. August 1964 gemachten Ausführungen zur Frage der Innen- und Außenlieferungen und des Verhältnisses dieser Lieferungen zueinander scheidet somit aus.
Da die Steuerpflichtige somit Organgesellschaft der Gebr. B KG ist, sind die von ihr gegenüber der Obergesellschaft bewirkten Leistungen nicht steuerbar. Die Vorinstanz ist zu einem anderen Ergebnis gelangt. Ihre Entscheidung war daher aufzuheben. Da die Sache spruchreif ist, waren auch die Umsatzsteuerbescheide des FA für die Jahre 1960, 1961 und 1962 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 25. März 1965 ersatzlos aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413274 |
BStBl II 1972, 840 |
BFHE 1972, 475 |