Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Finanzamt eine Tatsache, die es bei gehöriger Erfüllung seiner Ermittlungspflicht hätte aufdecken können, gegen sich als bekannt gelten lassen muß.
Hat das Finanzamt den Inhalt einer abgegebenen Steuererklärung der vorläufigen Festsetzung zugrunde gelegt, so ist der vorläufige Bescheid nicht an weitere Voraussetzungen, insbesondere nicht an die etwa gebotene Klärung einer noch offenen Frage geknüpft.
Normenkette
AO § 100 Abs. 2, § 222/1/1; UStG § 5 Abs. 3
Tatbestand
In der Sache geht der Streit darum, ob die Frühstücksumsätze in dem von der Steuerpflichtigen betriebenen Hotel in den Veranlagungszeiträumen 1958 und 1959 als Umsätze der Steuerpflichtigen bei dieser umsatzsteuerpflichtig oder ob die Entgelte für diese Umsätze als durchlaufende Posten nach § 5 Abs. 3 UStG absetzbar sind. Verfahrensrechtlich ist streitig, ob die Berichtigungsveranlagung für den Veranlagungszeitraum 1958 nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO und die endgültige Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 1959 zulässig waren.
Die Steuerpflichtige, die den Hotelbetrieb im Sommer 1958 aufgenommen hatte, richtete mit Schreiben vom 10. Dezember 1958 an das Finanzamt eine Anfrage, in der u. a. ausgeführt wird, daß in dem neugegründeten Hotel das Restaurant und die gesamte Bewirtschaftung aus dem Hotelbetrieb als solchem herausgenommen und verpachtet worden seien; der Verzehr der Gäste werde zwar vom Hotel kassiert, aber in voller Höhe, ohne jeden Abzug, an die Wirtschaftsbetriebe (Pächterin) wieder abgeführt; auf den Rechnungen sei auch eingedruckt, daß Speisen und Getränke im Namen der Pächterin kassiert würden; um baldige Beantwortung dieser Anfrage werde gebeten.
Diese Anfrage blieb jedoch zunächst unbeantwortet. In einem Aktenvermerk des Finanzamts vom 27. November 1959 heißt es, daß nach telefonischer Rücksprache mit der Steuerpflichtigen die im Schreiben vom 10. Dezember 1958 genannten Verzehrumsätze in den eingereichten Umsatzsteuerveranlagungen als durchlaufende Posten behandelt worden seien. Dementsprechend wurde auch die Steuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1958 eingereicht. Mit Verfügung vom 27. Mai 1960 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für 1958 nach Erklärung im vereinfachten Veranlagungsverfahren ohne Bescheiderteilung fest.
Am 11. Oktober 1960 fand bei der Steuerpflichtigen eine "Nachprüfung der Umsatzsteuervergünstigung gemäß § 5 Abs. 3 UStG" durch einen Betriebsprüfer statt. Dieser Prüfer billigte die Behandlung der streitigen Umsätze als durchlaufende Posten. Die Steuerpflichtige erhielt eine Abschrift dieses Berichts.
In der Umsatzsteuerjahreserklärung für 1959 wurden die Verzehrumsätze von der Steuerpflichtigen wiederum als durchlaufende Posten behandelt. Das Finanzamt veranlagte diesen Veranlagungszeitraum mit Verfügung vom 27. Januar 1961 und erteilte einen gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufigen Bescheid.
Im Jahre 1961 (Betriebsprüfungsbericht vom 20. April 1961) fand bei der Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung statt. In diesem Bericht wurden zwar die Restaurationsumsätze als durchlaufende Posten anerkannt, weil insoweit vom Gast zu unterschreibende Rechnungen ausgestellt würden, die den Hinweis auf die Pächterin des Restaurants enthielten; anders liege es bei den Frühstücksumsätzen; die dem Gast ausgehändigte Zimmerkarte enthalte wohl den Vermerk, daß die Einnahme des Frühstücks obligatorisch sei; jedoch sei nur der Name des Hotels aufgedruckt, ein Hinweis auf den Pächter des Wirtschaftsbetriebs fehle. Es sei dem Gast insoweit nicht ersichtlich, daß er das Frühstück von einem anderen Unternehmer erhalte.
Das Finanzamt schloß sich der Auffassung des Prüfers an, berichtigte die Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 1958 und erließ für den Veranlagungszeitraum 1959 einen endgültigen Bescheid entsprechend dem Ergebnis der Betriebsprüfung.
Nach Zurückweisung des Einspruchs hatte die Steuerpflichtige im Berufungsverfahren für beide Veranlagungszeiträume Erfolg. Das Finanzgericht hielt die Berichtigungsveranlagung des Jahres 1958 nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht für zulässig. Für den Veranlagungszeitraum 1959 war es der Auffassung, daß eine vorläufige Veranlagung nach § 100 Abs. 2 AO nicht habe vorgenommen werden dürfen, weil bereits die erste Umsatzsteuerprüfung vom 11. Oktober 1960 die Klärung der noch offenen Fragen erbracht habe. Die "endgültige" Veranlagung habe auch als Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO aus den gleichen Gründen wie für das Jahr 1958 nicht ergehen dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts hat nur für den Veranlagungszeitraum 1959 Erfolg.
Sachlich-rechtlich tritt der Senat der Auffassung des Finanzamts bei, wonach hinsichtlich der Einnahme des Frühstücks dem Gast nicht ersichtlich ist, daß er mit einem anderen Unternehmer als der Steuerpflichtigen in unmittelbare Rechtsbeziehungen tritt. § 5 Abs. 3 UStG kann aber nur angewendet werden, wenn sowohl die Vereinnahmung als auch die Verausgabung im fremden Namen und für fremde Rechnung geschieht. Da dem Gast auf der Zimmerkarte vom Hotel die Verpflichtung auferlegt wird, das Frühstück im Hotel einzunehmen und jeder Hinweis auf die Pächterin fehlt, muß der Gast den Eindruck haben, daß er den Frühstückspreis dem Hotel schuldet.
Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Fragen hat das Finanzgericht die Rechtslage für die beiden Veranlagungszeiträume mit Recht getrennt behandelt.
Veranlagungszeitraum 1958 Wenn das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung hervorgehoben hat, daß in seinem Schweigen zur Darstellung der Steuerpflichtigen und in seiner Veranlagung nach Erklärung noch keine Auskunft oder Zusage im rechtlichen Sinne zu erblicken sei, so entspricht dies für den Regelfall durchaus der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. u. a. Urteil VI 269/60 S vom 4. August 1961, BStBl 1961 III S. 562, Slg. Bd. 73 S. 813). Der Auffassung des Finanzgerichts gegenüber, daß die Berichtigung der rechtskräftigen Veranlagung im Streitfalle gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoße, wird in der Rb. ausgeführt, daß bei dieser Beurteilung die Anforderungen an die gehörige Erfüllung der Ermittlungspflichten des Finanzamts wirklichkeitsfremd seien und die Verwaltung in ihrer Veranlagungstätigkeit überforderten. Auch der erkennende Senat hat in diesem Sinne mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß an die Ermittlungspflicht der Finanzämter im Veranlagungsverfahren, das Massencharakter hat, nicht übersteigerte Anforderungen gestellt werden dürfen. Die Rb. übersieht jedoch die Besonderheiten des Sachverhalts im Streitfalle.
Voraussetzungen einer Berichtigungsveranlagung ist u. a., daß neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden. Dabei spielt es keine Rolle, daß die Steuerfestsetzung im Vereinfachten Verfahren vorgenommen und ein förmlicher Bescheid nicht erteilt worden ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 79/60 U vom 22. November 1962, BStBl 1963 III S. 51, Slg. Bd. 76 S. 141). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs muß das Finanzamt eine Tatsache als bekannt gegen sich gelten lassen, die es bei gehöriger Erfüllung seiner Ermittlungspflicht hätte aufdecken können (Urteil VI 296/57 S vom 5. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 86, Slg. Bd. 68 S. 223).
Die Steuerpflichtige hat in allen Instanzen vorgetragen, daß sie gleich bei Eröffnung des Hotelbetriebs den Sachverhalt mündlich beim Finanzamt vorgetragen und dabei auch die Frühstücksumsätze erwähnt habe. Das Finanzamt hat die Tatsache einer solchen mündlichen Besprechung nicht in Abrede stellen wollen, glaubt aber nicht, daß dies schon bei Geschäftseröffnung geschehen sei, sondern erst kurz vor der schriftlichen Anfrage vom 10. Dezember 1958. Daraufhin hat die Steuerpflichtige unter Beweisantritt glaubhaft vorgetragen, daß sich die schriftliche Anfrage nur deshalb bis zum Dezember verzögert habe, weil sie entgegen ihrer Erwartung auf ihre mündliche Anfragen ohne Bescheid geblieben sei. Dieser Darstellung hat das Finanzamt nie widersprochen. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß die Steuerpflichtige alles getan hat, um über die Möglichkeit, die Verzehrumsätze als durchlaufende Posten zu behandeln, rechtzeitig Klarheit zu erlangen. Daß dem Finanzamt die Streitfrage bekannt war, geht auch aus dem Aktenvermerk vom 27. November 1959 hervor. Unter diesen Umständen gewinnt die dann endlich im Oktober 1960 angeordnete Prüfung besondere Bedeutung, die den erklärten Zweck hatte, allein die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 UStG nachzuprüfen. Dem Bericht über die Streitfrage, der die Rechtsauffassung der Steuerpflichtigen billigte und dieser übersandt worden ist, folgte die Veranlagung für 1958 nach Erklärung. Es kommt deshalb insoweit nicht darauf an, ob hierin eine "Zusage" im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung zu erblicken ist; in jedem Falle hat das Finanzamt angesichts der mündlichen und schriftlichen Anfragen hiermit durch sein Verhalten zu erkennen gegeben, daß die Steuerpflichtige auf Grund neuer Tatsachen eine Berichtigung nicht mehr zu erwarten brauchte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 40/51 U vom 3. Oktober 1951, BStBl 1951 III S. 202, Slg. Bd. 55 S. 494). Auch ist zumindest davon auszugehen, daß die Streitfrage im ersten Bericht bereits angeschnitten war, wenn auch der Sachverhalt, wie der Rb. gegenüber einzuräumen ist, noch nicht vollständig klargestellt worden ist. Wenn nun in der zweiten ordentlichen Betriebsprüfung der Sachverhalt auch eingehender ermittelt worden ist, so kann darin ein Bekanntwerden neuer Tatsachen nicht erblickt werden, weil unter den besonderen Umständen des Streitfalles das Finanzamt schon auf Grund der vorhergehenden Sonderprüfung Anlaß zur weiteren Aufklärung gehabt hätte, zumal da von einem böswilligen Verschweigen von Sachverhaltsmerkmalen nicht gesprochen werden kann. Bei der ersten Prüfung ist dem Prüfer auch nichts vorenthalten worden. Es heißt schon in der schriftlichen Anfrage, daß das Restaurant und die gesamte Bewirtschaftung aus dem Hotelbetrieb herausgenommen worden sei. Für den Prüfer und das Finanzamt hätte es darum nahegelegen, sich auch nach der Handhabung hinsichtlich des Hotelfrühstücks zu erkundigen. Als nach den mehrfachen Anfragen der Steuerpflichtigen schließlich nach mehr als zwei Jahren ein Umsatzsteuersonderprüfer erschien und sein Bericht der Veranlagung zugrunde gelegt worden ist, brauchte die Steuerpflichtige mit Nachforderungen für den rechtskräftig veranlagten Zeitraum in der Streitsache nicht mehr zu rechnen. In diesem Punkt erweist sich die Rb. somit als unbegründet.
Veranlagungszeitraum 1959 Hier ist die Rechtslage anders, weil ein in vollem Umfang vorläufiger Steuerbescheid vorliegt, der ohne Bekanntwerden neuer Tatsachen bei der endgültigen Veranlagung geändert werden kann und eine formelle Zusage, aus der der Wille des Finanzamts, sich auch für künftige Veranlagungszeiträume zu binden, nicht gegeben ist.
Nach § 100 Abs. 2 AO kann das Finanzamt die Steuer u. a. vorläufig festsetzen, wenn es den Inhalt einer abgegebenen Steuererklärung der vorläufigen Festsetzung zugrunde legt. Dies trifft für den Streitfall zu. Das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 120/50 U vom 11. Dezember 1950 (BStBl 1951 III S. 25, Slg. Bd. 55 S. 63), das die Vorentscheidung anführt, betrifft den Rechtszustand vor dem Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl I S. 373, BStBl 1954 I S. 575). Durch Art. 12 dieses Gesetzes ist ein neuer Tatbestand eingefügt worden, wonach eine vorläufige Steuerfestsetzung ohne weiteres auch dann statthaft ist, wenn das Finanzamt dem Bescheid den Inhalt einer abgegebenen Steuererklärung zugrunde legen will. An weitere Voraussetzungen ist für diesen Fall die Vorläufigkeit eines Bescheids nicht geknüpft. In aller Regel wird man auch im Gegensatz zur Auffassung der Vorentscheidung nicht von einem Ermessensfehlgebrauch sprechen können, wenn das Finanzamt der Steuererklärung folgt, zumal die zweite Prüfung und der anschließend endgültig erteilte Bescheid der vorläufigen Veranlagung alsbald folgte, so daß von einer willkürlichen Verzögerung der endgültigen Veranlagung nicht die Rede sein kann. Wenn daher das Finanzgericht als weitere Voraussetzung für einen vorläufigen Bescheid die gebotene Klärung einer noch offenen Frage ansieht, so entspricht dies nicht dem klaren Wortlaut der neugefaßten Vorschrift und dem darin zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers. Die Vorentscheidung war deshalb, soweit sie den Veranlagungszeitraum 1959 betrifft, aufzuheben und die Berufung der Steuerpflichtigen gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 411395 |
BStBl III 1964, 658 |
BFHE 1965, 511 |
BFHE 80, 511 |