Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung eines Dritten
Leitsatz (NV)
1. Die Ablehnung einer beantragen Beiladung kann das FG durch besonderen Beschluß oder auch erst im Urteil aussprechen.
2. § 174 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 AO 1977 ist gegenüber Dritten nur anwendbar, wenn diese vor Eintritt der Festsetzungsverjährung an dem Verfahren beteiligt worden sind. Die Voraussetzungen für den Eintritt der Festsetzungsverjährung müssen vom FG im einzelnen geprüft und dürfen nicht auf Grund von unterstellten Tatsachen angenommen werden.
Normenkette
AO 1977 § 174 Abs. 4-5; FGO § 60 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin der verstorbenen Frau A. Diese hatte im Scheidungsverfahren mit ihrem Ehemann eine Vereinbarung über die Scheidungsfolgen getroffen. Danach hatte ihr dieser lebenslang eine bestimmte Unterhaltsleistung zu gewähren. Frau A verzichtete auf ihr zustehende Kaufrenten- und Pachtzinsansprüche, die aufgrund verschiedener Verträge den Eheleuten gemeinschaftlich zustanden.
Durch eine Kontrollmitteilung erfuhr das Finanzamt (FA) von diesem Sachverhalt. Es führte daraufhin eine Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den 1. Januar 1976 durch, bei der es den Kapitalwert der Unterhaltsrente mit 148884 DM ansetzte. Die Vermögensteuer-Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1977 änderte das FA nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und setzte dabei den Kapitalwert der Unterhaltsrente mit 145764 DM an.
Hiergegen richtete sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage der Frau A. Diese verstarb während des Klageverfahrens und wurde von der nunmehrigen Klägerin beerbt. Im Klageverfahren stellte das FA den Antrag, für das Verfahren gegen den Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1977 den geschiedenen Ehemann der ursprünglichen Klägerin nach § 60 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 174 Abs. 5 AO 1977 beizuladen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und unter Abänderung der Vermögensteuerbescheide auf den 1. Januar 1976 und auf den 1. Januar 1977 die Vermögensteuer jeweils ausgehend von einem Kapitalwert in Höhe von 20000 DM für die Unterhaltsleistungen herabgesetzt. Nach § 111 Nr. 7 des Bewertungsgesetzes (BewG) gehörten Ansprüche auf Renten, die auf gesetzlicher Unterhaltspflicht beruhten, für nicht zusammenveranlagte Beteiligte nicht zum sonstigen Vermögen, soweit der Kapitalwert 20000 DM übersteige. Die Abgrenzung der Rentenansprüche, die auf gesetzlicher Unterhaltspflicht beruhten, sei nach den gleichen Maßstäben wie im Rahmen des § 12 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorzunehmen. Im Streitfall handele es sich um Unterhaltsansprüche, die i.S. des § 12 Nr. 2 EStG auf gesetzlicher Unterhaltspflicht beruhten. Die vom FA beantragte Beiladung des früheren Ehemannes lehnte das FG ab. Das FG nahm zur Begründung Bezug auf seine Entscheidung vom selben Tag in der Einkommensteuersache zwischen denselben Beteiligten.
Mit der Revision trägt das FA vor, die Entscheidung des FG leide deswegen an einem Verfahrensmangel, weil das FG über die Ablehnung des Beiladungsantrags fälschlich nicht durch Beschluß, sondern im Urteil entschieden habe. Halte man dieses Verfahren für zulässig, verstoße das Urteil gegen § 76 FGO, weil das FG seine Überzeugung auf der Grundlage eines unvollständigen Sachverhalts gebildet habe. Die Voraussetzungen für eine Beiladung des Dritten (hier des Ehemannes der verstorbenen Klägerin) hätten vorgelegen. Die Entscheidung des FG sei von der Annahme getragen, daß der Eintritt der Festsetzungsverjährung bei dem Dritten bezüglich der Vermögensteuer 1977 feststehe. Hierzu hätte es jedoch weiterer Ermittlungen bedurft (z.B. durch Zuziehung der Einkommensteuer-Akten des Dritten). Nur hierdurch hätte das Gericht feststellen können, ob mangels Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung gemäß § 165 AO 1977 oder ablaufhemmender Tatbestände, tatsächlich Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Zu Unrecht nehme das FG außerdem an, daß der Bescheid eines Dritten nach § 174 Abs. 5 AO 1977 nur geändert werden dürfe, wenn der Dritte vor Ablauf der Festsetzungsfrist beigeladen werde.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Kein Verfahrensmangel liegt darin, daß das FG die vom FA beantragte Beiladung nicht durch besonderen Beschluß abgelehnt hat. Ein besonderer, mit der Beschwerde anfechtbarer Beschluß ist nur erforderlich, wenn das FG einen anderen beilädt (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 i.V.m. § 60 Abs. 4 FGO). Die Ablehnung einer beantragten Beiladung kann das FG dagegen durch besonderen Beschluß oder auch erst im Urteil aussprechen.
2. Zu Unrecht hat das FG ohne weitere Ermittlungen die vom FA beantragte Beiladung von Herrn A abgelehnt.
a) § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 enthält einen selbständigen - d.h. von den Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 FGO unabhängig bestehenden - Beiladungsgrund (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Oktober 1985 IV B 62/85, BFH/NV 1987, 479). Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlaß oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977). Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 Satz 2 AO 1977). Gegenüber Dritten gelten diese Vorschriften, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt werden (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977). Ihre Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977).
Erforderlich für eine Beiladung ist demnach lediglich, daß ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus rechtliche Folgerungen bei einem Dritten zu ziehen sind (BFH-Beschluß vom 19. Mai 1981 VIII B 90/79, BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633), und daß das FA die Beiladung des Dritten beantragt oder veranlaßt hat.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall grundsätzlich vor. Das FA hat im Streitfall bei der Vermögensbesteuerung der ursprünglichen Klägerin den Kapitalwert der Rente in voller Höhe beim sonstigen Vermögen berücksichtigt (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BewG). Damit hat es (unausgesprochen) den Sachverhalt dahingehend gewürdigt, daß kein Fall einer Rente gegeben ist, die auf gesetzlicher Unterhaltspflicht beruht und die nach § 111 Nr. 7 Buchst. a BewG nicht zum sonstigen Vermögen gehört, soweit der Kapitalwert 20000 DM übersteigt. Im Klageverfahren gegen den Vermögensteuerbescheid kann sich herausstellen, daß diese rechtliche Beurteilung des Sachverhalts durch das FA falsch war. Derselbe Sachverhalt - die Rente - ist auch für die Vermögensbesteuerung des früheren Ehemannes der ursprünglichen Klägerin von Bedeutung. Liegt eine Rente vor, die auf gesetzlicher Unterhaltspflicht beruht i.S. des § 111 Nr. 7 Buchst. a BewG, so ist bei der Vermögensbesteuerung des geschiedenen Ehemannes nach § 118 Abs. 3 BewG korrespondierend dazu ebenfalls ein Abzug mit höchstens von 20000 DM zulässig. Insofern liegen die Voraussetzungen für eine Beiladung vor.
b) Zu Recht ist das FG zwar davon ausgegangen, daß § 174 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 AO 1977 gegenüber Dritten nur anwendbar ist, wenn diese vor Eintritt der Festsetzungsverjährung an dem Verfahren beteiligt worden sind, das zur Korrektur des ursprünglichen Bescheids geführt hat (BFH-Urteil vom 5. Mai 1993 X R 111/91, BFHE 171, 400). Das FA rügt jedoch zutreffend, daß die - durch Bezugnahme auf die Entscheidung des FG vom selben Tag in der Einkommensteuersache - im FG-Urteil enthaltene Feststellung, die Frist für die Festsetzung der Vermögensteuer gegenüber dem früheren Ehemann sei bereits abgelaufen, auf unterstellten Tatsachen beruht. Das FG hat sinngemäß lediglich ausgeführt, daß der Ablauf der Festsetzungsfrist, die spätestens 1980 begonnen habe, auf der Hand liege. Nicht geprüft hat es, ob ablaufhemmende Tatbestände (vgl. § 171 AO 1977) oder eine vorläufige Festsetzung (§ 165 AO 1977) evtl. den Eintritt der Festsetzungsverjährung verhindert haben.
Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf das in der parallelen Einkommensteuersache zwischen denselben Beteiligten ergangene Urteil des X. Senats vom 22. September 1993 X R 20/91, BFH/NV 1994, 523.
Da der Senat die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen darf, wird die Vorentscheidung hinsichtlich der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1977 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 419847 |
BFH/NV 1994, 841 |