Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung von Testamentsänderungen.
Ist einem Steuerpflichtigen der Nießbrauch am halben Nachlaß, für den Fall des Eintritts eines späteren ungewissen Ereignisses (Bedingung) die Auskehrung des halben Nachlaßwerts (unter Wegfall des Nießbrauchs) vermacht, so ist beim Eintritt der Bedingung ein vom ersten Steuerfall unabhängiger zweiter Erbschaftsteuerfall gegeben.
Zum Verhältnis von vorzeitiger Erfüllung und Abfindung eines Vermächtnisses.
Normenkette
ErbStG § 14/1/1/a, § 2 Abs. 2 Nr. 4; BGB § 2180
Tatbestand
Der Revisionskläger (Steuerpflichtige - Stpfl. -) ist ein Neffe des im Jahre 1942 verstorbenen Erblassers. Dieser hatte durch notarielles Testament vom 19. August 1937 den Stpfl. R. und dessen Bruder P zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt. In einem privatschriftlichen Testament vom 9. September 1941 hat der Erblasser die ursprüngliche Erbeinsetzung dahin abgeändert, daß der Neffe P zum Alleinerben eingesetzt wurde, während der Stpfl. als Vermächtnis den lebenslänglichen, unentgeltlichen Nießbrauch an der Hälfte des reinen Nachlasses erhalten sollte, der nach Abzug der übrigen Vermächtnisse und der sonstigen Verbindlichkeiten verblieb. Außerdem enthielt das privatschriftliche Testament vom 9. September 1941 noch die nachstehende Verfügung zugunsten des Stpfl.:
"Sollten aus der jetzigen oder einer späteren Ehe meines Neffen R. eheliche Abkömmlinge hervorgehen, so soll mein Alleinerbe P verpflichtet sein, die Hälfte meines reinen Nachlasses als ein Vermächtnis meinem Neffen R herauszuzahlen, wodurch selbstverständlich dann dessen Nießbrauchsrecht erlischt. ... Diese Herauszahlung meines halben Nachlasses an R darf jedoch erst geschehen, wenn der älteste Abkömmling von R ein Alter von 10 Jahren erreicht hat. ... Der Auszahlung ist der Wert meines reinen Nachlasses zugrunde zu legen".
Auf Grund des letztgenannten Testaments hat das Amtsgericht dem Bruder des Stpfl. den Erbschein als Alleinerben erteilt.
Das Finanzamt (FA) erließ am 8. Dezember 1942 gegen P einen vorläufigen Erbschaftsteuerbescheid. Diese Festsetzung wurde am 22. August 1946 für endgültig erklärt, obwohl der Erbe P darauf hingewiesen hatte, daß der Wert des zugunsten seines Bruders, des Stpfl., angeordneten Nießbrauchsvermächtnisses, das sich auf die Hälfte des reinen Nachlasses beziehe, wesentlich höher sei als der im vorläufigen Erbschaftsteuerbescheid dafür angesetzte Wert. Das FA sah von einer änderung des vorläufigen Erbschaftsteuerbescheides im Hinblick darauf ab, daß sich der Gesamtbetrag der festgesetzten Erbschaftsteuer bei Ansatz eines erhöhten Wertes für den Nießbrauch des Stpfl. nur verhältnismäßig wenig geändert haben würde. Die Steuerfestsetzung blieb unangefochten.
Dem beim Tode des Erblassers noch kinderlosen Stpfl. war im Jahre 1948 eine Tochter geboren worden, die ihren 10. Geburtstag erlebte. Das FA zog den Kläger daraufhin mit dem vollen Wert des für diesen Fall ausgesetzten Vermächtnisses zur Erbschaftsteuer heran. Es erließ am 26. Mai 1959 einen weiteren Erbschaftsteuerbescheid gegen den Kläger. Der Einspruch des Stpfl. führte zu einer Ermäßigung, dessen Berufung zu einer Erhöhung des festgesetzten Erbschaftsteuerbetrags. Der Stpfl. hat Rb. eingelegt, die nach dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 als Revision zu behandeln ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Stpfl. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Die Revision wird vor allem darauf gestützt, daß das Finanzgericht (FG) die tatsächliche Regelung des Erbfalles außer acht gelassen habe, obwohl sie dem im Testament vom 19. August 1937 niedergelegten Willen des Erblassers entspreche. Dabei verkenne das FG den engen Zusammenhang der beiden Testamente vom 19. August 1937 und 9. September 1941 und lasse unberücksichtigt, daß das Testament vom 19. August 1937 ausschließlich aus kriegsbedingten Gründen geändert worden sei. Der Erblasser habe mit dem Testament vom 9. September 1941 nur der damaligen Kinderlosigkeit seines Neffen R, des Stpfl., Rechnung tragen und verhindern wollen, daß im Falle des Todes seines im Kriegsdienst stehenden Neffen dessen Ehefrau in das Familienunternehmen Eingang finden könnte. Nach dem Wegfall der für die Testamentsänderung maßgebenden Gesichtspunkte sei es sinnvoll gewesen, die Erbregelung entsprechend dem wirklichen im Testament vom 19. August 1937 zum Ausdruck gebrachten Willen des Erblassers zu gestalten. Von dieser tatsächlichen Gestaltung sei auch für die Besteuerung auszugehen.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Zwar ist durch das privatschriftliche Testament vom 9. September 1941 das ursprüngliche notarielle Testament vom 19. August 1937 nicht gänzlich aufgehoben, sondern nur in bestimmten Punkten geändert worden. Für die hier maßgebende Frage, ob der Stpfl. als Miterbe oder als Vermächtnisnehmer behandelt werden muß, ist aber die Testamentsänderung vom 9. September 1941 ausschlaggebend. Denn deren wesentlicher Inhalt besteht gerade darin, daß der Stpfl. nicht mehr, wie in dem ursprünglichen notariellen Testament, Erbe, sondern Vermächtnisnehmer wird. Das Testament vom 9. September 1941 ist von keinem der Beteiligten angefochten worden (vgl. § 2078 Abs. 2 BGB). Es bleibt deshalb für die erbschaftsteuerrechtliche Behandlung des Falles maßgebend. Da der durch das Testament vom 9. September 1941 zum alleinigen Erben berufene Bruder des Stpfl. die Erbschaft nicht ausgeschlagen, sondern einen Erbschein erwirkt hat, der ihn als alleinigen Erben ausweist, ist dieser auch bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer als Alleinerbe des Erblassers zu behandeln. Dieser Rechtslage entspricht bereits der erste Erbschaftsteuerbescheid.
Entgegen der Auffassung der Revision ist es nicht möglich, durch erweiternde Auslegung der testamentarischen Anordnungen in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung der von den Beteiligten durchgeführten Erbregulierung den Stpfl. wie einen Miterben zu behandeln. So gut der Erblasser für den Fall, daß dem Stpfl. eheliche Abkömmlinge geboren werden und der älteste von ihnen das 10. Lebensjahr erreicht, ein bedingtes Vermächtnis angeordnet hat, so gut wäre es ihm möglich gewesen, den Stpfl. unter den gleichen Voraussetzungen zum Erben (Nacherben) einzusetzen. Da er das nicht getan hat, kann der Stpfl. auch bei noch so weitherziger Auslegung der testamentarischen Anordnungen des Erblassers nicht als dessen Erbe (Miterbe) angesehen und behandelt werden.
Dem Erlaß des (zweiten) gegen den Stpfl. selbst gerichteten Erbschaftsteuerbescheides steht nicht entgegen, daß bereits ein für endgültig erklärter und unangefochten gebliebener Erbschaftsteuerbescheid vorangegangen ist, in dem das Nießbrauchsvermächtnis zugunsten des Stpfl. erfaßt worden ist. Denn das ErbStG geht davon aus, daß auf Grund des gleichen Erbfalles nicht nur mehrere Personen als Erben, Vermächtnisnehmer oder Pflichtteilsberechtigte gleichzeitig mehrere erbschaftsteuerpflichtige Erwerbe machen können, sondern daß gegebenenfalls auch ein und dieselbe Person auf Grund des gleichen Erbfalls mehrmals nacheinander verschiedene steuerpflichtige Erwerbe machen kann. Das ergibt sich aus § 14 ErbStG, der für die Entstehung des Steueranspruchs je nach der Art des Erwerbsvorgangs und danach, ob es sich um unbedingte und unbefristete oder bedingte und befristete Erwerbe handelt, verschiedene Erwerbszeitpunkte annimmt. Ein solcher Fall liegt nach dem Testament vom 9. September 1941 im Hinblick auf die zugunsten des Stpfl. angeordneten Vermächtnisse vor; denn außer dem mit dem Tode des Erblassers wirksam werdenden Nießbrauchsvermächtnis enthält es ein bedingtes Vermächtnis, für das die Bedingung erst 16 Jahre nach dem Tode des Erblassers eingetreten ist.
Der Erlaß des zweiten Steuerbescheids wäre deshalb gerechtfertigt, wenn auf Grund der bedingten Vermächtnisanordnung im Testament vom 9. September 1941 ein weiterer erbschaftsteuerpflichtiger Erwerb des Stpfl. eingetreten wäre. Dem würde nicht entgegenstehen, daß sich der Wert des bereits versteuerten Nießbrauchsvermächtnisses, wie er sich nach der eingangs erwähnten "endgültigen Berechnung" der Erbschaftsteuer ergeben hatte, mit dem Betrag des halben Nachlaßwertes deckt, auf dessen Auszahlung der Stpfl. bei Eintritt der Bedingung am 23. Januar 1958 einen schuldrechtlichen Anspruch erwerben sollte. Denn jedenfalls wäre mit der Erlangung des schuldrechtlichen Herausgabeanspruchs, der laut Testament vom 9. September 1941 das bis dahin bestehende Nießbrauchsrecht der Stpfl. ablösen soll, ein weiterer Rechtserwerb eingetreten, der mit dem früheren Erwerb des Nießbrauchsrechts weder ganz noch teilweise identisch ist. Das sich daraus ergebende eigenartige Verhältnis der erbschaftsteuerlichen Lasten einerseits des Erben und andererseits des Vermächtnisnehmers kann von der an das Gesetz gebundenen Rechtsprechung nicht beseitigt werden.
Nach dem festgestellten Sachverhalt bestehen jedoch Zweifel, ob ein solcher Erwerb des Stpfl. auf Grund der bedingten Vermächtnisanordnung eingetreten ist; möglicherweise war das Vermächtnis bereits nach Abfindung ausgeschlagen.
Zwar wird in dem Vertrag vom 30. Dezember 1954 eine Abfindung nur für diejenigen Rechte aus dem Vermächtnis vom 9. September 1941 gewährt, die sich auf die Beteiligung des Erblassers an der Firma F. erstrecken. Das würde aber nicht ausschließen, daß die vertraglichen Erklärungen der Beteiligten vom 30. Dezember 1954 im Rahmen einer Gesamtregelung der erbrechtlichen Verhältnisse abgegeben worden sind, die auf eine mehr dem ursprünglichen Testament vom 19. August 1937 entsprechende Abfindung des Stpfl. gerichtet war als auf eine Erfüllung der im Testament vom 9. September 1941 enthaltenen Vermächtnisanordnungen, damit aber nach Lage der Dinge einen Verzicht des Stpfl. auf seine Vermächtnisrechte oder, soweit die Vermächtnisse in ihrer Entstehung noch aufschiebend bedingt waren, eine Ausschlagung der Vermächtnisse voraussetzte. Eine solche war nach dem Eintritt des Erbfalles möglich, auch wenn die Bedingungen, an die die Entstehung eines Teils der Vermächtnisansprüche geknüpft war, noch nicht erfüllt waren (vgl. Kommentar der Reichsgerichtsräte zum BGB - BGB-RGRK -, 11. Aufl., Anm. 7 zu § 2180 BGB). Da die Ausschlagung des Vermächtnisses gegenüber dem Beschwerten zu erklären ist und keiner Form bedarf, kann sie auch in einem schlüssigen Verhalten des Bedachten gesehen werden (BGB-RGRK, 11. Aufl., Anm. 3 und 5 zu § 2180 BGB). In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, daß der Stpfl. schon vor Abschluß des Vertrages vom 30. Dezember 1954 bei der Veräußerung von Nachlaßgrundstücken, die zum Teil mit seiner ausdrücklichen Zustimmung erfolgt war, Erlösanteile erhalten hat, die gleichfalls als Abfindungsleistungen betrachtet werden könnten. Es könnte deshalb aus der Tatsache, daß bis zum 30. Dezember 1954 über sämtliche Nachlaßgegenstände mit Ausnahme eines einzigen Grundstücks in der Weise verfügt worden ist, daß der Stpfl. an sämtlichen Erlösen beteiligt und damit wohl insbesondere hinsichtlich des ihm zustehenden Wertanteils an den veräußerten Gegenständen abgefunden war, möglicherweise der Schluß zu ziehen sein, daß der Stpfl. gegen die Gewährung entsprechender Erlösanteile auf seine Anwartschaft aus der bedingten Vermächtniseinsetzung verzichtet und damit die Ausschlagung dieses Vermächtnisses erklärt hat. Eine solche Auslegung des Gesamtverhaltens der Beteiligten liegt unter Umständen auch deshalb nahe, weil der Bruder des Stpfl. als testamentarischer Alleinerbe angeblich mit dem Stpfl. schon kurze Zeit nach dem Tode des Erblassers übereingekommen ist, den Nachlaß so zu regeln, als ob der Stpfl. zu gleichen Teilen mit seinem Bruder Miterbe geworden sei. Wenn die Beteiligten bei der Aufteilung und Versilberung des Nachlasses in dieser Weise verfahren, bietet das Verhalten der Beteiligten Anhaltspunkte dafür, daß der Stpfl. die Rechte aus der Vermächtnisanordnung des Erblassers nicht mehr in Anspruch nehmen wollte. Das Verhalten der Beteiligten ist deshalb möglicherweise in dem Sinne zu verstehen, daß der Stpfl. gegen entsprechende Abfindungsleistungen, die jeweils bei der Verfügung über die einzelnen Nachlaßgegenstände, insbesondere bei ihrer Veräußerung zu erbringen waren, zumindest das bedingte Vermächtnis, um dessen Besteuerung es hier geht, ausgeschlagen hat.
Da das FG den Sachverhalt in dieser Richtung nicht geprüft, sondern sich auf die - an sich zutreffende - Bemerkung beschränkt hat, ein Vermächtnis könne nicht bloß teilweise ausgeschlagen werden (§ 2180 Abs. 3, § 1950 BGB), war das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache geht zur nochmaligen Prüfung und Entscheidung an das FG zurück, das aufklären muß, ob der Stpfl. das bedingte Vermächtnis angenommen oder durch schlüssiges Verhalten oder ausdrücklich ausgeschlagen hat.
Sollten die Ermittlungen ergeben, daß das bedingte Vermächtnis vom Stpfl. rechtswirksam ausgeschlagen worden ist, so würde, da insoweit ein Erwerb von Todes wegen nicht eingetreten wäre, die Einspruchsentscheidung ebenso wie der gegen den Stpfl. gerichtete Erbschaftsteuerbescheid vom 26. Mai 1959 ersatzlos aufzuheben sein. Ob in diesem Fall wegen der für die Ausschlagung des bedingten Vermächtnisses gewährten Abfindungsleistungen Erbschaftsteuer gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG zu erheben wäre, deren Entstehung nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 f ErbStG mit dem Zeitpunkt der Ausschlagung zeitlich zusammenfällt, ist, da es sich insoweit um einen anderen Sachverhalt handeln würde, in dem anhängigen Rechtsmittelverfahren nicht zu prüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 412129 |
BStBl III 1966, 593 |
BFHE 1966, 652 |
BFHE 86, 652 |
StRK, ErbStG:14 R 13 |
NJW 1967, 224 |