Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Auslegung von im Wege der vorweggenommenen Erbfolge getroffenen Vereinbarungen
Leitsatz (NV)
Ist streitig, ob im Rahmen einer Regelung zur vorweggenommenen Erbfolge ein Vorbehaltsnießbrauch oder ein teilentgeltliches Nutzungsrecht vereinbart worden ist, hat die Vertragsauslegung durch das Gericht sich an dem ersichtlich von den Vertragsparteien Gewollten und deren Interessenlage zu orientieren.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 1 Nr. 6, § 21 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
Mit Übergabevertrag vom ... Dezember 1989 hatten die Eltern des Klägers diesem im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge das Eigentum an dem Grundstück A-Straße in X übertragen. Das Grundstück war zu diesem Zeitpunkt mit einem Wohngebäude bebaut, bei dem lediglich die Erdgeschoßwohnung fertiggestellt war. Die Wohnung im Untergeschoß des Gebäudes wurde nach Angaben des Klägers erst im Jahre 1991 fertiggestellt und ab Januar 1992 fremdvermietet.
Der Kläger verpflichtete sich im Übergabevertrag zur befreienden Schuldübernahme der Verbindlichkeiten der Übergeber in Höhe von ... DM. Zudem bestellte der Kläger zugunsten seiner Eltern ein lebenslanges Wohnungsrecht an der Erdgeschoßwohnung sowie ein (Mit-)Benutzungsrecht an der Garage, dem Garten sowie sämtlichen zum gemeinschaftlichen Gebrauch der Hausbewohner bestimmten Einrichtungen und Anlagen des übertragenen Grundstücks. Als Gegenleistung für die Ausübung des Wohnungsrechts verpflichteten sich die Berechtigten, an den Kläger monatlich einen Betrag in Höhe der Hälfte der ortsüblichen Vergleichsmiete für die genutzte Wohnung zu zahlen. Einen Tag vor Abschluß des Übergabevertrages hatten der Kläger und seine Eltern einen Mietvertrag über die Erdgeschoßwohnung geschlossen, wonach der Mietzins ... DM monatlich betrug.
Mit Nachtrag vom ... Februar 1991 wurde der Übergabevertrag durch eine Pflegeverpflichtung des Klägers gegenüber seinen Eltern ergänzt. In einem weiteren Nachtrag vom ... November 1992 wurde der Übergabevertrag wie folgt ergänzt: "Die Beteiligten stellen fest, daß von vornherein kein Wohnungsrecht, sondern nur eine Mietvereinbarung zur Hälfte des ortsüblichen Mietzinses vorgesehen und gewollt war."
Des weiteren wurde das in dem Übergabevertrag bestellte und im Grundbuch ein getragene Wohnungsrecht zugunsten der Eltern des Klägers ersatzlos aufgehoben.
Für das Jahr 1989 machten die Kläger als Werbungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus dem übergebenen Grundstück Schuldzinsen in Höhe von ... DM und Absetzungen für Abnutzung (AfA) in Höhe von ... DM geltend. Für 1990 erklärten sie Einnahmen von ... DM und als Werbungskosten Schuldzinsen in Höhe von ... DM, AfA in Höhe von ... DM sowie Notargebühren und Kosten für die Grundbucheintragung in Höhe von ... DM. Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) zunächst im Hinblick auf das Wohnungsrecht der Eltern des Klägers davon ausgegangen war, daß der Kläger keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erziele, berücksichtigte er im Einspruchsverfahren die anteilig auf die ab 1992 fremdvermietete Wohnung entfallenden Schuldzinsen als vorab entstandene Werbungskosten.
Mit (geänderten) Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1989 und 1990 wurden Erstattungszinsen gemäß § 233 a der Abgabenordnung (AO 1977) in Höhe von ... DM (1989) und ... DM (1990) festgesetzt. Auch hiergegen haben die Kläger Einspruch eingelegt. Sie haben sich sowohl gegen die Höhe des Zinssatzes als auch die Dauer des Zinslaufs gewandt und unter Hinweis auf angeblich anhängige Musterverfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Vorschriften beantragt, die Entscheidung gemäß § 363 AO 1977 vorläufig auszusetzen. Das FA hat den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen; die Erstattungszinsen seien gemäß den gültigen Vorschriften der §§ 233 a, 238 AO 1977 zutreffend festgesetzt worden.
Die Klage, mit der die Kläger zum einen die Berücksichtigung der für die Streitjahre geltend gemachten Werbungskostenüberschüsse begehrten und zum anderen beantragten, die Festsetzungen der Erstattungszinsen im Hinblick auf (angeblich) anhängige Musterverfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zur Verzinsung von Steuererstattungen gemäß § 165 AO 1977 für vorläufig zu erklären, hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß die Eltern des Klägers die Erdgeschoßwohnung des übertragenen Hauses in den Streitjahren aufgrund eines Vorbehaltsnießbrauchs nutzten, so daß der Kläger insoweit keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erziele. Die Kläger hätten auch keinen Anspruch darauf, daß die Erstattungszinsen vorläufig festgesetzt würden, weil kein Musterverfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zur Verzinsung von Steuererstattungen bekannt sei. Das FG hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage nach der steuerrechtlichen Behandlung von Zahlungen eines nutzungsberechtigten Grundstücksübergebers an den Übernehmenden zugelassen.
Mit der Revision rügen die Kläger zunächst sinngemäß eine Verletzung des § 2 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. § 21 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG); entsprechend der mit dem Übergabevertrag beabsichtigten Regelung erziele der Kläger aus der teilweise entgeltlichen Überlassung der Erdgeschoßwohnung an seine Eltern Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Darüber hinaus machen die Kläger geltend, die den festgesetzten Erstattungszinsen zugrundeliegenden Regelungen seien wegen Verstoßes gegen Art. 14 i. V. m. Art. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig; die Kläger beanstanden insoweit zum einen die Höhe des Zinssatzes für Steuererstattungen (§ 238 Abs. 1 AO 1977) und zum anderen die Regelung über den Zinslauf (§ 223 a Abs. 2 AO 1977).
Die Kläger beantragen sinngemäß,
1. gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren auszusetzen und zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen über die Verzinsung von Steuererstattungen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen;
2. im übrigen unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 1993 die Steuerfestsetzungen in der Weise zu ändern, daß die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in der erklärten Höhe berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Soweit sich die Revision gegen die Festsetzung der Erstattungszinsen richtet, ist sie gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) unzulässig. Das FG hat nämlich die Revision nur hinsichtlich der Einkommensteuerfestsetzungen als selbständigen Teil des Streitgegenstandes des finanzgerichtlichen Verfahrens zugelassen. Das ergibt sich eindeutig (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. Dezember 1989 X R 83/88, BFH/NV 1990, 548) aus der Begründung der Zulassung in der Vorentscheidung.
2. Zu Recht wenden sich die Kläger jedoch gegen die Beurteilung des FG, der Kläger erziele keine Einkünfte aus der Überlassung der Erdgeschoßwohnung an seine Eltern, weil diese die Wohnung aufgrund eines Vorbehaltsnießbrauchs nutzten.
a) Mit dem Übergabevertrag vom ... Dezember 1989 hatte der Kläger seinen Eltern u. a. ein Wohnungsrecht an der Wohnung im Erdgeschoß des übertragenen Hauses bestellt; die Eltern verpflichteten sich, "als Gegenleistung für die Ausübung des Wohnungsrechts" an den Kläger monatlich einen Betrag in Höhe der Hälfte der ortsüblichen Vergleichsmiete zu zahlen. Nach dem Wortlaut des Vertrages hat der Kläger mithin seinen Eltern ein (teil-)entgeltliches Wohnungsrecht eingeräumt, zu dessen Sicherung er in dem notariell beurkundeten Vertrag auch die Eintragung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit beantragte und bewilligte.
Mit dem einen Tag vor dem Übergabevertrag geschlossenen Mietvertrag hatte der Kläger zudem die Wohnung zu einem monatlichen Mietzins von ... DM an seine Eltern vermietet. Auch wenn dieser (schuldrechtliche) Mietvertrag einen Gegensatz zu dem am folgenden Tag bestellten (dinglichen) Wohnungsrecht darstellt, wird jedoch auch aus dem Mietvertrag deutlich, daß die Erdgeschoßwohnung den Eltern des Klägers (teil-)entgeltlich zur Nutzung überlassen werden sollte.
In dieselbe Richtung zielt schließlich auch die nachträglich beurkundete Erklärung der Vertragsparteien vom ... November 1992, wonach von vornherein eine Mietvereinbarung zur Hälfte des ortsüblichen Mietzinses vorgesehen und gewollt war. Auch hiernach sollten die Eltern des Klägers die Erdgeschoßwohnung nicht unentgeltlich, sondern (teil-)entgeltlich nutzen.
b) Angesichts dieser übereinstimmend auf eine (teil-)entgeltliche Nutzung der Wohnung gerichteten Erklärungen der Vertragsparteien hält die Beurteilung des FG, die Eltern des Klägers nutzten die Erdgeschoßwohnung aufgrund eines Vorbehaltsnießbrauchs, d. h. unentgeltlich, der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand (zur Prüfung von Vertragsauslegungen durch das Revisionsgericht vgl. BFH-Urteile vom 11. Februar 1981 I R 13/77, BFHE 133, 3, BStBl II 1981, 475, und vom 5. Dezember 1990 I R 5/88, BFHE 163, 87, BStBl II 1991, 308). Abgesehen davon, daß bürgerlich-rechtlich ein Nießbrauch nicht lediglich an einer einzelnen Wohnung eines Gebäudes bestellt werden kann (Schön, Der Nießbrauch an Sachen, Köln 1992, S. 307 f., m. w. N.), berücksichtigt die Würdigung des FG auch nicht das ersichtlich von den Vertragsparteien Gewollte. Eine an deren Interessenlage orientierte Vertragsauslegung (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 25. Juli 1979 II R 105/77, BFHE 128, 544, BStBl II 1980, 11), die der Senat selbst vornehmen kann (Senatsurteil vom 21. Februar 1991 IX R 265/87, BFHE 163, 560, BStBl II 1992, 718 m. w. N.), führt zu dem Ergebnis, daß der Kläger seinen Eltern die Wohnung im Erdgeschoß des übertragenen Hauses gegen Entgelt zur Nutzung überlassen hat. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob im Streitfall von einem Mietvertrag oder von der Einräumung eines (teil-)entgeltlichen Wohnungsrechts auszugehen ist; auch in letzterem Fall stellen die laufenden monatlichen Zahlungen der Wohnungsberechtigten grundsätzlich Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung dar (BFH-Urteil vom 27. Juni 1978 VIII R 54/74, BFHE 125, 535, BStBl II 1979, 332).
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des FG auch nicht daraus, daß die Bevollmächtigte der Kläger im Einspruchsverfahren von einem "vorbehaltenen" Nutzungsrecht der Eltern des Klägers gesprochen hat. Da in demselben Zusammenhang von den Klägern erklärt worden ist, es sei eine (teil-)entgeltliche Nutzungsüberlassung der Erdgeschoßwohnung vereinbart worden, kann aus dem Begriff "vorbehalten" nicht auf eine unentgeltliche Nutzung, sondern lediglich darauf geschlossen werden, daß die Eltern des Klägers bei der Grundstücksübertragung -- von vornherein -- auf der Einräumung eines Wohnungsrechts an der Erdgeschoßwohnung bestanden haben.
Schließlich spricht auch der Umstand, daß das Wohnungsrecht der Eltern des Klägers im zeitlichen Zusammenhang mit der Grundstücksübertragung im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge vereinbart worden ist, nicht für die Annahme eines Vorbehaltsnießbrauchs. Auch wenn sich die übertragende Generation häufig im Zuge der Regelung einer vorweggenommenen Erbfolge ein -- unentgeltliches -- Nutzungsrecht an dem übertragenen Vermögen vorbehält, besteht kein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach in solchen Fällen stets von der Vereinbarung eines Vorbehaltsnießbrauchs auszugehen ist. Vielmehr sind steuerrechtlich die im Einzelfall getroffenen Vereinbarungen zu beachten, soweit sie bürgerlich-rechtlich wirksam geschlossen und sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (ständige Rechtsprechung; z. B. Senatsurteil vom 25. Mai 1993 IX R 17/90, BFHE 171, 452, BStBl II 1993, 834).
3. Der Senat ist an einer in der Sache abschließenden Entscheidung gehindert, da er mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen nicht beurteilen kann, ob die im Streitfall getroffenen Vereinbarungen der Besteuerung zugrunde zu legen sind.
Die steuerrechtliche Anerkennung scheitert allerdings nicht bereits daran, daß die Gestaltung des Vereinbarten nicht dem sog. Fremdvergleich standhält. Zwar haben die Vertragsparteien im Dezember 1989 einerseits in dem Übergabevertrag ein Wohnungsrecht vereinbart und andererseits einen Tag zuvor einen Mietvertrag über dieselbe Wohnung geschlossen. Diese -- an sich unübliche -- Vorgehensweise steht jedoch einer steuerrechtlichen Berücksichtigung im Streitfall deswegen nicht entgegen, weil die Vertragsparteien im Zusammenhang mit der Bestimmung einer Gegenleistung für die Ausübung des Wohnungsrechts in dem Übergabevertrag ausdrücklich auf eine Vergleichsmiete Bezug genommen haben; insoweit sind sie offenbar von der Notwendigkeit eines gesonderten Mietvertrages ausgegangen. Auch ist die gewählte Gestaltung nicht deshalb zu beanstanden, weil gleichzeitig mit der Übertragung des Grundstücks zwischen dem Kläger als neuem Eigentümer und seinen Eltern als früheren Eigentümern eine Vereinbarung über die (teil-)entgeltliche Nutzungsüberlassung einer Wohnung in dem übertragenen Haus getroffen worden ist (vgl. Senatsurteil vom 12. September 1995 IX R 54/93, BFHE 178, 542, DB 1996, 74; der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung dieser Entscheidung Bezug).
Die steuerrechtliche Beurteilung hängt darüber hinaus aber auch davon ab, ob die Vereinbarungen auch in einer unter Fremden üblichen Weise tatsächlich durchgeführt worden sind. Die hierzu notwendigen Feststellungen hat das FG -- aus seiner Sicht zu Recht -- nicht getroffen; dies wird es im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 421197 |
BFH/NV 1996, 598 |