Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
Das FG verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es
a) einen Gerichtsbescheid, gegen den kein Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig ist, erläßt, obwohl es den Kläger in der begründeten Erwartung beläßt, es werde den Sachverhalt weiter erforschen, und ihn dadurch von weiterem Vorbringen abhält,
b) tatsächliche Feststellungen eines anderen Gerichtsverfahrens oder in Presseveröffentlichungen und Schrifttum enthaltene Tatsachen, soweit sie nicht allgemein bekannt sind, verwertet, ohne sie zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu geben,
c) wenn es von einem Beteiligten Unterlagen entgegennimmt und diese bei seiner Entscheidung verwertet, ohne der anderen Seite Mitteilung zu machen,
d) wenn es seine Entscheidung -- für die Prozeßbeteiligten unvorhersehbar -- auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, der im bisherigen außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren noch nicht angesprochen worden ist, zu dem sich die Beteiligten nicht geäußert haben, und wenn nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens zu einer Äußerung auch keine Veranlassung bestanden hat.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 119 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein eingetragener Verein. Er versteht sich als Religionsgemeinschaft i. S. des Art. 140 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. Art. 137 der Weimarer Verfassung. Der Kläger erzielte Einnahmen im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Druckerzeugnissen und elektronischen Meßgeräten, der Veranstaltung von Kursen/Seminaren, der Führung geistlicher Gespräche mit Einzelpersonen und mit Leistungen an gleichartige Institutionen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beurteilte diese Leistungen als umsatzsteuerbar und unterwarf sie in den Steuerbescheiden für die Streitjahre (1978 bis 1984) der Umsatzsteuer. In der Einspruchsentscheidung führte das FA aus, auch Religionsgemeinschaften unterlägen der Besteuerung. Der Kläger erbringe -- trotz einer weltanschaulichen Grundlage -- wirtschaftliche Leistungen, die auf die individuelle Persönlichkeitsentfaltung des Leistungsempfängers gerichtet seien. Den einzelnen Leistungen stünde jeweils ein konkretes Entgelt gegenüber. Die Leistungen des Klägers seien nicht gemäß §4 Nr. 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973, §4 Nr. 22 Buchst. a UStG 1980 (im folgenden: §4 Nr. 22 Buchst. a UStG) befreit, weil der Kläger nicht gemeinnützig i. S. der §§51 bis 68 der Abgabenordnung (AO 1977) sei. Es mangele an der formellen Satzungsmäßigkeit, an der satzungsmäßigen Vermögensbindung und -- aufgrund der tatsächlichen Geschäftsführung -- an der Selbstlosigkeit des Klägers.
Hiergegen erhob der Kläger Klage und machte in einer umfänglichen Klageschrift geltend, als Religionsgemeinschaft i. S. der Art. 4 und 140 GG i. V. m. Art. 137 der Weimarer Verfassung sei er mit seinen Einnahmen nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Seine Heranziehung zur Besteuerung verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts und gegen den grundgesetzlichen Gleichheitssatz. Durch die Einnahmen werde die Tätigkeit des Vereins als Religionsgemeinschaft finanziert. Insoweit handele es sich ausschließlich um eine innerkirchliche Angelegenheit, in die der Staat weder unmittelbar noch über die Umsatzsteuer mittelbar eingreifen dürfe.
Abgesehen davon verneinte der Kläger seine Unternehmereigenschaft. Der Begriff des Unternehmers in §2 Abs. 1 UStG finde auf ihn keine Anwendung, da seine Tätigkeiten nicht auf die Produktion von Gütern oder Dienstleistungen gerichtet seien, wie es der Typusbegriff des Unternehmers verlange. Vielmehr werde er -- der Kläger -- in der Gesamtheit seiner Aktivitäten -- wie religiöse Unterrichtung, Seelsorge durch Auditing und Bücherverbreitung -- ausschließlich zu dem Zweck religiöser Glaubensverkündung tätig. Die aus dieser Tätigkeit stammenden Einnahmen dienten wiederum nur dem satzungsmäßigen Zweck und deckten die notwendigen Ausgaben ab. Gewinne würden nicht erzielt. Insofern sei eine unternehmerische Tätigkeit i. S. des Umsatzsteuergesetzes zu verneinen, weil keine final auf Einnahmeerzielung ausgerichtete Tätigkeit vorliege. Auch fehle eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr, da Auditing nur von ihm -- dem Kläger -- vorgenommen werde und es dafür gar keinen Markt gebe. Es könne nicht von einem Wirtschaftsgut gesprochen werden bei einem Verfahren, dessen wesentliches Ziel es sei, den Auditierten zu sich selbst zu führen, ihn von seelischen Belastungen zu befreien und ihm zur Erlösung seiner Seele zu verhelfen.
Die Steuerbarkeit seiner Leistungen müsse auch am Fehlen der Entgeltlichkeit scheitern. Eine innere Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Mitglieder ihre Spendenbeiträge für Auditing und Seminare nicht zu ihrem eigenen Nutzen, sondern für die Stärkung des Vereins als Religionsgemeinschaft entrichteten. Zwar möge die Tatsache, daß rein äußerlich ein finanzieller Beitrag erhoben werde, für die Annahme einer Entgeltlichkeit sprechen. Tatsächlich leisteten die einzelnen Mitglieder jedoch einen Beitrag, welcher der jeweils angestrebten Stufe geistlicher Erlösung entspreche. In diesem Zusammenhang dürfe nicht verkannt werden, daß er -- der Kläger -- als Religionsgemeinschaft gemäß Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Verfassung nicht durch staatliche Eingriffe in der Gestaltung seines Beitragssystems beeinflußt werden dürfe. Aufgrund des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts müsse es ihm überlassen bleiben, für welches Beitragssystem er sich entscheide. Insofern dürfe es ihm umsatzsteuerrechtlich nicht zum Nachteil gereichen, wenn er sich statt einer pauschalen Besteuerung der Mitglieder für ein abgestuftes Beitragssystem entschieden habe.
Für den Fall einer Steuerbarkeit seiner Einnahmen hielt der Kläger die Steuerbefreiungsvorschrift des §4 Nr. 22 Buchst. a UStG für einschlägig. In der Satzung des Vereins komme hinreichend die Zweckverwirklichung zum Ausdruck, nämlich die Verbreitung des religiösen Glaubens und die Praktizierung dieser Religion. Selbst wenn man einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb i. S. von §14 AO 1977 annehme, sei dieser jedenfalls nicht steuerschädlich, da dann ein Zweckbetrieb i. S. von §65 AO 1977 gegeben wäre. Die von ihm -- dem Kläger -- angebotene geistliche Beratung und die von ihm durchgeführten sonstigen religiösen Veranstaltungen dienten unmittelbar der Förderung der Religion und damit gemeinnützigen Zwecken. Die Zwecke könnten auch nur durch diese religiösen Aktivitäten erreicht werden, da eine geistliche Beratung und religiöse Weiterbildung der Gläubigen die entsprechenden Merkmale einer jeden Religionsgemeinschaft seien. Im übrigen müsse es ihm überlassen bleiben, auf welche Weise er seine Mitglieder fördere, um die satzungsgemäßen Zwecke zu verwirklichen. Es wäre mit der in Art. 4 GG verbürgten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit unvereinbar, wenn die Finanzverwaltung die Art und Weise seiner religiösen Aktivitäten beanstanden würde.
Im übrigen leitete der Kläger die Umsatzsteuerbefreiung seiner Leistungen auch unmittelbar aus Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. l der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) her. Dieser Richtlinienvorschrift komme Anwendungsvorrang vor entgegenstehendem staatlichen Recht zu.
Hilfsweise beanspruchte der Kläger den ermäßigten Steuersatz gemäß §12 Abs. 2 Nr. 8 UStG. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Zweckbetrieb gemäß §65 AO 1977 seien erfüllt.
Vor dem Berichterstatter des Senats des Finanzgerichts (FG) als beauftragtem Richter wurde am 26. Januar 1993 der Sach- und Rechtsstand erörtert. Laut Protokoll des Erörterungstermins erklärte der Berichterstatter am Schluß der Sitzung, einen Auflagenbeschluß erlassen zu wollen.
Mit Schreiben vom 24. Februar 1993 übersandte das FA dem FG verschiedene Kopien. Das FA nahm in diesem Schreiben Bezug auf ein Telefongespräch zwischen seinem Sachbearbeiter und dem Berichterstatter.
Das FG wies daraufhin durch Gerichtsbescheid vom 25. Mai 1994 die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1994, 810) und ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Zur Begründung der Klageabweisung führte es aus: Die Besteuerung des Klägers verstoße nicht gegen Verfassungsrecht. Allein die Behauptung und das Selbstverständnis einer Gemeinschaft, sie bekenne sich zu einer Religion und sei eine Religionsgemeinschaft, rechtfertige noch nicht die Berufung auf Freiheitsgarantie und Schutz des Art. 4 GG. Ob es sich tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild um eine Religion und eine Religionsgemeinschaft handele, sei für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung nicht maßgeblich, da auch die Religionsgesellschaften bei der selbständigen Ordnung ihrer Angelegenheiten an die Schranken des für alle geltenden Gesetzes gebunden seien (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Verfassung) und in gleicher Weise wie alle anderen der Besteuerung unterlägen.
Für den Unternehmerbegriff des §2 UStG sei es unerheblich, ob der Kläger sich die Verbreitung einer Religion oder Weltanschauung zum Ziel gesetzt habe. Es komme lediglich auf die vom Kläger entfaltete Tätigkeit an. Dieser habe sich in den Streitjahren planmäßig und nachhaltig gewerblich betätigt.
Dem Kläger stehe weder die Steuerbefreiung gemäß §4 Nr. 22 Buchst. a UStG noch die Steuerermäßigung gemäß §12 Abs. 2 Nr. 8 UStG zu. Denn es fehle bereits an der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke. Die vom Kläger verbreiteten Anschauungen seien nicht als Religion zu beurteilen. Der Kläger unterhalte auch keinen Zweckbetrieb i. S. des §65 AO 1977, wie es für die Anwendung des §4 Nr. 22 Buchst. a UStG bei einem Verein vorausgesetzt sei. Im übrigen mangele es für eine Steuervergünstigung wegen Gemeinnützigkeit an der formellen Satzungsmäßigkeit i. S. der §§59, 60 Abs. 1 AO 1977.
Die unmittelbare Berufung des Klägers auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. l Richtlinie 77/388/EWG führe schon deshalb nicht zur Steuerbefreiung, weil der Kläger mit Gewinnstreben handele und keine religiösen Ziele verfolge.
Mit der Revision rügt der Kläger als Verfahrensmangel Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Fehlen der Voraussetzungen zum Erlaß eines Gerichtsbescheides und unzureichende Sachaufklärung. In materiell-rechtlicher Hinsicht macht er Verstöße gegen Art. 4, 140 GG i. V. m. Art. 137 der Weimarer Verfassung geltend und wiederholt seine im Klageverfahren vertretene diesbezügliche Ansicht. Einen Verstoß gegen §4 Nr. 22 Buchst. a UStG rügt er, weil das FG verkannt habe, daß die Steuerbefreiung nach dieser Vorschrift nicht eine gemeinnützige Körperschaft voraussetze, sondern lediglich eine "Einrichtung, die gemeinnützigen Zwecken dient". Ferner rügt er Verletzung von §12 Abs. 2 Nr. 8 UStG sowie Nichtbeachtung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. l Richtlinie 77/388/EWG. Zum Nachweis, daß er Religionsgemeinschaft sei und seine Leistungen nur dem Zweck der Verbreitung des religiösen Glaubens dienten, legt er zahlreiche wissenschaftliche Gutachten vor und benennt mehrere sachverständige Zeugen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Das beigetretene Bundesministerium der Finanzen legt dar, der Kläger sei keine gemeinnützige Körperschaft.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
1. Das Urteil des FG ist wegen Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften aufzuheben. Der Kläger hat die Rüge von Verfahrensmängeln formgerecht erhoben (§120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen, sind bezeichnet. Das Vorbringen des Klägers ist schlüssig (vgl. dazu die folgenden Ausführungen).
2. Die Rügen des Klägers sind auch in der Sache begründet. Der Kläger beanstandet zu Recht eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs in mehrfacher Hinsicht. Gemäß §119 Nr. 3 FGO wird deshalb von Gesetzes wegen vermutet, daß das Urteil auf diesem Mangel beruht.
a) Der Kläger trägt unter Anbieten von Zeugenbeweis vor, der Berichterstatter des Senats des FG habe im Erörterungstermin vom 26. Januar 1993 angekündigt, wegen zahlreicher Punkte einen Aufklärungsbeschluß erlassen zu wollen. Das Protokoll, in dem der angekündigte Beschluß als "Auflagenbeschluß" bezeichnet werde, sei unrichtig. Der Aufklärungsbeschluß habe gegenüber beiden Beteiligten ergehen sollen. Durch Erlaß des Gerichtsbescheides sei es ihm -- dem Kläger -- versagt worden, zu den für die Entscheidung kausalen Sachverhaltsannahmen des FG -- wie insbesondere die Verneinung der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft und Annahme einer gewerblichen Tätigkeit -- sowie zu den vom FG als relevant angesehenen Rechtsfragen Stellung zu nehmen.
Die Rüge des Klägers ist begründet. Die Gewährung des in Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich für jedermann garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör besteht, wie im Wortlaut des §96 Abs. 2 FGO deutlich zum Ausdruck kommt, in der Verschaffung einer ausreichenden Gelegenheit zur Äußerung. Der Kläger hatte in seiner Klageschrift, in der er sich weitere Begründung vorbehalten hat, zum Ausdruck gebracht, daß aus seiner Sicht noch weiteres Vorbringen erforderlich sein könnte. Die Ankündigung des Berichterstatters des Senats des FG konnte den Kläger in der Annahme bestärken, das FG werde den Sachverhalt weiter erforschen, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Berichterstatter einen Auflagenbeschluß oder einen Aufklärungsbeschluß angekündigt hat. Unter diesen Umständen und mit Rücksicht auf den hohen Schwierigkeitsgrad der Sach- und Rechtsfragen durfte der Kläger davon ausgehen, daß er zum weiteren Vortrag Gelegenheit habe werde. Den Erlaß eines Gerichtsbescheides konnte der Kläger nicht vorhersehen. Wegen Zulassung der Revision durch das FG war es ihm nicht möglich, mündliche Verhandlung zu beantragen; denn gemäß §90 a Abs. 2 Nr. 3 FGO kann ein Beteiligter nach Zustellung eines Gerichtsbescheides mündliche Verhandlung nur beantragen, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist. Der unerwartete Erlaß des Gerichtsbescheides nahm dem Kläger daher die Möglichkeit hinreichender Äußerung in der Tatsacheninstanz.
b) Der Kläger rügt, das FG habe sein Urteil auf in mehreren veröffentlichten Gerichtsentscheidungen enthaltene Feststellungen, auf verschiedene Presseberichte sowie auf selbständige Veröffentlichungen gestützt, ohne daß er zu diesen Veröffentlichungen habe Stellung nehmen können. Er habe auch nicht erkennen können, daß das FG diese Veröffentlichungen bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen werde. Der Kläger legt dar, warum er die Veröffentlichungen für sachlich unzutreffend hält. Außerdem rügt er, das FG habe dem Urteil fotokopierte Unterlagen zugrunde gelegt, die das FA zur Verfügung gestellt habe. Die Vorlage dieser Unterlagen sei ihm -- dem Kläger -- nicht mitgeteilt worden, so daß ihm ein Vortrag hierzu abgeschnitten worden sei. Aus dem Zusammenhang seiner Darlegungen ergibt sich die Auffassung des Klägers, daß bei Berücksichtigung seines Vorbringens durch das FG eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre.
Mit dem Vorstehenden rügt der Kläger zutreffend die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Gegen dieses Recht wird verstoßen, wenn das FG Tatsachen verwertet, ohne sie zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu geben (vgl. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §96 Rz. 28, §119 Rz. 16, m. Nachw. zur Rechtspr.). Das FG ist deshalb insbesondere zur Beachtung des §96 Abs. 2 FGO verpflichtet, die Beteiligten zu unterrichten, wenn es tatsächliche Feststellungen eines anderen Gerichtsverfahrens verwerten will. Gleiches gilt bezüglich der Verwertung von in Presseveröffentlichungen und Schrifttum enthaltenen Tatsachen, soweit sie nicht allgemein bekannt sind. Des weiteren hat das FG der anderen Seite Mitteilung zu machen, wenn es von einem Beteiligten Unterlagen entgegennimmt und diese bei seiner Entscheidung verwerten will.
Das FG hat gegen diese Verpflichtungen verstoßen. Es hat ausgeführt, ihm sei sowohl von Entscheidungen anderer Gerichte ( ... ) als auch von zahlreichen Presseveröffentlichungen ( ... ) bekannt, daß die Organisationen, zu denen der Kläger gehört, sich in Deutschland vielfältiger Werbemethoden bedienen bzw. bedient haben und daß die Intensität ihrer Straßenwerbung zu zahlreichen ordnungsbehördlichen Verfahren und Bußgeldfestsetzungen geführt habe. Ferner führt das FG aus, es übernehme bezüglich des Vorliegens einer nachhaltigen Gewinnerzielungsabsicht die in mehreren verwaltungsgerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen, und bezieht sich hierzu auf die Entscheidungen des VG Düsseldorf (a.a.O.), des VG Hamburg (a.a.O.) sowie des OVG Hamburg in Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 1994, 413. Schließlich verwertet das FG bei der tatbestandlichen Feststellung der von den aktiven Mitgliedern zu leistenden Entgelte die ihm vom FA mit Schreiben vom 24. Februar 1993 überreichten Unterlagen.
Zu sämtlichen vorstehend wiedergegebenen Feststellungen konnte der Kläger mangels eines Hinweises des FG nicht Stellung nehmen. Eine Mitteilungs- bzw. Erörterungspflicht des FG entfiel nicht etwa dadurch, daß dem Kläger der Inhalt der Veröffentlichungen bekannt gewesen sein könnte. Denn diese Kenntnis bedeutet noch nicht, daß er sich zu den Tatsachen äußern konnte. Hierzu gehört auch, daß der Kläger Kenntnis von der möglichen Verwertung der Veröffentlichungen und der vom FA überreichten Unterlagen im vorliegenden Verfahren erhielt.
c) Der Kläger trägt vor, weder in den Betriebsprüfungsberichten noch in der Einspruchsentscheidung noch in den Schriftsätzen habe das FA bestritten, daß er -- der Kläger -- eine Religion vertrete. Auch im Erörterungstermin vom 26. Januar 1993 sei dies nicht in Zweifel gezogen worden. Das Protokoll beweise, daß die Beteiligten und der Berichterstatter vom Vorliegen einer Religionsgemeinschaft ausgegangen seien. Erst im Gerichtsbescheid habe das FG überraschend auf die Nichtanerkennung als Religionsgemeinschaft abgestellt.
Auch mit diesem Vorbringen rügt der Kläger zu Recht Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Ein Gericht verletzt seine Verpflichtung, rechtliches Gehör zu gewähren, wenn es seine Entscheidung für die Prozeßbeteiligten unvorhersehbar auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, der im bisherigen außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren noch nicht angesprochen worden ist, zu dem sich die Beteiligten nicht geäußert haben, und wenn nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens zu einer Äußerung auch keine Veranlassung bestanden hat (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. Juli 1972 I R 205/70, BFHE 107, 186, BStBl II 1973, 59; vom 12. Oktober 1977 I R 181/75, BFHE 123, 404, BStBl II 1978, 59). Zwar besteht keine allgemeine Hinweispflicht des FG in dem Sinne, daß es seine spätere rechtliche Beurteilung andeuten müsse. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, die maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern, und andererseits nicht gehindert, rechtliche Gesichtspunkte, die im bisherigen Verfahren nicht im Vordergrund standen, in der Entscheidung als maßgeblich herauszustellen (BFH-Urteil vom 31. Juli 1991 VIII R 23/89, BFHE 165, 398, BStBl II 1992, 375). Dennoch muß sichergestellt sein, daß die Beteiligten sich vor Ergehen einer Entscheidung zum gesamten Sachverhalt und allen Rechtsfragen äußern können, also vor Überraschungsentscheidungen bewahrt bleiben (Gräber/Ruban, a.a.O., §119 Rz. 10 a, m. Nachw. der Rechtspr.).
Die Behauptung des Klägers, das FA habe bis zum Erlaß des Gerichtsbescheides nicht in Frage gestellt, daß der Verein eine Religionsgemeinschaft sei, trifft zu. In der Einspruchsentscheidung legt das FA diese Eigenschaft zugrunde. Die Klageerwiderungsschrift enthält nichts Gegenteiliges. Im Erörterungstermin hat der Kläger laut Sitzungsprotokoll vorgetragen, Auditing stelle inhaltlich ein seelsorgerisches Einzelgespräch dar, seine Organisation leiste als Kirche Dienste an seine Mitglieder und die hauptamtlichen Mitglieder verstünden sich als ordensähnliche Gemeinschaft. Das Protokoll vermerkt nicht, daß hiergegen von seiten des FG oder des FA Einwendungen erhoben worden sind. Daß in der Öffentlichkeit der Standpunkt vertreten worden ist, der Kläger sei keine Religionsgemeinschaft, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Im Verfahren vor dem FG hatte der Kläger keinen Anlaß, sich zu diesem Punkt zu äußern. Erst im Gerichtsbescheid hat das FG -- für den Kläger unvorhersehbar -- die Auffassung vertreten, es handele sich nicht um eine Religion.
d) Liegt ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs vor, wird gemäß §119 FGO vermutet, daß das Urteil auf diesem Mangel beruht. Diese gesetzliche Kausalitätsregel wird ausnahmsweise durchbrochen, wenn die Verletzung des rechtlichen Gehörs nur einzelne Feststellungen betrifft, auf die es für die Entscheidung aus der Sicht des Revisionsgerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt (Gräber/Ruban, a.a.O., §119 Rz. 11, m. Nachw. der Rechtspr.).
Der vorstehend unter 2. a beschriebene Verfahrensmangel (unerwarteter Erlaß eines Gerichtsbescheides) hat sich auf das Gesamtergebnis des Verfahrens ausgewirkt, da der Kläger sich infolge des Mangels zu allen Feststellungen des FG nicht hinreichend äußern konnte. Der vorstehend unter 2. b dargelegte Verfahrensmangel (Verwertung von Feststellungen aus anderen Gerichtsentscheidungen usw.) betrifft zwar nur einzelne Feststellungen zur Unternehmereigenschaft und zum Leistungsaustausch. Diese Feststellungen sind jedoch entscheidungserheblich.
Der Verfahrensmangel laut vorstehendem 2. c (überraschende Verneinung der Religionseigenschaft) betrifft ebenfalls Feststellungen, auf die es für die Entscheidung ankommen kann. Zwar hat das FG den Tatbestand des §4 Nr. 22 Buchst. a UStG aus mehreren Gründen für nicht gegeben erachtet (Alternativbegründung). Es verneint die Gemeinnützigkeit des Klägers, weil dieser keine gemeinnützigen (religiösen) Zwecke verfolge und weil es an der formellen Satzungsmäßigkeit mangele; außerdem fehlt es nach Auffassung des FG für die Steuerbefreiung am Vorliegen eines Zweckbetriebs. Das FG geht demnach davon aus, §4 Nr. 22 Buchst. a UStG setze die Gemeinnützigkeit der Einrichtung sowie das Vorliegen eines Zweckbetriebs voraus (vgl. dazu aber FG München, Urteil vom 12. Juni 1991 3 K 3670/89, EFG 1992, 47; Kraeusel in Schwarze/Reiß/Kraeusel, Umsatzsteuergesetz, §4 Nr. 22 Rz. 14, 31 f.). Der Senat kann diese Frage offenlassen. Selbst auf der Grundlage der Rechtsauffassung des FG kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Verneinung der Religionseigenschaft der Auffassungen des Klägers nicht nur für die Frage der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke, sondern auch für das Vorliegen eines Zweckbetriebs (Zweckverwirklichung i. S. des §65 Nr. 1 und 2 AO 1977) und für die formelle Satzungsmäßigkeit (Bezeichnung des gemeinnützigen Zwecks sowie der Mittel der Zweckverwirklichung in der Satzung) von Bedeutung ist.
e) Auf die übrigen vom Kläger gerügten Verfahrensmängel kommt es nicht an. Es bedarf deshalb auch keiner Erörterung der Frage, ob dem FG ein zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid geeigneter Fall vorlag (§90 a Abs. 1 FGO).
Fundstellen
BFH/NV 1998, 971 |
HFR 1998, 662 |