Leitsatz (amtlich)
Eine GmbH darf Gewinnausschüttungen -- auch für das vorletzte Geschäftsjahr -- bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nicht als Betriebsschuld abziehen, wenn am maßgeblichen Stichtag der Gewinnverteilungsbeschluß noch nicht gefaßt ist.
Normenkette
BewG § 103 Abs. 1; GmbHG § 29 Abs. 1, § 46 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, schüttet jährlich einen Teil ihres Bilanzgewinns an ihre beiden Gesellschafter W (65 % der Gesellschaftsanteile) und B (35 % der Gesellschaftsanteile) aus. Über die Verteilung des Reingewinns beschließt gemäß § 8 Abs. 2 Buchst. c des Gesellschaftsvertrags vom 5. November 1962 die Gesellschafterversammlung. Für das Geschäftsjahr 1972 beschlossen die Gesellschafter am 10. Juli 1974 eine Gewinnausschüttung in Höhe von 270 000 DM, für das Geschäftsjahr 1973 am 22. März 1975 eine Gewinnausschüttung in Höhe von 313 000 DM und für das Geschäftsjahr 1975 am 17. März 1977 eine solche in Höhe von 556 000 DM. Diese Gewinne zahlte die Klägerin jeweils kurze Zeit nach dem Gewinnverteilungsbeschluß an ihre Gesellschafter aus. Die Handelsbilanzen zum 31. Dezember 1972, 1973 und 1975 wurden jeweils nach den hier streitigen Stichtagen 1. Januar 1974, 1. Januar 1975 und 1. Januar 1977 festgestellt und genehmigt. In der Gesellschafterversammlung vom 10. Juli 1974 beschlossen die Gesellschafter, den Körperschaftsteuertarif nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1968) in Anspruch zu nehmen. In einem ergänzenden Beschluß vom 17. Juli 1974 beschloß die Gesellschafterversammlung außerdem, die bisherigen Beschlußfassungen dahin zu ändern, daß die höchstmöglichen Gewinne ausgeschüttet werden sollen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) lehnte es bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1974, 1975 und 1977 ab, die Gewinnausschüttungen für 1972, 1973 und 1975 als Betriebsschuld vom Rohvermögen abzuziehen.
Einspruch und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, daß es sich bei den Verpflichtungen der Klägerin zur Auszahlung des Reingewinns an ihre Gesellschafter an den jeweiligen Bewertungsstichtagen noch um aufschiebend bedingte Lasten gehandelt habe.
Die Klägerin rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts, mangelnde Sachaufklärung und einen Verstoß der Vorentscheidung gegen den Grundsatz über die Gewährung des rechtlichen Gehörs.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Nach § 103 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) werden Schulden bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nur insoweit abgezogen, als sie mit der Gesamtheit oder einzelnen Teilen des gewerblichen Betriebs in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Voraussetzung für den Schuldabzug ist, daß zu der Erfüllung der Schuld nicht nur eine rechtliche Verpflichtung besteht, sondern auch ernstlich damit gerechnet werden muß, daß der Gläubiger die Erfüllung verlangt. Auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist eine Schuld nur dann als Betriebsschuld abziehbar, wenn sie am Bewertungsstichtag unbedingt entstanden ist. Aufschiebend bedingte Schulden werden nicht berücksichtigt (§ 6 Abs. 1 BewG).
2. Wie das FG zutreffend entschieden hat, handelt es sich bei den von der Klägerin geltend gemachten Verpflichtungen zur Auszahlung des Reingewinns an die Gesellschafter an den hier streitigen Stichtagen jeweils um aufschiebend bedingte Schulden.
a) Gemäß § 29 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) haben die Gesellschafter einer GmbH handelsrechtlich einen Anspruch auf den nach der jährlichen Bilanz sich ergebenden Reingewinn, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt ist. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß der Gesellschaftsvertrag vom 5. November 1962 keine von § 29 Abs. 1 GmbHG abweichende Regelung enthält. Der danach im Streitfall bestehende Anspruch auf den gesamten sich nach der jährlichen Bilanz ergebenden Reingewinn gewährt den Gesellschaftern jedoch nicht ohne weiteres bereits einen Anspruch auf Ausschüttung des Reingewinns. Ein gegenüber der GmbH klagbarer und durch spätere Verluste nicht entziehbarer Anspruch entsteht handelsrechtlich erst, wenn die Gesellschafter gemäß § 46 Nr. 1 GmbHG über die Feststellung (Genehmigung) der Jahresbilanz und die Verteilung des Handelsbilanzgewinns beschlossen haben (Fischer, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 9. Aufl., § 29 Anm. 2, § 46 Anm. 2; Goerdeler/ Müller in Hachenburg, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 7. Aufl., § 29 Rdnr. 8). Die Feststellung der Jahresbilanz und der Beschluß der Gesellschafter über die Gewinnverteilung gemäß § 46 Nr. 1 GmbHG sind aufschiebende Bedingungen i. S. von §§ 4 und 6 BewG. Denn solange die Gesellschafter die von den Geschäftsführern aufgestellte Bilanz (§ 41 Abs. 2 GmbHG) nicht genehmigt und einen Beschluß über die Gewinnverteilung nicht gefaßt haben, besteht die Möglichkeit, daß nicht die Ausschüttung, sondern -- mit konstitutiver Wirkung -- eine anderweitige Verwendung des Gewinns beschlossen wird. Erst nach Beschlußfassung der Gesellschafterversammlung über die Gewinnverteilung erstarkt die zuvor bestehende Anwartschaft auf Auszahlung des Reingewinns zu einem echten Gläubigerrecht. Erst nach Eintritt dieser -- aufschiebenden -- Bedingungen darf bewertungsrechtlich die Verpflichtung zur Auszahlung des Gewinns bei der Gesellschaft als Schuld abgesetzt und -- als Äquivalent hierzu -- bei den Gesellschaftern eine (Kapital-)Forderung angesetzt werden (vgl. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 7. Aufl., § 103 BewG Anm. 27).
b) Nach den Feststellungen des FG waren an den hier streitigen Stichtagen weder die Bilanzen für die Geschäftsjahre, für welche die Gewinnausschüttungen erfolgten, genehmigt noch hatten die Gesellschafter die Gewinnverteilungsbeschlüsse gefaßt. Die Einwendungen der Klägerin gegen diese im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Feststellungen des FG greifen nicht durch.
aa) Aufgrund des Inhalts der Niederschrift über die Gesellschafterversammlung vom 10. Juli 1974 konnte das FG davon ausgehen, daß die Gesellschafter erst am 10. Juli 1974 über die Genehmigung der Bilanz für das Geschäftsjahr 1972 sowie über die Verwendung des Gewinns aus dem Geschäftsjahr 1972 beschlossen haben. Entsprechendes gilt für die Feststellungen des FG aufgrund der Gesellschafterversammlungen vom 22. März 1975 und 17. März 1977 hinsichtlich der Jahresbilanzen 1973 und 1975. Den Niederschriften ist nicht zu entnehmen, daß durch die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung lediglich handelsrechtliche Formalien hinsichtlich der Fälligkeit der ausgeschütteten Gewinne nachvollzogen werden sollten. Aus der Verpflichtung der Geschäftsführer, innerhalb der ersten drei Monate eines Geschäftsjahres die Bilanz für das verflossene Geschäftsjahr nebst einer Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen (§ 41 Abs. 2 GmbHG), folgt -- entgegen der Auffassung der Klägerin -- nicht, daß die Gesellschafter innerhalb dieser Frist auch die Bilanz genehmigt und über die Gewinnverteilung beschlossen hätten.
Die Klägerin hat weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren ausweislich des Inhalts der Akten und der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG Tatsachen vorgetragen, die dem FG eine weitere Sachaufklärung hätten aufdrängen müssen. Zu einem ergänzenden Vortrag hätte jedoch für die Klägerin ein besonderer Anlaß bestanden, nachdem in der Einspruchsentscheidung ausdrücklich ausgeführt worden ist, die Beschlüsse über die Gewinnausschüttungen seien unstreitig am 17. Juli 1974 für das Geschäftsjahr 1972, am 22. März 1975 für das Geschäftsjahr 1973 und am 17. März 1977 für das Geschäftsjahr 1975 gefaßt worden. Nach allem kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Klägerin das rechtliche Gehör versagt worden ist. Hieran ändert -- entgegen der Auffassung der Klägerin -- auch nichts der Umstand, daß einer der beiden Gesellschafter der Klägerin zugleich alleiniger Geschäftsführer mit einem 65 %igen Anteil an dem Stammkapital der GmbH war (vgl. hierzu Urteil des Reichsfinanzhofs vom 13. September 1927 I A 299/27, RFHE 22, 75, 77).
bb) Fehl geht auch der Einwand der Klägerin, es bedeute einen Verstoß gegen die Denkgesetze und eine grobe Unkenntnis des FG über den tatsächlichen Ablauf im Wirtschaftsleben, wenn die Vorinstanz davon ausgegangen sei, daß ein Kaufmann erst zwei Jahre nach dem Bilanzstichtag seine Bilanz aufstelle und über die Gewinnverteilung beschließe. Das FG ist nicht davon ausgegangen, daß die Bilanzen jeweils erst zwei Jahre nach dem Bilanzstichtag aufgestellt wurden. Die Vorinstanz hat lediglich festgestellt, an den hier streitigen Stichtagen seien die Bilanzen für die Geschäftsjahre, für welche die Ausschüttungen erfolgt sind, nicht genehmigt worden. Aufstellung der Bilanz durch die Geschäftsführer und Genehmigung der Bilanz durch die Gesellschafter fallen jedoch in der Praxis zeitlich regelmäßig auseinander. Ein Verstoß der Vorentscheidung gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze ist mithin nicht erkennbar.
c) Der Senat tritt dem FG auch darin bei, daß die Beschlüsse der Gesellschafter vom 10. und 17. Juli 1974, den Körperschaftsteuertarif nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1968 zu wählen und so viel Gewinn wie möglich auszuschütten, auf den Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses für die hier in Rede stehenden Geschäftsjahre 1972, 1973 und 1975 ohne Auswirkung waren. Durch die Wahl des Körperschaftsteuertarifs nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1968 wurden die Gesellschafter nicht rechtlich verpflichtet, über die Gewinnausschüttung in einer bestimmten Weise zu beschließen. Daß es wirtschaftlich vernünftig war, eine möglichst hohe Gewinnausschüttung zu beschließen, um den günstigen Körperschaftsteuertarif von 15 % voll ausnützen zu können, macht den zunächst aufschiebend bedingten Anspruch der Gesellschafter auf Auszahlung des Reingewinns nicht zu einem unbedingten Anspruch. Entsprechendes gilt für den Beschluß vom 17. Juli 1974, so viel Gewinn wie möglich auszuschütten. Die Höhe des auszuschüttenden Gewinns hängt u. a. noch davon ab, in welchem Umfang nach Auffassung der Gesellschafterversammlung Aktivierungsund Passivierungswahlrechte in Anspruch genommen oder ob z. B. wirtschaftlich notwendige Rücklagen gebildet werden sollen. Der Beschluß vom 17. Juli 1974 konnte mithin einen den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Beschluß über die Verteilung des Bilanzgewinns i. S. von § 46 Nr. 1 GmbHG nicht ersetzen. Der Anspruch des einzelnen Gesellschafters auf Auszahlung des Reingewinns entstand trotz der Verpflichtung, so viel Gewinn wie möglich auszuschütten, endgültig und unbedingt erst mit der jeweiligen Beschlußfassung über die Ausschüttung für das einzelne Geschäftsjahr. Im übrigen stimmt der Senat dem FG auch darin zu, daß die Beschlüsse vom 10. und 17. Juli 1974 ohnehin nicht auf den 1. Januar 1974 zurückwirken konnten.
Fundstellen
Haufe-Index 74631 |
BStBl II 1983, 444 |
BFHE 1983, 257 |
NJW 1983, 2840 |