Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückstellung für Schadensersatzansprüche wegen nicht zurückgegebenen Leergutes
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen möglicher vertraglicher Schadensersatzverpflichtungen für die nicht vollständige Rückgabe von Leergut darf steuerrechtlich nur gebildet werden, wenn der Getränkehersteller von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen Kenntnis hat oder zumindest eine derartige Kenntniserlangung unmittelbar bevorsteht.
2. Nach den im Getränkehandel branchenüblichen Abläufen kann im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen nur aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise mit einer vorzeitigen Inanspruchnahme des Rückgabeverpflichteten gerechnet werden.
Normenkette
EStG § 5 Abs. 1, 4a, § 6 Abs. 1 Nr. 3a; HGB § 249 Abs. 1, § 252 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) eine gewinnmindernde Rückstellung für Schadensersatzansprüche wegen nicht zurückgegebenen Leergutes bilden darf.
Die Klägerin betreibt einen Getränkegroßhandel in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Sie ist neben anderen Getränkehändlern über einen Kooperationsvertrag seit 1993 an der KG I beteiligt. Die KG I nimmt zentral den Wareneinkauf vor und hat hierfür mit mehreren Getränkeherstellern Lieferverträge abgeschlossen.
Nach den Lieferverträgen sind die Transportgefäße und Mehrweg-Verpackungen (Leergut) an die Lieferanten zurückzugeben. Der Lieferant berechnet jeweils Pfandbeträge. Für das zurückgegebene Leergut werden jeweils Gutschriften erteilt, die als anerkannt gelten, sofern der Kunde nicht innerhalb von zwei bzw. drei Wochen schriftlich widerspricht.
Nach den in die Lieferverträge einbezogenen allgemeinen Geschäftsbedingungen sind die Lieferanten berechtigt, von der KG I als Käuferin für nicht zurückgegebenes Leergut Schadensersatz zu verlangen, auf den das eingezahlte Pfandguthaben angerechnet wird.
Lediglich in den mit der X Brauerei AG mit der KG I geschlossenen Liefervertrag sind die an der KG I beteiligten Gesellschafter, also u.a. auch die Klägerin, unmittelbar mit einbezogen.
Nach den Lieferbedingungen der KG I ist fehlendes Leergut zum jeweiligen Wiederbeschaffungspreis zuzüglich Mehrwertsteuer zu ersetzen.
Die zumeist auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Lieferverträge sehen überwiegend die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung mit einer Frist von sechs Monaten vor.
Der KG I sind regelmäßig entsprechende Leergutsalden durch die Lieferanten mitgeteilt und von der KG I u.a. an die Klägerin weiter berechnet worden.
Eine bei der Klägerin durchgeführte Außenprüfung erkannte die von ihr für das Streitjahr 1999 gebildete Pfandrückstellung in Höhe von 165 600 DM nicht an.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ einen entsprechend gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid sowie einen Gewerbesteuermessbescheid für 1999.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 249 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs --HGB-- i.V.m. § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
Das Finanzgericht (FG) wende zu Unrecht die in dem zu öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92 (BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891) entwickelten Rechtsgrundsätze zu den sog. einseitigen Verbindlichkeiten an. Der BFH nehme in jenem Urteil indes ausdrücklich die vertraglichen Verbindlichkeiten aus, bei denen davon auszugehen sei, dass der Gläubiger von seinen Rechten Gebrauch mache, weil er als Vertragspartner seine Rechte kenne.
Das FG begründe seine Auffassung allein mit der nicht nachvollziehbaren Aussage, dass der Schadensersatzanspruch die Nichterfüllung voraussetze, weshalb dieselben Grundsätze wie für einseitige Verbindlichkeiten gelten.
Damit setze sich das FG in Widerspruch zu dem von der Klägerin bereits im finanzgerichtlichen Verfahren herangezogenen BFH-Urteil vom 28. März 2000 VIII R 13/99 (BFHE 191, 517, BStBl II 2000, 612). Danach bestünden bei vertraglichen Verbindlichkeiten keine besonderen Konkretisierungsanforderungen, insbesondere nicht in zeitlicher Hinsicht.
Entgegen der Ansicht des FG komme es also gerade nicht auf eine --zumindest unmittelbar bevorstehende-- Kenntniserlangung des Gläubigers vom Bestehen seines Schadensersatzanspruches an.
Erfahrungsgemäß differierten die in den Saldenmitteilungen bestätigten Rücklieferungsverpflichtungen und die tatsächlich vorhandenen Bestände aus vielerlei Gründen, z.B. wegen einer Rückgabe an falscher Stelle, wegen privater Zweckentfremdung oder wegen Zerstörung des Leerguts beim Transport.
Würden Lieferbeziehungen zwischen den Getränkegroßhändlern und einem gewerblichen Abnehmer beendet, übernehme der neue Lieferant regelmäßig auch das vom vorherigen Lieferanten stammende Leergut. Zu den Fehlbeständen komme es auch, wenn zunächst kleinere Händler in Folge einer Vergrößerung ihrer Bezüge zum direkten Warenbezug beim Getränkehersteller berechtigt würden. Bei langjährigen Lieferbeziehungen könnten sich auf diese Weise erhebliche Differenzen aufbauen. Jeder Getränkehersteller gehe hiervon und von den daraus resultierenden Schadensersatzansprüchen aus.
Deshalb sei es fraglich, ob die vom FG geforderte --zumindest unmittelbar bevorstehende-- positive Kenntnis in den konkreten Fällen nicht sogar vorliege.
Die von ihr, der Klägerin, bei ihrer Rückstellung zugrunde gelegte Quote von 20 v.H. entspreche der ursprünglichen Einigung mit der Außenprüfung. Obwohl sie entsprechende Beweisangebote unterbreitet habe, habe das FG nicht die tatsächlichen Grundlagen dieser Schätzung überprüft.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte für 1999 vom 15. Februar 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2003 dahin gehend abzuändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb unter Berücksichtigung einer Rückstellung von 165 600 DM unter gleichzeitiger Senkung der Gewerbesteuerrückstellung anderweitig festgestellt werden und den Gewerbesteuermessbescheid 1999 vom 15. Februar 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2003 dahin gehend abzuändern, dass unter Minderung des bisherigen Gewerbeertrags von 754 589 DM um eine Rückstellung in Höhe von 165 600 DM unter gleichzeitiger Senkung der Gewerbesteuerrückstellung der Gewerbesteuermessbetrag anderweitig festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Klägerin zum 31. Dezember 1999 steuerrechtlich keine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen möglicher vertraglicher Schadensersatzansprüche aufgrund von Nichterfüllung oder zumindest verzögerter Erfüllung bestehender Rückgabeverpflichtungen hinsichtlich des den Lieferanten gehörenden Leergutes bilden durfte. Die Klägerin musste zum Bilanzstichtag nicht ernsthaft mit ihrer Inanspruchnahme rechnen.
1. Die Rückstellungsbildung ist nicht bereits nach den Grundsätzen der Bilanzierung schwebender Geschäfte ausgeschlossen. Die Schadensersatzverpflichtung fällt nicht unter das Rückstellungsverbot für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (§ 5 Abs. 4 a EStG); denn insoweit läge ein sog. Verpflichtungsüberhang vor. Ansprüche und Verbindlichkeiten aus fortbestehenden schwebenden Geschäften sind solange nicht zu bilanzieren, wie und soweit sie einander ausgleichend gegenüberstehen. Eine Passivierung erfolgt nur im Falle drohender Verluste.
Das Passivierungsverbot greift nur ein, solange und soweit sich Ansprüche und Verbindlichkeiten ausgleichend gegenüberstehen. Es endet mit dem Wegfall des Schwebezustands des gegenseitigen Geschäfts. Dessen Saldierungsbereich ist zeitlich und sachlich eingegrenzt (BFH‐Urteile vom 30. Januar 2002 I R 71/00, BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279; vom 30. November 2005 I R 110/04, BFH/NV 2006, 866, mit Anm. von Christiansen, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2006, 356). Schwebende Geschäfte sind als Vertragsverhältnisse definiert, die zum Bilanzstichtag auf einen gegenseitigen Leistungsaustausch gerichtet sind. Darunter fallen auch solche, die eine (ratierliche) Leistungserbringung auf Dauer zum Gegenstand haben (Dauerschuldverhältnisse), wie z.B. Lieferverträge. Da sie begrifflich einen weiter bestehenden Leistungsaustausch voraussetzen, sind schwebende Geschäfte beendet, wenn einer der gegenseitig zur Leistung Verpflichteten (im Regelfall der zur Sach- oder Dienstleistung verpflichtete Vertragspartner) seine vertraglich geschuldete Leistung in vollem Umfang erbracht hat oder wenn die Lieferbeziehung beendet wird. Eine nach Beendigung des schwebenden Geschäfts zu erfüllende Verpflichtung ist in der Bilanz auszuweisen. Diese Passivierungspflicht besteht bereits an Bilanzstichtagen vor der Beendigung des schwebenden Geschäfts. Sie entspricht dem Gebot, alle am Abschlussstichtag entstandenen unvorhersehbaren künftigen Risiken zu berücksichtigen (§ 246 Abs. 1, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Die zugrunde liegende Verpflichtung ist zu einem Zeitpunkt zu erfüllen, in dem ein Anspruch auf eine Gegenleistung nicht mehr besteht, der dieser Verpflichtung ausgleichend gegenüberstehen könnte; dies gilt gleichermaßen für dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeiten. Aus der Sicht des früheren Bilanzstichtags ist so von dem Erfordernis der Erfüllung einer Verpflichtung nach der Beendigung des schwebenden Geschäfts auszugehen, was zur antizipierten Passivierung führen muss (BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 866; in BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279).
2. a) Verbindlichkeiten, die nach Grund und Höhe gewiss sind, müssen nach den für die Klägerin geltenden Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (§§ 247, 266 HGB, § 5 Abs. 1 EStG) passiviert werden, es sei denn, sie müssten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden (BFH-Urteil vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359).
b) Hingegen dürfen Rückstellungen für nach Grund und/oder Höhe ungewisse Verbindlichkeiten steuerrechtlich nur unter folgenden Voraussetzungen gebildet werden (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG; grundlegend BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, mit umfangreichen Nachweisen):
- Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit. Auch wenn nur die Höhe einer bereits bestehenden Verbindlichkeit noch ungewiss ist, so ist sie unter den Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten auszuweisen (BFH-Urteile vom 19. November 2003 I R 77/01, BFHE 204, 135, m.w.N.; vom 19. Oktober 2005 XI R 64/04, BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371, m.w.N.).
- Wirtschaftliche Verursachung der Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag (BFH‐Urteil in BFH/NV 2006, 866) und
- der Schuldner muss ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Die bloße Möglichkeit des Bestehens oder Entstehens einer Verbindlichkeit reicht nicht für die Rückstellungsbildung aus (BFH-Urteile vom 30. April 1998 III R 40/95, BFH/NV 1998, 1217 betreffend die künftige Inanspruchnahme auf Garantieleistungen; in BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371, m.w.N.).
Hinsichtlich des letztgenannten Merkmals differenziert die Rechtsprechung nach Fallgruppen.
Für vertragliche Ansprüche, z.B. eine bei Vertragsende bestehende Abbruchverpflichtung (BFH-Urteil vom 28. März 2000 VIII R 13/99, BFHE 191, 517, BStBl II 2000, 612) ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Gläubiger seine Rechte geltend macht.
Hingegen verlangt die Rechtsprechung sowohl bei öffentlich-rechtlichen als auch bei privat-rechtlichen Schadensersatzansprüchen entweder die Kenntnis des Gläubigers von den den Schadensersatzanspruch begründenden Umständen oder zumindest eine derartige unmittelbar bevorstehende Kenntniserlangung. Dies gilt unabhängig von der Rechtsgrundlage, ob also ein Schadensersatzanspruch auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage beruht (BFH‐Urteil vom 11. Dezember 2001 VIII R 34/99, BFH/NV 2002, 486).
Wie der Senat bereits im Urteil in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, unter 1.b cc der Gründe ausdrücklich hervorgehoben hat, gehört auch die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz zu den sog. einseitigen Verbindlichkeiten, die nicht ohne weiteres den vertraglichen Verbindlichkeiten gleichstehen. Vielmehr sind einseitige Verbindlichkeiten mit den vertraglichen erst vergleichbar, wenn der Gläubiger die sich aus ihnen ergebende (mögliche) Berechtigung kennt. So lange dies nicht der Fall ist, folgt aus dem Vorsichtsprinzip nur, dass auch eine nachweisbar unmittelbar bevorstehende Kenntnisnahme zur Bildung einer Rückstellung berechtigt, weil auch in diesem Falle die Rückstellung noch hinreichend objektivierbar ist (BFH-Urteil vom 30. Juni 1983 IV R 41/81, BFHE 140, 30, BStBl II 1984, 263). Frühestens von diesem Zeitpunkt an muss der Schädiger trotz der bereits abstrakt bestehenden rechtlichen Verpflichtung ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Erst von diesem Zeitpunkt an besteht eine inhaltlich und zeitlich konkretisierte wirtschaftliche Last (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 486; zu zivilrechtlichen --gesetzlichen-- Schadensersatzverpflichtungen vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1992 III R 54/91, BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153; Blümich/ Schreiber, § 5 EStG Rz. 796, 798 und 920 "Schadensersatz").
c) Jede Verbindlichkeit --auch eine ungewisse-- setzt eine Verpflichtung gegenüber einem anderen, also einem Gläubiger aus dem Schuldverhältnis voraus (§ 241 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--; BFH-Urteil vom 12. Dezember 1990 I R 153/86, BFHE 163, 146, BStBl II 1991, 479). Indes reicht es für die Passivierbarkeit einer Verbindlichkeit oder einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nicht aus, dass es einen Gläubiger gibt. Vielmehr muss dieser auch wissen, dass er einen Anspruch gegenüber dem Schuldner hat. Deshalb ist bei Schadensersatzansprüchen eine Inanspruchnahme des Schuldners erst wahrscheinlich, wenn die den Anspruch begründenden Tatsachen entdeckt und dem Geschädigten bekannt sind oder dies zumindest unmittelbar bevorsteht.
Erst von diesem Zeitpunkt an muss der Schädiger trotz der bereits abstrakt bestehenden rechtlichen Verpflichtung ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Erst von diesem Zeitpunkt an besteht deshalb auch eine inhaltlich und zeitlich hinreichend konkretisierte wirtschaftliche Last (BFH-Urteile in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891; in BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153; in BFH/NV 2002, 486).
d) Die allgemein bei der Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu beachtenden handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz maßgeblich sind, regeln die Voraussetzungen, die für die ernsthafte Gefahr einer Inanspruchnahme gegeben sein müssen, allerdings nicht. Die insoweit erforderliche Prognose ist vielmehr anhand der erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse zu treffen (BFH-Urteil vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44, m.w.N., ständige Rechtsprechung).
e) Allerdings ist der erforderliche Grad der wahrscheinlichen Inanspruchnahme bei der Passivierung einer Verbindlichkeit einerseits und der Bildung einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten andererseits verschieden (BFH-Urteil vom 16. Februar 1996 I R 73/95, BFHE 180, 110, BStBl II 1996, 592, m.w.N.).
Im Urteil vom 28. März 2000 VIII R 77/96 (BFHE 191, 339, BStBl II 2002, 227, m.w.N.) hat der erkennende Senat z.B. die bloße Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Verkäufers aufgrund von Mängelrügen für die Bildung einer Rückstellung nicht ausreichen lassen, sondern verlangt, dass die Inanspruchnahme wahrscheinlich sein müsse.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen für die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme aus der Sicht des Streitjahres mehr Gründe dafür als dagegen sprechen (vgl. BFH-Urteile in BStBl II 2006, 371; vom 30. Januar 2002 I R 68/00, BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688, m.w.N.; vom 27. November 1997 IV R 95/96, BFHE 185, 160, BStBl II 1998, 375; in BFH/NV 2002, 486, m.w.N.).
Der Steuerpflichtige darf im Hinblick auf seine Inanspruchnahme überdies nicht die pessimistischste Annahme wählen (BFH‐Urteil in BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371; BFH-Beschluss vom 6. Mai 2003 VIII B 163/02, BFH/NV 2003, 1313).
Es steht nicht im Ermessen des Kaufmanns, ob er eine Belastung annimmt und dafür eine Rückstellung bildet. Eine bloß subjektive Einschätzung liefe dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zuwider (vgl. Frotscher, EStG, § 5 Rz. 363; Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rdnr. D 70). Deshalb muss das Vorhandensein nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt werden, d.h. die Inanspruchnahme muss wahrscheinlich sein.
Das Wahrscheinlichkeitsurteil kann sich auf betriebsindividuelle (BFH-Urteile in BFHE 185, 160, BStBl II 1998, 375; in BFHE 191, 339, BStBl II 2002, 227) oder branchenübliche Erfahrungen der Vergangenheit stützen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 1313; BFH-Urteil in BFHE 191, 339, BStBl II 2002, 227).
§ 6 Abs. 1 Nr. 3 a EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 --StEntlG 1999/2000/2002-- (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) hat die vergangenheitsbezogene Ermittlung der Rückstellung(en) auf der Grundlage der tatsächlichen Abwicklung nunmehr gesetzlich geregelt.
Bedeutsam können insbesondere auch die für den Schuldner erkennbaren Vorstellungen des Anspruchsberechtigten sein (BFH-Urteil vom 3. Juli 1991 X R 163, 164/87, BFHE 164, 556, BStBl II 1991, 802).
Der Steuerpflichtige ist gehalten, zur Rechtfertigung der von ihm begehrten Rückstellung konkrete Tatsachen darzulegen; er trägt die Feststellungslast (BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 1217).
Die Feststellung der Wahrscheinlichkeit ist im Wesentlichen einzelfallbezogen. Sie obliegt dem FG als Tatsacheninstanz, so dass der BFH nach Maßgabe des § 118 Abs. 2 FGO an die Feststellungen des FG grundsätzlich gebunden ist (BFH-Beschluss vom 25. November 1999 I B 8/99, BFH/NV 2000, 752; BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 486; vom 12. Dezember 1991 IV R 28/91, BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600). Hingegen betrifft die Frage, ob eine Verbindlichkeit überhaupt passivierbar ist, eine Rechtsfrage (vgl. Blümich/Schreiber, a.a.O., § 5 EStG Rz. 796).
f) Zu Recht hat das FG die vom erkennenden Senat im Urteil in BFHE 191, 517, BStBl II 2000, 612 für vertragliche Verpflichtungen geltenden Grundsätze für die Bildung von Rückstellungen nicht gleichermaßen auf vertragliche Schadensersatzansprüche übertragen. In jenem Fall hat der Senat für eine bei Vertragsende bestehende Abbruchverpflichtung die Rückstellungsbildung ohne besondere Konkretisierungsanforderungen gebilligt, weil es bei derartigen vertraglichen Verpflichtungen in hohem Maße wahrscheinlich sei, dass der Gläubiger als Vertragspartner aufgrund der Kenntnis seiner Rechte von diesen auch zu gegebener Zeit Gebrauch machen werde. Von den vertraglichen Verpflichtungen hat der Senat aber bereits in seinem Urteil in BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891 nicht nur die auf Gesetz, sondern auch die auf Vertrag beruhenden Schadensersatzansprüche abgegrenzt. Diese Grundsätze hat der Senat in seinem Urteil in BFH/NV 2002, 486 bestätigt.
Der Senat hat es für unerheblich erachtet, dass der Zeitpunkt der Erfüllung der Abbruchverpflichtung noch unbestimmt war. Im Falle der Bildung einer Rückstellung für die ggf. nicht ordnungsgemäße Leergutrückgabe geht es indes um die vorrangige Frage, ob am Bilanzstichtag überhaupt mit einer Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist.
g) Mit diesen Grundsätzen stimmt die vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Schreiben vom 23. April 2001 IV A 6 -S 2133- 1/01 (juris) vertretene Rechtsauffassung zur Bildung von Rückstellungen für die Verpflichtung zum Ausgleich wegen nicht zurückgegebenen Leerguts überein (vgl. ebenfalls Verfügung der Oberfinanzdirektion --OFD-- Hannover vom 26. März 2002 S 2137 -63- StH 221/S 2137 -67- StO 221, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2002, 1616).
3. Zurecht hat das FG nach diesen Maßstäben die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung zum 31. Dezember 1999 wegen drohender Inanspruchnahme der Klägerin auf Schadensersatz wegen Nichtrückgabe von Leergut verneint. Die anhand der gesamten Umstände vom FG vorgenommene Würdigung und die daraus gewonnene Schlussfolgerung, im Streitfall sei eine Inanspruchnahme der Klägerin zum Bilanzstichtag nicht ernsthaft wahrscheinlich gewesen, ist möglich und vertretbar und damit mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen auch für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich bindend.
a) Das FG hat zwar nicht ausdrücklich die Voraussetzungen möglicher vertraglicher Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin und die daraus ggf. folgende unterschiedliche Zuordnung zu den Verbindlichkeiten oder den ungewissen Verbindlichkeiten geprüft.
Nach § 1 Abs. 2 des am 12. November 1993 von der Klägerin und zwei weiteren Partnern mit der KG I geschlossenen Kooperationsvertrages waren die Partner verpflichtet, sämtliche Getränke zentral über das Kooperationsunternehmen einzukaufen mit Ausnahme des Zusatzsortiments für den GAM-Bereich (Letzteres ist in den Akten nicht erläutert).
In den Lieferbedingungen der KG I war lediglich bestimmt, dass das fehlende Leergut zum jeweiligen Wiederbeschaffungspreis zuzüglich Mehrwertsteuer zu ersetzen sei.
Nur im Partnerschaftsvertrag mit der X Brauerei AG sind neben der KG I auch deren Gesellschafter, u.a. die Klägerin, als Vertragspartner aufgetreten. Nach deren Lieferbedingungen kann die Brauerei für nicht zurückgegebenes oder beschädigtes Leergut nach ihrer Wahl als pauschalen Schadensersatz den jeweiligen Neupreis verlangen, ggf. abzüglich eines Abschlags "alt für neu", den die Brauerei nach billigem Ermessen im Einzelfall bestimmt oder in Höhe des vom Kunden bezahlten Pfandes. Im Übrigen bleibt dem Kunden der Nachweis unbenommen, dass überhaupt kein Schaden entstanden sei oder dieser wesentlich geringer als die Pauschale sei.
Aus den übrigen, bei den FG-Akten befindlichen Verträgen mit den Getränkeherstellern wird lediglich die KG I unmittelbar verpflichtet.
Nach den vertraglichen Voraussetzungen ist von sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeiten auszugehen.
b) Zutreffend hat das FG aufgrund der typischen Gegebenheiten im Getränkehandel festgestellt, dass den Lieferanten der Klägerin allein aufgrund der Saldenmitteilungen nicht zugleich bekannt war, ob die Klägerin ihren Rückgabeverpflichtungen vollständig und zeitnah nachkommen könnte.
Getränkegroßhändler können das Leergut erst nach einem entsprechenden Zeitablauf zurückgeben. Insbesondere dienen die Saldenmitteilungen noch nicht dem Zweck, die Durchsetzung eventueller Schadensersatzansprüche vorzubereiten. Vielmehr sollen sie lediglich verbindlich den jeweiligen Umfang der Rückgabeverpflichtung rechnerisch festhalten, ohne in der Regel den Schluss zu erlauben, der Kunde werde seine Rückgabeverpflichtung nicht ordnungsgemäß erfüllen.
Nach den branchenüblichen Abläufen hatte die Klägerin nicht ernsthaft mit ihrer Inanspruchnahme auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Verzuges zu rechnen. Im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen --wie sie dem Streitfall zugrunde liegen-- kann nur aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise mit der Inanspruchnahme gerechnet werden, wenn z.B. die Geschäftsbeziehungen beendet werden oder eine Aufforderung unmittelbar bevorsteht, das gesamte Leergut zu einem bestimmten Termin zurückzugeben.
Indes hat die Klägerin nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) solche besonderen Umstände weder schlüssig vorgetragen noch sind entsprechende Anhaltspunkte hierfür ersichtlich. Vielmehr hat die Klägerin selbst in ihrem Schreiben an die Betriebsprüfung vom 12. Oktober 2001 vorgetragen, ein derartiges Rückgabeverlangen oder Zwischenabrechnungen im Rahmen laufender Lieferbeziehungen seien --auch nach ihren geschäftlichen Erfahrungen-- unüblich. Regelmäßig seien die Kosten für fehlendes Leergut erst mit Beendigung der Lieferverbindung zu begleichen.
Die Würdigung des FG ist auch nicht insoweit zu beanstanden, dass aus der Erwähnung zweier Vorfälle, bei denen u.a. auch eine Lieferantin der Klägerin im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen Schadensersatzansprüche geltend gemacht habe und wegen der weiteren Behauptung, dies komme in jüngster Zeit vermehrt vor, nicht auf ein branchenübliches Verhalten bereits zum Bilanzstichtag zu schließen sei. Insbesondere sind die Umstände, die die Lieferfirmen zu diesen Maßnahmen veranlasst haben, nicht von der Klägerin konkretisiert worden.
Ebenso ist die Würdigung des FG der nach einzelnen Lieferverträgen möglichen unterjährigen Kündigung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass dieser Umstand noch nicht eine unmittelbar bevorstehende Kenntniserlangung der Lieferanten von den Schadensersatzansprüche begründenden Umständen wahrscheinlich mache. Die lediglich rechtliche Möglichkeit zu kündigen erlaubt noch nicht den Schluss auf eine tatsächlich bevorstehende Vertragsbeendigung.
Soweit unmittelbare Lieferbeziehungen allein zwischen der KG I und der Klägerin bestehen, ist die Klägerin neben zwei weiteren Gesellschaftern an der KG I als Gesellschafterin beteiligt. Die Gesellschafter der KG I haben es indes in der Hand, ob und wann sie Rückgabeverpflichtungen und ggf. --nach den Lieferbedingungen nicht konkret geregelte-- Schadensersatzansprüche geltend machen wollen. Nach § 5 des Kooperationsvertrages müssen sämtliche Beschlüsse in einer Partnerversammlung grundsätzlich einstimmig gefasst werden.
Soweit die KG I ihrerseits eventuell Schadensersatzansprüchen aufgrund der unmittelbar mit ihren Lieferanten bestehenden Lieferbeziehungen ausgesetzt ist, ist die Zulässigkeit, Rückstellungen zu bilden, nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Fundstellen
Haufe-Index 1572278 |
BFH/NV 2006, 1918 |
BStBl II 2006, 749 |
BFHE 2006, 364 |
BFHE 213, 364 |
BB 2006, 2121 |
BB 2006, 2295 |
BB 2007, 37 |
DB 2006, 2155 |
DB 2007, 28 |
DStR 2006, 1741 |
DStRE 2006, 1239 |
DStZ 2006, 678 |
HFR 2006, 1087 |
WPg 2006, 1365 |
FR 2007, 90 |
Inf 2006, 806 |
SteuerBriefe 2006, 1237 |
NWB 2006, 3179 |
NWB 2007, 3799 |
EStB 2006, 435 |
StuB 2006, 719 |
NWB direkt 2006, 4 |
StBW 2006, 4 |
KoR 2006, 706 |
SJ 2006, 27 |
StB 2006, 404 |
stak 2006 |