Leitsatz (amtlich)
Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die oberste Finanzbehörde die Einleitung eines Verständigungsverfahrens mit der Schweiz zwecks Beseitigung einer wirtschaftlichen Doppelbelastung mit deutschen und schweizerischen Steuern deshalb ablehnt, weil diese steuerliche Doppelbelastung nach Ansicht der Behörde dadurch entstanden ist, daß der inländische Steuerpflichtige im Wege des Rechtsmißbrauchs Vermögensgegenstände auf eine von ihm in der Schweiz gegründete Basisgesellschaft übertragen habe.
Normenkette
DBA CHE 1931/59 Art. 13
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Steuerinländer mit Vermögensinteressen in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) und in der Schweiz. Am ... 1962 gründeten der Kläger und seine Ehefrau die C GmbH (GmbH) in der Schweiz, deren satzungsmäßiger Zweck die Beteiligung und die Verwaltung von Beteiligungen an in- und ausländischen Gesellschaften war. Geschäftsführer der GmbH war ein Schweizer Bankkaufmann, der noch für über 50 andere Firmen als Geschäftsführer, Verwaltungsrat und dergleichen tätig war. Nach ihrer Gründung kaufte die GmbH vom Kläger und dessen Ehefrau Wertpapiere zum Nominalwert von ... DM, die bei einer Schweizer Bank deponiert wurden. Die Geschäftstätigkeit der GmbH beschränkte sich im Jahre 1963 im wesentlichen auf die Verwaltung der erworbenen Wertpapiere. Dabei wurde ein Gewinn von ... sfr erzielt.
Das für die Einkommensteuerveranlagung des Klägers zuständige Finanzamt (FA) sah in der Gründung der GmbH in der Schweiz und in der Übertragung der Wertpapiere auf die GmbH einen Rechtsmißbrauch (§ 6 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) und rechnete die Einkünfte der GmbH aus den auf sie übertragenen Wertpapieren dem Kläger und seiner Ehefrau zu. Das vom Kläger eingeleitete Rechtsmittelverfahren hatte keinen Erfolg. Es war im Jahr 1981 abgeschlossen.
Schon am ... 1968 hat der Kläger bei der obersten Finanzbehörde des Landes einen Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens gemäß Art. 13 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 i. d. F. des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 - DBA-Schweiz 1931/59 - (BGBl II, 1253, BStBl I, 1006) gestellt. Er legte dar, die GmbH habe ihr Einkommen in der Schweiz versteuern müssen. Das Verhalten des FA führe zu einer doppelten Besteuerung. Das Einkommen der GmbH und die Ausschüttungen an die Anteilseigner würden in beiden Staaten besteuert.
Der Beklagte und Revisionskläger (Bundesminister der Finanzen - BMF -), an den der Antrag des Klägers zuständigkeitshalber weitergeleitet worden war, lehnte die Einleitung eines Verständigungsverfahrens ab. Dies wurde dem Kläger mit Schreiben der Oberfinanzdirektion (OFD) X vom ... 1970 bekanntgegeben. Dort ist ausgeführt, im Hinblick auf § 6 StAnpG seien die Erträge aus den Wertpapieren, die auf die GmbH in der Schweiz übertragen worden seien, unmittelbar dem Kläger und dessen Ehefrau als inländische Einnahmen aus Kapitalvermögen zuzurechnen. Ihre inländische Besteuerung werde durch das DBA-Schweiz nicht berührt. Die Voraussetzungen für ein Verständigungsverfahren nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/59 lägen nicht vor. Ein Rechtsnachteil erwachse den Steuerpflichtigen daraus nicht. Sie könnten ihren Rechtsstandpunkt, die Einkünfte aus den Wertpapieren seien ihnen nicht zuzurechnen, im anhängigen Rechtsmittelverfahren durchsetzen.
Der Kläger erhob gegen den BMF Klage mit dem Antrag, die Ablehnungsverfügung aufzuheben und den BMF zu verurteilen, ein Verständigungsverfahren wegen nachgewiesener Doppelbelastung mit deutscher Einkommensteuer 1963 und mit Schweizer Verrechnungssteuer 1964 hinsichtlich derselben Einkünfte einzuleiten.
Das Finanzgericht (FG) gab dem Klagebegehren mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1978, 157 teilweise veröffentlichten Urteil statt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der BMF mit der Revision. Er rügt Verletzung materiellen Rechts. Aus dem Rechtsschutzgedanken des Grundgesetzes (GG) habe der Staatsbürger zwar einen Anspruch darauf, daß die Behörde das im Interesse einer Privatperson eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausübe. In diesem Rahmen seien die Überlegungen der Behörde, ob sie ein Verständigungsverfahren einleiten wolle oder nicht, zu würdigen. Entgegen der Auffassung des FG könne aber aus dem Zweck eines Verständigungsverfahrens i. S. dieser Vorschrift nicht hergeleitet werden, die Verwaltungsbehörde sei in ihrer Ermessensausübung derartig eingeengt, daß sie in jedem Falle einer doppelten Besteuerung, der im Abkommen nicht geregelt sei, das Verständigungsverfahren einleiten müsse. Die zuständige Verwaltungsbehörde dürfe aus jeder vernünftigen Erwägung die Einleitung eines solchen Verfahrens ablehnen. Eine Ermessenseinengung lasse sich auch nicht aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG herleiten. Diese Vorschrift könne allenfalls den Anspruch des Staatsbürgers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zusätzlich fundieren.
Auswärtige Beziehungen geböten besondere Rücksichtnahmen. Das zwischenstaatliche Verhältnis dürfe nicht belastet werden. Welche Maßnahmen angezeigt seien, hänge vom Einzelfall ab. Die Schweiz nehme in der Frage der steuerlichen Behandlung sog. Basisgesellschaften einen Standpunkt ein, der ihr Entgegenkommen von vornherein ausschließe. Die Schweiz habe stets darauf hingewiesen, daß die von ihr vorgenommene Besteuerung der dort ansässigen Basisgesellschaften ihrem Steuerrecht entspreche und daß für einen Steuerverzicht keine innerstaatliche Rechtsgrundlage gegeben sei. Ein Verständigungsverfahren könne in diesen Fällen sinnvollerweise nicht durchgeführt werden, da die Schweiz nicht kompromißbereit sei. In der internationalen Handhabung fehlten Maßstäbe für die Behandlung solcher Fälle, in denen von Steuerpflichtigen versucht werde, durch eine besondere Gestaltung Steuern zu sparen, dieser Versuch aber mißglücke und im Ergebnis zu einer höheren Steuerbelastung führe. In der internationalen Praxis werde eine solche Belastung nicht als unbillig empfunden und deshalb nicht durch eine Verständigungslösung korrigiert. Der Kläger wolle in Wirklichkeit erreichen, daß die Bundesrepublik in einem Verständigungsverfahren den schweizerischen Standpunkt anerkenne und allein von der deutschen Seite der doppelten Besteuerung abgeholfen werde.
Der BMF beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Er weist darauf hin, daß in seinem Falle die Belastung mit deutscher und schweizer Steuer dazu führe, daß der gesamte Gewinn der Schweizer GmbH weggesteuert werde. Er habe darauf vertrauen dürfen, daß die von ihm und seiner Ehefrau gegründete GmbH gemäß Art. 3 Abs. 4 DBA-Schweiz 1931/59 allein in der Schweiz besteuert werde. Die deutsche oberste Verwaltungsbehörde müsse alles tun, daß diese doppelte Belastung wenigstens gemildert werde.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Das FG hat zutreffend die Klage für zulässig gehalten.
Der Finanzrechtsweg ist im Streitfall gegeben (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Abgabenangelegenheiten. Für den Charakter einer Streitigkeit i. S. der Rechtswegbestimmungen ist die Rechtsnatur des Klagebegehrens maßgebend, wie es sich aus dem dem Klageantrag zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Oktober 1975 VII R 40/74, BFHE 117, 23. m. w. N.). Abgabenangelegenheiten sind nach § 33 Abs. 2 FGO alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten. Der Kläger verlangt von der obersten Finanzbehörde des Bundes, im Wege eines in einem Steuergesetz (DBA-Schweiz 1931/59) vorgesehenen Verständigungsverfahrens eine Beseitigung oder Milderung der von ihm behaupteten doppelten Steuerbelastung zu erreichen. Für diese Streitigkeit ist das FG im ersten Rechtszug sachlich zuständig (§ 35 i. V. m. § 37 FGO).
Der Kläger hat das FG angerufen, in dessen Bezirk er seinen Wohnsitz hat. Abweichend von der Regel des § 38 Abs. 1 FGO n. F., die den Sitz der beklagten Behörde für die örtliche Zuständigkeit maßgeblich sein läßt, ist nach Abs. 2 das Gericht des Wohnsitzes des Klägers, seiner Geschäftsleitung oder seines gewöhnlichen Aufenthalts zuständig, wenn die beklagte Behörde eine oberste Finanzbehörde eines Landes oder des Bundes ist. Im Streitfall richtet sich die Klage gegen den BMF als die oberste Finanzbehörde des Bundes (§ 1 des Finanzverwaltungsgesetzes - FVG -).
Der BMF ist auch passiv legitimiert (§ 63 Abs. 1 FGO a. F., § 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO n. F.). Aus dem mit der Klage angegriffenen Ablehnungsschreiben der OFD X ergibt sich, daß diese Behörde nicht in eigener Zuständigkeit (etwa auf Weisung einer vorgesetzten Behörde) die Einleitung des Verständigungsverfahrens abgelehnt hat, sondern die OFD hat dem Kläger die diesbezügliche Entscheidung des BMF nur bekanntgegeben.
Der Kläger durfte die Klage erheben, ohne vorher ein außergerichtliches Vorverfahren angestrengt zu haben. Gegen ablehnende Entscheidungen des BMF, die nicht Bescheide i. S. des § 229 der Reichsabgabenordnung (AO) sind, ist kein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren gegeben (§ 230 Abs. 3 Nr. 1 AO, § 349 Abs. 3 Nr. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Bei dieser Sachlage kann es im Streitfall offenbleiben, ob die vom Kläger erhobene Klage als Verpflichtungsklage (so das FG) oder als allgemeine Leistungsklage zu qualifizieren ist (§ 40 Abs. 1 FGO).
2. Das FG durfte den BMF nicht zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens verurteilen.
a) Der Kläger stützt sein Begehren auf Art. 13 DBA-Schweiz 1931/59. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift kann sich ein Steuerpflichtiger an die oberste Verwaltungsbehörde seines Wohnsitzstaates wenden mit der Darlegung, daß Maßnahmen der Finanz- oder Steuerbehörden in beiden Staaten für ihn die Wirkung einer Besteuerung gehabt haben, die den Grundsätzen des Abkommens - hier des DBA-Schweiz 1931/59 - widerspricht. Die Verwaltungsbehörde soll, wenn sie die Einwendungen für begründet erachtet, versuchen, sich mit der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde des anderen Staates zu verständigen, um in billiger Weise eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Nach dem Schlußprotokoll zum DBA-Schweiz 1931/59 ist die Einleitung des Verständigungsverfahrens nach Art. 13 Abs. 1 des Abkommens von der Erschöpfung des Rechtswegs durch den Steuerpflichtigen nicht abhängig, und sie hindert den Steuerpflichtigen nicht an der Geltendmachung seiner gesetzlichen Rechtsmittel. Nach Art. 13 Abs. 2 des Abkommens können sich die zuständigen obersten Verwaltungsbehörden der beiden Staaten auch in Fällen verständigen, die nicht in dem Abkommen geregelt sind.
aa) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß das Klagebegehren in Art. 13 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/59 keine Stütze findet. Der Kläger ist für den Veranlagungszeitraum 1963 für Erträge aus Wertpapieren, die zwar bürgerlich-rechtlich der Schweizer GmbH gebühren, aber aus Gründen der Steuerumgehung (§ 6 StAnpG) dem Kläger zuzurechnen sind, zur deutschen Einkommensteuer herangezogen worden. Über die Rechtmäßigkeit der Belastung dieser Erträge mit deutscher Einkommensteuer ist inzwischen rechtskräftig entschieden worden. Die Schweizer GmbH hat für das Wirtschaftsjahr 1963 Gewinne an ihre Gesellschafter (den Kläger und seine Ehefrau) ausgeschüttet. Diese Ausschüttung ist in der Schweiz mit Verrechnungssteuer und weiteren Steuern belegt worden. Steuerpflichtiger und damit Schuldner der Verrechnungssteuer war die GmbH (vgl. Art. 10, 11 des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer, abgedruckt in Rechtsbuch der Schweizerischen Bundessteuern, Bd. 6, II G a 1). Es kann unterstellt werden, daß die Schweizer GmbH ihre Gewinnausschüttung aus den erwähnten und dem Kläger und seiner Ehefrau nach § 6 StAnpG zugerechneten Wertpapiererträgen finanziert hat. Eine (teilweise) Erstattung der Schweizer Verrechnungssteuer könnte der Kläger von der Schweizer Steuerverwaltung nicht verlangen, weil Erträge aus Beteiligungen an einer GmbH nicht zu den Erträgen aus Kapitalvermögen i. S. des Art. 6 DBA-Schweiz 1931/59 gehören, sondern nach Art. 3 Abs. 1 und 4 des Abkommens als Einkünfte aus Beteiligungen an einem gesellschaftlichen Unternehmen zu behandeln sind, für das der Betriebstättenstaat - hier die Schweiz - das alleinige Besteuerungsrecht hat. Art. 13 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/59 setzt jedoch voraus, daß eine Identität des besteuerten Subjekts und des besteuerten Vermögensobjekts vorliegt; beides ist nach den vorstehenden Ausführungen im Streitfall nicht gegeben.
bb) Das Begehren des Klägers läßt sich demnach nur unter Art. 13 Abs. 2 DBA-Schweiz 1931/59 einordnen. Die Bundesrepublik und die Schweiz rechnen im Streitfall je nach ihrem innerstaatlichen Recht die hier in Rede stehenden Wertpapiererträge verschiedenen Personen zu. Diese Zurechnungen entsprechen dem anzuwendenden nationalen Steuerrecht beider Staaten. Dadurch können steuerliche Doppelbelastungen entstehen (subjektiver Zurechnungskonflikt, vgl. Korn/Dietz/Debatin, Doppelbesteuerung, Systematik, III, Rdnr. 150). Die Behandlung von Einkünften, die abweichend vom bürgerlichen Recht nach deutschem Steuerrecht (§ 6 StAnpG) einer in der Bundesrepublik ansässigen Person zugerechnet werden, obwohl die Schweiz diese Einkünfte bei einer dort ansässigen Person - hier der GmbH - steuerlich erfaßt, ist im DBA-Schweiz 1931/59 nicht geregelt. Da Anteilseigner der Schweizer GmbH der Kläger und seine Ehefrau sind, ist infolge der Anwendung unterschiedlichen nationalen Steuerrechts wirtschaftlich eine doppelte Besteuerung eingetreten. Derartige Konflikte können in einem Verständigungsverfahren nach Art. 13 Abs. 2 des Abkommens gelöst werden, vorausgesetzt, daß einer der beiden Staaten von seiner innerstaatlichen Rechtsauffassung abgeht oder beide Staaten im Wege des Kompromisses ihre Steueransprüche ermäßigen.
b) Ziel eines wegen wirtschaftlicher Doppelbelastung einzuleitenden Verständigungsverfahrens ist es, möglichst formlos den beide Vertragsstaaten berührenden Besteuerungskonflikt zu beseitigen. Das Verständigungsverfahren ist kein Rechtsbehelfsverfahren i. S. nationaler steuerrechtlicher Verfahrensvorschriften (Korn/Dietz/Debatin, a. a. O., Systematik, III, Rdnr. 154 ff.). Es ist ein Verfahren eigener Art. Der Steuerpflichtige ist an dem Verfahren nicht beteiligt und hat demgemäß keinen Einfluß auf das Zustandekommen und den Inhalt einer etwaigen Absprache zwischen den beiden Verwaltungsbehörden.
Trotz dieser Umstände kann sich ein Steuerpflichtiger gegen die Weigerung der obersten Verwaltungsbehörde seines Wohnsitzstaates, mit dem anderen Vertragsstaat wegen seines Steuerfalles in Verbindung zu treten, zur Wehr setzen. Den Organen der Bundesrepublik obliegt schon von Verfassungs wegen die Pflicht zum Schutze deutscher Staatsangehöriger und ihrer Interessen gegenüber fremden Staaten. Diesbezügliche Entscheidungen unterliegen, wenn auch in Grenzen, der gerichtlichen Nachprüfung (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 16. Dezember 1980 2 BvR 419/80, BVerfGE 55, 349, 364, mit Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen).
Durch Aufnahme einer Verständigungsklausel in ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist für die Bundesrepublik die allgemeine Pflicht zum diplomatischen Schutz für die ihrer Besteuerungshoheit Unterworfenen für ein bestimmtes Rechtsgebiet näher konkretisiert (vgl. Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im internationalen deutschen Steuerrecht, Schriften zum Steuerrecht, Bd. 14, S. 149). Der Schutz, den die Bundesrepublik ihrem Steuerinländer nach Art. 13 Abs. 2 DBA-Schweiz 1931/59 gewährt, besteht darin, daß sie den anderen Vertragsstaat (hier die Schweiz) auffordert, wegen des aufgetretenen Konflikts in Verhandlungen einzutreten.
Aus dem Wortlaut der Verständigungsklausel des Art. 13 Abs. 2 des Abkommens als einer Kannvorschrift folgt, daß es im Ermessen der zuständigen Behörde steht, ob sie - selbst bei Nachweis einer wirtschaftlichen Doppelbelastung mit deutscher und schweizer Steuer - dem Antrag eines Steuerinländers auf Einleitung des Verständigungsverfahrens nachkommen will. Aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften des Abkommens ergibt sich nichts Gegenteiliges. Ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt, hat der Steuerpflichtige einen nach Art. 19 Abs. 4 GG vor den Gerichten durchsetzbaren Anspruch, daß die angegangene Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausübt (Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 36). In § 102 FGO ist dies für das finanzgerichtliche Verfahren konkretisiert. Die zur Nachprüfung des Verwaltungshandelns angerufenen Gerichte sind demnach darauf beschränkt, die Handlungen und Unterlassungen der Verwaltungsbehörde auf Ermessenfehler nachzuprüfen.
c) Entgegen der Auffassung des FG war das Ermessen des BMF nicht so eingeengt, daß er dem Antrag des Klägers auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens wegen einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung (Art. 13 Abs. 2 des Abkommens) hätte stattgeben müssen. Eine so weitgehende Ermessenseinengung läßt sich aus dem Zweck eines derartigen Verständigungsverfahrens nicht entnehmen. Einer zum Handeln im zwischenstaatlichen Bereich berufenen Behörde muß naturgemäß ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt werden. Die Gestaltung zwischenstaatlicher Verhältnisse ist nicht allein vom Willen der angerufenen nationalen Behörde abhängig. Diese muß ihr Handeln danach ausrichten, ob im konkreten Fall die anzugehende Behörde des anderen Vertragsstaates auf ihr Begehren eingehen und zu Zugeständnissen bereit sein wird. Auch Zweckmäßigkeitserwägungen können das Handeln der angerufenen nationalen Behörde bestimmen. Sie muß sich internationaler Rücksichtnahme befleißigen und ggf. Zurückhaltung üben, um im Interesse der Allgemeinheit ihres Landes einen eigenen Rechtsstandpunkt zu wahren und um etwaige bevorstehende oder laufende zwischenstaatliche Verhandlungen über die Revision eines schon bestehenden Abkommens nicht zu beeinträchtigen.
d) Das Handeln des BMF läßt keinen Ermessenfehler erkennen. Maßgebend für die gerichtliche Überprüfung dieses Handelns ist die Sachlage im Zeitpunkt des Ergehens der ablehnenden Verwaltungsentscheidung, hier der Verfügung der OFD X vom ... 1970, mit der dem Kläger die Auffassung des BMF mitgeteilt worden ist. Die Entwicklung der Verhältnisse nach Ergehen dieser Verwaltungsentscheidung ist nicht zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 18. November 1975 VII R 85/74, BFHE 117, 430, BStBl II 1976, 257).
Der BMF hat die Einleitung eines Verständigungsverfahrens mit der Begründung abgelehnt, die Übertragung der Wertpapiere auf die vom Kläger und seiner Ehefrau beherrschte Schweizer GmbH stelle eine Steuerumgehung (§ 6 StAnpG) dar; die Einkünfte aus den übertragenen Wertpapieren müßten daher dem Kläger und seiner Ehefrau zugerechnet werden. Die Weigerung des BMF ist unter Berücksichtigung der zwischenstaatlichen Gegebenheiten zu würdigen. Dem BMF war bekannt, daß die Schweiz ebenfalls Vorschriften wegen der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen erlassen hat (vgl. Beschluß des Schweizerischen Bundesrats vom 14. Dezember 1962 und Kreisschreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung an die kantonalen Steuerverwaltungen vom 31. Dezember 1962, abgedruckt bei Korn/Dietz/Debatin, a. a. O., Schweiz IV A und B). Nach dem Schweizer Bundesratsbeschluß wird eine mißbräuchliche Inanspruchnahme einer Steuerentlastung dann angenommen, wenn sie Einkünfte betrifft, die insbesondere einer juristischen Person mit Sitz in der Schweiz zugute kommmen, an der nicht abkommensberechtigte Personen zu einem wesentlichen Teil direkt oder indirekt beteiligt sind und die keine angemessenen Gewinnausschüttungen vornehmen. In dem Kreisschreiben der eidgenössischen Steuerverwaltung ist ausgeführt, daß derartige Kapitalgesellschaften im Geschäftsjahr mindestens 25 v. H. der abkommensbegünstigten Einkünfte als Gewinn ausschütten müssen, die damit der Verrechnungssteuer unterliegen. Bei Nichterfüllung dieser Voraussetzungen müssen diese Gesellschaften damit rechnen, daß die Schweizer Steuerbehörden die für Zwecke der Steuerentlastung auszustellenden Bescheinigungen verweigern, schon ausgestellte Bescheinigungen widerrufen oder ihre Weiterleitung untersagen.
Der BMF mußte bei dieser Sachlage abwägen, ob in Anbetracht der beiderseitigen Standpunkte - auf deutscher Seite keine steuerrechtliche Beachtung zwischengeschalteter, von Steuerinländern in der Schweiz gegründeter Basisgesellschaften; auf Schweizer Seite zur Sicherung des eigenen Steueraufkommens für diese Gesellschaften keine Bescheinigung zum Zwecke der Steuerentlastung, wenn sie nicht einen näher bestimmten Teil ihrer abkommensbegünstigten Einkünfte ausschütten - bei Einleitung eines Verständigungsverfahrens wegen wirtschaftlicher Doppelbesteuerung wenigstens ein Kompromiß in der Weise erzielt werden kann, daß jeder der Vertragsstaaten auf einen Teil seiner Steuern verzichtet. Der BMF konnte in Rechnung stellen, daß die Schweizer Steuerverwaltung aufgrund ihrer eigenen Steuervorschriften keine Bereitschaft zu einer derartigen Einigung zeigt und ihr Besteuerungsrecht voll ausschöpft. Er mußte aber auch bedacht sein, den Standpunkt der deutschen Steuerverwaltung zu wahren, der insbesondere in dem sog. Oasenerlaß (Erlaß betreffend Verlagerung von Einkünften und Vermögen in sog. Steueroasenländer vom 14. Juni 1965, BStBl II 1965, 74) zur Anwendung des § 6 StAnpG im Falle von Vermögensverlagerungen in niedrig besteuernde Länder ("Oasenländer") ergangen ist. Er konnte dabei berücksichtigen, daß die Schweizer Seite diesen Verwaltungserlaß als zu weitgehend empfunden und gewissermaßen als Eingriff in ihr nationales Besteuerungsrecht angesehen hat. In Anbetracht der beiderseitigen Standpunkte brauchte der BMF nicht in Erwägung zu ziehen, daß der Kläger und seine Ehefrau die GmbH vor Bekanntwerden des Schweizer Bundesratsbeschlusses und des sog. Oasenerlasses der deutschen Steuerverwaltung gegründet haben. Es war ferner nicht auszuschließen, daß die Schweizer Seite bei etwaigen Verständigungsverhandlungen dem BMF als der obersten Finanzbehörde des Staates, in dem der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz hat, nahelegt, einseitige Maßnahmen zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Doppelbelastung gerade in den angesprochenen Steuerumgehungsfällen zu treffen. Zu einer einseitigen Billigkeitsmaßnahme seitens der deutschen Steuerverwaltungsbehörden bedarf es aber keines zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens.
Auch im Lichte der verfassungsrechtlichen Ordnung des GG ist die Weigerung des BMF nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen. Es verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder gegen das Rechtsstaatsprinzip, wenn der BMF unter Abwägung der Erfolgsaussichten die Einleitung eines Verständigungsverfahrens im Falle von Maßnahmen des Steuerpflichtigen ablehnt, die nach deutschem Steuerrecht als Steuerumgehung zu qualifizieren sind. Diese Entscheidung hält sich auch im Rahmen der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. Im Falle der Steuerumgehung sind die Steuern so zu erheben, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären (§ 6 Abs. 2 StAnpG). Die Erhebung der "richtigen" inländischen Steuer ist keine verfassungswidrige Erdrosselungssteuer. Durch die Weigerung zur Einleitung des zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens hat der BMF unter den gegebenen Umständen nicht willkürlich die Pflicht deutscher Staatsorgane vernachlässigt, einen Steuerinländer vor einer ihn wirtschaftlich treffenden ausländischen Doppelbesteuerung zu bewahren. Die Gründung der Basisgesellschaft in der Schweiz und die Übertragung der Wertpapiere auf diese Gesellschaft beruhten auf dem freien Entschluß des Klägers und seiner Ehefrau und geschahen in der Absicht, Steuern zu sparen. Sie sind damit - gleich, ob bewußt oder unbewußt - das Risiko eingegangen, daß diese Transaktion steuerrechtlich nach dem Mißbrauchstatbestand des § 6 StAnpG in der seit dem Jahre 1934 bestehenden Fassung beurteilt werden kann.
3. Da in der Weigerung, ein Verständigungsverfahren einzuleiten, ein Ermessensverstoß des BMF nicht zu erkennen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1982, 583 |
BFHE 1983, 111 |