Leitsatz (amtlich)
Bei Prüfung der personellen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung ist im Regelfall davon auszugehen, daß eine AG und ihr Mehrheitsaktionär einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben und demgemäß im Verhältnis zwischen dem Mehrheitsaktionär bzw. einer von diesem beherrschten Besitzpersonengesellschaft und einer GmbH, deren sämtliche Geschäftsanteile der AG gehören, die personellen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung erfüllt sind.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Gesellschafter waren in den Streitjahren 1972 bis 1974 Frau W mit einem Gewinn- und Vermögensanteil von 2/3 und Frau L mit einem Gewinn- und Vermögensanteil von 1/3. Die Führung der Geschäfte der Gesellschaft sollte nach dem Gesellschaftsvertrag den Gesellschaftern gemeinschaftlich zustehen.
Frau W, die erkrankt war, ist 1976 verstorben. Sie wurde von ihrem Ehemann zu 1/4 und von ihren vier Kindern zu je 3/16 beerbt.
Frau W war Aktionärin der B-AG (im folgenden AG). In den Streitjahren 1972 und 1973 war sie am Grundkapital der AG mit 53, 44 v. H. (1972) bzw. 52,07 v. H. (1973) beteiligt. Ende 1974 übertrug sie einen Teil ihrer Aktien schenkweise auf ihre drei volljährigen Kinder; sie war danach am Grundkapital der AG nur noch mit 49,97 v. H. beteiligt.
Die Klägerin errichtete aufgrund eines 1957 von der AG eingeräumten Erbbaurechts ein Gebäude (Fabrikationshalle) und verpachtete dieses nebst Maschinen an die F-GmbH (im folgenden GmbH), einer 100 %igen Tochtergesellschaft der AG.
Die GmbH nutzt das Gebäude und die Maschinen zur Herstellung von ...
Die Klägerin wies ihre Einkünfte aus der Verpachtung des Gebäudes und der Maschinen als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem zunächst, weil Frau W nicht, wie nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Oktober 1972 I R 184/70 (BFHE 107, 142, BStBl II 1973, 27) erforderlich, mit mindestens 75 % an der AG beteiligt sei.
Erstmals 1974 forderte das FA die Klägerin auf, Gewerbesteuereklärungen abzugeben. Das FA vertrat nunmehr unter Berufung auf einen koordinierten Erlaß der obersten Finanzbehörden der Länder und des BFH-Urteils vom 2. August 1972 IV 87/65 (BFHE 106, 325, BStBl II 1972, 796) die Auffassung, die Klägerin sei als Besitzgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung gewerbesteuerpflichtig. Frau W sei in dem Streitjahr an der Klägerin zu 2/3 und an der AG und damit mittelbar auch an der GmbH als Betriebsgesellschaft mehrheitlich beteiligt gewesen. Die Klägerin und die GmbH seien danach von einem einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen getragen gewesen.
Auf dieser Grundlage erließ das FA Gewerbesteuermeßbescheide für 1972 bis 1974.
Die Klägerin erhob nach erfolglosen Einsprüchen Klage.
Das Finanzgericht (FG) hob die Gewerbesteuermeßbescheide 1972 bis 1974 und die Einspruchsentscheidungen ersatzlos auf. Das FG war der Ansicht, daß die personellen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung und damit einer Gewerbesteuerpflicht der Klägerin nicht erfüllt seien, weil eine mehrheitliche Beteiligung an einer AG im Hinblick auf die eigenverantwortliche Leitung der AG durch den Vorstand für die Annahme eines einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens grundsätzlich nicht ausreiche. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1978, 453 veröffentlicht.
Mit der Revision beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das FA rügt Verletzung materiellen Rechts (§ 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -) und einen Verstoß gegen den Inhalt der Akten.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie muß zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage führen. Zu Unrecht hat das FG angenommen, daß die personellen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung zwischen der Klägerin und der GmbH nicht erfüllt seien, weil zwischen der Klägerin und der AG, die alle Geschäftsanteile der GmbH hält, kein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswille bestehe.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, die ihr Vermögen, insbesondere Gebäude und Maschinen, an eine Kapitalgesellschaft verpachtet, nicht vermögensverwaltend (§ 9 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung - GewStDV 1974 -), sondern gewerblich tätig (§ 2 Abs. 1 GewStG), wenn die verpachteten Wirtschaftsgüter zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen der Kapitalgesellschaft gehören und eine personelle Verflechtung zwischen der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts als Verpächterin (Besitzunternehmen) und der Kapitalgesellschaft als Pächterin (Betriebsgesellschaft) dergestalt besteht, daß die hinter dem Besitzunternehmen und der Betriebsgesellschaft stehenden natürlichen Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben. Dieser ist nicht nur vorhanden, wenn an beiden Unternehmen dieselben Personen im gleichen Verhältnis beteiligt sind, sondern auch, wenn "die Person oder die Personen, die das Besitzunternehmen tatsächlich beherrschen, in der Lage sind, auch in der Betriebsgesellschaft ihren Willen durchzusetzen" (BFH-Beschluß vom 8. November 1971 GrS 2/71, BFHE 103, 440, BStBl II 1972, 63). Die Person oder die Personen, die das Besitzunternehmen beherrschen, sind in der Regel jedenfalls dann in der Lage, ihren Willen in der Betriebsgesellschaft durchzusetzen, wenn sie über die Stimmenmehrheit bei der Betriebsgesellschaft verfügen; denn in diesem Falle vermittelt das Gesellschaftsrecht den das Besitzunternehmen beherrschenden Personen die Möglichkeit, ihren geschäftlichen Betätigungswillen bei der Betriebsgesellschaft im gewünschten Umfange zur Geltung zu bringen (z. B. BFH-Urteile vom 1. April 1981 I R 160/80, BFHE 133, 561, 564, BStBl II 1981, 738; vom 28. November 1979 I R 141/75, BFHE 129, 279, 280, BStBl II 1980, 162). Entgegen der Auffassung, die der Vorentscheidung zugrunde liegt, gilt dies grundsätzlich in gleicher Weise für Betriebsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH wie der AG; hiervon geht stillschweigend auch die bisherige BFH-Rechtsprechung aus (vgl. den mit Urteil vom 21. September 1977 I R 39-40/74, BFHE 123, 464, BStBl II 1978, 67, entschiedenen Fall). Allerdings weisen, wie das FG zu Recht hervorhebt, GmbH und AG gesellschaftsrechtliche Strukturunterschiede auf. Während z. B. die Gesellschafterversammlung einer GmbH in Form von Beschlüssen mit einfacher Stimmenmehrheit dem oder den Geschäftsführern Einzelweisungen in allen Fragen der laufenden Geschäftsführung erteilen kann, sofern der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes bestimmt (vgl. § 37 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -), ist die Hauptversammlung einer AG grundsätzlich nicht befugt, durch Einzelweisungen gegenüber dem Vorstand Einfluß auf die Geschäftsführung zu nehmen (vgl. § 76 Abs. 1, § 111, § 119 Abs. 2 des Aktiengesetzes - AktG -). Diese gesellschaftsrechtlichen Strukturunterschiede zwischen AG und GmbH haben z. B. in der Steuerrechtsprechung Anlaß gegeben, diejenigen Rechtsgrundsätze, die bestimmend sind für die Bildung von Rückstellungen einer GmbH für Pensionsverpflichtungen gegenüber beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern, nicht ohne weiteres anzuwenden auf die Bildung von Rückstellungen einer AG für Pensionsverpflichtungen gegenüber Vorstandsmitgliedern, die mehrheitlich an der AG beteiligt sind (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1971 I R 76/68, BFHE 104, 530, BStBl II 1972, 436; vgl. auch BFH-Urteil vom 15. Dezember 1971 I R 5/69, BFHE 104, 524, BStBl II 1972, 438). Die gesellschaftsrechtlichen Strukturunterschiede zwischen einer GmbH und einer AG können aber nicht rechtfertigen, das Vorhandensein eines einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens im Sinne der personellen Voraussetzung einer Betriebsaufspaltung unterschiedlich zu beurteilen, je nachdem, ob die Betriebsgesellschaft die Rechtsform einer GmbH oder AG hat, und demgemäß zwar einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen zu bejahen zwischen einer GmbH und ihrem Mehrheitsgesellschafter, der der GmbH wesentliche Betriebsgrundlagen zur Nutzung überlassen hat, hingegen zu verneinen zwischen einer AG und ihrem Mehrheitsaktionär, der in gleicher Weise der AG wesentliche Betriebsgrundlagen zur Nutzung überlassen hat.
Ein einheitlicher geschäftlicher Bestätigungswille zwischen Besitzunternehmen und Betriebsgesellschaft erfordert nicht, daß tatsächlich oder wenigstens rechtlich potentielle jede einzelne Maßnahme der laufenden Geschäftsführung bei der Betriebsgesellschaft unmittelbar "fremd" d. H. durch einen Willensentscheid der das Besitzunternehmen beherrschenden Personen bestimmt ist; der einheitliche geschäftliche Betätigungswille besteht auch, wenn sich aufgrund der Befugnis, die Mitglieder der geschäftsführenden Organe der Betriebsgesellschaft zu bestellen und abzuberufen, in der Betriebsgesellschaft auf Dauer nur ein geschäftlicher Betätigungswille entfalten kann, der vom Vertrauen der das Besitzunternehmen beherrschenden Personen getragen ist und demgemäß mit deren geschäftlichem Betätigungswillen grundsätzlich übereinstimmt. So aber ist es bei einer Betriebsgesellschaft in der Rechtsform einer AG, jedenfalls, soweit diese nicht den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes, sondern nur den Bestimmungen des § 76 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVerfG) 1952 unterliegt. Bei einer solchen AG ist der Mehrheitsaktionär in der Lage, über seine einfache Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung die Mehrheit im Aufsichtsrat zu stellen, d. h. die Arbeitgebervertreter im Aufsichtsrat und damit zwei Drittel der Aufsichtsratsmitglieder zu wählen (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 96 und § 101 Abs. 1 AktG); im Hinblick auf die Befugnis des Aufsichtsrats, Vorstandsmitglieder zu bestellen und ihre Bestellung zu widerrufen (vgl. § 84 AktG), entscheidet der Mehrheitsaktionär damit mittelbar über die personelle Zusammensetzung des Vorstands und damit auch über die Grundlinie der Geschäftspolitik der AG. Dies kommt z. B. darin zum Ausdruck, daß zu den Gründen, die den vorzeitigen Widerruf der Bestellung zum Vorstandmitglied rechtfertigen, u. a. der "Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung" gehört (§ 84 Abs. 3 AktG). Dieser Sicht der Machtverhältnisse bei einer AG entspricht es, daß gemäß § 17 AktG ein im Mehrheits-besitz stehendes Unternehmen (§ 16 Abs. 1 AktG), gleichgültig ob GmbH oder AG, im Regelfall als abhängiges Unternehmen anzusehen ist, auf das ein anderer beherrschenden Einfluß ausüben kann.
2. Ist somit davon auszugehen, daß zwischen einer AG und ihrem Mehrheitsaktionär, der der AG wesentliche Betriebsgrundlagen zur Nutzung überlassen hat, grundsätzlich ein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswille besteht, so muß Entsprechendes gelten für das Verhältnis zwischen einer GmbH, deren Geschäftsanteile in vollem Umfang einer AG gehören, und dem Mehrheitsaktionär dieser AG, der unmittelbar oder durch eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, an der ein Dritter beteiligt ist, der GmbH wesentliche Betriebsgrundlagen zur Nutzung überläßt. Der einheitliche geschäftliche Betätigungswille zwischen der AG und ihrem Mehrheitsaktionär umfaßt notwendig auch die geschäftliche Betätigung der GmbH, deren Anteile in vollem Umfange der AG gehören. Demgemäß sind im Verhältnis zwischen dem Mehrheitsaktionär und der Tochtergesellschaft der AG die personellen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung erfüllt (vgl. auch BFH-Urteil vom 14. August 1974 I R 136/70, BFHE 114, 98, BStBl II 1975, 112, für den Fall einer Beteiligung mit 99,95 v. H. an einer schweizerischen Kapitalgesellschaft, die ihrerseits mit 99 v. H. an einer deutschen GmbH beteiligt war).
3. Aus diesen Rechtsgrundsätzen folgt für den Streitfall, daß ein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswille zwischen der Klägerin und der GmbH, deren Anteile in vollem Umfange der AG gehören, bejaht werden muß, und zwar unabhängig davon, ob in den Streitjahren leitender Direktor der AG ein volljähriger Sohn der Frau W war, wie die Vorentscheidung in tatsächlicher Hinsicht irrigerweise festgestellt hat, oder der Ehemann der Frau W, wie die Akten ausweisen und zwischen den Beteiligten stets unstreitig war.
Das Vorhandensein eines einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens zwischen der Klägerin und der AG und damit mittelbar auch der GmbH wird durch die unstreitige Tatsache unterstrichen, daß die Klägerin das der GmbH zur Nutzung überlassene Gebäude gerade auf einem Grundstück errichtete, das der AG gehört, daß die AG der Klägerin zu diesem Zwecke ein Erbbaurecht einräumte und daß das Gebäude von vornherein auf die spezifischen Bedürfnisse der GmbH ausgerichtet war.
Unerheblich für die Annahme eines einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens zwischen der Klägerin und der AG und damit mittelbar auch der GmbH ist, ob Frau W in den Streitjahren von den gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten, die sie als Mehrheitsaktionärin der AG hatte, tatsächlich infolge ihrer schweren Erkrankung keinen Gebrauch mehr machte. Es ist weder festgestellt noch vorgetragen, daß und weshalb gerade diese Erkrankung tatsächlich zu einer Auflösung des seit Gründung der Klägerin und Bestellung des Erbbaurechts bestehenden einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens geführt haben soll.
Da auch die sachlichen Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung erfüllt sind, hat das FA zu Recht Gewerbesteuermeßbescheide erlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 74287 |
BStBl II 1982, 479 |
BFHE 1982, 330 |