Entscheidungsstichwort (Thema)
(Freigebige Zuwendung im Zusammenhang mit der zinslosen Stundung des Kaufpreisanspruchs)
Leitsatz (amtlich)
Eine freigebige Zuwendung i.S. des § 7 Abs.1 Nr.1 ErbStG 1974 kann regelmäßig nicht allein aus dem Umstand hergeleitet werden, daß der Grundstücksverkäufer im Kaufvertrag die Kaufpreisschuld des Grundstückskäufers über den Zeitpunkt der Grundstücksübergabe und des Übergangs der Nutzungen und Lasten des Grundstücks hinaus zinslos gestundet hat. Ob ein gegenseitiger Vertrag (Kaufvertrag) zu einer (gemischt-)freigebigen Zuwendung führt, muß vielmehr grundsätzlich anhand einer Gegenüberstellung, Bewertung und Saldierung der gesamten im Kaufvertrag begründeten gegenseitigen Leistungspflichten ermittelt werden.
Normenkette
ErbStG 1974 § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
FG Berlin (Entscheidung vom 29.10.1991; Aktenzeichen V 428/89) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Gesamtrechtsnachfolger der während des Einspruchsverfahrens verstorbenen Frau W. Diese erwarb durch notariellen Kaufvertrag vom 2. April 1982 von ihrem Sohn S (Kläger zu 1) ein Grundstück in Berlin zum Preis von 5 Mio DM. Die Käuferin übernahm gegenüber dem Verkäufer die auf dem Grundstück dinglich gesicherten Verbindlichkeiten in Höhe von 2 670 000 DM. Der Restkaufpreis in Höhe von 2 330 000 DM wurde nach Ziff.2.b des Kaufvertrages bis zum 31. Dezember 1982 zinslos gestundet. Nach Ziff.4 des Vertrages erfolgte die Übergabe des Grundstücks und der Übergang der Nutzungen und Lasten am 1. Juni 1982.
Von dem bis 31. Dezember 1982 zinslos gestundeten Kaufpreisteil zahlte die Käuferin bereits am 30. September 1982 einen Teilbetrag in Höhe von 990 000 DM, so daß sich die zinslose Stundung vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1982 lediglich auf den Restbetrag von 1 340 000 DM bezog.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah in der zinslosen Stundung eine freigebige Zuwendung des Klägers zu 1 an seine Mutter und errechnete die Zinsersparnis für die Zeiträume vom 2. April bis 30. September 1982 (2 330 000 DM) und vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1982 (1 340 000 DM) gemäß § 15 Abs.1 des Bewertungsgesetzes (BewG) unter Zugrundelegung eines Zinssatzes von 5,5 % mit insgesamt 82 500 DM. Dementsprechend setzte er mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. Juni 1985 gegen die Käuferin eine Schenkungsteuer in Höhe von 9 062 DM fest.
Der Einspruch der Kläger hatte lediglich teilweise Erfolg. In der Einspruchsentscheidung setzte das FA die Schenkungsteuer auf 6 000 DM herab, weil es nunmehr eine Bereicherung der Käuferin nur noch in der zinslosen Stundung ab dem 1. Juni 1982 (Übergang der Nutzungen und Lasten des Grundstücks) erblickte.
Mit der Klage begehrten die Kläger die vollständige Aufhebung der angefochtenen Schenkungsteuerfestsetzung.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 285 veröffentlichten Urteil ab.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Kläger ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Schenkungsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung.
1. Die Revision der Kläger ist entgegen der Ansicht des FA zulässig.
Die Kläger haben zwar weder in ihrer Revisionsschrift noch in ihrer Revisionsbegründungsschrift ausdrücklich einen bestimmten Antrag gestellt. Ein förmlicher Antrag ist jedoch entbehrlich, wenn sich aus der Revisionsbegründung eindeutig ergibt, inwieweit sich der Revisionskläger durch das angefochtene FG-Urteil beschwert fühlt und inwieweit er dessen Änderung erstrebt (vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 120 Rdnr.27).
So liegt es im Streitfall. Die Kläger haben in der Revisionsbegründungsschrift ausdrücklich kundgetan, daß die Vorentscheidung in vollem Umfang angegriffen werde. Dies und der Gesamtinhalt ihrer Revisionsbegründung gebieten die Auslegung ihres Revisionsbegehrens dahin, daß die Vorentscheidung und --entsprechend ihrem Klageantrag in der Vorinstanz-- die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen (in vollem Umfang) aufgehoben werden sollen (vgl. auch BFH-Urteile vom 29. November 1968 VI R 279/67, BFHE 94, 336, BStBl II 1969, 173, und vom 22. Juli 1980 VIII R 114/78, BFHE 131, 429, BStBl II 1981, 101; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rdnr.28).
Unschädlich ist des weiteren, daß die Kläger die nach ihrem Dafürhalten verletzte Rechtsnorm nicht durch Angabe eines bestimmten Paragraphen gekennzeichnet haben. Aus ihrer Revisionsbegründung läßt sich --was genügt (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rdnr.31, m.w.N.)-- eindeutig entnehmen, daß die Kläger das Vorliegen einer freigebigen Zuwendung verneinen und folglich § 7 Abs.1 Nr.1 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes 1974 (ErbStG 1974) für verletzt halten.
2. Die Revision der Kläger ist auch begründet. FA und FG haben zu Unrecht den Gegenstand einer freigebigen Zuwendung im Streitfall isoliert darin gesehen, daß der Verkäufer (Kläger zu 1) der Käuferin (Mutter) einen Teil des Kaufpreises über den Zeitpunkt des Übergangs der Nutzungen und Lasten des Grundstücks hinaus (für einen Zeitraum von einem halben Jahr) zinslos gestundet hat.
a) Die Bestimmung dessen, was im konkreten Fall Gegenstand einer freigebigen Zuwendung i.S. von § 7 Abs.1 Nr.1 ErbStG ist, richtet sich nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts (vgl. z.B. Senatsurteile vom 3. Oktober 1984 II R 194/82, BFHE 142, 166, BStBl II 1985, 73 unter II.1., und vom 5. Februar 1986 II R 188/83, BFHE 146, 164, BStBl II 1986, 460 unter II.1.). Damit bestimmt sich das Zuwendungsobjekt im Rahmen des § 7 Abs.1 Nr.1 ErbStG grundsätzlich nach dem in dem der Zuwendung zugrundeliegenden (bürgerlich-rechtlichen) Vertrag zum Ausdruck gelangten Willen des Gebers (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1985 II R 19/84, BFHE 143, 291, BStBl II 1985, 382 unter II.1.).
b) Im vorliegenden Fall haben der Kläger zu 1 und seine Mutter einen Kaufvertrag über ein Grundstück geschlossen. Im Rahmen dieses --gegenseitigen-- Vertrages haben sich beide Vertragspartner zu Leistungen an den jeweils anderen Vertragsteil verpflichtet: der Kläger zu 1 als Verkäufer zur Übergabe und Übereignung des Grundstücks, die Mutter als Käuferin zur Übernahme bestimmter Verbindlichkeiten des Verkäufers sowie zur Zahlung eines "Restkaufpreises" und zur Abnahme des Grundstücks, wobei die Erfüllung dieser gegenseitigen Ansprüche zu den in dem Kaufvertrag vorgesehenen --unterschiedlichen-- Zeitpunkten erfolgen sollte. Charakteristisch für den Kaufvertrag als eines gegenseitigen Vertrages ist es, daß die beiderseitig eingegangenen Verpflichtungen nach dem Willen der Vertragspartner synallagmatisch miteinander verknüpft sind. Dies bedeutet insbesondere, daß jeder Vertragsteil seine Verpflichtungen um deswillen eingeht, die Ansprüche gegen den anderen zu erlangen. Anders ausgedrückt sieht die Partei eines gegenseitigen Vertrages den Gegenwert für ihre Leistung in der des anderen Vertragsteils (vgl. z.B. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 53.Aufl., Einf. v. § 320 Rdnr.8).
Dieser --nach dem Willen beider Vertragspartner gegebenen-- (synallagmatischen) Verknüpfung der gegenseitigen Ansprüche, mögen diese auch in Abweichung von dem Modellfall der §§ 320, 322 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu erfüllen sein, widerspricht in aller Regel und auch hier eine Sichtweise, bei der einzelne Ansprüche bzw. Verpflichtungen aus diesem einheitlichen Vertragsgefüge herausgelöst und in bezug auf ihre Entgeltlichkeit bzw. Unentgeltlichkeit i.S. des § 7 Abs.1 Nr.1 ErbStG (oder auch i.S. des § 516 Abs.1 BGB) einer getrennten (isolierten) Beurteilung unterworfen werden.
Im Regelfall gehen die Kontrahenten eines gegenseitigen Vertrages (hier: Kaufvertrages) von der Vorstellung aus, daß die Leistung des anderen Teils der eigenen (mindestens) gleichwertig ist (vgl. z.B. Palandt/Heinrichs, a.a.O., Einf. v. § 320 Rdnr.8, m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich bei den Vertragspartnern --anders als hier-- um nicht einander nahestehende Personen handelt. Verzichtet deshalb der eine Vertragspartner im Kaufvertrag zu seinen Ungunsten auf die Einhaltung des sog. funktionellen Synallagmas, d.h. auf die im gesetzlichen Modellfall (vgl. §§ 320, 322 BGB) vorgesehene Zug-um-Zug-Erfüllung der beiderseitigen Ansprüche, so ist im Regelfall davon auszugehen, daß er für diese Vorleistung in der Leistung des anderen trotz deren "verspäteten" Erfüllung eine ausgewogene Gegenleistung erhält.
c) Bei --wie hier-- einander nahestehenden Personen werden demgegenüber nicht selten auch Fälle vorkommen, in denen die (Verkehrs-)Werte der in einem "Kaufvertrag" begründeten Leistungen und Gegenleistungen nicht nur objektiv (nicht unwesentlich) voneinander abweichen, sondern sich die Beteiligten oder wenigstens derjenige Vertragspartner, der sich zur höherwertigen Leistung verpflichtet hat, auch (subjektiv) der Unausgewogenheit der gegenseitigen Leistungen bewußt sind. Es handelt sich dann bürgerlich-rechtlich um die Fälle der (verdeckten) gemischten Schenkung und schenkungsteuerrechtlich um sog. gemischt-freigebige Zuwendungen. Ob und inwieweit eine derartige Zuwendung den (objektiven) Tatbestand des § 7 Abs.1 Nr.1 ErbStG erfüllt, muß grundsätzlich anhand einer Gegenüberstellung, Bewertung und Saldierung der gesamten in dem Kaufvertrag begründeten gegenseitigen Leistungspflichten ermittelt werden. Es geht nicht an --wie es FA und FG getan haben--, einzelne, isoliert gesehen für einen der Vertragspartner günstige und für den anderen Vertragspartner nachteilige Vertragsbestandteile (Vertragspflichten) entgegen dem offenkundigen Willen der Vertragsparteien aus ihrer synallagmatischen Verknüpfung zu lösen und als selbständige unentgeltliche Zuwendung i.S. des § 7 Abs.1 Nr.1 ErbStG zu qualifizieren.
Eine andere Beurteilung mag unter Umständen in dem hier nicht gegebenen Fall in Betracht kommen, daß einzelne der in dem (ursprünglichen) Kaufvertrag eingegangenen Leistungspflichten aufgrund einer späteren (Zusatz-)Vereinbarung aufgehoben oder zugunsten des Schuldners modifiziert werden (z.B. durch späteren Erlaß oder durch nachträgliche Stundung des Kaufpreisanspruchs).
d) Die Sache ist spruchreif. Die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen sind aufzuheben.
Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen könnten auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, es liege eine gemischt-freigebige Zuwendung des Klägers zu 1 an seine Mutter im oben (II.2.c) beschriebenen Sinne vor. Denn im Streitfall besteht kein Anhalt dafür, daß die beiderseitigen Leistungen der Kaufvertragsparteien zum Nachteil des Klägers zu 1 objektiv unausgewogen waren und sich der Kläger zu 1 dieser Unausgewogenheit bewußt war.
Fundstellen
Haufe-Index 64996 |
BFH/NV 1994, 64 |
BStBl II 1994, 580 |
BFHE 174, 249 |
BFHE 1995, 249 |
BB 1994, 1416 |
BB 1994, 1553 |
BB 1994, 1553-1554 (LT) |
DB 1994, 1656-1657 (LT) |
DStR 1994, 1080-1081 (KT) |
DStZ 1994, 637 (K) |
HFR 1994, 546-547 (LT) |
StE 1994, 417 (K) |
StRK, R.36 (LT) |
KFR, 3/94, S 293-294 (H 10/1994) (LT) |
UVR 1994, 280 (L) |
BuW 1994, 534 (K) |
FamRZ 1994, 1589 (L) |
DNotI-Report 1994, Nr 19, 7 (L) |
MittRhNotK 1994, 324-326 (LT) |