Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen zweitwohnungssteuerpflichtiger Vorhaltung einer Zweitwohnung zur persönlichen Lebensführung und zweitwohnungssteuerfreier reiner Kapitalanlage; rechtliches Gehör
Leitsatz (redaktionell)
1. Die steuererhebende Gemeinde kann nicht unwiderleglich von der tatsächlichen Vermutung der Vorhaltung einer Zweitwohnung für Zwecke der persönlichen Lebensführung ausgehen, wenn der Zweitwohnungsinhaber Umstände vorträgt, die diese tatsächliche Vermutung erschüttern, z.B. bei Aufenthalt in der Wohnung zu Renovierungsarbeiten oder zur Teilnahme an Eigentümerversammlungen, auch wenn dies länger als einen Tag dauert.
2. Das rechtliche Gehör wird grundsätzlich verletzt, wenn das Gericht vor Ablauf einer dem Beteiligten eingeräumten Äußerungsfrist entscheidet. Dies kann nur dann ausnahmsweise unerheblich sein, wenn sich die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG auf Feststellungen bezieht, auf die es unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2a; VwGO § 137 Abs. 1 Nr. 1, § 138 Nr. 3, §§ 130a, 144 Abs. 4
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Beschluss vom 09.07.2007; Aktenzeichen 2 LB 22/07) |
Tenor
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Juli 2007 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Die Klägerin ist Eigentümerin einer Wohnung in der Gemeinde Sylt-Ost. In den Jahren 1999 und 2003 hatte sie jeweils eine Vereinbarung zur Übertragung der Vermietung dieser Wohnung an einen Vermittler geschlossen. Die Wohnung war nach Angaben der Vermittler in den Jahren 2001 bis 2004 zwischen 40 und 133 Tagen im Jahr vermietet. Die Klägerin hat mitgeteilt, in diesem Zeitraum wegen Eigentümerversammlungen und Renovierungsarbeiten selbst in der Wohnung gewesen zu sein und zwar jeweils ein Wochenende im Februar und September 2001, im Oktober 2002, im November 2003 sowie im März und November 2004.
Mit Bescheid vom 6. September 2005 forderte die Beklagte von der Klägerin für diese Wohnung Zweitwohnungssteuer für die Jahre 2001 bis 2005 in Höhe von 1 477,69 €. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2005 zurück. Der hiergegen erhobenen Klage hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht mit Urteil vom 26. Juni 2006 stattgegeben.
Nach Zulassung der Berufung hat das Oberverwaltungsgericht die Beteiligten mit Schreiben vom 6. Juni 2007 darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss zu entscheiden, weil es die Berufung für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Den Beteiligten werde bis zum 10. Juli 2007 Gelegenheit gegeben, sich abschließend zur Sache zu äußern. Mit Beschluss vom 9. Juli 2007 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 29. Juni 2006 abgeändert, die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit am 10. Juli 2007 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schreiben hat die Klägerin beantragt, die Äußerungsfrist um zwei Wochen zu verlängern.
Gegen den ihr am 11. Juli 2007 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 13. August 2007 – einem Montag – Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erhoben. Das Oberverwaltungsgericht habe wesentlichen tatsächlichen Vortrag nicht zur Kenntnis nehmen können, weil es vor Ablauf der Äußerungsfrist entschieden habe. Mit Beschluss vom 19. September 2007 hat das Berufungsgericht der Beschwerde der Klägerin abgeholfen und die Revision gegen den Beschluss vom 9. Juli 2007 zugelassen.
Zur Begründung der Revision macht die Klägerin geltend, das Oberverwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es vor Ablauf der selbst gesetzten Äußerungsfrist über die Berufung der Beklagten entschieden und ihr damit die Möglichkeit genommen habe, auf die Berufungsbegründung zu erwidern. Zur Sache sei auszuführen:
Die geringe Vermietungsauslastung sei auf die ungünstige Lage der Wohnung zurückzuführen. Die Möglichkeit der Eigenbelegung der Ferienwohnung deute nicht auf eine Eigennutzung hin. Im Revisionsverfahren sei die Abgrenzung zwischen zweitwohnungssteuerpflichtiger Vorhaltung einer Zweitwohnung auch für die persönliche Lebensführung und zweitwohnungssteuerfreier reiner Kapitalanlage in Fällen zu klären, in denen sich der Wohnungsinhaber – wie hier – nur über einen kurzen Zeitraum zum Zwecke der Verwaltung oder Erhaltung der Wohnung (etwa Teilnahme an Eigentümerversammlungen oder Renovierungsarbeiten) dort aufhält.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Juli 2007 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts zurückzuverweisen.
Die Beklagte sieht von einem Antrag ab und betont, dass kurzzeitige Aufenthalte in einer Zweitwohnung vermuten ließen, dass diese zur persönlichen Lebensführung genutzt werde. Diese Vermutung habe die Klägerin nicht widerlegt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (vgl. § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 141 Satz 1 VwGO), ist zulässig. Dass die Klägerin keinen förmlichen Sachantrag gestellt, sondern nur die Aufhebung der Berufungsentscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht beantragt hat, ist im Hinblick auf § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO unschädlich. Denn aus der Revisionsbegründung ergibt sich eindeutig, dass die Klägerin die Berufungsentscheidung auch in der Sache für unrichtig hält und in vollem Umfang die Zurückweisung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil begehrt.
Die Revision ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 138 Nr. 3 VwGO). Dies führt zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Räumt das Gericht einem Beteiligten eine Frist zur Äußerung ein, dann verletzt es grundsätzlich dessen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es vor Ablauf der Äußerungsfrist entscheidet (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 12. Februar 1991 – BVerwG 1 C 20.90 – Buchholz 11 Art. 9 GG Nr. 27 S. 5 und Beschluss vom 7. April 1999 – BVerwG 9 B 999.98 – Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 55 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 1983 – 2 BvR 1780/82 – BVerfGE 64, 224 ≪227≫). So liegt der Fall auch hier.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin nach Zulassung der Berufung und Ankündigung einer Entscheidung im vereinfachten Verfahren nach § 130a VwGO eine Äußerungsfrist bis zum 10. Juli 2007 gesetzt. Es hat jedoch bereits durch Beschluss vom 9. Juli 2007 in der Sache entschieden. Der Klägerin wurde damit die Möglichkeit zur Äußerung im Berufungsverfahren genommen.
Aufgrund der Versagung rechtlichen Gehörs ist die Entscheidung des Berufungsgerichts gemäß § 138 Nr. 3 VwGO als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen. § 144 Abs. 4 VwGO ist in einem solchen Fall nur ausnahmsweise anwendbar, wenn sich die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG auf Feststellungen bezieht, auf die es unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt (Urteile vom 16. März 1994 – BVerwG 11 C 48.92 – Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 10 S. 5 f. und vom 20. November 1995 – BVerwG 4 C 10.95 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 25). Diese Ausnahme kommt hier nicht in Betracht. Die Klägerin konnte sich im Berufungsverfahren überhaupt nicht zum entscheidungserheblichen Sachverhalt äußern. Damit fehlt dem Revisionsgericht die tatrichterliche Grundlage für eine materiell-rechtliche Entscheidung, so dass der erkennende Senat das Berufungsurteil auch nicht auf die Richtigkeit des Ergebnisses aus anderen Gründen prüfen kann (Urteile vom 30. August 1962 – BVerwG 8 C 49.60 – BVerwGE 15, 24 ≪25≫ und vom 26. Februar 2003 – BVerwG 8 C 1.02 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 67).
2. Die angefochtene Entscheidung verstößt aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht gegen Bundesrecht. Auch hierüber hat das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden, da die Revision nicht nur auf Verfahrensmängel gestützt ist (vgl. § 137 Abs. 3 VwGO). Das Berufungsgericht hat die im Begriff der Aufwandsteuer angelegten Anforderungen zur Abgrenzung von der zweitwohnungssteuerfreien reinen Kapitalanlage verkannt. Danach ist aufgrund einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, ob die Zweitwohnung allein der Einkommenserzielung dient oder – auch – für den persönlichen Lebensbedarf gehalten wird. Daher kann die steuererhebende Gemeinde von der tatsächlichen Vermutung der Vorhaltung einer Zweitwohnung – auch – für Zwecke der persönlichen Lebensführung ausgehen, solange der Zweitwohnungsinhaber keine Umstände vorträgt, die diese tatsächliche Vermutung erschüttern (Urteil vom 10. Oktober 1995 – BVerwG 8 C 40.93 – BVerwGE 99, 303 ≪307≫).
Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. Sie ist auf die Erwägung gestützt, mehrtägige Aufenthalte des Inhabers einer Zweitwohnung in derselben begründeten die Vermutung, dass diese auch der persönlichen Lebensführung diene und daher nicht lediglich als zweitwohnungssteuerfreie Kapitalanlage gehalten werde, ohne dass es auf den Zweck solcher Aufenthalte ankomme. Ausgehend davon hat das Berufungsgericht dem Vorbringen der Klägerin, sie habe sich jeweils nur zur Durchführung von Renovierungsarbeiten und zur Teilnahme an Eigentümerversammlungen in ihrer Wohnung aufgehalten, keine Bedeutung beigemessen und eine dahingehende Aufklärung des Sachverhalts abgelehnt. Damit hat es der Sache nach die unwiderlegliche Vermutung aufgestellt, eine Zweitwohnung werde stets auch für den persönlichen Lebensbedarf gehalten, wenn sich der Wohnungsinhaber länger als einen Tag darin aufgehalten habe. Diese Annahme verfehlt die verfassungsrechtlich vorgegebene Abgrenzung zur zweitwohnungssteuerfreien Vorhaltung einer Zweitwohnung als reine Kapitalanlage. Die Durchführung von Renovierungsarbeiten und die Teilnahme an Eigentümerversammlungen dienen der Erhaltung beziehungsweise der Verwaltung der Zweitwohnung und sind damit der Einkommenserzielung zuzuordnen. Ob auch der Aufenthalt des Wohnungsinhabers in der Zweitwohnung aus Anlass dieser Tätigkeiten der Einkommenserzielung dient, ist anhand der konkreten Fallumstände zu beurteilen. Das gilt auch dann, wenn der Aufenthalt in der Zweitwohnung die Dauer eines Tages überschreitet. Es kann nicht unwiderleglich vermutet werden, dass der Wohnungsinhaber bei einem mehrtägigen Aufenthalt in der Zweitwohnung stets konsumtive Zwecke zum Beispiel der Erholungssuche verfolgt. Ihm ist vielmehr auch in diesem Fall von Verfassungs wegen die Möglichkeit eröffnet, diese Vermutung zu erschüttern, etwa indem er in geeigneter Weise belegt, dass sein Aufenthalt in der Zweitwohnung sich auf das zur Durchführung der Renovierungsarbeiten oder zur Teilnahme einer Eigentümerversammlung Notwendige beschränkt hat und er sich ansonsten eine andere Unterkunft hätte suchen müssen. Es ist nicht erkennbar, dass es insoweit keine Möglichkeiten zur Glaubhaftmachung gibt. Das Berufungsgericht wird nach allem die Umstände der Aufenthalte der Klägerin in der Zweitwohnung aufzuklären und gegebenenfalls auch die Verträge zur Übertragung der Vermietung auf Vermittler im Hinblick auf ihre Indizwirkung für eine fehlende Eigennutzung zu bewerten haben.
Die Berufungsentscheidung war daher aufzuheben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 137 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 VwGO). Für die Zurückweisung an einen anderen Senat des Oberverwaltungsgerichts (§ 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO) gibt es keine sachliche Grundlage. Die Klägerin hat weder Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass der zuständige Senat des Oberverwaltungsgerichts nicht mehr unvoreingenommen entscheiden könnte, noch sind solche Anhaltspunkte ersichtlich (vgl. dazu Urteil vom 15. April 1964 – BVerwG 5 C 97.63 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 8).
Unterschriften
Dr. Storost, Dr. Nolte, Buchberger, Dr. Christ, Prof. Dr. Korbmacher
Fundstellen