Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückstellung für die Kosten einer Betriebsprüfung bei Großbetrieben
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei Großbetrieben ist die Bildung einer Rückstellung für die Kosten einer zukünftigen Betriebsprüfung in Bezug auf die für den Prüfer anfallenden Sachkosten sowie die Personal- und Sachkosten für die Ansprechpartner des Prüfers während der Prüfung zulässig.
2. Die Verpflichtung des Steurpflichtigen, an der Prüfung mitzuwirken, hat ihren wirtschaftlichen Bezugspunkt in der gewerblichen Tätigkeit zum Bilanzstichtag. Insoweit unterscheidet sich die Verpflichtung nicht von den Kosten für die Erstellung des Jahresabschlusses.
3. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung von Kosten durch eine Betriebsprüfung ergibt sich nicht aus der Festsetzung der Steuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 168 S. 1 AO, sondern aus der Einstufung des Steuerpflichtigen als Großbetrieb.
4. Für die Bildung einer Rückstellung bedarf es keiner absoluten Sicherheit, sondern einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit.
Normenkette
HGB § 249 Abs. 1 S. 1; KStG § 8 Abs. 1; GewStG § 7; EStG § 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 6, § 4 Abs. 1 S. 1; AO §§ 200, 168; BpO § 4 Abs. 2, § 8
Nachgehend
Tenor
1. Der Körperschaftsteuerbescheid vom 18. Februar 2009 sowie der Gewerbesteuermessbetragsbescheid vom 18. März 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2009 werden ersatzlos aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Die Zuziehung eines Bevollmächtigen zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), für die Kosten einer Betriebsprüfung, u.a. betreffend das Streitjahr (2006), eine Rückstellung bilden durfte, weil die Klägerin als Großbetrieb eingestuft war.
Die Klägerin, zuvor eine GmbH & Co. KG und nach Rechtsformwechsel seit 1. Dezember 2005 eine GmbH (Verträge Bl. 40 ff., 47 ff., 55 f., 57 ff. BP-Handakte betreffend die Klägerin), unterhält einen Handel mit Waren aller Art, insbesondere Stoffen und Garnen. Die Klägerin hat ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr (1. Dezember bis 30. November). Gesellschafter der Klägerin sind A und B S (S) zu je ½ (Bl. 20R Körperschaftsteuer-Akte), zu deren Konzern die Klägerin gehört. Aufgrund ihrer Konzernzugehörigkeit (Schaubild Bl. 51 BP-Handakte I der Fabrik S GmbH & Co. KG) ist die Klägerin als Großbetrieb eingestuft (vgl. Prüfungsersuchen vom 18. Dezember 2007, abgeheftet in der BP-Akte). Eine Organschaft besteht nicht.
In ihrem Jahresabschluss für das Wirtschaftsjahr 2005/2006 vom 31. Januar 2007 bildete die Klägerin eine Rückstellung für die Kosten einer zu erwartenden Betriebsprüfung (zur Höhe s. Seite 9 des Berichts über den Jahresabschluss, Bilanzakte). Wegen der exakten Berechnung der Rückstellung und der zugrunde liegenden Schätzungen wird auf eine Anlage zum Jahresabschluss (Bl. 92 f. BP-Handakte betreffend die Klägerin) verwiesen. Die zu erwartenden Kosten zinste die Klägerin mit dem Faktor 0,852 (erwartete Zeit bis zur Prüfung: 3 Jahre) ab. Entsprechend dieser Berechnung fand die Rückstellung Eingang in die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärung der Klägerin vom 3. September 2007, die Körperschaftsteuerbescheide vom 8. und 22. Januar 2008 sowie den Gewerbesteuermessbescheid vom 6. Februar 2008. Alle Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung –AO–) bzw. der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
Im Jahr 2008 führte das Finanzamt für Groß- und Konzernprüfung X (FA X) auf Ersuchen des Beklagten (des Finanzamts –FA–) aufgrund Prüfungsanordnung vom 29. Mai 2008 die von der Klägerin erwartete Betriebsprüfung durch, die das Streitjahr 2006 umfasste; die Prüfung der Vorjahre erfolgte unter einer anderen Steuernummer (vgl. Anschreiben, Bl. 7 BP-Handakte betreffend die Klägerin). Der Prüfer vertrat in seinem Bericht vom 5. Dezember 2008 (vgl. gelber Klebezettel der nicht paginierten BP-Akte, Tz. 2.2) die Auffassung, die Rückstellung für künftige Betriebsprüfungskosten sei nicht anzuerkennen, weil es im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung an einer Prüfungsanordnung gefehlt habe. Er berief sich auf H 5.7 Abs. 3 des Einkommensteuer-Handbuchs (EStH) 2007 (jetzt: H 5.7 Abs. 4 EStH 2009) sowie das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. August 1972 VIII R 21/69 (BFHE 107, 202, BStBl II 1973, 55). An diese Auffassung sei di...