Entscheidungsstichwort (Thema)
Finanzgerichtsordnung: Klageänderung und Klagehäufung, Auslegung behördlicher Schreiben
Leitsatz (amtlich)
Wird zunächst nur formell Klage erhoben und innerhalb einer vom Gericht gesetzten Ausschlussfrist ein Verpflichtungsantrag gestellt, kann danach die Klage zulässigerweise nur noch auf eine Anfechtungsklage umgestellt werden, wenn die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind. Dies bedeutet bei der fristgebundenen Anfechtungsklage insbesondere die Einhaltung der Klagefrist.
Normenkette
FGO §§ 44-46
Tatbestand
Die Klägerin, eine GmbH, wurde im ... 2007 mit Sitz in ... gegründet. An der Klägerin waren zunächst drei Gesellschafterinnen mit jeweils 33,33 % beteiligt. Geschäftsgegenstand war die Vermittlung von ... für den ... A GmbH. Im Jahr 2007 erwirtschaftete die Klägerin einen Verlust in Höhe von 242.931,99 €. Am ... 2008 beschlossen die Gesellschafterinnen die Auflösung der Gesellschaft. B, eine der Gesellschafterinnen, wurde zur Liquidatorin bestellt. Sie hielt die Gesellschaft jedoch für sanierungsfähig und schloss am ... 2008 mit der A GmbH einen Aufhebungsvertrag, welcher u. a. einen Forderungsverzicht der A GmbH über 299.500 € beinhaltete. Am ... 2008 erwarb B die Anteile der beiden anderen Gesellschafterinnen und verlegte am ... 2008 den Sitz nach C.
In ihrer Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2008 erklärte die Klägerin einen Gewinn von 186.553 €, der vornehmlich auf dem Forderungsverzicht der A GmbH beruhte. Dem folgte der Beklagte mit Körperschaftsteuerbescheid für 2008 vom 23.07.2010 und setzte Körperschaftsteuer in Höhe von 28.003 € sowie mit Bescheid vom selben Tag den Gewerbesteuermessbetrag 2008 in Höhe von 5.531 € fest. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Den zum 31.12.2007 festgestellten verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer in Höhe von 242.151 € ließ der Beklagte gem. § 8c des Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 vom 14.08.2007 (KStG a.F.) unberücksichtigt. Gegen diese Bescheide legte die Klägerin am 26.08.2010 formell Einspruch ein und kündigte eine Begründung in Kürze an, für die sie mit einem weiteren Schreiben eine Fristverlängerung bis 15.10.2010 erbat. Mit Schriftsatz vom 18.10.2010, der im Rubrum auf den "Einspruch gegen die KSt & GewSt-Festsetzungen 2008" Bezug nimmt, beantragte die Klägerin "zunächst die niedrigere Besteuerung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) und die einstweilige Stundung", überdies werde der Erlass der gesamten festgesetzten Steuer 2008 beantragt. Durch den Forderungsverzicht der A GmbH habe sie einen Sanierungsgewinn in Höhe von 299.500 € erzielt; die hierauf entfallende Steuer sei nach Maßgabe des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27.03.2003 vollständig zu erlassen.
Hierauf erwiderte der Beklagte am 21.10.2010, dass die Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns nicht erfüllt seien und dem Antrag leider nicht entsprochen werden könne. Der Beklagte bat um Mitteilung bis 26.11.2010, ob die Einsprüche "trotzdem weiterhin aufrechterhalten" werden.
Daraufhin beantragte die Klägerin unter dem 28.12.2010 Aussetzung der Vollziehung der Körperschaft- und Gewerbesteuer 2008. Zur Begründung verwies sie wiederum darauf, dass sie einen steuerfreien Sanierungsgewinn erzielt habe. Am 01.02.2011 gewährte der Beklagte Aussetzung der Vollziehung gegen Stellung einer Sicherheitsleistung von 60.000 €. Wegen der Anordnung der Sicherheitsleistung legte die Klägerin hiergegen Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 22.02.2011, das im Rubrum die "Einsprüche vom 26.08.2010 gegen die Steuerfestsetzungen 2007 und 2008" sowie den "Einspruch vom 10.02.2011 gegen den Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung" nannte, setzte sich der Beklagte mit den Voraussetzungen für einen Sanierungserlass auseinander und verneinte im Ergebnis das Vorliegen eines steuerfreien Sanierungsgewinns, weshalb die Einsprüche keine Aussicht auf Erfolg hätten. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf dieses Schreiben wies der Beklagte u. a. die Einsprüche gegen den Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheid 2008 mit Einspruchsentscheidung vom 20.04.2011 als unbegründet zurück.
Am 19.05.2011 hat die Klägerin formell Klage wegen "KSt/GewSt 2008" erhoben, gerichtet gegen den Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.04.2011; Klageantrag und Klagebegründung würden in aller Kürze vorgelegt.
Durch gerichtliche Verfügung vom 22.07.2011 ist der Klägerin u. a. eine Ausschlussfrist bis zum 25.08.2011 dafür gesetzt worden, den Gegenstand des Klagebegehrens gem. § 65 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu bezeichnen. Durch den am 24.08.2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz kündigte die Klägerin folgenden Antrag an:
das beklagte Finanzamt wird verurteilt, mit den angefochtenen Steuerfestsetzungen 2008 die Besteuerung eines Sanierungsgewinns in Höhe ...